Intro 2002 ff. Seite A??
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Noch etwas Rag-time, diskographisch (4)
G) Les Discophiles Français: So begann es (ein paar Hinweise)
In deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken Material zum Thema "Les
Discophiles Français" einzusammeln, ist so, als wäre man auf dem Mond.
Somit bleibt oft nur das WWW als Quelle übrig. Ein wahrhaftiger Segen.
Auch wenn selbst dort, wüstenähnlich, gute Wasserstellen für diskogra-
phische Trampeltiere rar sind. Aber Ausschau gehalten wird, damit denn,
nach den Anfängen hier, peu à peu (!) zur Geschichte, zum Repertoire
und zu zahlenorientierten Dingen wie Bestell- und Matrizennummern das
eine oder andere Vertiefende gesagt werden kann. Das ist die Hoffnung.
Allerdings: Zur Musik selbst wird es sicherlich nicht kommen; solches
ist nicht geplant.
Fangen wir also bei einer Kleinigkeit an, dem 78er Etikett. Das be-
trifft die Zeit von 1941 bis etwas nach 1950. Doch bevor wir uns mit
diesen Anfangsgründen wirklich befassen, wäre vielleicht ganz gut, sich
oben mit der Zwischennote {*22} vertraut zu machen; sie möchte über-
blickartig einiges zum Logo und Erscheinungsbild der Les Discophiles
Français-Platten vermitteln.
An DF-Etiketten fällt zunächst das Ring-Design auf, überwiegend sind
das zwei Ringe, ein breiter und ein sehr schmaler, mit dem allgegen-
wärtigen Motiv "Frankreich" in der Mitte (als Zentrum). Zwar scheint es
gelegentlich auch das Layout mit nur einem Ring gegeben zu haben, wenn
ja, dann aber wohl nur als Ausnahme, das typische Etikettdesign für
diese Plattenmarke war jedenfalls der vorangenannte Modus mit zwei
Ringen, auf 78ern ebenso wie auf 33ern (Beispiele siehe unten). Ob es
je andere Typen gab, ein Etikett-Design ohne "Frankreich mit Mittel-
loch" etwa, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich nicht. Doch hat die
für Belgien bestimmte Ausgabenserie "Alpha" in der Mitte statt "Frank-
reich" eine Belgien-Silhouette, wobei diese, dem DF-Muster folgend,
von einem breiten Ring umgeben ist, in dem viermal, an den Himmels-
richtungen orientiert, "ALPHA" steht. Ein schmaler Außenring fehlt.
So jedenfalls sehen mir bekannte Etikette aus, die zudem im weißen
Innenraum oben die Hinweise "Made in France" // "ENREGISTREMENTS /
DISCOPHILES FRANÇAIS" aufweisen. Das Präfix der Bestellnummern lautet
einleuchtend "DB", was sicherlich für ein "Les Discophiles Belges"
steht. (Daß auch spanische und italienische LP-Ausgaben veröffentlicht
worden waren, sei hier nur nebenbei erwähnt. "Ausgaben" meint nicht
Übernahmen, wie sie z.B. unter dem US-amerikanischen Etikett Haydn
Society herauskamen, siehe dazu weiter oben die Etikett-Abbildung.)
Die Farbgestaltung des Regeltyps der "Frankreich"-Etikette wurde
schon oben in der Fußnote {*22} angesprochen, und da sie offensicht-
lich ein Bedeutungsträger ist, wird dem nachfolgend noch eine Dis-
kussion angefügt. Doch bevor dies geschieht, soll noch ein Neben-
Modus des Regel-Designs (Etikett mit zwei Ringen) erwähnt werden. Er
existierte offenbar nur in der LP-Ära, jedenfalls ist er mir auf 78ern
noch nie begegnet. Hierbei befinden sich das Logo "Frankreich" und die
beiden Ringe wie üblich auf weißem Grund, sind aber uni in rosa oder
braun gehalten, wobei im breiten Ring oben "LES DISCOPHILES FRANÇAIS"
steht und unten "Connaissance de la musique". "CONNAISSANCE DE LA
MUSIQUE" weist in diesen Fällen auch die Frontseite der Hülle auf, und
zwar quer durch einen aus "LES DISCOPHILES FRANÇAIS" bestehenden Ring
geschrieben, der einen stilisierten, aus den Kleinbuchstaben "d" und
"f" gestalteten gallischen Hahn umgibt (siehe unten die Abbildung).
Die Farbe der jeweiligen LP-Hülle hat hierbei meist nichts mit derjeni-
gen der Etikettringe zu tun.
Zum unten abgebildeten Ausschnitt aus einer LP-Tasche mit dem "Hahn-
Logo" noch ein Hinweis: Für die Wiedergabe der Inhaltsangabe weist sie
ein Layout auf, das sehr häufig verwendet wurde, und zwar bei allen
LP-Größen (zu diesen siehe weiter unten). Schulheft- oder Fotoalbum-
Design könnte man das nennen, jedenfalls wecken Hüllen mit dem aufge-
klebten Etikett solche Assoziationen, zumal die Hüllen sehr oft einen
Leinentuchüberzug aufweisen (wie das unten der Fall ist).
Trikolore
(Blau durch JPG etwas "verbogen")
Les Discophiles Français, Tasche: 325.031, Etikett: EX 25.031
25-cm-LP, erschienen ca. 1958 (ursprünglich DF 2, erschienen 1952/1953)
Tasche, Frontseite: Ausschnitt; Etikett: "Frankreich" und Ringe braun
Wolfgang Amadeus Mozart, Klarinettenquintett, KV 581
François Étienne, Klarinette
Quatuor Végh:
Sándor Végh, Violine I
Sándor Zöldy, Violin II
György Janzer, Viola
Paul Szabó, Violoncello
Aufnahme: Juni 1952 (nach M. H. Gray via DISMARC)
Die übliche, klassische Farbkombination der Etikette, insbesondere
die der 78er Zeit, ist blau, weiß und rot. Der vorherrschende Eindruck
ist Blau auf Weiß. Bezüglich des "Rot" ist, wie schon gesagt (siehe
Zwischennote {*22}), aus den bislang vorliegenden Materialien nicht
eindeutig zu bestimmen, was für eine Farbe das im Einzelfall genau ist
- oder ursprünglich war: Rot, orange, rotbraun oder irgendetwas dazwi-
schen? Eine solche Unsicherheit ist nicht ungewöhnlich. Hier erinnere
man sich an die Erfahrung, daß Drucke, Fotos und Scans Farben sehr oft
verunklart bzw. "verbogen" wiedergeben. Einigermaßen verläßliche
Quellen - in genügender Zahl, versteht sich -, die die Frage beantwor-
ten könnten, welches denn nun defintitiv das grundlegende Farbdesign
oder -konzept ist, liegen bis jetzt nicht vor. Und je älter eine
Platte ist, umso unsicherer wird meist die Bestimmung. Günstig wäre
natürlich, wenn es Muster gäbe, denen eine Eichung (Kalibrierung) zu-
grunde läge. Ein ganz unrealistischer Anspruch. Fazit: Wir müssen uns
bei Benennungen und Beschreibungen etwas behelfen, wobei unten die
Beispiele aus dem Web anzudeuten versuchen, was in etwa bezüglich der
Farbunterschiede gemeint ist und vor allem: wie unklar die Lage ist. Da
ich allerdings sehr viele Etikette gesehen habe, auch einige Platten
(78er) selbst besitze, bei denen jedoch altersbedingtes Verfärben und
auch ein Verblassen angenommen werden muß bzw. nicht zu übersehen ist,
von Verschmutzungen ganz zu schweigen, gehe ich, trotz der oft unter-
schiedlichsten Zustände und Erscheinungsweisen, davon aus, daß die
Trikolore-Fassung das tatsächliche Farb-Layout war. Das heißt, das
"Weiß" ist trotz Vergilbung, blaßrötlicher Tönung und dergleichen ein
Weiß, das Blau ist eher ein Himmelblau bis mattes Blau und das soge-
nannte Rot eher ein "rotes Orangerot", also etwa so:
Aber es gibt Trikolore und Trikolore. So legte beispielsweise in den
1980er Jahren Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing die Blau-Weiß-
Rot-Tönungen wie folgt fest (Quelle: Wikipedia, Trikolore; Recherche
Januar 2010):
Farbe |
Blau |
Weiß |
Rot |
HTML-Code |
#0055a4 |
#ffffff |
#ef4531 |
Das nächste Problem steckt in der Farbtönung der weiß-blauen Basis
der Hauptfassung. Es existiere da angeblich z.B. die himmelblaue Vari-
ante, bei der der Grundton, das eigentlich übliche "Weiß", hellblau ist,
wie unten die obere der beiden Abbildungen zeigt. Manches spricht aber
dafür, daß es sich hierbei um eine fehlerhafte Blauverfärbung des ur-
sprünglichen Weiß handelt. Wenn nicht, dann müßte man in der frühen Zeit
wohl mit mindestens zwei Varianten rechnen. Zum Beispiel - neben dem
Blau auf weißem Grund - mit Himmelblau auf hellblauem Grund. Wobei das
Blau auf dem weißen Grund in allerlei Tönungen angetroffen wurde, von
hell- über dunkel- bis fast schwarzblau. Diese Variantenstreuung kann
natürlich, wie schon gesagt, die Folge sehr unterschiedlicher Beeinflus-
sungen sein (Druck, Foto, Scan, Graphikkarte, Bildschirm usw.). Eines
muß klar sein, sollte es die Variante himmelblau auf hellblauem Grund
gegeben haben, hätte das wohl für den "interpretatorischen Überbau" Kon-
sequenzen. Es wären Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Gab es am Anfang
nur diese Farbfassung? Kam die Idee der Anspielung auf die Trikolore
erst später auf? Gab es womöglich Kriegs- und Nachkriegsfassungen bzw.
Kriegs- und Nachkriegsgestaltungen?
Hinweis: Die Abbildungen der Etikette, die die gallica, Bibliothèque
numérique der Bibliothèque nationale de France (BnF) anzeigt, helfen
nicht weiter. Die Wiedergabe ist zu undeutlich. Das ist bedauerlich,
denn es sind ganz frühe Aufnahmen dabei, solche, die während der
Besatzungszeit entstanden: Alben I und VI (siehe oben die Zwischen-
note {*26}).
Weitverbreitet ist sowohl im geschäftlichen (antiquarischen) wie auch
im diskographischen Bereich die falsche Verwendung des Präfix "DF". Dazu
Folgendes:
Les Discophiles Français-Aufnahmen kamen in unterschiedlichen For-
maten auf den Markt. Während es in der 78er Ära (soweit bekannt) nur
30-cm-Platten gab (und diese offenbar nur als Inhalte von Alben erhält-
lich waren), brachte demgegenüber die 33er Langspielära bei Les Disco-
philes Français in den 1950er Jahren - wie bei anderen kleinen, enga-
gierten Marken auch - gleich drei Plattengrößen: 17, 25 und 30 cm, von
denen allerdings nach einiger Zeit nur die 30-cm-LP übrig blieb. Darüber
hinaus gab es neben den Einzel-LPs selbstverständlich auch, analog zum
Marktgeschehen, Doppel-LPs, Boxen und dergleichen.
Um das nun alles mit Bestellnummern unter Kontrolle zu bekommen, be-
mühte man sich, allgemeinen Geschäftspraktiken gemäß (und wie das die
meisten anderen Schallplattenfirmen auch taten), um eine differenzieren-
de und gleichzeitig informative Numerierung, deren Aufschlüsselung,
zumal ihr eine Entwicklung zugrunde liegt, hier jetzt nicht möglich ist,
es würde zu weit führen. Wichtig ist jedoch, eine grundlegende Unter-
scheidung zu beachten: Das Präfix "DF" bezieht sich auf 33-UpM-Platten,
also auf LPs aller drei Formate, wobei es scheint, daß bei der Einfüh-
rung der 25- und 30-cm-LPs im Rahmen von Wiederveröffentlichungen den
einstigen 78er Ausgaben gegenüber in der Nummerngebung zunächst eine
Parallelität versucht wurde, was man jedoch sehr schnell aufgab. Doch
muß hier, an Vorsicht gemahnend, betont werden, daß, obwohl die neue
Nummernvergabe, wieder mit "1" beginnend, mit "DF" als Präfix inhalt-
lich sehr schnell ihre eigenen Wege ging, dennoch ein mit Verwechs-
lungsgefahren verbundenes Mit- und Gegeneinander der Numerierungen und
Inhalte zu verzeichnen ist, was gerade angesichts des mittlerweile
großen historischen Abstands zu Les zu Discophiles Français zu Ver-
wirrungen führen kann, im Rahmen von diskographischen Forschungsauf-
gaben etwa. Zwei Beispiele hierzu mögen das illustrieren, und dabei
wird auch deutlich, wie sehr eine präzise Bestellnummernangabe unbe-
dingt vonnöten ist.
Es gibt wahrscheinlich fünfmal so etwas wie die "Nummer 1": Zunächst
zur Erstveröffentlichung im doppelten Sinn. Es handelt sich bei diesem
ersten, sechs Platten umfassenden Album um eine Aufnahme der Six Con-
certs en Sextuor von Jean-Philippe Rameau, gespielt vom Orchestre de
Chambre Hewitt, sie entstand von 1941 (siehe unten). Nach dem gegen-
wärtigen Kenntnisstand zur Sachlage ist zu vermuten, daß die sechs
Platten zunächst in einem einfachen unnumerierten und unbeschrifteten
Schuber aus braunem Billigkarton steckten. Ein echtes Kriegskind dem-
nach, es herrschte Verdunklung, Sperrstunde, Existenzminimum, Besat-
zungsund Gestapo-Terror. Das also wäre die "Erstveröffentlichung im
doppelten Sinn": die Erstausgabe der Erstveröffentlichung. Die nächste
Ausgabe, wir befinden uns jetzt in der Nachkriegszeit, ist offenbar in
einem vierseitig aufklappbaren Karton erschienen, bei dem wohl ein
Klebestreifen mit dem Aufdruck
A 1 D 1-6
den Rücken bildete (A = Album, D = Disque oder Disques).
"Album I" ist der nächste Fall, weiterhin immer ohne "DF", man findet
diese Form in Katalogen und in beispielsweise auf Alben wiedergegebenen
Auflistungen des Aufnahmenrepertoires (das ist im übrigen die hier in
den Ausführungen gewählte Variante). Desweiteren ist die Zahl eins auch
anzutreffen auf der ersten Platte des Sets, und zwar in der Form "Disque
/ 1". Eine Nebenkennzeichnung ist noch "Face / 1" (face = Seite) auf der
Vorder- und "Face / 2" auf der Rückseite. Die Albumnummer erscheint auf
den Platten nicht.
Die Langspielplatte DF 1 (jetzt die "1" mit dem Präfix "DF", eine
30-cm-Platte) - dies ist denn wohl die fünfte "Nummer 1" - enthält das
gleiche Programm wie Album I, und es spielt auch das gleiche Orchester
("gleich" meint vom Namen her), doch die Aufnahme entstand 1952 (Weite-
res siehe unten). Für Sammler sollte hinzugefügt werden, daß es die
Hüllenfrontseite der LP DF 1 höchstwahrscheinlich in zwei Fassungen gab:
Eine frühe, ganz schlicht, nur aus Text bestehend (ihre Existenz ist
vermutet), und eine zweite, spätere (diese ist nachgewiesen): Layout mit
zwei Ringen (Kreislinie plus den mit LES DISCOPHILES FRANÇAIS gebildeten
Außenkreis), natürlich "Frankreich" in der Mitte, ingesamt eine rote
Graphik auf hellgrauer Leinenfläche (Beispiel für die Graphik, ganz in
blau, siehe weiter oben).
Beispiel zwei: Das 78er Album VI (Disques 25-30) bzw. wie oben ge-
zeigt: A 6 D 25-30) enthält von Rameau Les Indes Galantes (zu den Inter-
preten siehe unten). Doch im Gegensatz zum Beispiel Nummer "1" ist dies-
mal der Inhalt der 30-cm-LP DF 6 nicht neu, es handelt sich um eine
Wiederveröffentlichung der 78er Aufnahme.
Hier sieht man, bei gleichem Inhalt und gleicher Zahl, daß eine An-
gabe wie "Album 6" im Unklaren läßt, was denn nun gemeint ist: die 78er
oder die LP-Ausgabe. Dementspsrechend ist ein "DF 6" für das 78er
Album ebenso unklar, wenn, wie das bei 78er Angaben oft geschieht, als
abkürzende Markenangabe "DF" verwendet wird. So in der Gramophone Shop
Encyclopedia of Recorded Music von 1948, z.B. DF-A2 (siehe oben Zwi-
schennoten {*16}). Korrekt ist das nicht, aber Verwechslungen sind hier
kaum möglich, weil das Werk noch keine LPs verzeichnet und zudem Les
Discophiles Français vor 1950 keine LPs im Katalog hatte.
Beispiele für Verwechslungsmöglichkeiten kann man sich ansehen in der
DISMARC-Datenbank, und zwar unter den von Michael H. Gray gelieferten
Erfassungen (siehe oben Zwischennote {*24}). Fragen Sie z.B. ab: DF88
und DF89 (Schreibweise wie hier angegeben). Sie erhalten jeweils zwei
Ausgaben, eine 78er und eine LP, deren Inhalte nichts miteinander zu tun
haben (Recherche: 17.2.2010).
Es sollte noch kurz erwähnt werden, daß sich bei Les Discophiles
Français in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre im Numerierungssystem
ein Wechsel anbahnte.
Aufnahmen während der Nazi-Besatzungszeit
Im Folgenden werden einige Alben der Frühzeit vorgestellt. Zunächst
das Album I von 1941, die erste Les Discophiles Français-Veröffentli-
chung überhaupt. Werk- und diskographische Details sind nach Art einer
Bildunterschrift gestaltet. Es schließen sich ein paar einführende Hin-
weise auf Maurice Hewitt an, wobei in diesem Zusammenhang auch und zu-
nächst eine Übersicht über die ersten sechs Les Discophiles Français-
Alben geboten wird. Danach geht es diskographisch weiter mit Album V:
Wolfgang Amadeus Mozart, mitten im Krieg kostbare "kleine" Kammermusik,
das Gegenteil von "groß", Anmaßung, Macht, Staat, Politik, Führungsun-
wesen und dergleichen. Auch hier wieder Details zur Aufnahme als Bild-
unterschrift. Im darauffolgenden Kapitel wird Album V noch einmal an-
gesprochen, wenn es um Album IV und das Trio Pasquier geht. Und da es
hierbei einiges zu berichten gibt, wird auch nicht an Platz gespart.
Album I, 1941: Maurice Hewitt
Im Zweiten Weltkrieg: Paris 1941
Les Discophiles Français, Album I, Disques 1-6 (78 UpM, 30 cm)
Jean-Philippe Rameau (1683-1764, nicht 1768)
6 [Six] Concerts [transcrits] en Sextuor
Orchestre de Chambre [Maurice] Hewitt
Disque 1, Face 1
1er [Premier] Concert en Sextuor
I. La Coulicam, Rondement; II. La Livri,
Rondeau gracieux; III. Le Vézinet, Gaiement
(Titelangaben nach der Notenliteratur aufbereitet)
Zum Werk:
Bearbeitungen von unbekannter Hand
für 3 Violinen, Viola und 2 Violoncelli
(vermutlich noch zu Lebzeiten Rameaus, erstmals
gedruckt 1896, lange Zeit bekannter als die Originale)
Vorlagen:
Konzerte 1 bis 5: [Cinq] Pièces de Clavecin en Concerts
avec une violon où une flûte, et une viole où une deuxième violon
(Paris 1741, 2., revidierte Auflage: Paris 1752)
Konzert 6: Vier Stücke aus den Nouvelles Suites de
Pièces de Clavecin (Paris 1726 oder 1727)
Zum Album:
Ersteinspielung des Werks
Version 78 UpM, zur LP-Version siehe unten
Aufnahmedaten: Paris, Studio Albert, 22./23. April 1941
Erste Les Discophiles Français-Veröffentlichung überhaupt
Matrizennummern: PART 1667-1678 (nicht "PARTX", wie Gray in
DISMARC irrtümlicherweise angibt, siehe Zwischennoten {*24} {*26})
Zum Logo und Layout siehe oben und Zwischennote {*22}
Die "Six Concerts en Sextuor" (L'Orchestre Hewitt)
auf Les Discophiles Français DF 1, 30-cm-LP, sind keine
Wiederveröffentlichung, sondern eine Neuaufnahme: Paris 1952
(Werkdetails u.a. nach Wikipedia und Musikproduktion
Jürgen Höflich, www.musikmph.de, recherchiert 4.5.2009)
Der französische Geiger Maurice Hewitt (1884-1971), dessen Augenmerk
bisher dem Quartett-Spiel gegolten hatte, gründete Anfang 1941 in Paris
ein eigenes Kammerorchester, das Orchestre de Chambre Hewitt. Die Grün-
dung erfolgte also während der Okkupation (die Wehrmacht hatte am 14.
Juni 1940 Paris eingenommen). Und einer der ersten Schritte war, im
Zusammenhang mit der Orchestergründung, an einer weiteren Gründung mit-
zuwirken, nämlich an der der Plattenfirma Les Discophiles Français. Das
erste Ergebnis war das
Album I (Disques 1-6, 1941): Rameau, Orchestre de Chambre Hewitt,
siehe oben),
es folgten:
Album II (Disques 8-10, 1941): Mozart, Klarinettenkonzert, KV 622
(Solist: François Étienne, Orchestre de Chambre Hewitt),
Album III (Disques 11-16, 1941): Couperin, L'Impériale, L'Apothéose
de Lulli [Lully] (Orchestre de Chambre Hewitt),
Album IV (Disques 17-20, 1941): Bach/Mozart, KV 404a (Trio Pas-
quier, siehe weiter unten),
Album V (Disques 21-24, 1942): Mozart, Duos, KV 423 und 424 (Jean
und Pierre Pasquier, siehe unten).
Die letzte Einspielung während des Kriegs war:
Album VI (Disques 25-30, 1942): Rameau, Les Indes Galantes, Ballet
Héroïque, Oper in 4 Akten, 1735, ergänzt 1736 (Auszüge; Irène
Joachim, Camille Maurane, Raymond Malvasio, La Chorale Yvonne
Gouverné, Orchestre [de Chambre] Hewitt), am 16. und 17. November
1942 in Paris im bekannten Studio Albert aufgenommen; 1943, also
noch während der Okkupation, veröffentlicht.
Genau wie dieses Album VI so erschienen auch die anderen fünf Alben
zügig, also noch während des Kriegs, das heißt, es muß nicht nur die
Frühzeit gut beobachten werden, sondern auch wie sich die Lage nach
1945 entwickelte, denn es gilt als sicher, daß Kriegs- und Nachkriegs-
ausgaben erschienen sind. Dies wurde auch oben schon im Zusammenhang
mit Album I angedeutet, und in Bezug auf die Alben IV und V liegen,
soweit zumindest die Verpackung betroffen ist, in der Tat Nachweise von
unterschiedlichen Ausgaben vor, die Belege sind eindeutig. Inwieweit
allerdings hierbei auch unterschiedliche Pressungen existieren, dazu
kann noch keine Aussage angeboten werden.
Die erste Einspielung nach dem Krieg erschien 1946, Album VII, A-
Cappella-Werke. Marcel Couraud ist der Chorleiter, er wird für Les Dis-
cophiles Français etliche Alben aufnehmen und sich damit einen Namen
machen. Im Mittelpunkt steht bei diesen frühen Aufnahmen die Chorpoly-
phonie der Renaissance und der Niederländer Meister, in der Schallplat-
tenbranche ein bis dahin selten aufgesuchtes Gebiet: Josquin des Préz
(Desprez), Orlando di Lasso (Orlande de Lassus), Claudio Monteverdi und
andere, 15. bis 17. Jahrhundert also, aber auch Johann Sebastian Bach
und Franz Schubert kommen vor.
Album VII (Disques 31-34, ca. Januar 1946): Josquin des Préz, 13
Chansons françaises (Ensemble Vocal [Marcel] Couraud)
Zu weiteren Alben siehe oben Zwischennote {*16}, zum Album XXVI von
1948 siehe Teil 8.
Das letzte Kriegsalbum war, wie gesagt, Album VI. Denn dann wurde
es schwierig, die Lage hatte sich zugespitzt:
Hewitt, mit Les Discophiles Français eng verbunden, war unter die
Gestapo-Lupe geraten. Anklagepunkt: Untergrund-Aktivitäten, Stichwort:
Résistance. Er stand im Verdacht, mit dem seit 1941 von Maurice Buck-
master geleiteten sogenannten Buckmaster-Netz zu tun haben, das im
Rahmen der englischen Unternehmung SOE (Special Operations Executive)
Sabotage-Akte plante und durchführte, dazu gehörten Spionage, Aus-
kundschaften von Verdunklungs- und Fluchtmöglichkeiten, Beschaffung
von Geldern usw. Hewitt kam 1943 in Arrest und wurde schließlich im
selben Jahr noch ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, wo er
15 Monate zubrachte. Dort im KZ gab er mit einem Quartett auch "Kon-
zerte". Buchenwald wurde am 11. April 1945 von der 6. Panzerdivision
der 3. US-Armee erreicht (Claus Christian Malzahn, Der doppelte Fluch
vom Ettersberg [= Buchenwald], Der Spiegel, 5.6.2009, Abteilung: eines-
tages, Zeitgeschichten auf Spiegel Online).
Album V, 1942: Trio Pasquier ohne Étienne
Nach dem Etikett Nummer 1 folgt nun zum Vergleich ein weiteres 78er
Etikett und zwar dasjenige der ersten Seite des Albums V. Dieses Duo-
Album und das vier Monate zuvor aufgenommene Trio-Album IV (siehe
unten) waren bis 1950 die einzigen Les Discophiles Français-Produkte,
an denen die Brüder Pasquier (Jean, Violine; Pierre, Viola; Étienne,
Violoncello) beteiligt waren. Diese Aussage berücksichtigt alle Beset-
zungsmöglichkeiten: zu dritt, zu zweit oder allein. Komplett, also als
Trio, hatten sie in den 1930er Jahren bis zur Okkupation auf Pathé,
Columbia (in England und USA: Columbia Masterworks), Disque "Gramo-
phone" (La Voix de son Maître, in England: His Master's Voice, Deutsch-
land: Electrola) und L'Oiseau Lyre (Frankreich) etliche Aufnahmen auf
den Markt gebracht, in den Nachkriegsjahren, der Zeit entsprechend,
nicht ganz so viele auf Pathé, L'Anthologie Sonore, BAM (Éditions de
la Boîte à Musique), Pacific und Selmer. Doch wie schon angedeutet,
nahmen die Pasquiers auch die Variante "Allein" wahr, so hatte z.B.
während des Kriegs, 1943, Lumen (ebenfalls eine französische Firma)
Aufnahmen mit jedem der drei Brüder produziert, jeweils losgelöst
von den anderen beiden. Mit Les Discophiles Français, das wurde schon
angesprochen, kamen die Pasquiers erst wieder 1950 in die Regale der
Disquaires (Plattenhändler) und zwar als Trio: Langspielplatte DF 45
(30 cm, Wolfgang Amadeus Mozart, Divertimento Es-Dur für Streichtrio,
KV 563).
Beachte: Die neben Les Discophiles Français genannten Plattenmarken
L'Anthologie Sonore, BAM (Éditions de la Boîte à Musique), L'Oiseau
Lyre, Lumen, Pacific und Selmer waren typische "labels indépendants"
(siehe hierzu weiter oben). Die ersten vier waren schon vor dem
Zweiten Weltkrieg gegründet worden. Pacific und Selmer entstanden
vermutlich erst in der Nachkriegszeit, jedenfalls sind mir frühere
Ausgaben nicht bekannt. Für die Fertigung wurden sehr oft, wie die
Matrizierungsnumerierungen zeigen, die Dienste des EMI-Hauses in
Anspruch genommen (zu dieser Sonderart der Numerierung siehe weiter
unten).
Wie der Vergleich mit dem obigen Etikett beispielhaft zeigt, sind
auf 78er Etiketten Unterschiede im Text-Layout so gut wie nicht vorhan-
den. Allerdings fällt auf, daß auf den Etiketten des Albums I noch
keine Matrizennummern angegeben sind. Ein schnell identifizierbares
Charakteristikum der 78er Etikette ist der Verbotshinweis (siehe den
Schriftzug-Halbkreis in der unteren Hälfte), diesen haben, soweit be-
kannt, die LPs nicht. Es heißt an dessen Stelle, insbesondere auf frü-
hen LPs: Microsillon 33 Tours oder Microsillon 33 Tours à pas variable
(= variable micrograde). Oft genug und vor allem später entfallen je-
doch diese Hinweise. Beachte auch: Im Gegensatz zu den 78ern steht die
Plattennummer auf den LP-Etiketten links (nicht mehr rechts) und die
Seitenkennzeichnung rechts (nicht mehr links). Es gibt aber auch 78er
Etikette, auf denen die Plattennummer, vom Regelfall abweichend, links
steht! Dies fiel auf bei einem Album XIV (Disques 64-67), Rameau,
Pièces de Clavecin, Marcelle Meyer, Klavier. Die Aufnahme stammt vom
7. Mai 1946 (nach Michael H. Gray via DISMARC), veröffentlich wurde
sie noch im selben Jahr. Möglicherweise handelt es sich hier bei dem
entdeckten Album um eine spätere Pressung bzw. um einen späteren Eti-
kettendruck (weitere Details zu Etiketten siehe oben an verschiedenen
Stellen).
Beachte: Ein weiteres - allerdings nicht so auffälliges - Merkmal,
78er Etikette, die offenbar nur in der Farbgebung blau-weiß-rot exi-
stieren (zum "Rot" siehe oben), von farblich analog gestalteten Eti-
ketten der 33er Platten, der bei weitem größten Plattengruppe also,
zu unterscheiden, gibt das Les Discophiles Français-Kernlogo, die
Frankreich-Silhouette, ab. Von diesem Firmensymbol existieren offenbar
drei Fassungen: Typus 1 befindet sich auf den 78er Etiketten, Typus 2
auf LP-Etiketten und Typus 3 auf Frontseiten von LP-Taschen, diese
dritte Verwendung scheint sich in Untertypen zu gliedern. Seltsam ist
der 78er Typus, also derjenige Modus, der 1941 entstand. Er weist
rechts zwei markante Einkerbungen auf (siehe die Abbildungen), deren
oberste geographisch nicht recht einsichtig ist. Mit dem Umriß der
Schweiz jedenfalls kann das kaum zusammengebracht werden (die zweite
Kerbe schon eher). Sollte diese oberste Einbuchtung das Elsaß berück-
sichtigen, das während der Besatzungszeit 1940 bis 1944 zwar nominell
zu Frankreich gehörte, aber unter deutscher Zivilverwaltung stand und
von den Nazis als deutsches Territorium angesehen wurde? Denkbar ist
das zwar, dann aber müßte die Zeichnung wohl als eine Konzession an
die Besetzungsmacht verstanden werden. Ein merk- und denkwürdiger
Sachverhalt wäre das. Die alte Silhouette zierte bis zu Beginn der
1950er Jahre die Platten, und zwar auch dann offenbar nur die 78er
Ausgaben. Denn mit der Einführung der LP im Jahr 1950 kam der für
die LP-Etikette leicht veränderte Umriß, dessen rechter Grenzverlauf
nun erheblich begradigt aussieht.
Im Zweiten Weltkrieg: Paris 1942
Les Discophiles Français, Album V, Disques 21-24 (78 UpM, 30 cm)
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Zwei Duos für Violine und Viola in G-Dur und B-Dur, KV 423 und 424
(Salzburg 1783, aus Freundschaft an Stelle von und für Michael Haydn)
Jean Pasquier, Violine; Pierre Pasquier, Viola
Sätze (Angaben nach NMA):
Duetto I, KV 423: Allegro, Adagio, Rondeau: Allegro
Duetto II, KV 424: Adagio - Allegro, Andante cantabile, Thema [con
variazioni]: Andante grazioso [Variazione VI = letzte Variation:
Allegretto - Allegro]
Anmerkung zum Album:
Aufnahmedaten: Paris, 21. April 1942
Beide Stücke zusammen stellen weltweit die zweite Einspielung dar.
Angabe Set "4" in WERM und Creighton 1974 (siehe oben Zwischenote {*25})
ist falsch.
Zum Album gehört eine Broschüre: "MOZART 1756-1791" (Seitenzahl
unbekannt). Es ist damit zu rechnen, daß alle 78er Alben mit
beigefügtem Schriftum (eingeklebt oder lose) geliefert wurden.
Platte Matrize Matrizierung
Disque 21 PART 1769-1 M6-103648
PART 1770-1 M6-103649
Disque 22 PART 1771-1 M6-103650
PART 1772-[1] M6-103651
Disque 23 PART 1773-1 M6-103652
PART 1774-1 M6-103653
Disque 24 PART 1775-1 M6-103654
PART 1776-1 M6-103655
(Quellen: diverse, sekundär; mittlere Kolumne: Präfixe,
Matrizennummern, Takes außer [] auch primär = auf Abbildungen
im Plattenspiegel sichtbar)
Album IV, 1941: Trio Pasquier
Diskographische Unklarheiten gibt es im Zusammenhang mit Les
Discophiles Français zur Genüge. Das hängt aber wohl nicht so sehr
an der Buchhaltung und Außendarstellung des Unternehmens, sondern
dürfte, so wie es aussieht, seinen Grund eher in der dürftigen Quel-
lenlage haben. Eines der Probleme betrifft die Datierung des Albums
IV mit dem Trio Pasquier: 4 Adagios (Mozart) et Fugues (Bach) pour
trio à cordes (Titel nach der Pour l'Art-Annonce, Weiteres siehe
unten die Zusammenstellung), wobei unerwarteterweise ein tragischer
Teil der Biographie des Komponisten Olivier Messiaen den kritischen
Hinweis liefert. Wieso das?
Zunächst eine Vorbemerkung: In Angeboten tauchen immer wieder Les
Discophiles Français-Platten auf. Seltenheiten sind die meisten
nicht. Deshalb sollte man sich als Sammler auch nicht in astronomi-
schen Preishöhen verlieren. Und wenn das Herz noch so dran hängt,
man übe Vorsicht und Zurückhaltung; auf diesem Gebiet herrschen sehr
verbreitet unseriöse Vorstellungen, es gibt da Wucher und Dilettan-
tismus schlimmster Sorte.
Fachmännisch geführte Angebote gibt es aber auch, wenn auch nur
vereinzelt. In einem solchen wurde für die vier Platten des Albums
IV als Aufnahmejahr 1941 angegeben, das entspricht der Datierung
von Michael H. Gray in der DISMARC-Datenbank: 16. Dezember 1941.
Desweiteren entstammen der angesprochenen fachkundigen Offerte die
unten angeführten diversen Nummern. Man übersehe nicht, daß das
eine sekundäre Quelle ist. Bezüglich Präfixe, Matrizennummern und
Takes der Disques 17 bis 19 stehen allerdings die Spiegelinforma-
tionen in Form von Abbildungen auch direkt zur Verfügung. Abwei-
chungen liegen nicht vor. (Beachte: Bei Les Discophiles Français-
78ern ist die Matrizennummer meist auch auf den Etiketten angege-
ben, zu "meist" vgl. hier die Abbildungen. Die von Gray via DISMARC
gelieferten Daten enthalten nur Präfixe und Matrizennummern, keine
Takes und auch keine Matrizierungsnummern).
Inwieweit bei Les Discophiles Français-78ern Datierungsversuche
bzw. Datierungsgegenproben, die Matrizennummern in den Mittelpunkt
stellen, von Erfolg gekrönt sein können, ist schwierig zu beurtei-
len sind. Dazu ein paar Hinweise: Die Präfixe zeigen, daß der Auf-
nahmenvorgang über Pathé Marconi abgewickelt wurde. "PART" kenn-
zeichnet Aufnahmensitzungen kleiner, meist selbstständiger Unter-
nehmen und Unternehmungen. Hierfür werden a priori Nummernblöcke
vergeben, doch wann diese dann abgearbeitet werden, ist eine offene
Angelegenheit. Somit kommt also der Zusammenstellung eines Matri-
zenkalenders für Datierungsversuche nur eine bedingte Aussagekraft
zu. Geeigneter für eine Grobdatierung ist hingegen die Matrizie-
rungsnumerierung, die den Ablauf der Galvanisierung dokumentiert
(hierbei beachte man: 30-cm-Platte = M6-, 25-cm-Platte = M3-). Da
Pathé Marconi seit 1931 eine EMI-Tochter ist (siehe unten den Mini-
Exkurs), unterlag dieser Plattenhersteller, und selbstverständlich
auch die dessen Fabrikationsdienste in Anspruch nehmende Kleinfirma
Les Discophiles Français, der für in Frankreich bezüglich des
Matrizierungsprozesses vereinheitlichten Matrizierungsnumerierung,
so daß eine derartige zusammenfassende Nummernliste, ein Nummern-
kalender (ähnlich einem "Matrikalender", wie es im Fachlatein
heißt), recht gut Auskunft erteilt, auch wenn eine solche Aufstel-
lung nur in mühselig eingesammelter, mehr oder minder notdürftiger,
skelettartiger Form vorliegen mag. Nach einer derartigen Liste wäre
das Album in der Tat 1941 matriziert bzw. eingespielt worden.
Beachte: Gray erfaßte in der DISMARC-Datenbank bei diesem Album
und in anderen Fällen, so auch bei Album V (siehe oben), als Präfix
"PARTX". Das ist nur theoretisch richtig. "X" kennzeichnet zwar 30-
cm-Platten, wurde aber damals, wie hier die Beispiele zeigen, in der
Praxis sehr oft weggelassen.
4 Adagios (Mozart) et Fugues (Bach, transcrites par Mozart) pour
trio à cordes (Titelgebung nach der Aufstellung auf Album IX,
Einzelheiten siehe oben Zwischennote {*16})
Trio Pasquier:
Jean Pasquier, Violine
Pierre Pasquier, Viola
Étienne Pasquier, Violoncello
Paris, 16. Dezember 1941
Les Discophiles Français, Album IV, 8 Seiten, 78 UpM, 30 cm
Ersteinspielung
Beigelegte Broschüre (mit Notenbeispielen):
BACH / MOZART
Quatre ADAGIOS pour trio à cordes devant servir de préludes à
des adaptations de FUGUES de J. S. BACH et de W. F. BACH
Platte Matrize Matrizierung Titel
Disque 17 PART 1755-1 M6-103143 Adagio en ré mineur
PART 1759-1 M6-103147 Fugue en ré mineur
Disque 18 PART 1756-1 M6-103144 Adagio en sol mineur
PART 1760-2 M6-103[148] Fugue en sol mineur
Disque 19 PART 1757-1 M6-103145 Adagio en fa majeur
PART 1761-1 M6-103149 Fugue en fa majeur
Disque 20 PART 1758-1 M6-103146 Adagio en fa mineur
PART 1762-1 M6-1031[50] Fugue en fa mineur
Beachte: Die vier Adagios und Fugen sind im Köchel-Verzeichnis
("KV6", Wiesbaden 1964) Teil der "Sechs dreistimmigen Fugen",
KV 404a. Dieser Titel ist mißverständlich, weil die Nennung der
jeweiligen langsamen Voraus-Sätze fehlt: fünf Adagios und ein
Largo; Eigenkompositionen Mozarts (zur Autorschaft siehe nachfol-
gend) sind davon die oben genannten vier Adagios. "KV 405", wie
in einer Internet-Auktion vorgefunden, ist falsch. Mozartsche
Autographe zu den Arbeiten fehlen, ebenso sonstige zweifelsfreie,
die Urheberschaft nachweisende Dokumente. Somit ist die Authenti-
zität nicht beglaubigt. Und das heißt auch, die Arbeiten sind
Mozart letztlich nur zugeschrieben. Im Fall der vier Adagios sind
die Kriterien der Stil und das hohe Niveau, bezüglich der Tran-
skriptionen (z.B. der Fugen) dürften diese Kriterien aber schwer-
lich anzuwenden sein. Auch das Entstehungsjahr 1782 ist nur eine
Annahme. Im KV6 steht: "Komponiert bzw. bearbeitet angeblich 1782
in Wien", man nimmt an, für die Sonntagsmatineen bei Baron Gott-
fried van Swieten, die sich besonders um Händel und Bach drehten.
Zu Bach schreibt Mozart 1782 an seinen Vater: "... ich mach mir
eben eine Collection von den bachischen fugen. - so wohl Sebastian
als Emanuel und Friedeman Bach" (siehe KV6 ebenda).
Überliefert sind die Stücke in nicht sehr verläßlichen Abschriften
fremder Hand. KV6 dazu: "... ziemlich willkürlich und nachlässig",
eine "ein wenig sorgfältiger". Und: "Im ersten Präludium ist ein
besonderes Übermaß an dynamischen Zeichen [anzukreiden], die wohl
auf das Konto des 'Kopisten' gehen."
Die Stücke sind nicht in der alten Mozart-Gesamtausgabe (1877-
1910) aufgetaucht, und ebenso bis jetzt nicht in der neuen
(1955 ff., Recherchestand: Juli 2009). Die KV-Numerierung "404a"
stammt vom KV3 her ("KV3" = 3. Auflage des Köchel-Verzeichnisses,
Herausgeber: Alfred Einstein); zur Darstellung in dieser Ausgabe
kann ich nichts sagen, sie liegt mir jetzt nicht vor, im KV6 sind
Incipits mitgegeben und in dem kurzen dokumentarischen Kommentar
wird selbstverständlich auch die Frage der Echtheit angesprochen
(ein paar weitere Informationen zu KV 404a siehe unten im Zusam-
menhang mit der Notenabbildung).
Von den Etiketten sind diejenigen der Seiten 1 bis 7 bekannt:
Disque 17, Seite A = Face 1, Seite B = Face 2; Disque 18, Seite A
= Face 3 usw. Auf den Seiten 1, 3, 5 und 7 sind die vier Adagios.
Die Matrizennummern dazu lauten (sie stehen übrigens auch auf den
Etiketten): 1755, 1756, 1757 und 1758. Daraus folgt im Grunde, daß
offenbar und seltsamerweise zunächst alle vier Adagios eingespielt
wurden, und dann erst die vier Fugen, Matrizennummern: 1759, 1760,
1761, 1762 (siehe oben die Aufstellung).
Titelgebung auf den Etiketten 1, 3, 5 und 7 (hier am Beispiel der
Seite 1, Seite 7: ... de / W.-F. BACH):
MOZART
1756-1791
o
ADAGIO EN RÉ MINEUR
pour trio à cordes :
Prélude à la fugue en ré mineur de
J.-S. BACH
Pathé-Mini-Exkurs (Anfänge bis Nachkriegszeit):
Die Pathé Frères (Charles und Émile) stellten in Paris 1894 ihren
ersten Phonographen vor. Ende des gleichen Jahres begannen sie auch
die Fabrikation von Walzen (Zylindern). 1911 führten sie an Stelle
der Walzen die Pathé-Platte ein, die dicke "DISQUE PATHÉ", die wie
die Walzen, aber anders als fast der ganze Rest der Plattenfabri-
kation, die Information in Tiefenschrift (Berg-und-Tal-Aufzeichnung)
anboten. 1920 begannen die Pathés neben der Tiefenschriftplatte auch
Seitenschriftplatten herauszugeben. 1924 stieg Émile aus. Er konzen-
trierte sich auf das große, sehr aufstrebende Geschäft Film und ver-
kaufte seinen Pathé-Anteil an Marconi, daher nachfolgend der Firmen-
name Pathé Marconi. Die Platten selbst liefen aber weiterhin unter
"Pathé", und beibehalten wurde auch das Logo, der Hahn (Le Coq), ein
ähnlich stolzes Logo wie es Les Discophiles Français später kreierte,
die Frankreich-Silhouette. Juni 1928 kaufte die englische Columbia
Graphophone Ltd. die Firma Pathé Marconi, wobei diese schließlich
durch den 1931 erfolgten Zusammenschluß von The Gramophone Company
Ltd. und The Columbia Graphophone Company Ltd. dem daraus resultie-
renden Konzern Electric and Musical Industries Ltd. (EMI) zufiel, so
daß in Frankreich eine ganze Reihe von Etiketten dem EMI-Haus gehör-
ten: die einstigen Lindström-Marken Parlophone und Odeon, die Gramo-
phone-Marken La Voix de son Maître und Disque "Gramophone", Columbia
(das Hauptetikett der Columbia Graphophone Company) und eben Pathé
selbst.
Wir haben gesehen, daß als Entstehungsjahr für das Album IV 1941 als
sicher angenommen werden kann. Nun war aber der Cellist Étienne Pasquier
1941 in deutscher Kriegsgefangenschaft. Da kommen Zweifel auf. Dazu die
folgende Ausführung:
Spätestens Anfang 1939 begann man in Frankreich deutlicher zu sehen,
daß die Hitler-Diktatur dem Land beträchtlichen Ärger bringen wird. Und
der kam auch. Im Mai 1940 fiel die Wehrmacht über Holland und Belgien
her. "Westoffensive" (Beginn: 10. Mai 1940) nennt so manch renommiertes
Geschichtsbuch das, gepflegt wird die "objektive" Sprache. Am 26. Mai
folgte der Einmarsch in Frankreich, am 14. Juni die kampflose Okkupa-
tion der Hauptstadt. Paris hatte sich klugerweise ergeben. Aber bis
dahin, Fotos und Filme dokumentieren das, brachte der "Vormarsch" den
Franzosen Tod und Verwüstung. Leid, nicht faßbares Leid. Im "Dritten
Reich" als Heldentaten gerühmt, in Nazi-Bildbänden mit einem Heiligen-
schein glorifiziert: Mit "Blut und Ehre", "Führer befiehl - wir fol-
gen Dir!" mißbrauchte deutsche Soldaten.
Hierzu ein kurzes, aber dennoch treffendes Dokument zu finden, das
zudem noch aus der Schallplatten- oder Rundfunksphäre stammt, war nicht
leicht. Das folgende dürfte aber geeignet sein. Entnommen ist es einer
der Rundfunkzeitschriften, die den vom Reichsministerium für Volks-
aufklärung und Propaganda kontrollierten Reichsrundfunk begleiteten,
der seit dem Anschluß Österreichs in seiner Gesamtheit Großdeutscher
Rundfunk genannt wurde. Hier bedenke man, nicht anders als die Rund-
funkprogramme waren auch die Rundfunkzeitschriften durch und durch
braun eingefärbt, überall, mit Fotos garniert: reißerische Hymnen auf
den (Ver-)Führer und sein tyrannisches Tun bzw. seine Kriege.
Man kann diesen Kurzartikel Satz für Satz auf perfide Inhalte hin
abklopfen. Beispielsweise, wie seltsam verfärbt der Pluralis majestatis
"wir" hier tönt:
"Sieg im Westen"
Anläßlich der Uraufführung des großen Heeres-Dokumentarfilms "Sieg im
Westen" {*1}, der in einmaliger Form die Operationen im Mai und Juni
1940 schildert, hat die Pressegruppe des Heeres im Oberkommando der
Wehrmacht ein Sonderheft herausgegeben, das ebenfalls den Titel "Sieg
im Westen" trägt und eine sehr willkommene Ergänzung zu dem Filmwerk
bildet. Wir haben hier Gelegenheit, den atemberaubenden Ablauf der
Geschehnisse, den wir zuerst am Lautsprecher in Form von ununter-
brochen aufeinanderfolgenden Berichten und Sondermeldungen verfolg-
ten, noch einmal in Wort und Bild zu erleben. Es werden die Kämpfe
um Eben Emael, Dünkirchen, Somme und Aisne, um den Rheinübergang und
die Maginotlinie in Aufnahmen gezeigt, wie sie bisher noch nicht zu
sehen waren. Beginnend mit dem großen Antreten am 10. Mai, verfolgen
wir den Weg des kühnen Stoßtrupps von Feldwebel Portsteffen gegen
die Außenforts von Eben Emael, die große Panzerschlacht nord-ost-
wärts Namur und vieles andere. Interessante Aufsätze geben darüber
Aufschluß, wie der Film "Sieg im Westen" an der Front entstand und
erklären seinen Sinn. Die Größe und weltentscheidende Wucht dieser
Kämpfe kommt einem bei der Lektüre des Heftes wieder so recht zum
Bewußtsein, und wir erkennen auch die großartigen Leistungen und
Möglichkeiten, die heute durch den Film geboten werden, der, wie
Reichsminister Dr. Goebbels kürzlich sagte, in unserer Zeit nicht
mehr die Welt des Flimmers, sondern das reale wirkliche Leben zur
Darstellung bringt.
Aus: Illustrierter Rundfunk, München, 23. Februar 1941 mit 1. März
1941 (15. Jahrgang, Heft 9), S. [12] (Preis: 10 Pfennig = 5 Cent)
{*1} Die Wendung "Sieg im Osten" gab es zu dieser Zeit auch, sie
bezog sich auf den Überfall auf Polen (Beginn: 1. September 1939).
Das waren Rahmenbedingungen, mit denen auch der 30-jährige Olivier
Messiaen zu tun bekam. Gerade hatte er noch der in Kunstkreisen überaus
geschätzten, in Paris herausgegebenen Zeitschrift La Revue Musicale
seinen 2-seitigen Artikel "Le rythme chez Igor Strawinsky" geliefert
(veröffentlicht in der Numéro Spécial "IGOR STRAWINKSY", Mai/Juni 1939,
S. [91]-92), als er auch schon eingezogen wurde. Er erlebte den Kriegs-
ausbruch, die Invasion, als Soldat, geriet 1940 bei Verdun (die Stadt
"fiel" am 15. Juni 1940) in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurde nahe
Nancy in ein Zwischenlager gesteckt. Dort traf er auf zwei Musiker, den
Klarinettisten Henri Akoka und den Cellisten Étienne Pasquier. Das regte
etwas zum Komponieren an, so weit das überhaupt ging. Dann kam die Ver-
legung nach Görlitz (Schlesien, nicht zu verwechseln mit dem - einst
ostpreußischen - Dorf Görlitz bei Rastenburg, Haltepunkt nahe dem Füh-
rerhauptquartier Wolfsschanze für z.B. den Kurierzug Berlin - Rastenburg
und den Führersonderzug). Zur Verlegung genauer: Messiaen und seine bei-
den Musikerkollegen kamen am 20. Juni 1940 ins Stalag VIII A der deut-
schen Wehrmacht, das sich im Ostteil von Görlitz, also am Ostufer der
Lausitzer Neiße befand (heute polnisches Gebiet, Stalag = Stammlager für
Kriegsgefangene, nicht wie gelegentlich zu lesen: Strafgefangenenlager).
Aus dem Trio war inzwischen ein Quartett geworden, hinzugekommen war
der Geiger Jean le Boulaire. Man musizierte, in Holzbaracken, Wasch-
trogräumen, und Messiaen komponierte: Es entstand ein mittlerweile welt-
weit berühmtes Stück, das Quatuor pour la fin du Temps. Es wurde am 15.
Januar 1941 von den vier genannten Musikern in einer Baracke bei Minus-
Temperaturen uraufgeführt. Zuhörer: Kriegsgefangene, Wachpersonal und
deutsche Offiziere. Vermerkt werden sollte noch in einem solchen Abriß,
daß in den von mir genutzten Internet-Quellen (Stand: Mai 2009) aus dem
Kreis der Lagerverwaltung zwei Personen genannt werden, denen bezüglich
des Zustandekommens des Stücks Verdienst zugeschrieben wird, zum einen
sei das der Lagerkommandant Franzpeter Goebels (später Konzertpianist)
und zum andern ein Hauptmann namens Karl-Erich Brüll gewesen. Brüll
habe fürs Notenpapier gesorgt. Wer rund um das Stück Weiteres erfahren
möchte, klicke sich durchs WWW, man findet dort dazu sehr viel Lesens-
wertes, aber auch die ganze Skala von zweifelhaft bis peinlich falsch
(ein paar Link-Hinweise findet man unten).
Messiaen konnte nach etwa neun Monaten Lageraufenthalt nach Paris
zurückkehren und wurde dort kurz darauf am Conservatoire Lehrer
(professeur) für Harmonielehre.
Hiermit ist die Grundlage für unser diskographisches Thema erreicht.
Man fragt sich, welcher Sachverhalt vorgelegen haben könnte, daß
Messiaen zum Glück "so schnell" aus der Lagerhaft entlassen wurde.
Die Antwort liegt auf der Hand, der Krieg und die durch die Besetzung
des größten Teils Frankreichs entstandenen Verhältnisse sind die
Gründe. Das kulturelle Leben erlitt krasse Einbußen: Es fehlten Gefal-
lene, Verletzte, Kriegsgefangene, Entlassene, Geflohene, Untergetauchte
und Deportierte. Somit liegt sehr nahe zu vermuten, daß auch Étienne
Pasquier vergönnt war, vielleicht schon im März, April oder Frühjahr
1941 wieder zu Hause gewesen zu sein. Fazit: Wie sicherlich deutlich
geworden ist, ist die Wahrscheinlichkeit gering, daß Zweifel an dem für
das Album IV im Umlauf befindlichen Aufnahmejahr 1941 berechtigt sein
könnten.
Und das gilt auch für den 21. April 1942. An diesem Tag entstanden
nach Gray (siehe Zwischennote {*24}) die oben vorgestellten Aufnahmen
der Mozartschen Duos KV 423 und 424, eingespielt vom "Duo Pasquier":
Jean Pasquier (Violine) und Pierre Pasquier (Viola). Das war sicherlich
keine kriegsdingte Duo-Notlösung, sondern ein Wunschprojekt. Davon ist
jedenfalls nach Lage der Dinge auszugehen.
Noch etwas anderes wird deutlich: Die Pasquiers ließen sich nicht
beirren. Ihre Unterscheidung zwischen deutsch und deutsch ist nicht zu
übersehen. Sie zeigen das am Beispiel. Sie trotzen dem großdeutschen
Satanswerk, dem Inferno, der barbarischen Unkultur, für sich mit Kammer-
musik, und zwar "kleinster", zugleich aber subtilster Art. Das mag wenig
sein, aber es ist nicht nicht da. Mit was trotzten sie? Mit Bach, dem
"fünften Evangelisten", und Mozart, dem genialischen Jahrtausend-Lyriker
(Ave verum corpus natum de Maria virgine, im Todesjahr 1791 "gefunden")
{*1}.
{*1} Den Österreicher Wolfgang Amadeus Mozart mit dem Adjektiv
"deutsch" in einen Zusammenhang zu bringen, geht eigentlich nicht.
Gemeint ist hier mit "deutsch" auch nur der kulturelle und histori-
sche Hintergrund, der Mozart sehr häufig, vor allem außerhalb der
Grenzen Österreichs und Deutschlands, zu einem "deutschen Komponi-
sten" werden läßt, wie das denn auch mit seiner Musik allerorten
geschieht: "deutsche Musik". Doch auch das ist falsch, aber ganz und
gar falsch auch wieder nicht. (Färbungen von "falsch", ein Unding?
Im PC dagegen gibt's in der Tat nur 0 oder 1, aus oder an, aber
selbst zum "an" könnten manche was sagen.)
Eine interessante Notiz dazu, auf der Seite "www.vienna.cc/d/musik/
mozart_kurios.htm" zu finden, wird nachfolgend komplett zitiert
(Schreibfehler korrigiert, Februar 2010):
Die deutsche Bild-Zeitung startete 2003 eine Umfrage
nach den "100 größten Deutschen" und nahm auch Mozart
in die Liste der zur Auswahl stehenden Personen auf.
Heftiger Protest aus Österreich folgte. Allerdings
bezeichnete sich Mozart selbst als "teutscher" Kompo-
nist. Ob mit teutsch die Sprache, der Kulturkreis oder
die Nation gemeint war, verbleibt im Dunkel der Ge-
schichte. Seine Oper "Die Zauberflöte" bezeichnete er
als "teutsche Oper", dies aber eher in Bezug auf die
Sprache. Das Land Salzburg war zu seiner Zeit nicht in
Österreich eingegliedert, sondern souveräner deutscher
Staat im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
Erst 1810 wurde Salzburg in das Kaiserreich Österreich
eingegliedert.
Die Alben IV und V von Les Discophiles Français haben es in sich, im
reinen Sinn der Worte. Und auch Hewitt ließ sich kein X für ein U vor-
machen. Er spielte im 150. Todesjahr Mozarts am 26. Juli 1941 das vor
150 Jahren geschöpfte Klarinettenkonzert ein: Les Discophiles Français,
Album II (Disques 8-10, Matrizennummern: PART 1695-1700, M6-102645-50,
30-cm-Platten). François Étienne ist der Solist, und im Orchestre de
Chambre Hewitt sitzen Musiker, deren Namen nicht bekannt sind, die wir
aber zu gern wüßten.
Was ist denn eigentlich auf Album I? Mit diesem Album wurden Sie
bereits oben bekannt gemacht. Jean-Philippe Rameau (1683-1764), der
große Aufklärer, ein MUSIKALISCHER Aufklärer, kein militärischer. Sein
Lebenssatz "la belle et simple nature" wird in diesem Jahrtausend end-
lich zum Grundthema für ALLES in der Welt werden. Und sein Denken,
niedergeschrieben in Büchern wie "TRAITÉ DE L'HARMONIE / Réduite à ses
Principes naturels" (Paris, 1722) und "DÉMONSTRATION DU PRINCIPE DE
L'HARMONIE / Servant de base à tout l'Art Musical théorique & pratique
(Paris, 1750), hat zum Inhalt: Harmonie, samt Disharmonie, aber nicht
das Gegenteil: Teufelsbrut, Mord und Untergang.
Der Stolz, den das Trio Pasquier empfand, fand auch ein schrift-
liches Echo. 1950 veröffentlichte in den USA die International Music
Company die acht (vermutlichen) Mozart-Arbeiten, die im Dezember 1941
aufgenommen worden waren. Diesmal allerdings in einer etwas anderen
Reihenfolge, aber immer noch eingerahmt von gedämpftem, herbem Moll.
1941: d-moll, g-moll, F-dur, f-moll, 1950: d-moll, f-moll, F-dur,
g-moll. Eine kleine Änderung nur, doch sicherlich nicht ohne Bedeu-
tung: In dem neuen Rahmen, gebildet durch die Stücke in d-moll und g-
moll, steckt ein freieres, ein befreites Gemüt. Denn Wilhelm Friede-
mann Bachs Fuge in f-moll klingt mit ihrer Klageabwärtschromatik nach
Wehmut, während demgegenüber das g-moll-Präludium bei aller Dramatik,
lebendige Sprünge hat, Aktivität andeutet.
Von der Geigenstimme des ersten Adagios her zu urteilen, scheint
die Bearbeitung der Pasquiers, die ja wohl hoffentlich nicht den
Notentext als solchen betrifft, mit Deklamations- und Dynamikzeichen
nicht gerade sparsam umgegangen zu sein. Das ist offenbar eine minu-
tiöse, eigentich schon perfektionistische, sehr anspruchsvolle Ausar-
beitung. Doch beachte man, was oben im Zusammenhang mit der Vorstel-
lung der Stücke im KV6 und der Überlieferung refereriert wurde. Wie
auch immer, der Vortragsvorschlag läßt sich ausdünnen, dann wird der
Notentext auch leserlicher, was bei dieser Art von "Spielmusik" Lai-
enmusikanten zu Gute käme. Und schließlich, bei allem Verständnis,
von einem realistischen Blick auf diesen echten oder nicht echten,
aber wohl wie auch immer romantisierten Mozart sollte man nicht Ab-
stand nehmen - und wie sieht die Sache bei den Stücken der beiden
Bachs aus, wurde den Notenvorlagen auch eine "aufklärerische Roman-
tikkur" verpaßt?
Die Stücke waren damals noch kaum bekannt, und es liegt nahe zu
vermuten, daß die Pasquiers über den 1936 erschienenen, dokumenta-
risch wunderbaren Artikel des Musikforschers, Mozartkenners und
Bearbeiters der 3. Auflage des Köchel-Verzeichnisses Alfred Einstein
auf diese Arbeiten aufmerksam wurden.
Alfred Einstein (Übersetzung von Marianne Brooke): Mozart's
Four String Trio Preludes to Fugues of Bach, The Musical
Times, London, März 1936 (Vol. 77, No. 1117), S. [209]-216
Auch die Nummer KV "404a" gab es damals noch nicht. Sie hat Ein-
stein in seiner 1937 veröffentlichten Bearbeitung des Köchels einge-
führt (siehe weiter oben). Die Erstausgabe der Stücke als Ganzes
(vorher waren nur einige wenige Einzelteile erschienen) kam in einer
Einrichtung durch Johann Nepomuk David 1938 bei Breitkopf & Härtel
heraus. Vielleicht kannten die Pasquiers auch diese Ausgabe. Ein
Vergleich wäre zweifellos interessant, vor allem im Zusammenhang mit
der Ersteinspielung des Trio Pasquier.
...
Gedruckt
Erinnerung an die Okkupation
Aus:
Bach-Mozart, Four Preludes and Fugues, K. 404a,
for Violin, Viola und Cello (Set I)
Edited by the Pasquier Trio [recte: Trio Pasquier]
International Music Company, New York 1950 (No. 1217)
Kriegsausgabe - Nachkriegsausgabe: Schwierige Ermittlungen
Not - 1942(?)
Les Discophiles Français
Eine Kartonbeklebung
Alben IV und V in einem, ohne Bestellnummer!
Das abgebildete Etwas oben wirkt unscheinbar, ziemlich mitgenommen,
abfalleimerreif, aber nach all dem bisher Dargestellten birgt es womög-
lich Überraschungen. Tut das Etwas auch, man versenke sich nur ein
wenig in das Trio Kapitelüberschrift, Bildauf- und Bildunterschrift,
dann schwant einem sicherlich so manches.
Es war bisher uneingeschränkt richtig, im 78er Bereich der Les Dis-
cophiles Français-Platten undifferenziert von Alben zu sprechen. Eine
Eigenmächtigkeit war das nicht, die bislang dargelegte Nachweislage
ergibt nichts anderes. Nun kam aber November 2009 bei mir ein brauner
Pappkarton an, ein schmaler Schuber mit Klappdeckel, alt, abgenutzt,
beschädigt, mit genau den acht 30-cm-Platten drin, die oben als Album
IV und V beschrieben sind.
Der Schuber hat keinerlei Beschriftungen, nur eben auf dem Rücken
im oberen Bereich das abgebildete DF-Schildchen (ca. 5,5 x 2,5 cm). Der
Kleber, der pimitiven Art, wie er in seit langem vergangenen, kümmer-
lichen Zeiten von Pack- und Versandabteilungen verwendet worden war,
ist deutlich zu sehen (auch auf der Abbildung), und übrigens auch dort,
wo rechts die Vignette um die Ecke geklebt war. Dieser Randteil des
Schildchens ist verloren gegangen. Eine Bestellnummer, die so typische
Produktkennzeichnung, ist nicht aufgedruckt, nirgendwo ist davon
irgendetwas zu sehen, ein Rest etwa, nichts. Aber der Inhalt ist ein-
deutig benannt, und wir wissen: den Angaben gemäß gehören in diesen
Schuber acht definierte Platten, und die sind da, alle acht. Der Schu-
ber paßt wie angegossen, wie für acht gemacht. Und schließlich, das
sollte nicht unerwähnt bleiben: Er ist eine Handarbeit, bei aller
Anspruchslosigkeit aufmerksam zusammengetackert.
Alle acht Platten stecken in einfachen Packpapierhüllen, die, wie
mir mittlerweile bekannt, typische DF-Hüllen der Kriegs- und Nach-
kriegszeit sind. Aufschriften haben sie keine. Alle weisen aber links
oben die Löcher einer sehr weiten Tackerklammer auf, allerdings von
unterschiedlich "weiter Weite", so daß ziemlich sicher ist, daß im
Lauf der Zeit Hüllen ver-, ausgetauscht worden sind. Der Zweck dieser
Klammerung dürfte darin zu sehen sein, daß Platten vor dem Einkarto-
nieren zu jeweils griffigen Packen zusammengestellt wurden. Zudem
verhindern die Klammern auch, daß Platten beim Greifen aus den Hüllen
rutschen können. Doch beachte: Demgegenüber besitzte ich von Album V
auch einen losen Satz, dessen Hüllen, von der Papier- und Schnittart
her offenbar ebenfalls von DF herstammend, keine Tackerung aufweisen.
Wie zu sehen, wird man also das Äußere dieses "Albums" nicht anders
als sehr einfach, genauer: als der Not gehorchend angepaßt, wenn man
will auch als behelfsmäßig, charakterisieren müssen. Inbesondere dann,
wenn man diese Sachlage mit der um 1947 vergleicht, von der durch
Fotos ein anderes Bild belegt ist, eines, dem wirkliche, handelsgemäße
Alben zugrunde liegen (hierzu siehe unten).
Den Schuber also in die Kriegszeit zu datieren, ihn als eine not-
dürftige, notbehelfsartige Konfektionierung mit der Zeit der Okkupation
in Verbindung zu bringen, ist, so denke ich, fürs erste nicht falsch.
Über die Etikette und Platten selbst, ob also eine Kriegspressung
vorliegt bzw. ob im Vergleich zu nachfolgenden Ausgaben Pressungsunter-
schiede festgestellt werden können, läßt sich derzeit noch keine Aussage
bilden. Aufgefallen hinsichtlich einer wie auch immer gearteten Preß-
primitivität ist mir nichts.
Kommen wir jetzt zu den Ausgaben, deren Äußeres erheblich anders aus-
sieht. Allerdings kann hier, wie schon angedeutet, nur auf Abbildungen
eines Verkäufers und Auktionators zurückgegriffen werden, auch wird
sich die Beschreibung im wesentlichen nur auf Album IV und V beschrän-
ken. Außerdem: Da schon oben die allgemeinen diskographischen Einzel-
heiten wiedergegeben sind, wird sich die folgende Ausführung auf noch
nicht angesprochene Details konzentrieren.
Die Kartons, um die es jetzt geht, lassen auf eine Herstellung
schließen, die wohl zwischen Ende 1946 und Anfang 1947 erfolgt sein muß.
Zu dieser Datierung führt die Aufstellung der lieferbaren und noch nicht
lieferbaren Alben, die auf der einen Flachseite der Kartons abgedruckt
ist. Diese Reperoirelisten stimmen - auch vom Layout her - EXAKT mit
der des Albums IX (Disques 39-44) überein, das weiter oben in der Zwi-
schennote {*16} beschrieben und in Annäherung datiert wurde.
Man beachte: Album IX ist ein Nachkriegsalbum, eine Neuproduktion,
während die Ausgaben der Alben IV und V demgegenüber Neuausgaben bzw.
alte und/oder neu gepreßte Platten in neuer Verpackung sind. Wie auch
immer, alle diese Alben gehören, wie die Repertoirelisten nahelegen,
zeitlich sicherlich einer gleichen Fertigungsstufe an.
Wie vorliegende Fotos zeigen, sind die "modernen" Kartons dieser
Zeit an allen vier Seiten mit gleichgroßen Klappdeckeln in Kartongröße
versehen, die zum Schließen übereinander zu liegen kommen. Die Beschrif-
tung an einer der vier Schmalseiten (das wäre dann wohl der Rücken)
sieht in etwa wie nachfolgend wiedergegeben aus.
Seitenbeschriftung Album IV:
MOZART-BACH [-] Adagios et fugues [-] A 4 D 17-20
Seitenbeschriftung Album V:
MOZART [-] Duos pour violon et alto [-] A 5 D 21-24
Zur Numerierung vergleiche man weiter oben die Sachlage, die rund um
das Album I dargelegt wurde. Die Art der Numerierung ist in allen die-
sen Fällen gleich. Und sie wird offenbar auch so beibehalten bis zur
Fertigungsstufe etwa Oktober 1949. Die höchste bis jetzt (Februar 2010)
aufgefundene Benummerung dieser Art ist A 31 D 134-138 (Franz Schubert,
Danses et Valses, Pianistin: Marcelle Meyer). Zur gleichen Zeit etwa
taucht auch eine Änderung auf: A 37 F 1/8 (Wolfgang Amadeus Mozart,
Adagio - Sonate - Menuet - Gigue, vorgetragen ebenfalls von Marcelle
Meyer). Hier wurde die Disque- durch die Face-Angabe ausgetauscht. So
auch auf den Etiketten: Da steht nun "Album / 37" anstelle von "Disque /
x". Ein weiteres Beispiel dafür findet man oben unter der Zwischennote
{*16}. Es ist nicht zu übersehen: Hier beginnt das neue Medium Lang-
spielplatte seinen Schatten vorauszuwerfen. Vor allen Dingen aber zeigt
sich hier auch der Einfluß der seit kurzem eingesetzten neuen Aufzeich-
nungsmethode, namlich derjenigen mittels Tonband. Produktnummer, Band
1, 2, 3 usw., das werden für das Endprodukt nun die beiden Ordnungs-
geber, und dies führt dazu, daß die Zählung der Einzelteile, die Seiten-
zählung, die bei jeder Produktnummer wieder von vorne beginnt, an Wich-
tigkeit gewinnt. Les Discophiles Français geht dabei so weit, daß die
Plattenzählung entfällt. Doch bleibt natürlich die Matrizennummer als
Definitionsfaktor bestehen. Aber: Sie kennzeichnet nicht mehr einen
Plattendirektschnitt, sondern ein Band oder einen Bandabschnitt! Somit
schiebt sich zwischen Aufführung und Plattenfertigung ein neues, ein
aufzeichnungstechnisch und wiedergabequalitativ allerdings sehr fort-
schrittliches und praktisches Medium {*1}. Die LP kann kommen (Einfüh-
rung in den USA: 1948, Frankreich: 1950).
{*1} Anders die Entwicklung in den USA: Hier entstand schon 1939
eine Zwischenstufe, allerdings in Form einer Platte. Das war eine
sogenannte Transcription, in der Regel eine 40-cm-Azetatfolie (33
UpM). Diese wurde dann aber Ende der 1940er Jahre ebenfalls vom
ubiquitären Tonband abgelöst.
Der eben eingebrachte Hinweis auf den Wechsel von der Disque- zur
Album-Orientierung führt noch einmal zurück zu einer Überlegung, die
die Anfangsszeit betrifft. Denn es wurden ja, wie zu sehen, sehr lange
Zeit die Platten in strenger Reihenfolge durchgezählt. Da kommt ange-
sichts des vorgestellten Schubers der Gedanke auf, vielleicht hatten
die ganz frühen Ausgaben, das sind die sechs in der Besatzungszeit
aufgenommenen Plattensätze, zunächst allesamt noch keine zusammen-
fassende Numerierung, d.h., es mag anfangs vielleicht nur eine an
Platten orientierte Zählung vorgeherrscht haben. Diese Möglichkeit
könnte demnach als ein weiteres Indiz die Annahme stützen, daß der
Schuber aus der frühen Zeit stammt, somit also vielleicht sogar die
Erstausgabe der beiden Pasquier-Alben IV und V darstellt.
Eine nicht unwesentliche Angelegenheit muß noch angesprochen werden.
Oben wurde darauf hingewiesen, daß den beiden beschriebenen (aber nur
fotographisch vorliegenden) Alben IV und V inhaltsbezogene, offenbar
hübsch gedruckte Heftchen beiliegen. Ob ein solcher Informationsservice,
ein solches Engagement auch in Kriegszeiten angeboten werden konnte,
ist die Frage. Dem Schuber jedenfalls lag nichts dergleichen bei.
Es ist, wie ich hoffe, nachvollziehbar gemacht worden, daß die Über-
schrift für dieses Kapitel "Kriegsausgabe - Nachkriegsausgabe: Schwie-
rige Ermittlungen" eher eine Untertreibung der Sachlage darstellt. Aber
ebenfalls unzweifelhaft dürfte sein, wie sehr der Schuber mit seinem
spezifischen und kompakten Inhalt die Ausführungen ergänzen könnte, die
oben über die Bedeutung der 1941er und 1942er Les Discophiles Français-
Aufnahmen der Pasquiers zusammengetragen worden sind.
Étienne Pasquier: Ein paar Ergänzungen
Ob es aufgefallen ist? Wohl kaum. Denn diskographische Aufsätze, wie
dieser hier einer ist, wirken wie Datenlawinen. Um was geht es? Um den
Cellisten Étienne Pasquier und um einen weiteren diskographischen Nach-
weis dazu, daß dessen Kriegsgefangenschaft in Görlitz ganz offensicht-
lich und glücklicherweise recht bald zu Ende gegangen war, so daß er
wieder am Musikleben seiner Heimat hatte teilnehmen können. Es war näm-
lich schon VOR der diesbzüglichen Ableitung, daß das so sein müsse, wie
nebenbei, mitgeteilt worden, der Cellist habe 1943 für Lumen Aufnahmen
gemacht.
Étienne Pasquier war somit das, was man später im Nachkriegsdeutsch-
land, auf Wehrmachtssoldaten bezogen, einen Frühheimkehrer nannte. Und:
Es ist sogar eine noch frühere Aktivität bekannt als die vom 16. Dezem-
ber 1941, dem Tag, an dem die Les Discophiles Français-Einspielung der
Disques 17-20 (Album IV) produziert worden war. Das Trio Pasquier hatte
nämlich wenige Tage zuvor, am 6. Dezember, in der Salle Gaveau im Rahmen
des
GRAND FESTIVAL MOZART en Commémoration du 150e
Anniversaire de la Mort de Wolfgang Amadeus MOZART
(5 Décembre 1791)
ein Konzert gegeben.
Ausgerichtet hatten das Festival die für kulturelle Angelegenheiten
zuständigen Dienststellen der großdeutschen Besatzungsmacht. Ein kleines
Ereignis war das nicht gewesen, man sah es zudem in einem Zusammenhang
mit der pompösen, auftrumpfenden Wiener Gedenkfeier, bei der der Reichs-
minister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, eine ge-
wichtig angelegte "Grundsatzfestrede" zu Mozarts Bedeutung (wie er sie
sah) gehalten hatte (siehe unten).
Das Pariser Festival dauerte vom 30. November bis zum 7. Dezember und
mindestens ein Konzert war auch als zweisprachige Veranstaltung angekün-
digt worden. Um zu "germanisieren", unternahm die Besatzungsmacht einige
Anstrengungen. Am deutschen Wesen sollten die "Gallier" genesen. Daß
aber die Mozartsche Musik nichts Totalitäres an sich hat, sich für
Zwänge nur begrenzt dienstbar machen läßt, davon hatten die Nazi-Heil-
bringer keinen blassen Schimmer in ihren verdrehten Köpfen. Und auch
Mozarts "teutsche" Vorstellungen lassen sich hierfür nicht vereinnahmen,
jedenfalls nicht "effektiv". Spielerisches, angereichert mit Außerhalb-
dieser-Welt-Befindlichem, und Diktatur, das paßt letztlich nicht zusam-
men. Eine Weile kann man solcherlei mißbrauchen, auf Dauer nicht, dafür
steckt zuviel Freies drin, zuviel Spiel.
Reine Propaganda-Veranstaltungen waren die Konzerte allerdings nicht.
So etwas war in Paris kaum möglich. Zwar traten auch Nazi-Sympathisanten
wie der Pianist Alfred Cortot auf (zu ihm siehe Albert Speer, Erinnerun-
gen, 1969, Spandauer Tagebücher, 1975), und mit dabei war auch der aus
Leipzig angereiste Hermann Abendroth (Mitglied der NSDAP), aber es nah-
men eben auch Nazi-Gegner wie der Résistance-Unterstützer Charles Münch
teil. Hierbei darf man jedoch eine Anmerkung nicht vergessen, daß drei
Orchesterkonzerte in Berichten als "Concerts de Collaboration" bezeich-
net wurden, hierbei (selbstverständlich) das von Abendroth, doch (selt-
samerweise) auch das von Münch.
Exkurs: Wien 1941, Goebbels' Mozart-Rede
Als eine Veranstaltung des NS-"Staats", quasi unter der Schirmherr-
schaft des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, fand anläß-
lich des 150. Todestags Mozarts in Wien vom 28. November bis 5. Dezember
1941 die "Mozartwoche des Deutschen Reiches" statt. Organisatorisch
verantwortlich war Gauleiter Baldur von Schirach. Am 4. Dezember 1941
hielt der Chef des Propagandaminsteriums, Dr. Joseph Goebbels, eine 16
1/2-minütige "denkwürdige" Gedenkansprache, die im großdeutschen Rund-
funk reichsweit übertragen wurde (Archive: Imperial War Museum, London;
Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main). Aus dieser Rede stammen
die folgenden Zitate (wiedergegeben nach dem Exzerpt der Datenbanker-
fassung des DRA vom 15.4.1997).
Wo wäre je in unserer Geschichte, sei es auf welchem Ge-
biet auch immer [also offenbar der "Führer" eingeschlossen],
ein Name so kometenhaft aufgestiegen, wo hat je ein solcher
mit gleichbleibender Stärke und nie verblassender Leucht-
kraft über drei verschiedenen Jahrhunderten gestanden!
Man hat bei ihm fast den Eindruck, daß ein rätselhaftes
Geschick [...] ihn nach seinem Tode körperlich mit in das
Reich der wesenlosen Gestalten zurückgenommen habe, um
ihn in seiner unvergänglichen, heute wie damals so jungen
Musik um so strahlender in die Erscheinung treten zu lassen.
[...] Man forsche nicht mehr nach dem Wesen des Genies,
hier [in Wien] liegt es rein und makellos [...] Wenn man
seinen Namen nur hört, dann klingt gleich Musik auf [...]
Seine Musik gehört mit zu dem, was unsere Soldaten gegen
den Sturm der Barbarei verteidigen [...]
Auf ihn trifft besonders der Satz zu: Deutsch sein, heißt
klar sein [...]
Absurd das alles. Absurd ist zudem, daß auch Mozarts (wird unver-
ständlicherweise oft vergessen: und Süßmayrs!) Requiem herhalten mußte,
unter Wilhelm Furtwängler am 5. Dezember (übrigens auch aufgeführt, am
selben Tag, im Rahmen der Pariser Woche, im Palais de Chaillot). Zeigte
schon im Festival in Paris der nationalsozialistische "Staat" mit
Abendroth Präsenz, so war die Präsenz in der Wiener Woche noch um eini-
ges betonter. Tätig war da die Crème de la Crème der Sympathisanten,
Anhänger, Verzahnten und Verketteten, neben Furtwängler z.B. Wilhelm
Backhaus, Karl Böhm, Gustav Gründgens, Hans Knappertsbusch, Clemens
Krauss, Elly Ney. Und natürlich zeigte auch der nach außen hin nicht
gerade als distanziert wirkende Richard Strauss sein Gesicht. Nein, das
durfte nicht fehlen, in Wien, in der "heimgekehrten Ostmark".
Niko Wahl, Mit Mozart zum Endsieg, ein weiterführender Artikel zur
Woche "der wesenlosen Gestalten" (DIE ZEIT, 26.1.2006, Nr. 5, 2006,
ZEIT ONLINE).
Lumen 30.094/30.095
Wieviele Platten Étienne Pasquier nun in dieser unmittelbaren Nach-
Görlitz-Zeit für Lumen einspielte, ist mir bis dato (Februar 2010) nicht
bekannt, aber zwei sind es mindestens. Und zu diesen werden nachfolgend
die eingesammelten Einzelheiten wiedergegeben. Sie stammen zum einen von
zwei Etiketten (der Seiten Matrize XL 221 und XL 222, siehe unten die
Aufstellung), zum andern aus Internet-Quellen, wie Auktionsbegleittex-
ten. Sehr hilfreich war auch die Datenbank Lectura (siehe oben Zwischen-
note {*27}, Abfrage: Pasquier Lumen). Damit jedoch aus alldem eine
kleine diskographische Aussage wurde, mußte so manches gefiltert und
zurechtgerückt werden.
Für die Aufnahmen wurden aus zwei Cello-Sonaten Benedetto Marcellos
Sätze ausgewählt, doch daß es sich um eine Auswahl handelt, steht auf
den Etiketten nicht explizit. Zwar werden die Sätze genannt, doch nur
in Kleinschrift, sehr untergeordnet, in Großschrift stehen dagegen, als
ob damit der Inhalt und nicht die Quelle angegeben sei, die folgenden
Werktitel: Sonate en sol majeur pour violoncelle / cordes et clavecin
bzw. Sonate en fa majeur pour violoncelle / cordes et clavecin. Werk-
vollständigkeit hätte in beiden Fällen vier Sätze bedeutet. F-dur
Sonate: Largo, Allegro, Largo, Allegro (manchmal wird in Internet-
quellen auch Presto angegeben). G-dur Sonate: Adagio, Allegro, Grave,
Allegro. Zur Auswahl siehe unten die Aufstellung, wobei bei der Sonate
in F-dur unklar ist, welche Sätze die Ausgabe denn nun genau beinhaltet
(diese Unklarheit hängt auch damit zusammen, daß zum Satz auf der Seite
Matrize XL 223 keine Auskunft aufzutreiben war).
Nach der WERM (Hauptband, siehe oben Zwischennote {*15}) handelt es
sich bei den Aufnahmen um Bearbeitungen, für die die Besetzung Violon-
cello, Streichquartett und Cembalo angegeben ist. Als Bearbeiter werden
Pauline Aubert und Francis Cébron genannt. Das sind detaillierte Aus-
künfte, die so nicht auf den Etiketten stehen und von den da aufge-
druckten Angaben auch nicht abgeleitet werden können, was letztlich
heißt, daß den beiden WERM-Autoren offenbar weiterführendes Material
vorlag. Entweder Prospektmaterial, oder noch anders: Vielleicht waren
die beiden Platten in einem Album geliefert worden, ausgestattet mit
einer, wie auch immer gearteten, Informationsbeifügung (ein Heftchen
etwa). Von Interesse ist natürlich in diesem Kontext auch, daß Clough/
Cuming die Nummern 30.094 und 30.095 als "o.n." (= old numbers) kenn-
zeichnen und eine weitere Ausgabe anführen: Lumen 2.06.017/2.06.018.
Hierbei handelt es sich sicherlich um eine Nachkriegsausgabe (mit
vielleicht zusätzlichen Informationen).
Auf den Etiketten ist eine Information zur "Basse chiffrée" (= be-
zifferter Baß, Generalbaß, Basso continuo) angegeben. Warum aller-
dings der Plural gewählt wurde, ist nicht einsichtig.
Als Ursprungswerke nennt die WERM die Sonaten für Violoncello und
Basso continuo Nr. 1 F-dur bzw. Nr. 6 G-dur. Beide gehören den eben-
falls mitgelieferten Werkangaben zufolge zu einer in Cellisten-Krei-
sen bekannten Sammlung, deren Titelformulierung häufig "6 Sonaten
für Violoncello und Basso continuo, Op. 1" lautet (ob allerdings
"Op. 1" bei diesem 1712 komponierten und wahrscheinlich 1740, das
wäre posthum, verlegten Werk authentisch ist, ist fraglich).
Für die Datierung wurde ein Matrikalender (vor allem nach Gray
via DISMARC) und eine EMI-Matrizierungsübersicht herangezogen
("M3-xxxxxx", hierzu siehe weiter oben).
Diskographischer Überblick:
Benedetto Marcello (1686-1739)
3 Sätze aus der Sonate F-dur für Violoncello und Basso continuo
Grave aus der Sonate G-dur für Violoncello und Basso continuo
Bearbeitung für Violoncello, Streichquartett und Cembalo (nach
WERM): Pauline Aubert und Francis Cébron
Étienne Pasquier, Violoncello (Solo)
Pauline Aubert, Cembalo ("Basses chiffrées par Pauline AUBERT")
Streichorchester (Streichquartett chorisch besetzt?)
Francis Cébron, Leitung
Aufnahmedatierung: Herbst 1943
Lumen (F) 30.094/30.095 (2 Platten, 78 UpM, 25 cm)
Plattennummer Sonate Matrize Matrizierung
30.094 F-dur Largo XL 222-1 M3-106053
" [?] XL 223-1 M3-106054
30.095 " Presto XL 224-1 M3-106056
G-dur Grave XL 221-1 M3-106052
Paris 1943
Étienne Pasquier, Lumen 30.095 {*1}
Fabriqué en France
Zum Ploix-Aufkleber: "Face A" ist diese Seite nicht!
{*1} Die Etikettwiedergabe ist nur ein vorläufiger Behelf. Beachte:
Im antiquarischen Geschäft sind Platten mit Etikettaufklebern gang
und gäbe. Je nach Fall, Art des Aufklebers und Sammlerinteresse kann
das von Vorteil, von historischem Belang, oder eben eine Beschädi-
gung sein. Meistens wird ein Aufkleber als störend, also als negativ
angesehen. Insbesondere solche, die von Sammlerhand stammen.
Im obigen Fall verdeckt der Ploix-Reklameaufkleber im Lumen-Logo das
Zentrum, dessen Graphik mir übrigens nicht klar ist und deren Bedeu-
tung schon gar nicht. Dargestellt ist eine in das "M" eingefügte,
sehr stilisierte altgriechische Lyra, in deren Saiten sich ein
"Insekt", vielleicht eine Biene, "befindet"; "verfangen" hat sich
das "Insekt" offensichtlich nicht. In der LP-Zeit wurde das Logo ab-
geändert zu einer Lyra ohne "Insekt", durch deren untere Partie der
Schriftzug "LUMEN" verläuft.
Nebenbei: Lumen, luminis (n) = lux, lucis (f) = Licht
BAM et Ploix
In Vorbereitung
----------------------------------------
In Arbeit:
Weiteres zur Okkupation
Literatur- und Quellenangaben
(siehe unten auch die Abbildungen)
----------------------------------------
Paris, während der Okkupation {*1}
Studio Pelouze, 24. September 1943
Igor Strawinksy
Chanson Russe (aus: Mavra)
Pierre Fournier, Violoncello; Tasso Janopoulo, Klavier
Disque "Gramophone" (La Voix de son Maître)
78 UpM, 25 cm, DA-4956
(0LA 4164-1, M3-105750)
Made in France
Paris, während der Okkupation {*1}
Studio Albert, 17. November 1943
Igor Strawinksy
Concerto pour Piano et Orchestre d'Harmonie
Soulima Strawinsky, Klavier
Orchestre de la Société des Instruments à vent
Fernand Oubradous, Dirigent
Disque "Gramophone" (La Voix de son Maître)
78 UpM, 30 cm, DB-11.105/11.106
(2LA 4211-4214, alle Take -1, M6-105959/105963/105964/105965)
Made in France
{*1} Beachte: Die beiden abgebildeten Disque "Gramophone"-Etikette
sind restaurierte Behelfslösungen, die hoffentlich irgendwann er-
setzt werden können. Beide Platten sind bzw. waren mit Packpapier-
zetteln beklebt, wie sie in der Kriegs- und Nachkriegszeit als
Archivaufkleberersatz verwendet wurden. Auf DA-4956 ist diese Art
der Aufkleber deutlich zu erkennen. Im Fall der DB-11.105 konnte
der Aufkleber ohne großen Schaden abgelöst (und gesondert archi-
viert) werden. Beide Platten stammen offensichtlich aus dem Archiv
einer Rundfunkanstalt, und zwar der gleichen. Jedenfalls zeigen all
das unzweifelhaft nicht nur die Art der Aufkleber, sondern auch die
Stempel, Numerierungen und Vermerke darauf. Höchstwahrscheinlich
handelt es sich hierbei um einen Sender aus dem französischsprachi-
gen Raum (Paris, Straßburg, Brüssel?), oder aber um einen Sender
unter französischer Verwaltung, in diesem Fall wäre als zeitliche
Eingrenzung die Nachkriegszeit in Betracht zu ziehen. Desweiteren
sind beide Platten bei einem Händler erworben worden. Sie sind also
keine Promotionsplatten. Im Fall des Konzerts versorgte man sich
sogar mit zwei Sätzen zur gleichen Zeit (fortlaufende Archivnume-
rierung!), und zwar kamen, wie die Reklameaufkleber klarmachen,
beide Sätze von dem sehr bekannten Pariser Plattengeschäft E. Ploix
(siehe oben). Auch auf der DA-4956 kann man, wenn man das Etikett
genau betrachtet, einen fast nicht sichtbaren Rest eines Händler-
Aufklebers ausmachen, er lugt unter dem braunen Packpapieraufkleber
am oberen Rand hervor. Die Schrift ist wohl weiß auf blau, es
könnte sich durchaus um die Ploix-Vignette handeln. Allerdings paßt
der Sitz wahrscheinlich nicht so recht. Es kann aber genau so gut
sein, daß beim Aufkleben die Mitte nicht eingehalten wurde. Trotz
allem, die Auffassung, daß auch diese Platte zumindest aus dem
Ausland kommt (höchstwahrscheinlich ebenfalls Frankreich), legt
immerhin ein kleiner Aufkleber auf dem Etikett der anderen Seite
mehr als nahe.
Was liegen hier für Dokumente vor? Ich zog zunächst ins Kalkül die
Beutezüge, die die Rosenberg-Naziverbrecher im besetzten Ausland
unternahmen, vor allem in Paris, mit dem Einsacker Dr. habil. Her-
bert Gerigk an vorderster Raubfront (siehe meine Äußerungen dazu an
anderer Stelle, nutze die lokale Google-Suche hier auf der Homepage,
Suchbegriffe: Kanzlei Rosenberg). Doch für diese Raubaktionen kommen
die im Herbst 1943 produzierten Aufnahmen vielleicht nicht mehr in
Betracht. Denn die Rückeroberung beispielsweise von Paris geschah
schon im August 1944. Von vornherein ausschließen sollte man jedoch
solche Gedankengänge nicht. Andernfalls bliebe, wie gesagt, nur die
Nachkriegszeit, wobei der SWF in Baden-Baden, soweit mir die Archiv-
zusammenhänge bekannt sind, ausscheidet. Somit wäre an den Sender im
Saarland zu denken, in seiner frühen Gestalt (siehe hier an anderer
Stelle unter SR = Saarländischer Rundfunk). Und in der Tat deuten
gewichtige Indizien eher in diese Richtung, z.B. Aufkleber eines
in Saarbrücken ansässigen Händlers auf Platten, die mit den hier
genannten in einem engen Zusammenhang stehen.
Da der Packpapieraufkleber auf DA-4956 häßlich ist, wurde für den
Zweck hier per Bildbearbeitung ein Ersatz einmontiert, der, das sei
versichert, mit dem originalen Logo identisch ist.
Hingewiesen werden sollte auch auf die Schwierigkeit, Disque "Gra-
mophone"-Etikette in Abbildungen angemessen wiederzugeben. Ihr Rot,
oft ein Fleischrot oder auch Purpurrot, mal hell, mal blaß, jeweils
mit Goldbeschriftung, ist eine harte Nuß. Keine der beiden hier ge-
zeigten Abbildungen ist gelungen. Die Wiedergabe der DA-4956 ist
ein Scan. Scans aber sind für derartige Zwecke meist nicht der
richtige Weg. Und so ist das diesmal auch hier. Leider gab es keine
andere Möglichkeit. Die Abbildung zu DB-11.105 hingegen ist ein
Foto, und dieses bringt die Farbgestaltung schon etwas besser zur
Geltung, aber von gut ist die Wiedergabe noch immer weit entfernt.
Weiteres in Vorbereitung
DP, 12.6.2009 (Erstfassung der Teile 7-10), Hauptverbesserung: 6.1.2010,
weitere Datierungen siehe Angabe zum Stand insgesamt
[intro10]
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