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Beachte:
Gesamter Beitrag (Teile 1 bis 9) in Überarbeitung
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Video zur Nikolina Gora-Fundsache (2)
D) Verschiedenes
Im Film wird der bereits bekannte Aufkleber "839" genannt. Das ist
die oben besprochene Platte mit Schaljapin. Er singt darauf zwei Arien
aus "Prinz Igor". Eine wird auch kurz auf einem akustischen Koffer-
Grammophon angespielt, wobei trotz der "altertümlichen" Wiedergabe
deutlich wird, daß das, was da erklingt, wie oben schon angegeben, eine
akustische Aufnahme ist.
Anmerkungen zum Film:
1. Aufbewahrung von Schellacks
Schellackplatten sind extrem hitzeempfindlich. Direkte Sonnenein-
strahlung ist ebenso zu vermeiden wie die Nähe von Heizkörpern.
2. Vorsicht vor nostalgischen Tönungen
Im Zusammenhang mit Hitler und dem Thema "Führerhauptquartier" zu
Demonstrationszwecken ein akustisches Grammophon, hier im Film ein
Koffergerät, einzusetzen, ist eine wenig glückliche Lösung, im Grunde
ist das eine unhistorische Vorgehensweise (ganz abgesehen davon,
nutzen "akustische" Abtastmethoden, d.h. Wiedergaben mit Stahlnadeln
und schweren Tonarmen, bei jedem Abspielen die Rillen um einiges ab).
Warum ist diese Vorgehensweise "unhistorisch"? Hier muß darauf
hingewiesen werden, daß davon auszugehen ist, daß Hitler privat und
auch in den Führerhauptquartieren (zumindest in den größeren und
standortfesten, im Berliner "Führerbunker" also auch) mit neuesten,
d.h. elektrischen Geräten ausgestattet war (elektrische Abtastung,
Rundfunkgerät als Verstärker und Lautsprecher). Denn Quellen belegen:
Nicht lange nach der Einführung der "elektrischen Platte" war in gut
gestellten, in vornehmen Kreisen in den Wohnzimmern und Gesell-
schaftssalons ein akustisches Grammophon nicht mehr der Standard (am
Badesee und auf weiter Flur natürlich schon).
Man bedenke außerdem das folgende Problem: Durch die Verwendung
eines akustischen Grammophons (gar noch mit illustrem Trichter, siehe
weiter oben die Link-Liste: Deutsche Welle, Die Welt), wird der
Zauber einer nostalgisch-romantischen Stimmung hervorgerufen oder
verstärkt; ich denke aber, genau das sollte bei Platten, die aus
Hitlers Besitz stammen, vermieden werden. Ein weiteres Beispiel für
eine derartige Verzeichnung findet man auf der Internetseite
www.orf.at (Österreichischer Rundfunk), siehe unten das Foto (und
weiter oben die Link-Liste). Die Blaustichigkeit ist sicherlich
gewollt. Blau: die Farbe der Romantik (Blaue Blume!). Nun gab es zwar
gelegentlich farbige 78er, insbesondere in den 1950er Jahren, eine
solche "antike" Victor-Schellack, wie diese da auf dem Plattenteller
des akustischen Grammophons, ist aber des blauen Dunstes etwas
zuviel. Verdacht: Ist der Plattenspieler nicht ein neuzeitlicher
Nachbau (ein "Antikstück")?
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www.ORF.at: Blauer Dunst
WEITERE ENTZERRUNG (gegen "akustisch-romantische" Verzerrungen)
Vertrautes Möbelstück - Behagliche Phono-Ecke in der Nazi-Zeit
Electrola Columbia Hauptkatalog 1939/40, Deckel
Datierung des Katalogs (Titelseite, S. [I]): "Dieser Katalog ent-
hält alle bis zum 31. August 1939, im Nachtrag ab Seite 501 in alpha-
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betischer Reihenfolge auch die in den Monaten September, Oktober und
November 1939 erschienenen >Electrola<- u. [und] >Columbia<-Musik-
platten mit Ausnahme der Tanzplatten"
Zum Deckel, identifizierbare Einzelheiten: Hinter dem Electrola-
Plattenspieler stehen Alben. Das Bruchstück der Rückenbetitelung des
linken zeigt, hier steckt Mozartsche Musik drin: "BAND [Album] I" der
laut des aktuellen Katalogs vollständigen Oper "Cosi fan tutte (So
machen's alle)", Electrola D.B. 2653-2672 (Alben 199-201, 40 Seiten),
italienisch gesungen, Nummerntitel im aktuellen Katalog auf deutsch,
Glyndebourne-Festspiel-Ensemble, Dirigent: Fritz Busch. In Wikipedia
zu Busch (kopiert 23.12.2007):
Hitler und Goebbels wollten diesen berühmten und
jungen Dirigenten als "Nazi-Dirigent" haben, was
dieser jedoch ablehnte und dann 1933 nach England
emigrierte.
Es fehlt das Vorsehungsabbild des "Dritten Reiches" Richard
Wagner? Hier ist es: Das herausgezogene rote Electrola-Album bein-
haltet "[Die Walküre (Ausge]wählte Stücke für Orchester)", D.B.
2470-2473 (Album 118, 8 Seiten), Philadelphia-Orchester, Dirigent:
Leopold Stokowski. Statt "Stücke" kommt im Katalog auch "Szenen" vor.
Eines der "Stücke für Orchester" ("Wotans Abschied, 1. Teil") enthält
Gesang: Lawrence Tibbett, Bariton
Man beachte bezüglich des Themas hier auch den Aufdruck auf dem im
Vordergrund liegenden 78er "Hemd" (Plattenhülle): "IST IHR EMPFANGS-
GERÄ[T] VOLL AUSGENU[TZT?]"
Und schauen Sie mal auf die Radio-Skala. Es gab damals etwas mehr
als ein Dutzend deutsche Sender. Ein "zukunftsorientiertes" Ding,
ohne Zweifel.
3. Zu den Wortbeiträgen im Film (Begleittext, Interview)
Im Begleittext des Sprechers heißt es: "Manche der Raritäten
stammen aus der Nachkriegszeit". Man rekapituliere: Meiner Fernbe-
stimmung nach steht erst bei einem einzigen Album fest, daß es aus
der Nachkriegszeit stammt. Gesagt wird weiterhin: "Unter den Platten
befindet sich die Musik des Feindes". Als Beispiel wird die Platte
"Führer- / hauptquartier / 839" aufgelegt: Schaljapin (zu "839" siehe
oben). Ob oder inwieweit aber der 1938 verstorbene russische Kultur-
held Schaljapin ein Feind des "Dritten Reiches" war, liegt darüber
eine genaue Untersuchung vor? Einige Informationen und Gedanken dazu
sind in Vorbereitung. Schaljapin, so sagt der Sprecher zudem, singe
"die Arie aus der Oper Prinz Igor". Richtig wäre "eine Arie". In den
Aussagen des interviewten Arztes fällt (laut Übersetzung) die Bemer-
kung, die Platten(an)sammlung sei ein "Schatz". Dies scheint mir bei
Dingen aus dem Umkreis Hitlers eine unglückliche Formulierung zu
sein. Sachen, die die Unperson Hitler oder das "Dritte Reich" betref-
fen, sollte man vielleicht besser Dokumente nennen. Schon das im
Sprechertext verwendete Wort "Raritäten" (siehe Kapitelbeginn) finde
ich nicht angemessen.
Die Sprecherstelle mit dem "Schatz" lautet genau: "Seinen [oder:
Einen] Schatz, den er solange im Stillen genoß..." Es ist unklar, ob
das die Auffassung das Arztes ist, oder ob der Arzt die des verstor-
benen Besitzers wiedergibt. Nebenbei bemerkt, "genoß" (laut der
deutschen Übersetzung) kann doch wohl nicht sein: Die Platten lagen
auf dem Dachboden Jahrzehnte lang, verstaubt und zwischen Abgestell-
tem (Gerümpel), ungeachtet der Dachhitze und des russischen Frosts.
Wieder ein Beispiel dafür, was Schellackplatten unter Umständen aus-
halten können.
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Fjodor Schaljapin als Zar in Mussorgskis "Boris Godunow"
(Foto aus einer unter die Herrschaft der Nazis geratenen Zeitschrift,
Februar 1936 {*1})
{*1} Die Musik, XXVIII. Jahrgang, Heft 5, Untertitel: Amtliches
Organ der NS-Kulturgemeinde / Amtliches Mitteilungsblatt der
Berliner Konzertgemeinde / (Konzertring der NS-Kulturgemeinde)
[Untertitel später: Organ der Hauptstelle Musik beim Beauftragten
des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und welt-
anschaulischen Schulung und Erziehung der NSDAP]
Die weiter oben unter Punkt 2 geäußerte Meinung, das im Spiegel-Film
verwendete akustische Koffer-Grammophon könnte in Bezug auf Hitler als
ein Anachronismus aufgefaßt werden, bedarf dringend der Einschränkung,
vielleicht sollte man es eher Differenzierung nennen. Gleichwie, sol-
cherlei wird sich hoffentlich fortsetzen, diskographisches Handwerk
also: Peu à peu werden Quellen herangezogen, unterschiedlichster Art,
natürlich auch neuere. Manchmal stoße ich per Zufall drauf. So zeigt
beispielsweise ein Foto {*1}, das der jüngere Hof- und Leibfotograf
Hitlers, Walter Frentz {*2}, im ostpreußischen Führerhauptquartier
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"Wolfsschanze" {*3} knipste, auf einem Bett ein akustisches Koffer-
Grammophon, damals auch Musikkoffer genannt, gedacht für jedermann, für
überall, wie oben schon gesagt wurde: für den Gebrauch am See und auf
weiter Flur. Die dementsprechenden Modellnamen dazu waren schnell
gefunden, z.B. bei Telefunken: Lido, Sport, Golf/Luxus. Je nach Fabrikat
konnte sogar an Stelle der mechanischen Schalldose eine elektrische
Auswechseldose aufgesteckt werden. Das zweiadrige Verbindungskabel ver-
band dann die "Tonabnehmer-Ansteckdose" (Telefunken) mit den entspre-
chenden Grammophon-Eingangsbuchsen eines Radiogerätes. Fertig war die
elektrische Wiedergabe. Ein solches Auswechselteil gab es schon minde-
stens 1933 (siehe die Abbildung).
Telefunken: Tonabnehmer-Ansteckdose TO 29
Das Gerät auf dem Frentz-Foto hat keine Ansteckdose, sondern eine
Schalldose, also so wie geknipst: akustische Abtastung und Wiedergabe.
Von einem Radio ist zudem (auf diesem Foto jedenfalls) nirgends etwas zu
sehen, von irgendeinem Kabel auch nicht. Es sind allerdings im Abdeck-
brett des Spielers, hinter dem Plattenteller, rechts, zwei merkwürdige
Löcher zu sehen; sie machen den Eindruck eines Do-it-yourself-Bastelein-
griffs. Wiedergegeben ist das Foto-Dokument auf Seite 131 des Bildban-
des:
Hans Georg Hiller von Gaertringen (Hg.), Das Auge des Dritten
Reiches / Hitlers Kameramann und Fotograf Walter Frentz
München/Berlin 2006, 2. Auflage 2007 (Deutscher Kunstverlag),
256 Seiten
Rezension von Georg Bönisch: Ins rechte Licht gerückt (Spiegel
Online, Der Spiegel, Zeitgeschichte, 11.9.2006)
Artikel dazu von Hans Michael Kloth: Das Auge des Dritten Reiches
(Abteilung: einestages, Zeitgeschichte auf Spiegel Online, Obertitel:
Hitlers Kameramann Walter Frentz, 10.9.2008, mit etlichen Fotos von
und einem Video über Frentz)
Anmerkung: Foto 3 zeigt einen Redner von hinten. Laut Erläuterung
soll das Albert Speer sein. Mir erscheint das sehr zweifelhaft.
{*1} Farbfoto. Beachte: Den nachfolgenden diskographischen Aussagen
dazu sind Grenzen gesetzt: Wiedergabe zu klein, eventuelle Verfärbun-
gen, Verblassen der Farben, Blässe der Wiedergabe usw. Auch die drei
anderen, im weiteren Verlauf angesprochenen Frentz-Fotos, sind
farbig. Das war eine Seltenheit damals - und in der Allgemeinheit
noch lange danach.
{*2} 1941 in die SS aufgenommen, präsentierte sich für ein Solofoto
aus der "Wolfsschanze" in Luftwaffenuniform und "krönte" seinen
Auftritt durch eine Fellmütze mit SS-Totenkopf (wiedergegeben in
Hiller von Gaertringen, siehe oben). Der ältere Hof- und Leibfotograf
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Hitlers war der "alte Kämpfer" und Alkoholiker Heinrich Hoffmann.
{*3} Wolfschanze oder Wolfsschanze? Beide Fassungen sind geläufig.
Die überwiegende ist scheinbar diejenige mit dem Genitiv. Hitlers
Spitzname im sehr vertrauten Kreis war "Wolf" (bei Winifred Wagner
beispielsweise: "Onkel Wolf"), und da das ostpreußische Führerhaupt-
quartier, wie es heißt, nach Hitler benannt ist, dürfte "Schanze des
Wolfs" oder "Wolfs Schanze" wohl die "richtigere" Fassung sein. Das
"s" muß aber nicht unbedingt einen Genitiv anzeigen, man könnte es
auch als ein sogenanntes Fugen-s auffassen, wie in Wolfshund oder
Wolfsmilch (= eine Pflanze). Traudl Junge verwendet offenbar in ihrem
1947/1948 verfaßten Typoskript die Schreibweise "Wolfschanze", vgl.
die Faksimile-Seite, die in dem 2002 veröffentlichten Buch (siehe
unten) wiedergegeben ist; in der Druckfassung heißt es jedoch, wohl
durchgehend, "Wolfsschanze". In "Das Buch Hitler" (Bergisch Gladbach
2005, vollständige, überarbeitete Taschenbuchausgabe, 4. Auflage
2007, Bastei Lübbe 64219), das u.a. auf Aussagen des persönlichen
Adjutanten Hitlers, Otto Günsche, und des Kammerdieners Hitlers,
Heinz Linge, beruht, wird das Führerhauptquartier "Wolfsschlucht" mit
zwei "s" geschrieben und dazu angegeben, die Benennung sei "auf
Hitlers Anweisung" erfolgt (Seite 126); demgegenüber enthält aber
"Wolfsschanze" in dem Buch offenbar nie ein zweites "s".
Im Begleittext zu dem besagten Frentz-Foto, das mit "'Wolfschanze'
[kein zweites "s", siehe oben Zwischennote {*3}], Hannes Balser, Ende
Dezember 1943" näher gekennzeichnet ist, heißt es u.a.:
Walter Frentz verfügte im Hauptquartier über eine
größere Sammlung von Schallplatten, darunter auch
viele Jazzplatten. Mitunter gab er organisierte
Schallplattenabende.
So etwas kann nicht unkommentiert bleiben. Als erstes fällt auf, daß
hier von "Balser mit Platten" zu "Frentz und Platten" gesprungen wird.
Erklärlich ist das nicht. Beschäftigen wir uns zunächst mit Balser.
Wenn das Foto nicht gestellt ist, scheint gerade eine Platte abge-
spielt zu werden, während Balser, im Morgenmantel mit Zigarette auf dem
Bett sitzend, telefoniert, ebenfalls mit auf dem Bett: der Musikkoffer
mit der aufgelegten Platte und ein Schallplatten(handgepäck)koffer. Für
die Zeit und vor allem für die Situation eigentlich eine Art Mondän-
Motiv. La Bohème in der "Wolfsschanze"? Film "Casablanca": As Time Goes
By? Das Etikett der Platte auf dem Teller, und damit die Plattenmarke,
ist nicht identifizierbar, ebenso sind die Aufschriften leider nicht
lesbar. Aber der Plattenreisekoffer der Auf-dem-Bett-Szene führt etwas
weiter, er ist aufgeklappt; es ist ein Koffer für etwa 20 30-cm-Platten.
Die oberen Platten (einschätzen kann man nur diese) sind aber 25-cm-
Platten. Und auch die Platte auf dem Plattenteller hat diesen Durchmes-
ser. "25-cm-Platte" heißt grob orientiert: "U-Musik" (Unterhaltungs-
musik, Schlager, Tanzmusik usw., wobei es gerade auf die inhaltliche
Kenntnis des "usw." sehr ankäme).
Im aufgeklappten Plattenkoffer nun sind links und rechts zwei Hüllen
(und natürlich auch zwei Plattenetikette) zu sehen. Das eine "Hemd"
(obwohl nichts lesbar ist, kann man es doch identifizieren) ist ein
bekanntes Telefunken-Design, es gehört zur Layout-Serie: KÜNSTLER VON
WELTRUF AUF TELEFUNKENPLATTEN, gezeigt wird hier auf dieser "Künstler-
Hülle" im Bühnenkostüm (wohl Don Giovanni) der Bariton Karl Schmitt-
Walter. Sammler und Archivare werden die Künstler-von-Weltruf-Serie wohl
vor allem mit ("klassischen") 30-cm-Platten in Verbindung bringen, aber
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es gab sie auch für 25-cm-Platten. Mir liegt gerade ein Exemplar vor,
daß auf der anderen Seite (weist die Klebefalzen auf, ist also wohl die
Rückseite) Peter Kreuder anpreist (der übrigens, soweit ich weiß, nur
Einspielungen für 25-cm-Platten aufgenommen hat).
Eigenartigerweise hat die abgebildete Hülle einen bläulichen Schim-
mer, mir ist diese "Hemd"-Art aber nur in Schwarz-Grau-Hell-Tönungen
bekannt (zu Grunde liegt nämlich zu einem Großteil eine fotografische
Gestaltung). Wie auch immer, vom perspektivischen Eindruck her könnte es
sein, daß es sich um eine Leerhülle handelt, daß sie also zu der Platte
auf dem Plattenteller gehört, das hieße, das im Zusammenhang mit der
Telefunken-Hülle sichtbare Etikett könnte von der nachfolgenden Platte
stammen. Es ist rot mit goldfarbenem Aufdruck. Solche Telefunken-
Etikette gab es allerdings in der Tat, sie kennzeichneten u.a. den
Bereich "U-Musik", sowie die Musikus-Serie (eine Serie der Billig-
Preiskategorie). Das Etikett der Platte auf dem Plattenteller scheint
dagegen braun zu sein. Braune Telefunken-Etikette gab es meines Wissens
nicht. Bei braun denken Sammler wohl zunächst an Odeon.
Von der Aufschrift des roten Etiketts ist leider nichts lesbar. Zu-
dem ist auch noch der obere Etikettteil durch einen halbmondartigen
Aufkleber verdeckt, ein Sachlage, die man oft antrifft (und nicht immer
negativ ist): Aufkleber für Archivzwecke, Reklameaufkleber eines
Plattenladens.
Das andere ganz sichtbare "Hemd" stammt von Decca. Farbe: vielleicht
hellgrau, kann aber auch ein irgendwie "verbogenes" oder verblaßtes
Beige sein. Gleichwie, beide Farben, grau und beige, waren gängig. Auch
das Design ist in Sammlerkreisen ohne Zweifel sehr bekannt. Deutlich
erkennbar: der große Schriftzug "DECCA", er ist nicht zu übersehen.
Dagegen ist die im unteren Drittel aufgedruckte Anpreisung "SUPREME
RECORDS" nur erahnbar. Herkunftsland der Hülle: England. (Übrigens:
"Decca" soll angeblich ebenfalls einigen Anspruch andeuten, es sei eine
Anlehnung an "Mecca", das "D" käme von Dulcephone, so heißt es jeden-
falls, siehe u.a. Wikipedia; dem "D" traue ich aber eher zu, sehr nahe-
liegend, dem Wort "disc" zu entstammen.)
Zum Etikett: blau (möglicherweise dunkelblau, schwer zu entscheiden;
jedoch wohl nicht schwarz), wahrscheinlich (wie oben) goldfarbener Auf-
druck. Die spezifische Etikett-Gestaltung ist nur schemenhaft erkennbar,
aber es ist eindeutig das überaus bekannte, kuriose (eigentlich lächer-
liche) Etikett mit dem Beethoven-"Porträt": das Ludwig-van-Genie mit
finsterster Durchblicker- und Schopenhauer(!?)miene. Von den Aufschrif-
ten ist nichts lesbar. Doch mit Lupe ist unter dem (nur erahnbaren)
zerfurchten Denkerkopf gerade eben vermutbar (aber sicherlich nur für
den, der das Etikett sehr genau kennt): DECCA / THE SUPREME RECORD
[Etikettfassung: ohne Plural-s] // Beachte hierbei: Dieses Layout wurde
in verschiedenen Ländern verwendet. Das Mutterherkunftsland jedoch ist
England. Bleibt noch eine Aussage zur den Inhalt betreffenden Aufschrift
auf der unteren Etiketthälfte: Erkennbar ist auch hier nichts, doch vage
Anhaltspunkte legen, im Zusammenhang mit dem gesamten Etikett-Layout
gesehen (blau, Beethoven), die Annahme nahe, daß das Produktionsland
England ist. Um eine Auslandsplatte handelt es sich allerdings auf JEDEN
Fall, denn deutsche Decca-Platten gab es damals nicht (die ersten 78er
Deccas erschienen in Deutschland erst 1951, siehe hierzu auch Otto,
Melbourne 1988). Eine Importplatte also? Oder ein persönliches Reisemit-
bringsel?
Bezüglich Hülle muß noch betont werden, daß bei 78ern ("lose" 78er
sind gemeint, bei Alben herrscht eine andere Konfektionierung) unter
keinen Umständen vorausgesetzt werden darf, Hülle und Platte bildeten,
wie später bei den Langspielplatten, eine Einheit. Das Gegenteil ist der
Regelfall: Schon beim Verlassen der Fabrik, spätestens nach dem Kauf
beginnt im allgemeinen für die beiden, mehr oder minder, ein getrenntes
Leben. Gleichwie, alles in allem gesehen, dürfte die Vermutung richtig
sein: Das Preßland der in der "Wolfsschanze" fotografierten Decca sei
England. Mit anderen Worten, diese Grobidentifikation könnte die Aussage
"darunter auch viele Jazzplatten" stützen, ich betone: könnte. Und ich
betone auch: Bei derlei zeugnislosen inhaltlichen Bekundungen ist größte
Vorsicht angebracht. Zumal wenn es sich wie hier um eine Aussage
handelt, bei der im Zusammenhang mit Hitler, "Wolfsschanze" und Jazz
eine gehörige Diskrepanz, ein gewisser Wagemut, vielleicht sogar eine
gewisse Portion Waghalsigkeit anklingen (sollen), mitzuschwingen
scheinen. Ich empfehle, hier zunächst einmal an- und innezuhalten.
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Nach Balser nun zu Frentz: Frentz kam viel herum, und schon allein
von daher dürfte für ihn der Erwerb ausländischer Platten kein Problem
gewesen sein. Zudem hatte er bei Hitler einen mächtig dicken Stein im
Brett. Und es stimmt auch: Der Massenmörder war sehr privat sehr mild
und erlaubte manchen Personen, vor allem jüngeren, in seinem Umkreis, in
seiner Privatsphäre erstaunlich viel. Doch abgesehen von alldem: Es
müßte zunächst geprüft werden, was der Autor der Bildunterschrift unter
"Jazz" versteht und außerdem, woher er seine Kenntnis hat. Dazu kommt
noch: In damaligen Zeiten (im "Dritten Reich" und so weiter) wurde unter
dem Etikett "Jazz" sehr viel, sehr Unterschiedliches verstanden.
Anschauliche Beispiele dafür zu geben, wo und wie sich für Frentz die
Möglichkeit des Plattenerwerbs habe ergeben können, ist eigentlich nicht
nötig. Radio- und Plattenläden gab es überall. Aber ein Foto Frentz' auf
S. 198, "Dänemark, Fahrradfahrer, Sommer 1943", liefert wie von selbst
einen Hinweis. Es ist eine Großstadtstraße mit Straßenbahn und einer
längeren Ladenzeile zu sehen. Ein Laden fällt sofort auf (wie absicht-
lich, genau in der Mitte der Ladenfront): FONA RADIO. Fona war damals
eine Ladenkette für Radio- und Elektroartikel (und existiert als
Elektronik-Konzern heute noch).
Weiteres möchte ich zur Wendung "viele Jazzplatten" vorläufig nicht
sagen, ohne entsprechende Unterlagen jedenfalls nicht. Spekulieren und
fantasieren kann man ohne Ende die tollsten Dinge.
Doch die Frage ist nun mal da:
"Manufactured in England [-] Fabriqué en Angleterre"
steht im Halbkreis auf der Platte
Etikett- und Hüllentyp wie 1943/1944 in der "Wolfsschanze" (Ostfront)
Aber was war drauf?
Erste Gedanken zum Thema "Hitler und Schallplatten" sind in Vorberei-
tung. Nur so viel noch: "Organisierte Schallplattenabende" ist, wenn es
stimmt, eine nicht zu unterschätzende Aussage über die soziale Situation
in der "Wolfsschanze" und in anderen Führerhauptquartieren vielleicht
ebenso. Es wird im übrigen nicht von Tanzabenden gesprochen (unter den
rund 2000 Quartierbewohnern wären genügend weibliche vorhanden gewesen),
sondern von "Schallplattenabenden" ist die Rede. Klingt das nicht nach
einigem Anspruch? Mit einem akustischen Koffergerätchen derlei Platten-
abende? Das ist nicht recht vorstellbar. Dafür war das elektro-tech-
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nische Know-how zu hoch. Man bedenke: Das ostpreußische Führerhaupt-
quartier hatte u.a. eine komplette Armeefunk- und -sendeanlage. Elek-
trisch war man dort mit Sicherheit auf dem neuesten Stand. Ich habe
Dokumente zu einem an der Ostfront eingesetzten Soldaten, er war
offenbar ein ausgebildeter Elektromechaniker. Jedenfalls gehörte er,
nach Taschenkalendereinträgen zu schließen, 1943 als Funker dem Bereich
des Oberkommandos der IV. Panzerarmee an. Später wurde dieser Wehr-
machtsangehörige zur Luftwaffen-Versuchsstation Usedom versetzt (V2,
eher Nachfolgewaffe, Dienstadresse auf einer Ansichtskarte, Ostseebad
Zinnowitz, Poststempel vom 25. Juli 1944: Karlshagen, Flakversuchs-
stelle der Luftwaffe). Nach dem Krieg war er mit anderen zusammen an
der Entwicklung und Fertigung von kleinen Handwerksmaschinen beteiligt.
An diesem Beispiel sieht man, welcher technische Wissensstand in der
"Wolfsschanze" anzunehmen ist. "Schallplattenabende" mit einem akusti-
schen Kofferplattenspieler also dürfte keine realistische Mutmaßung
sein. Auf der soldatischen Bude hat man sich solcher Geräte aber sehr
wohl bedient, wie das Musikoffer-Foto zeigt. Wir werden sehen, welche
Dokumente im Laufe der Zeit noch auftauchen.
Spuren von normalem Leben in solch einer Bude zeigt ein weiteres Foto
(ebenfalls S. 131): "'Wolfschanze' [wieder nur ein "s", siehe oben],
junge Offiziere [in zivil], Anfang August 1944". Der oben genannte
Balser spielt Gitarre, zwei hören zu. Von der Bude ist eigentlich nicht
viel zu sehen, doch ein paar Details weisen darauf hin, daß da ein
gewisser Kontakt zur Außenwelt besteht: Gemeint ist nicht das Telefon,
sondern vor allem im Bildhintergrund das Rundfunkgerät. Kein Volksem-
pfänger, keine "Goebbels-Schnauze", das Gegenteil ist der Fall: ein
fortschrittliches Modell mit großer Senderauswahlskala.
Wo sich ein solches Radio befindet, erstaunt nicht, daß zudem zwei
Sachen zu sehen sind, die sehr nach 25-cm-Plattenalben aussehen. Sie
liegen in Blickrichtung links vom Radio auf einem kaum sichtbaren Tisch.
Und dann fallen auf dem Foto noch zwei unscheinbare Kleinigkeiten
auf, die Hinweise dafür zu liefern scheinen, welche Rolle wohl der
Kurierzug Berlin - Rastenburg gespielt haben mag: Eine (französische?)
Rotweinflasche, eine (Papp?)Schachtel Orientzigaretten der Firma Kyriazi
Frères Marke Neptun (Herstellung u.a. in Hamburg). Nun nicht gerade eine
solche Schachtel, wohl aber eine damalige Blechdose ist unten abgebildet
(auch bestens zur Aufbewahrung von Grammophon-Nadeln geeignet).
Auf einem weiteren Foto (S. 130, "'Wolfschanze' [auch hier nur ein
"s", siehe oben], Weihnachtsfeier, Dezember 1943", Ausschnitt einer
"Julfestfeier" [Nazi-Jargon] der engeren Mitarbeiter des Führerhaupt-
quartiers, rund zwei Dutzend Wehrmacht- und SS-Soldaten in Uniform sieht
man, Hitler scheint auch dabei zu sein {*1}) wird der Außenbezug ergänzt
durch zahlreiche französische Cognac-Flaschen (Hennessy), sie entstamm-
ten, wie gesagt wird, weihnachtlichen Präsentpaketen, Absender: der
"Führer" ("Führerpakete").
"Dingliche Bezüge" aus der "Heimat" gab es in der "Wolfsschanze"
also, warum sollten denn mit dem Kurierzug nicht hin und wieder auch
Schallplatten eingetroffen sein?
Erforscht ist es nicht, aber es mag durchaus sein, daß auch an der
Ostfront, Ähnliches nachgewiesen werden kann, was man von der Westfront
schon seit Jahrzehnten weiß: Es gab dort in Nischen allerlei "moderne
Klänge" - und Tätigkeiten um sie herum. Herausragendes Beispiel für die
Westfront ist der einstige WDR-Jazz-Redakteur "Doktor Jatz": Dietrich
Schulz-Köhn. Er hat oft Auskunft gegeben. Berühmt geworden ist dabei
sein Foto aus dem besetzten Paris, vor dem Nachtclub La Cigale (1943):
Er in strammer Wehrmachtsuniform (Leutnant wohl), rechts von ihm ein
Zigeuner (der unvergleichliche Gitarrist Django Reinhardt), links von
ihm vier dunkelhäutige afrikanische Musiker aus französischen Kolonien
(Schulz-Köhn nennt sie unbefangen Neger) und ganz links außen schließ-
lich, so teilt Schulz-Köhn mit, ein Jude (bei Gelegenheit mehr dazu).
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{*1} Ich glaube auf dem Foto (an den zusammengestellten Tischen in
der Mitte) Hitler zu erkennen. Es dürfte die Person sein, mit der
Hitlers persönlicher Sekretär Martin Bormann spricht. Im Foto-
Begleittext ist dieses Detail nicht angesprochen. Man sieht außerdem
im Hintergrund schemenhaft einen Gitarrenspieler (Hannes Balser?).
Und dieser Gitarrenspieler ist ein weiterer Hinweis dafür, daß die
Aussage "Da Musik im Hauptquartier verpönt war..." wohl eine per-
sönliche Verallgemeinerung ist und sicherlich der Einschränkung
bedarf. Die Bemerkung stammt von Albert Speer (Erinnerungen, Taschen-
buchausgabe, S. 309, die Aussage fällt im Zusammenhang mit Berichten,
die Ereignisse vom Herbst 1943 betreffen).
24 Neptun
Zigarettendose (um 1930?): Kyriazi Frères
In Deutschland hergestellt (Hamburg)
"Cigarette nach ägyptischer Art"
Auch im Berliner "Führerbunker" kam 1945 an Hitlers Geburtstag (20.
April) wohl ein sogenannter Musikkoffer zum Einsatz. Jedenfalls kann
man das aus Traudl Junges diesbezüglichem Bericht schließen:
Traudl Junge, unter Mitarbeit von Melissa Müller, Bis zur
letzten Stunde, Hitlers Sektretärin erzählt ihr Leben
München 2002, 271 [272] S.
Auf Seite 177 heißt es:
Irgendwoher brachte jemand ein altes Grammophon mit einer
einzigen Schallplatte.
Beachte: Das wurde 1947/48 geschrieben (in dieser Zeit entstand das
Typoskript der "sehr lebhaften Erinnerungen"), und Junge verwendet das
Adjektiv "alt". Nach Lage der Dinge wirkt das auf mich, als meine sie
den mobilen Koffertyp. Was sonst? Ein Trichter-Grammophon? Nicht vor-
stellbar.
Wie man sieht, war das (akustische) Koffer-Grammophon also nicht nur
ein allgemeiner Konsumgegenstand, der, wie oben formuliert wurde, "auf
weiter Flur" in Gebrauch war, sondern dies offensichtlich auch hinter
der Front, wenn dort vielleicht auch nur in einigermaßen gesicherten,
dauerhaften Stellungen {*1}.
{*1} In der amerikanischen Armee waren Schallplatten als Ablen-
kungsangebote sogar ein Bestandteil der Truppenbetreuung, der Mili-
tärstrategie. Es wurden für diesen Zweck spezielle Plattenunterneh-
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mungen gegründet (z.B. V-Discs, V = Victory, Größe: 30 cm, 78 UpM,
manchmal Schellack, doch meist Vinyl, um beim Fronteinsatz "unbreak-
able" zu sein; Rundfunkplatten des Office of War Information für
Sendeeinrichtungen wie Voice of America und AFN = Army Forces Net-
work, Größe: meist 40 cm, 33 UpM, Vinyl).
DP, 14.10.2007 (Datierung der Erstfassung dieses Teils)
Diskographische Weiterführungen (1)
A) Die Schallplatten-Fibel 1939, Glenn Miller
Es soll im übrigen in meinem Werben für Wirklichkeitsbezug nicht
der Eindruck erweckt werden, der akustische Musikkoffer sei im "Dritten
Reich" nun gänzlich oder auch nur etwas out-of-date gewesen. War er
keineswegs. Zunehmend verband man ihn aber abgrenzend mit bestimmten
Anwendungsgebieten. Hierzu zwei Dokumente:
Dokument eins (hier nur in Worten) verdeutlicht das bislang Gesagte
noch einmal: Im August/September-Heft 1939 der Hausmitteilungen der
Electrola G.m.b.H. Berlin ("Skizzen" betitelt) befindet sich auf Seite
[2] eine ganzseitige Annonce mit fünf Fotos, Titel der Annonce "Mein
Reiseandenken / Die Electrolaplatte". Alle Fotos preisen den Musikkoffer
für die Anwendung im Freien an, ein Gebrauch in Räumen ist nicht dar-
gestellt, stattdessen nur einer im Grünen, am See, beim Paddeln (nun
ja, es ist eben Sommer).
Das zweite Dokument ist der unten abgebildete Einband der von der
Telefunkenplatte 1939 herausgegebenen "Schallplatten-Fibel" (Broschur-
fassung). Der Zeichner Viktor Friese, der später in der sowjetischen
Besatzungszone (SBZ, Ostzone, "Zone") frivol-fresch-reale "Anschauungs-
bildchen" veröffentlichte (1947/1948 in der Satire-Zeitschrift "Frischer
Wind"), malt hier, halb realistisch halb leitbildmäßig erträumt, für
Telefunken ein Marktsegment: eine gutbürgerliche Szene, so scheint es
jedenfalls heute, und so ganz daneben dürfte diese Auffassung wohl nicht
liegen.
Zunächst: Meines Wissens geht das, was die Zeichnung zeigt, um
einiges am Kanon des nationalsozialistischen Frauenbildes vorbei. Der
Stil gehört vielmehr, wenn ich nicht irre, zu jenem Teil des Illustrier-
ten-Genres, den die Nazi-Umklammerung nicht so erdrückte, erdrücken
konnte (Reisebeschreibungen, Sachartikel, Mode, Ratgeberseiten usw.).
Jedenfalls auf Abbildungen, die in einem direkten Zusammenhang zum BDM
(Bund Deutscher Mädel) oder zur NSF (NS-Frauenschaft) standen, wird man
derlei wohl nur in Ausnahmefällen antreffen, wenn überhaupt. Auch ein
irgendwie gearteter Bezug zur im Januar 1938 gegründeten BDM-Unteror-
ganisition "Glaube und Schönheit" ist nicht zu erkennen. Zudem passen
die beiden Friese-Frauen auch vom Alter her nicht in diese Richtung,
denn von dem NS-Konzept "Glaube und Schönheit" sollte sich eher die
Altersgruppe der 17- bis 21-jährigen angesprochen fühlen.
Was hier offenbar suggeriert werden soll, ist Weltstadtniveau, ein
gewisses Etwas von Paris, London oder New York, wobei der Telefunken-
Musikkoffer "Lido" in dieser Träumerei-Idylle im wahrsten Sinn des
Wortes den wichtigen Part des Souffleurkastens spielt. Mir ist unklar,
wie weit man bei der Interpretation des Dargestellten eigentlich gehen
darf, aber eine zurückgezogene, höchst private Atmosphäre, verbunden mit
einem Mix aus mondäner Exklusivität und Mobilität, wenn nicht sogar
Flexibilität, ist doch wohl angedeutet. Von Starrheit jedenfalls, zumin-
dest staatlich indoktrinierter, nationalsozialistischer, keine Spur.
Also: Arglosigkeit in einem staatlichen Umfeld, das alles andere als
harmlos war. Auf diesen Gegensatz trifft man im "Dritten Reich" sehr
oft, und oft hatte er sogar Methode. Verdacht ist somit angebracht. (Auf
den Inhalt der "Fibel" soll hier nicht näher eingegangen werden, da ist
nicht immer alles so unbedarft.)
Bleibt aber immer noch die Frage, zu welcher Geld- und Bildungs-
schicht die beiden Schönen denn ein Modell abgeben sollten. Man übersehe
nicht die skulpturierten Augenbrauen, die high-brow Anlock-und-Distanz-
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Ziselierungen à la Marlene Dietrich et Greta Garbo. Dazu je eine gerade-
zu überwältigend betonte Stirn. Eine Lyzeum-Szene? Doch für Schülerinnen
sind die beiden zu alt. Ganz abgesehen davon, daß das "Outfit" dafür
nicht so ganz typisch gewesen wäre. Sollte etwa eine Studentinnen- oder
Lehrerinnen-Atmosphäre Konsumwünsche wecken? Oder sollten hier gar wie
auch immer geartete Vorstellungen von der erheblich westwärts orien-
tierten "Swing-Jugend" transportiert werden? Kann man kaum glauben?
Aber Foxtrott, Slow-Fox, "Blues", Tango, Rumba usw., Swing und Schwung,
all das mit seinen "gefährlichen" Bezügen und Einflüssen hatte auch
Deutschland (und Nazis) heftigst erfaßt. Wobei wir bei der Frage sind,
die uns am meisten interessiert: Was sollten sich denn Käufer(innen) zu
dem Thema alles so ausmalen, was da eventuell auf dem Plattenteller
seine Kreise dreht? Das Horst-Wessel-Ding oder den Baden-weiler-zwo-
drei-vier doch wohl nicht. Wohl eher so etwas "Modernes", "Internatio-
nales", wie den St. Louis Blues, gespielt von Teddy Stauffer und seinem
Orchester (Telefunken A 2806, auf Seite 114 der "Telefunken-Fibel" für
Plattenabende empfohlen).
Auf dem Plattenteller der Friese-Zeichnung liegt also eine Erwartung,
eine ganz bestimmte Inspiration. Nein, nicht Konspiration, nichts davon,
aber man kann sich dennoch ohne weiteres vorstellen, daß die beiden
"Plattenliebhaberinnen" ein Interesse an Sachen auf gewissen rosa Seiten
gehabt haben könnten, hiermit ist zum Beispiel der "Export-Nachtrag Nr.
2" zum 1939er Telefunken-Katalog gemeint. Und für meine Begriffe war
dieser Nachtrag so beschaffen, daß er gierigen Gestapo-Blicken ohne viel
Aufwand und auf die Schnelle entzogen werden konnte, d.h., er war zwar
ein Teil des Katalogs {*1}, konnte aber bei Bedarf (Gefahr) fix entfernt
werden. {*2}
{*1} Käufer-, nicht Händlerexemplar
{*2} Über die Absurditäten, mit denen das "Tausendjährige Reich" im
Bereich der Musik "aufwartete", ist schon vieles geschrieben worden,
und so bildet man sich ein, es müßte doch über die ganze Nazi-Verlo-
genheit auf diesem Gebiet soweit alles bekannt sein, ist aber nicht.
Immer wieder tauchen neue frappierende Belege auf. Einer davon gehört
zu dem oben angesprochenen Thema "Nazis und Tanzmusik" und stammt aus
der ebenfalls schon oben erwähnten Dokumentation "Das Buch Hitler".
Makaber ist gar kein Ausdruck für das, was da mitgeteilt wird (Seiten
204/205).
Es ist der Erzählung nach (wie gesagt, dem Buch liegen u.a.
Aussagen der persönlichen Bediensteten Hitlers, Günsche und Linge,
zugrunde) Frühjahr 1943, Gegend der Handlung: Obersalzberg bei
Berchtesgaden. Dort liefen inmitten der alpinen Traumkulisse, in
unmittelbarer Nähe zu Hitlers "Berghof", wo sich zu dieser Zeit, wie
des öfteren, das Führerhauptquartier befand, nächtliche Parties bis
in die Puppen ab:
Wenn Hitler [nach seinen nächtlichen Tee-Gesellschaf-
ten endlich zu Bett] gegangen war, glaubte man [Mar-
tin] Bormann [Leiter der Parteikanzlei der NSDAP,
ab dem 12. April 1943, die rechte Hand, nämlich
Sekretär, des "Führers"] nicht wieder zu erkennen.
Jetzt [...] ließ er die Maske fallen und nahm die
ganze Gesellschaft zum Gelage mit in seine Villa
[gemeint ist das Almanwesen Bormanns am Obersalzberg].
[...] Sein Haus war strahlend hell erleuchtet. SS-
Ordonnanzen servierten Champagner, Kognak, Likör und
Süßigkeiten. Aus einem großen Musikschrank tönt[e]
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wilde amerikanische Tanzmusik. [...] Solche nächt-
lichen Gelage fanden im Kriegsjahr 1943 auf dem Ober-
salzberg sehr häufig statt [die Zeitangabe ist wohl
übertragen gemeint, 1943 war Hitler dort länger nur
von März bis Juni].
Obwohl zweifellos eine aussagekräftige Passage, so ist doch eines
unklar: Was hat man sich vorzustellen unter "wilder amerikanischer
Tanzmusik"? Was war "wild" und "amerikanisch" für die deutschen SS-
Informanten? Und wie haben die russischen Verhöroffiziere der für
Stalin zusammengestellten und auf ihn zugeschnittenen Dokumentation
das Berichtete, das Gehörte übertragen?
Ja, das ist die Frage: Welche Platten wurden bei Bormann aufge-
legt? Eine Platte, die offenbar, wenn die Quellenbegleitinformationen
stimmen, von Hitlers "Berghof" zum Bormann mitrüberwanderte, kenne
ich. Sie läßt sich exakt datieren und hat einen "Berghof"-Aufkleber
mit einer erstaunlich hohen Archivnummer. Doch das ist zahme deutsche
Tanz- und Schlagermusik. Spekulieren wir aber ausnahmsweise trotzdem:
Was könnte als Tanz- und Stimmungsvorlage gedient haben? So etwas wie
"Die Goldene Sieben" (u.a. "Lullaby of Broadway" auf Electrola)? Oder
doch etwas wirklich "Amerikanisches", etwas "Amerikanerischeres", wie
Glenn Miller mit seinem Orchester (Miller war zu dieser Zeit schon
ein Angehöriger der US-Luftwaffe und leitete im übrigen seit 1942 das
Army Air Force Orchestra)? Sein Smash-Hit "In the Mood" vielleicht?
Oder Duke Ellington, Lionel Hampton (beide auf Electrola), oder noch
"wilder": Count Basie mit dem nächtlich-passenden, die Welt umsegeln-
den One O'Clock Jump (auf dem deutschen Etikett Brunswick)? Oder am
Ende gar der "King of Swing" himself, der als "entartet" diffamierte,
wegen seiner jüdischen Herkuft "unerwünschte" Benny Goodman? Beachte:
Schellacks dieser und zahlloser ähnlicher Interpreten und Orchester
waren in so manch einer deutschen "guten Stube" der Zeit keine Ent-
artungen, keine Fremdkörper. So vielleicht auch nicht beim abartigen
Bormann auf der Alm. Nein, einfach gestrickt ist die Welt wirklich
nicht.
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In Überarbeitung, neu und erweitert
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Brunswick und Electrola führten auf dem Sektor neue Tanzmusik und
Jazz (Swing) bis etwa Ende 1939 Anfang 1940 sehr viele amerikanische
Produktionen in den in und für Deutschland gepreßten Sortimenten.
Doch schon zu dieser Zeit, spätestens kurz danach, setzte ein Aussor-
tieren ein: Es wurden aus westlich orientierten Angeboten gewichtige
Inhalte entfernt, es war fast so, als fielen mühsam zusammengehaltene
Gebäude wie Kartenhäuser in sich zusammen. Goebbels war es, der in
dieser Zeit durchsetzte, die Plattenfirmen nun vollends in Nazi-
Ketten zu legen. Verordneter Deutschtumwahn und Kriegsbeginn waren
zwei der wichtigen Ursachen. Wie auch immer, das Wüten hatte zur
Folge, daß die Unternehmen, die ja, rein betriebswirtschaftlich
gesehen, zunächst einmal Produktions- und Handelssysteme sind, ganz
gehörig in die Bredouille kamen, sie hatten sich massiv einzuschrän-
ken, umzuorganisieren. Schlicht gesagt: Man nahm ihnen die Kraft der
Erneuerung. Nazi-Kastration.
Ein Beispiel für die neue Unerreichbarkeit: In der Geschichte der
"neuzeitlichen" Tanzmusik, der "klassischen" Big Band-Musik, des
Swing, gab es einige wirklich große Super-Hits. Der oben genannte One
O'Clock Jump gehört dazu (vor allem verbunden mit dem Namen Count
Basie), und dazu zu zählen sind u.a. auch einige Glenn Miller-Titel,
z.B. das ebenfalls schon erwähnte "In the Mood". Ein Verkaufsschlager
sondergleichen, eine Mega-Tanznummer, mehr noch, für viele, durchaus
stellvertretend für den Swing, eine Art Aushängeschild US-Amerikas,
wobei die Beweggründe dieser Ansicht höchst verschieden sein konnten.
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Da gab es etwa seitens der USA die politisch-militärische Sicht:
Swing vornehmlich als Kultur- und Devisenwaffe. Demokratisierung,
Amerikanisierung sind weitere Stichworte. Im Nachkriegsdeutschland
hingegen lagen die Dinge etwas anders: Hier träumten viele der Nazi-,
Bomben- und Granatengebeutelten den Traum der Hoffnung, auch sehr
naiv den der Freiheit, den von der angeblich himmlischen Weite der
Welt. Swingin' in the mood, ein (Über-)Lebensgefühl.
Aufgenommen wurde der Erfolgs-Fox "In the Mood" (die Hauptmelodie
steckt in einem 12taktigen Blues-Kombinationssakko von der Stange) in
New York am 1. August 1939, erschienen ist er alsbald im Herbst des
gleichen Jahres auf Bluebird, einem Victor-Unteretikett, Bestellnum-
mer: B-10416. Auch in Großbritannien war die Scheibe sofort zu haben
(auf His Master's Voice), und, cum grano salis gesprochen, bald auf
der ganzen Welt, doch für eine Veröffentlichung in Deutschland (nach
Lage der vertraglichen Beziehungen hätte das auf Electrola sein
müssen) kam die Einspielung um eine Nasenlänge (sagen wir es so: um
einen Goebbels-Tic) zu spät.
Was wäre wohl passiert, wenn "In the Mood" oder andere Miller-Hits
im "Dritten Reich" im Handel frei erhältlich gewesen wären? Wenn man
sie praktisch landauf landab geträllert hätte? "In the Mood" in den
Volksempfängern, den "Goebbelsschnauzen", und das stetig? Wer etwas
Interesse an eigenwilligen, fiktiven Geschichtsvorstellungen hat,
sollte versuchen, sich das auszumalen. Er wird schnell begreifen: Das
Nazi-Bandentum wußte, warum es schnellstens zu reagieren hatte, es
"mußte" alles dransetzen, den per Schellack drohenden Um- und
schließlichen Zulauf zu verhindern. Und so kam es auch: Im "Dritten
Reich" (gemeint ist das "Stammdeutschland") ist keine der Platten
Glenn Millers in die Verkaufskataloge gekommen. Auch nicht die, die
schon genügend lange vor der deutschen Kriegserklärung an die USA
(11. Dezember 1941) eingespielt worden waren. Nicht "Moonlight
Serenade" (4. April 1939) {*1}, "Little Brown Jug" (10. April 1939),
"Tuxedo Junction" (5. Februar 1940), auch nicht "Pennsylvania
6-5000" (28. April 1940) und "Chattanooga Choo Choo" (7. Mai 1941).
Für spätere Hits, gar für "A String of Pearls" (3. November 1941,
eigentlich ein krauses Arrangement, aber mit unüberhörbaren Bix
Beiderbecke-Verehrungen), war zu dieser Zeit dann ohnehin die Zeit
abgelaufen.
{*1} In Klammern: Aufnahmedaten der klassischen 78er Einspielungen
Die genannten Titel sind durchweg Top-Hits aus Millers "goldenen
Jahren", die im Dezember 1944 abrupt endeten, vermutlich durch einen
Flugzeugabsturz in den Ärmelkanal. Darf es noch ein doppelt skurriler
Gedanke sein? Die Nennung eines besonderen Hits fehlt nämlich noch.
Kann man sich den Swing-March, Anti-Marsch (Und-doch-wieder-Marsch)
"American Patrol" (aufgenommen: Hollywood, 2. April 1942) in der
Nazi-Herrschaft vorstellen, gar im Radio, the "Goebbelsschnauzen"
jumpin'?
Nach dem Krieg kamen dann auch in Deutschland etliche der Aufnah-
men auf 78er heraus, und zwar auf jenem Etikett, das vor Jahren
zuständig gewesen wäre: Electrola. Und natürlich erschien auch "In
the Mood" (siehe unten), Erscheinungsjahr: 1950. Matrizennummer: 0A
038170 (so auf dem Etikett und im Spiegel; Bedeutungen: 0 = 25 cm, A
= amerikanische Matrizenherkunft). Demgegenüber steht im "Lange":
038170-1, von "0A" nirgends eine Spur ("-1" heißt: Take 1; Quelle:
Horst H. Lange, Die deutsche "78er" Discographie der Hot-Dance- und
Jazz-Musik 1903-1958, Berlin 1992, Panther Verlag; ein Nachschlage-
werk mit einer aus den 1950er Jahren stammenden Tradition). Außer der
Angabe 0A 038170 ist im Plattenspiegel (Auslaufbereich) noch eine
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Und außerdem Seite E?
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zweite Nummer zu sehen (Lange läßt derlei Nummern unbeachtet): B-
10416A // Hiermit ist der Veröffentlichungsursprung gekennzeichnet,
nämlich die Erstausgabe Bluebird B-10416 (siehe oben), wobei deren
Etikette zugleich mit der Bestellnummer Seitenkennzeichnungen angeben
"-A" und "-B: B-10416-A bzw. B-10416-B, daher also: B-10416A //
Bei der Electrola-Nachkriegspressung ist die Matrizennummer ver-
tieft (vom Prägungsbild her: Numerierung nicht auf der Wachs-, son-
dern auf der Matrizenebene). B-10416A ist jedoch erhaben, also eine
Numerierung entweder des Victor-Vaters oder des Electrola-Stempels,
wahrscheinlich des Vaters. Wie dem auch ist, beide Nummern und deren
Prägungsbilder machen dem Diskographen klar, daß es sich um eine
Originalmatrize handelt, was zudem die Musik bestätigt: Es ist die
weltbekannte Version. Doch Fragen bleiben: Wo kommt Langes Take-
Angabe "-1" her? Stammt sie aus Victor-Unterlagen? Oder von tat-
sächlichen Bluebird-, His Master's Voice- oder sonstigen Pressungen?
Oder hat am Ende die Herkunftsnummer B-10416A über Überlegungen zur
Angabe "-1" geführt?
Es kommt vor, daß Electrola-Nachkriegsausgaben als "frühe" oder
"alte" Pressungen, als in den 1930er Jahren bzw. "vor 1945" entstan-
dene bezeichnet oder ausgegeben werden. Hier sollte man sich etwas zu
helfen wissen. Ein Rätsel gefällig? Die erste handelsübliche Lang-
spielplatte mit 33 UpM (Umdrehungen pro Minute) kam 1948 heraus (in
den USA), damit begann der phänomenale Vinyl-Triumph dieses neuen
Mediums. Schauen Sie sich das unten wiedergegebene 78er Etikett an.
Einmal ganz abgesehen vom Design (es unterscheidet sich um einiges
von früheren Gestaltungen), welche vielleicht unscheinbare Angabe
macht zwingend klar, daß es sich um eine Nachkriegspressung handeln
muß, und zwar um eine keinesfalls vor 1948?
Swing hieß Schwung: Millers Tanzmusik war Teil einer unglaublichen
Musik- und Gesellschaftstanzbegeisterung. Außerdem war es ein enormes
Geschäft. Triebkmanie. So etwas hatte es in der Musik weltweit noch
nie gegeben. Chattanooga Choo Choo beispielsweise, aufgenommen am 7.
Mai 1941, erreichte schon Ende dieses Jahres die Millionenauflage, es
wurde die erste Golden Disc der Firma Glenn Miller and his Orchestra.
Es konnte gar nicht so viel aufgenommen werden, wie verkauft
wurde. Die Aufnahmestudios waren ständig ausgebucht. Es gaben sich
praktisch die Kapellen (Bands), kleine und große, die Klinken in die
Hand. Hierüber kann man sich mit etwas Mühe sehr detailliert Auskunft
verschaffen, und zwar bei Brian Rust. Er hat mannigfache, teilweise
sehr dickbändige Diskographien hinterlassen, die berühmteste ist das
zweibändige Werk "Jazz Records 1897-1942 / 4th Revised and Enlargerd
Edition", New Rochelle N.Y. 1978 {*1}. Mit Hilfe dieser grundlegenden
Arbeiten lassen sich Aufnahmelisten zusammenstellen. Dann zeigt sich
an der Matrizenummer 038170 für "In the Mood", daß beispielsweise
schon zwei Tage später eine Aufnahmesitzung mit Tommy Dorsey and his
Orchestra durchgezogen wurde (3. August 1939). Doch auch die Veröf-
fentlichungsseite kann man beobachten: Bestellnummernnachbarn der
Bluebird B-10416 (In the Mood) sind Platten des Charlie Barnet and
his Orchestra. Also: Wo man auch hinsieht, überall überaus populäre
Bands, was übrigens Glenn Miller zu dieser Zeit noch nicht war, aber
Ende 1939 raketenschnell wurde. Swing ein Massenphänomen. In den USA
ging das so auch während des Zweiten Weltkriegs weiter, man swingte
und tanzte unentwegt. Wie anders als eine Art Ablenkung, Traum,
Rausch, Trance ist das zu deuten?
{*1} Diese letzte Ausgabe ist nicht immer erweitert, sondern
manchmal auch gekürzt. Deshalb ist die "2nd Impression", © 1972,
der Revised Edition, © 1969, nicht out-of-date (beide Urfassungen:
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Und außerdem Seite E?
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London, Storyville Publications).
Um einem Thema wie historische Genauigkeit zu entsprechen: Als
Komponist ist auf dem Etikett [Joe] Garland und als Texter [Andy]
Razaf angegeben. Die Angabe Razaf ist im Fall von "In the Mood"
allein finanziell von Belang, üblich und bekannt ist nur die Instru-
mentalversion. Auch der Komponistennachweis "Garland" ist nicht das
Gelbe vom Ei, weil die Melodie schon in einem anderen Zusammenhang
Ende der 1920er Jahre nachgewiesen worden ist. Von Belang ist aber:
Das Arrangement schrieb Eddie Durham, der wohl erste bedeutende E-
Gitarrist, er war Posaunist im Count Basie-Orchester und ein großer
Bewunderer des Prez (Lester Young). Mit ihm hat er 1938 zauberhafte,
tiefgründige Combo-Aufnahmen gemacht. Insofern ist also auch hier, im
Fall der Gebrauchsnummer "In the Mood", die Nähe einer weltweit
wirkenden Kraft zu spüren, nicht nur hier.
Electrola preßte auch nach den massiven Reglementierungen des
Propagandaministeriums (Goebbels) Platten, die eigentlich nicht
gepreßt werden durften, aber doch wurden, fürs Ausland nämlich, z.B.
für Dänemark, nach Lange unter dem Etikett His Master's Voice.
Darunter auch Glenn Miller-Scheiben. Allerdings scheint dieses Gebiet
noch nicht tragfähig genug erforscht zu sein. Wie auch immer: Wenn
der Name Dänemark fällt, sollte man sich an das oben genannte, von
Walter Frentz geschossene Foto erinnern. Damit schließt sich der
Betrachtungskreis. Nicht ohne den Hinweis allerdings, daß es auch im
faschistischen Deutschland, und auch während des Kriegs, einige Mög-
lichkeiten gab, an seltene oder "unerwünschte" Platten heranzukommen,
mochten die Wege auch noch so holprig, unangenehm, bedrohlich, merk-
würdig oder gar kriminell gewesen sein.
Glenn Miller, In the Mood, 1939
Deutsche Erstpressung: 1950, Electrola EG 7485, Etikett ca. 1955
Zugabe 1 Zugabe 2
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Anmerkung zu den Glenn Miller-Videos
American Patrol (Link weiter oben), In the Mood, Little Brown
Jug, Tuxedo Junction aus DVD Video (9), Koch Universal Music,
9874378: Glenn Miller Orchestra (Leitung, Piano: Wil Salden), Live
In Concert, Altenburg, Theater Großes Haus, 4. März 2005, veröf-
fentlicht: 21. Oktober 2005. Kameraführungen (5 Kameras) und
Schnitt, mit musikalischem Überblick und Einfühlungsvermögen: DHX
Studios, Köln, Regie: Dirk Hilger
Tuxedo Junction
Edward Hopper: Approaching nights
(Video von John Ryan, Tuxedo Junction, 18. September 2006)
(GELÖSCHT!)
********************************************************************
Beachte:
Das künsterlich hervorragende Hopper-Video
"http://www.youtube.com/watch?v=XTqkCmSYAWY" (Einsteller: mtfssjr2)
wurde leider gelöscht. Unten sind Ersatz-Links angegeben, die die
im Video verwendete Aufnahme aufrufen.
Persönliche Bemerkung:
Ich werde in Zukunft die Arbeit mit Links sehr stark einschränken
und auch allmählich die Verlinkung abbauen. Man sehe sich in
Wikipedia die Link-Friedhöfe an. Für seriöses Arbeiten, das auf
Quellen und Belegen beruht, ist das nicht der richtige Weg.
Ich werde in Zukunft beschreiben und/oder, soweit
möglich, zitieren. Ich kehre zum Buch- und Dokumentationsformat
alter Art zurück. So tritt etwas Ruhe in. Der Arbeitsaufwand, den
Links nachzujagen und tote Links zu vermeiden, ist zu groß.
Vorläufiger Ersatz für die im Video verwendeten Bilder von Edward
Hopper: Nighthawks (1942), Approaching a City (1946)
Vorläufiger Ersatz für die im "Hopper-Video" verwendete Fassung:
Tuxedo Junction I (YouTube)
Tuxedo Junction II (YouTube, gelöscht!)
Zum Musik-Link beachte:
Der nachfolgende Text ging vom Hopper-Video aus. Doch die "Ersatz"-
Videos haben die gleiche Aufnahme wie im Hopper-Video, mit dem
gleichen Schnittfehler!
16.2.2010, 8.10.2010
********************************************************************
Cutter-Fehler in der Schlagzeug-Piano-Überleitung, wahrscheinlich
rund um die Eins des 2. Takts. Die Unregelmäßgikeit ist deutlich,
aber schwer zu bestimmen. Es hört sich wie ein "Drop-out" an,
als ob ein minimaler Teil fehlt. Da man sich in der Passage einen
regulären Schnitt nicht so recht vorstellen kann, könnte eine Erklä-
rung für den Fehler sein, daß in "grauer Vorzeit" ein Arbeitsband
gerissen ist und der Fehler dann durch mangelhaftes Zusammenkleben
entstand.
Angaben zu Komponist, Aufnahmejahr und Ausführende sind falsch.
Komponisten laut ASCAP (Reihenfolge hier alphabetisch): Julian
Dash, Erskine Hawkins, William Luther Johnson. Vom Stil her
dürfte der sehr im Blues- und Jump-Kolorit beheimatete Tenor-
saxophonist Dash der eigentliche Ideenlieferant gewesen sein.
Hitaufnahme: Glenn Miller and his Orchestra, 5. Februar 1940
(Aufnahmedaten einiger anderer Glenn Miller-Hits siehe oben).
Erstaufnahme: 1939, Erskine Hawkins and his Orchestra. Brian
Rust gibt für diese Aufnahme als Arrangeure Hawkins und Bill
Johnson an. Das würde zu meiner Meinung passen, das thematische
Material sei eher Dash zuzuschreiben. Ausführende der Aufnahme
des Hopper-Videos: Universal International Studio Orchestra,
Leiter: Joseph Gershenson, Aufnahmedatum: 1. Dezember 1953.
Es gibt offenbar mindestens drei Fassungen. Die für das Video
verwendete hängt wohl mit der LP-Veröffentlichungslinie
zusammen. Die erste LP war Decca (USA) DL 5519 (25-cm-LP), The
Glenn Miller Story, veröffentlicht 1954. Zwei weitere Fassungen,
für die wohl das gleiche Aufnahmedatum gilt, sind der unten
anklickbare (offenbar tatsächliche) Soundtrack sowie die Aufnahme,
die auf der 78er Decca (USA) 29014 veröffentlicht wurde, eine Slow-
Version; Matrizennummer der Decca-78er: 85531 (die beiden
auf dieser Seite aufrufbaren "Fassungen" sind gleich). Die Nummer
85531 hat laut Horst H. Lange, Die deutsche "78er" Discographie...,
auch die deutsche Ausgabe Brunswick 82804. Eine Take-Angabe
dazu gibt Lange nicht an. Die Schlagzeug-Piano-Überleitung
der anklickbaren Decca-78er 29014 ist anscheinend vollständig,
aber sehr merkwürdig klingt sie doch. Hier paßt irgendetwas
nicht zusammen. Die Stelle ist wohl ein fehlerhafter Schnitt.
Die drei Aufnahmen unterscheiden sich im übrigen schon deutlich
in der Dauer.
Hopper-Video-Version: 2'32, Soundtrack: 3'08, 29014: 3'25.
Wer kann zu all dem weiterführende Details liefern?
Andere Fassung, anderer Zusammenschnitt, wahrscheinlich der
tatsächliche Soundtrack (3'08).
Diese Wiedergabe ist leider sehr hell.
Neue Quelle (russisch), gute Klangqualität:
Soundtrack (3'09)
Weitere gleiche Aufnhamen:
Tuxedo Junction on EMT 930, Altec Voice of The Theater:
Tuxedo Junction
Glenn Miller - Tuxedo junction vinilo 45RPM Sony PS 212:
Tuxedo Junction
Die für das "Hopper-Video" verwendete Aufnahme ist eine andere
Fassung, sie ist vermutlich die "LP-Fassung" (siehe oben) - oder
umgedreht: Sie ist die "Soundtrack-Fassung" und die angebliche
"Soundtrack-Fassung" ist die "LP-Fassung".
Jedenfalls das, was hier "Soundtrack-Fassung genannt wird,
hat den Cutter-Fehler in der Schlagzeug-Piano-
Überleitung nicht. Doch hatte aber eine einstige YouTube-Wieder-
gabe einen kurzen Ausfall, einen "Drop-out", im letzten Sechzehner-
Teil, 5. Takt, auf der Drei, genau beim 3. Einsatz des Trompeten-
Riffs. Auch das ist womöglich ein Cutter-Fehler. Ob diese Fassung
auf Platte erschien ist nicht bekannt.
Betrifft "anderer Zusammenschnitt": Der Anfang stimmt mit dem Anfang
der Fassung des "Hopper-Videos" überein, doch der Teil spätestens ab
8 Takte nach der Schlagzeug-Piano-Überleitung stammt ganz offensicht-
lich von einem anderen Take!? Auch diese Fassung erschien offenbar,
wie im Video angedeutet wird, auf einer LP (Decca).
Eine Live-Aufnahme (3'30)
Ohne irgendeinen Taktfehler, auch nicht in den beiden
Schlagzeug-Piano-Überleitungen. Allerdings wendet der
Kommentator "noveNiz0r" zu Recht ein, daß bei 1'45 "the
saxophone starts too early" (es ist eines der beiden
Tenorsaxophone). Es geschieht an der Stelle, als nach zweimal
24 Takten der dritte Abschnitt beginnt, und die Trompeten auf
der "falschen" Zählzeit (auf der Drei) mit ihrem Riff einsetzen.
Von dieser effektvoll arrangierten Verwirrstelle läßt sich
der Saxophonist irritieren. Im Übrigen: Das ganze Arrangement
lebt von Takttäuschungen.
Meine derzeitige Meinung ist, daß das Arrangement eine Spät-
version ist, enstanden in den Jahren 1943 oder 1944, in der
Zeit also, als Miller die Army Air Force Band leitete.
Man achte auf einige überraschende Musikdetails. Es ist auch
deutlich ein Bariton-Sax zu hören. Dies spricht eher für eine
spätere Aufnahme, eine Aufnahme der Nachfolgezeit.
Die Aufnahme ist ein Mitschnitt, offenbar aufgezeichnet
während einer Tanzveranstaltung. Es sind Stimmen zu hören.
********************************************************************
Achtung:
www.yandex.ru bietet die weiter oben genannte Aufnahme des
gelöschten Hopper-Videos an - die ja auch den Videos "Tuxedo
Junction I" und "Tuxedo Junction II" zugrunde liegt -, allerdings
hat die "Yandex-Version" den mutmaßlichen Cutter-Fehler in der
Drums-Piano-Überleitung NICHT! Das ist eine Überraschung: Drei
völlig verschiedene Videos, darunter dasjenige einer repräsen-
tativen US-amerikanischen Swing-Homepage, haben den Fehler in der
Aufnahme, aber aus Rußland kommt eine intakte Version! Was liegt
hier vor?? Es muß UNTERSCHIEDLICHE Überlieferungsstränge geben.
Tuxedo Junction III
("Yandex Version") (Gelöscht!)
Original-Version von 1940 (die in dieser YouTube-Wiedergabe aber
reichlich dumpf klingt):
1940 (in Deutschland gesperrt)
Zwei weitere YouTube-Videos:
1940 (moderne Überspielung)
1940 (78er RCA Victor, Wiederveröffentlichung)
14.10.2010, 24.4.2013, 18.3.2015
********************************************************************
Wie man sieht, die Beschäftigung mit der Geschichte und sozialen
Funktion des Kofferplattenspielers fördert allerlei Gedanken zu Tage,
wobei nun auch noch in der Zwischennote {*2} weiter oben sein krasser
Gegenpart, der "Musikschrank", zur Sprache kam, dies allerdings leider
im Zusammenhang mit einer Gangster-Bande. Demgegenüber weisen die Seiten
104, 109 und 112 der "Telefunken-Fibel" erheblich gefälliger auf die
"elektrische Welt" hin. Doch deutlich ist schon, was da gesagt und
gezeigt wird: Die akustische Abspieltechnik ist passé, angesprochen
wird, und das Streben nach Niveau ist nicht zu übersehen, eine ganz
andere Wohnungs- und Verbraucherstufe. Hier geht es vornehm und vor-
nehmlich um (raum-)akustische, archivarische Belange, aber auch um
schöngeistige Themen wie die "Einladung zum kleinen Hauskonzert". Der
Schallplatte, der elektrischen versteht sich, sei, wie es dem Kultur-
träger Buch gegenüber selbstverständlich ist, Respekt zu erweisen. Und
so sind denn auch die dafür nötigen Plattenspieler-Typen zu sehen, die
Telefunken Ende 1939 für solche gehobenen Ansprüche anbot: Musikus 40,
Bayreuth 40 und Concertino 40 (ein Jahr zuvor hieß es übrigens "39"
statt "40"). Unbeachtet sollte es nicht bleiben: Schon die Bezeichnungen
machen den Unterschied zum Musikkoffer unmißverständlich klar, und
dementsprechend sehen auch die gut situierten Fotosujets dazu aus.
Was sieht man noch auf Frieses Zeichnung? Die beiden Platten sind
augenscheinlich 25-cm-Platten (zur Bedeutung der Größe siehe weiter
oben). Als Abtastteil hat Friese eine mechanische Schalldose gezeichnet.
An der Wand hängt als zauberkräftiger, glückbringender Talisman der
Laute spielende "Telefunken-Engel" (zu dessen Kriegsfassung siehe den
Scan weiter oben). Auf den Regalen stehen Bücher, so der erste Eindruck,
es sollen aber wohl Plattenalben sein, schließlich haben wir es hier mit
einem Plattenkatalog zu tun.
Einem Irrtum sollte vorgebeugt werden, denn ihm könnte man nach
meinen obigen Ausführungen leicht erliegen: Was hinten am Koffer zu
sehen ist, sind keine herauslugenden Kabel. Es ist die hintere Hälfte
des Riemens, mit dem per Schnalle der Deckel zugehalten wird.
Bei Gelegenheit mehr zu den Telefunken-Katalogen, zur "Fibel", die im
Dezember 1939, also nach Kriegsbeginn, erschien, und auch zu den beiden
Herausgebern, der eine davon ist Dr. Walter Facius, zu ihm siehe weiter
oben unter Telefunken eine Randbemerkung. (Quelle zu Viktor Friese und
seinen Pin-ups: Kost the Ost / WER DOCH GELACHT / Verein zur Dokumen-
tation der DDR-Alltagskultur e.V.)
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Und außerdem Seite E?
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Telefunkenplatte, Die Schallplatten-Fibel, 1939
Einband: Keinerlei Nazi-Anzeichen
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Und außerdem Seite E?
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Anmalen international, Campus USA ("gefährliche" Einflüsse):
Victor, Album P-66 (27425/27428), vier 25-cm-Platten, 1941
Dazu aus der amerikanischen Trödelszene die Ansicht (2008):
"A fantastic musical memory of Campus life in the
last year of peace!"
(7. Dezember 1941: Pearl Harbour, japanischer Überfall auf die US-
Flotte, 11. Dezember 1941: deutsche Kriegserklärung an die USA)
DP, 14.10.2007 (Datierung der Erstfassung dieses Teils)
Zeitgenössische Berichte (in Vorbereitung)
Dokument 1: Genf, Februar 1945
Dokument 2: Berlin/Frankfurt, Juni/Juli 1946
Dokument 3: Berlin, August 1946
Dokument 4: Frankfurt, August/September (?) 1946
Literaturliste (in Vorbereitung)
[aussdm09]
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