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Beachte:
Gesamter Beitrag (Teile 1 bis 9) in Überarbeitung
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Moskauer Fotos, Einschätzung, diskographische Arbeit (4)
Foto 4 (am 24.9.2007 gelöscht)
Ersatz: 1. Spiegel-Artikel, S. 113 (siehe zu Beginn dieser Arbeit
den Link zur PDF-Datei)
2. Berichte einiger russischsprachiger Web-Dienste (siehe
weiter oben in der Link-Liste "Der Spiegel-Artikel im
Welt-Link-Spiegel" die Wiedergaben in: naviny.by,
www.newsru.com, www.factnews.ru, www.zabolel.ru; sämt-
lich nur Ausschnitte aus dem Foto, beachte auch die
jeweiligen Anmerkungen zu den Beiträgen und auch einen
das Foto betreffenden Kommentar im Huberman-Kapitel)
Das ist das im "Spiegel" veröffentlichte "Dachboden-Foto" (siehe
weiter oben die Beschreibung des ersten Eindrucks, den Kommentar zum
Spiegel-Artikel bzw. zum Brahms-Album). Grundlegend neue Anhaltspunkte
ergeben sich aus dieser "Moskauer" Präsentation des Fotos nicht. Mittels
eines guten Bildbetrachters wie IrfanView und einer übertriebenen Auf-
hellungseinstellung läßt sich allerdings gegenüber der Druckfassung des
Fotos manches präzisieren. Links das Gestapelte sind gleich zwei Stapel,
Schallplattenalben sind das aber sicherlich nicht. Somit bleiben fünf
Alben übrig. Davon haben drei einen roten Einband: Eines ist aufgeschla-
gen, Electrola-Etikette sind zu erkennen, also möglicherweise ein Elec-
trola-Album. Leider ist die Zahl auf dem "Führer- / hauptquartier"-
Aufkleber, den die rechte Platte trägt, trotz Aufhellung auch hier nicht
zu erkennen. Über das unter diesem aufgeschlagenen Album liegende rote
Album läßt sich nichts Greifbares sagen. Electrola? Eher Telefunken. Das
dritte rote Album liegt im Hintergrund auf einem Behälter, den Schrift-
zug "Telefunken" kann man deutlich lesen, ein Sammelalbum; es ist das
Album mit dem vermutlichen Wasserschaden, das auch auf Foto 3 zu sehen
ist. Rechts davon ein blaß-grün-blaues (?) Album, NICHT Columbia (wie
zunächst vermutet), sondern unzweifelhaft Victor! Das ist offenbar das
oben beschriebene Lotte Lehmann-Album, auf jeden Fall gleiches Design
und Größe (25-cm-Platten). Es scheint einen Rückenaufkleber zu haben,
wie er in Bibliotheken üblich ist.
[Ergänzung 24. Juli 2008, eine Aufkleber-Story: Inzwischen tauchte
ein Buchdokument auf, das mit drei verschiedenen Bibliotheksstempeln
eine etwas ungewöhnliche Archivgeschichte erzählt. Titel des Buches:
Wilhelm Altmann, Orchester-Literatur-Katalog, Band II, 1926-1935,
Leipzig 1936, Verlag F. E. C. Leuckart.
Zunächst: Der Katalog stammt auf jeden Fall aus dem Archiv des Ber-
liner Rundfunks, des Senders also, der am 4. Mai 1945 im intakt geblie-
benen Haus des Rundfunks als sowjetisch kontrollierte und gesteuerte
Anstalt seine Arbeit begann. Diese ging in der Ruinen- und Hungerzeit
verhältnismäßig leicht voran, da man auf das damals mit weitem Abstand
umfangreichste und fortschrittlichste Rundfunk- (sprich: Noten- und
Tonträger-)Archiv Deutschlands zurückgreifen konnte. Angesichts der
Staats- und Kulturkrise für Berlin eine nicht zu unterschätzende
Lebenshilfe.
Genau in diesem Archiv nun stand auch Altmanns Katalog, wie der zwei-
zeilige Stempel (schwarz) auf der Titelseite verrät: REICHS-RUNDFUNK
GMBH / Zentral-Notenarchiv.// Der Stempel wurde entwertet, quer durch-
gestrichen. Der Grund? Wird nachfolgend deutlich.
Das Buch hat außer diesem Stempel auf dem Rücken unten und auf dem
Deckel links unten auch Signaturaufkleber, die zusammen mit einem weite-
ren Stempel den Schluß zulassen, daß wohl schon bald nach der Übernahme
des Hauses eine Bestandsaufnahme begonnen wurde (wie im Tonträgerbereich
offenbar auch), und daß hierbei verwendete Aufkleber möglicherweise aus
vorgefundenen Beständen stammten. Ob diese alle gleich aussahen, ist die
Frage. Die beiden Exemplare auf dem Altmann-Band jedoch sind gleich. Sie
sind auch gut genug erhalten und sehen wie folgt aus: In einem schwarzen
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rechteckigen Rahmen steht dreizeilig: 1945 A 154/2c[.] "19" und "A" sind
vorgedruckt (schwarz), der Rest ist eine Aufschrift per Hand, ausgeführt
in größerer Schrift mit schwarzer Tusche (oder Tinte). Man beachte die
Jahreszahl "1945", denn die Rückseite der Titelseite (Impressumseite)
hat einen zweizeiligen violetten Stempel in lateinisch-nüchternen
Antiqua-Lettern "Berliner Rundfunk / Bibliothek", und darunter steht
handschriftlich die obige Signatur noch einmal (allerdings entstand sie
erst durch eine seltsame, nicht identifizierbare Berichtigung). Wie zu
sehen, liegt also nahe, anzunehmen, die Schildchen seien zur Zeit des
Berliner Rundfunks und zwar schon 1945 auf den Katalogeinband geklebt
worden. (Merkwürdig ist, jedesfalls scheint es Anzeichen zu geben, daß
die drei Aufschriften auf Rücken, Deckel und Impressumseite vielleicht
nicht von derselben Hand stammen.)
Über dem Spempel "Berliner Rundfunk / Bilbiothek" samt Signatur
stand, mit Bleistift geschrieben, eine weitere Signatur, der obigen in
der Form frappiernd ähnlich; sie wurde ausradiert: 1933 A 851/1[.] "A"
in der sogenannten "deutschen Schrift" ("Sütterlin-Schrift"); für "1933"
gibt es derzeit keine auch nur halbwegs vernünftige Erklärung. Diese
ausradierte Signatur gehört zu einem über ihr stehenden dritten Stempel.
Er ist offensichtlich der älteste, hat einen ovalen Rahmen, ist eben-
falls violett, sein Inhalt (vierzeilig in Fraktur) lautet - er wurde
übrigens wie sein Nachfolger (siehe oben) durchgestrichen: Reichs- /
Rundfunk / G.m.b.H. / Bücherei[.] Wenn nicht alles täuscht, vom Stil und
der Formulierung "Bücherei" her geurteilt, scheint dieser Stempel (als
Gegenstand) ein Relikt aus der Weimarer Republik zu sein.
Es ist also zu Beginn dieser Beschreibung nicht zuviel gesagt worden:
Die Stempel in Altmanns Katalog aus dem Jahr 1936 erinnern an drei Epo-
chen. Und demnächst kommt noch ein vierter Stempel hinzu: Deutsches
Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main. Wie kam der Band hierher? Der im
britischen Sektor gelegene "sowjetische" Berliner Rundfunk funktionierte
nicht so richtig, so daß die Sowjets Anfang 1950 damit begannen das Haus
des Rundfunks zu räumen ("Demontage"). Das Archiv (bzw. das, was noch da
war) wanderte zum wohl allergrößten Teil nach Ostberlin ins Archiv des
Rundfunks der DDR, so auch Altmanns Katalog von 1936. Das war jedoch
noch nicht die Endstation, denn als die staatliche "Wende" kam (1989/
1990) und das DDR-Archiv dem Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) zugesprochen
wurde, ging der Altmann-Band wieder auf die Reise, zunächst zurück
Richtung Westen, nach Potsdam-Babelsberg (ein Standort des DRA), um
schließlich 2008 in Hessen, in Frankfurt am Main, zu landen (nicht ohne
noch einen Abstecher über Wiesbaden zu machen: vorübergehender Ausweich-
standort des Frankfurter Teils des DRA).
Fazit: Sollte der vermutliche Aufkleber auf dem Victor-Album der
hier geschilderten Art sein, ergäben sich mit Sicherheit einige Fragen,
deren Beantwortungen womöglich kniffelige Unterfangen werden dürften,
die ersten wären derart: Wie kommt das Album ins Haus des Rundfunks, und
wann könnte das gewesen sein? (Zum Haus des Rundfunks, Berliner Rund-
funk, zur sowjetischen Demontage siehe die Darlegungen zu Beginn dieser
Arbeit und vor allem im Strawinsky-Verzeichnis unter SFB.)]
Zum Brahms-Album noch eine Randbemerkung: Die Druckfassung des Fotos
ist klarer, deutlicher, brillanter, dies bekommt dem offenbar etwas
verblaßten Albumdeckel sehr gut, der Druck verleiht ihm etwas Farbe,
Frische.
Foto 5 (am 24.9.2007 gelöscht, November/Dezember 2008 kurzzeitig online)
11 oder 12 Alben, "Fächerfoto"
Das Foto zeigt 11 oder 12 Alben, fächerartig aufgereiht. Zu oberst
das blaue "Huberman-Album" (Parlophon, siehe oben); danach kommt ein
ziemlich ramponiertes Album in Purpur, ob davon die Vorder- oder Rück-
seite zu sehen ist, ist nicht zu entscheiden, die sichtbare Fläche (fast
der ganze Deckel) trägt keine Beschriftung, Identifikation nicht möglich
(von der Machart her sicherlich nicht Electrola, auch nicht Telefunken);
desweiteren sieht man vier Electrola-Alben, mindestens drei, vom vermut-
lich vierten ist nur die Spur einer Ecke zu sehen - und es scheint
vielleicht noch ein fünftes zu geben, da offenbar links hinter dem Tele-
funken-Album irgendetwas kaum Sichtbares hervorlugt. Unter den sicheren
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drei ist offensichtlich das "Schnabel-Album": "BEETHO[VEN] / [KL]AVIER-
SONAT[EN]" ist zu sehen oder halb zu sehen und in zwei weiteren Fällen
ELECTR]OLA bzw. [EL]ECTROLA (diese beiden sind wohl keine Sammelalben,
eher Spezialalben); die Aufreihung enthält weiterhin drei Telefunken-Al-
ben (auf zweien steht "TELEFUNKEN", und bei einem, das offenbar auf dem
Frontdeckel liegt, lugt von der vermeintlichen Rückenaufschrift vage der
obere Teil des "T" hervor), der Deckel des ganz rechts liegenden Albums
weist erhebliche Schäden auf, alle drei dürften typische Sammelalben
sein (weitere Informationen sind nicht zu sehen, tragen Telefunken-Alben
auch nicht, wenn es welche von der "Stange" sind, und dieser Art gehören
die hier vorliegenden wohl an); ganz im Hintergrund liegt ein (deut-
sches) Album, kräftiges Blau, die Machart ähnelt der des "Huberman-
Albums", Titel: "SYMPHONIE Nr.3 op.55 'Eroica' Es[-Dur] / Ludwig van
Beethoven" ("Eroica" in doppelten Anführungstrichen), irgendwelche
weiteren Aufschriften sind entweder nicht da oder verdeckt, jedenfalls
sieht man von dem Frontdeckel nur den oberen Teil mit der Titelauf-
schrift. Ich entdeckte übrigens dieses Album erst, als ich das Bildbear-
beitungsprogramm IrfanView einsetzte, nur auf solch eine Weise ist das
Album überhaupt wahrnehmbar und die Aufschrift lesbar (Weiteres siehe
unten).
Und dann, im "Fächer" kaum sichtbar, ist da noch ein schwarzblaues
Album, ziemlich verblaßt, von der Aufschrift ist zu erkennen: "GRIEG /
PIANO CON[C]ERT[O] [nicht zu sehen, höchstwahrscheinlich: IN A-MINOR,
OP. 16] / IGN[AZ FRIEDMAN]". Es handelt sich hierbei offenbar um die
Ende 1927 (vielleicht aber auch Anfang 1928) in Paris für die Columbia
Graphophone Company eingespielte Aufnahme, mit einem nicht näher benann-
ten Sinfonieorchester: Orchestre Symphonique, das aber nach Lage der
Dinge nur das Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire oder
eine Zusammensetzung daraus sein kann, Dirigent: Philippe Gaubert; wie-
derveröffentlicht auf CD: Naxos (Stand: Januar 2010). Von Friedman ist
keine weitere Aufnahme eines Konzerts überliefert.
Von der französischen Columbia bestand über das englische Mutterhaus
zu Lindström eine enge Verbindung (seit spätestens 1926 hatte die Colum-
bia-Gesellschaft bei Lindström das Sagen, Aktienmehrheit, siehe auch
oben). Die Plattenmarke (Pressung, Serienangabe?), links über der ein-
gerahmten Titelgebung auzumachen, kann ich auch mit Lupe nicht mal er-
ahnen, es ist eine längere Bezeichnung, nahe liegt: Columbia
Damit wären wir wohl bei der Ausgabe angelangt, die in "DIE MUSIK",
November 1928 (XXI. Jahrgang, Heft 2, S. 125), unter "Neue Schall-
platten", "Lindström A.-G." und "Columbia" ohne Präfix erwähnt wird:
"9446-49" (Friedman als "Friedmann" geschrieben). Da "Piano Concerto"
aber auf eine englische Titelgebung hindeutet, dürfte es sich wohl eher
um eine englische Pressung handeln. Zumal unter "PIANO" so etwas wie
"EIGHT PARTS" zu entziffern ist, dies dürfte der Teil eines Hinweises
sein, der sich wohl irgendwie auf die vier Platten umfassende Ausgabe
bezieht. Ein Import im strengen Sinn des Wortes muß das Album aber
nicht unbedingt sein. Columbia war nämlich in (West-)Europa eine inter-
national agierende Gesellschaft, man muß ergänzen: mit etwas Chaos,
d.h., es gab unter Umständen in verschiedenen Ländern nicht nur gleiche
Numerierungen, es tauchten auch länderspezifische im "falschen" Land
auf. Locker ging es gelegentlich auch bei Alben und Etiketten zu. Auf
ein Set mit französischen, englischen und deutschen Etiketten zu tref-
fen, sollte niemand überraschen. Und überklebte Etikette gibt es auch!
Selbst in Katalogen (zumindest in deutschen) geht es ab und an bunt zu,
d.h., es gibt Fälle, bei denen statt der deutschen Bestellnummer (mit
Präfix LWX) beispielsweise die französische angegeben ist (mit Präfix
LFX). Klar: Da stellen sich Fragen ein. Was wurde wo gepreßt? Ein
Import? Was wurde ausgeliefert?
[Einschub 1. Oktober 2007: Die von mir bislang nicht entzifferbare
Firmen- oder Serienbezeichnung auf dem vermeintlichen Columbia-Album,
heißt "Masterworks". Das ist eine Columbia-Serienbezeichnung, in England
wie in den USA üblich, wobei das Design des Albums, soweit sichtbar,
ingesamt eher nach England weist. Gleichwie, mit dieser "Masterworks"-
Interpretation verstärkt sich die Unsicherheit bei der Beurteilung der
Lage rund um die Herkunftsfrage "aus dem Führerhauptquartier oder
nicht". Nun greifen auch kaum noch die genannten möglichen Einschrän-
kungen bezüglich des bei der deutschen Columbia anzutreffenden Preß- und
Präsentations-Chaos. Dennoch: Die unten stehende Einschätzung soll
VORLÄUFIG unangetastet bleiben, aber sie wackelt gehörig.]
[Ergänzung 13. Januar 2009: Und zwar SEHR gehörig. Denn Ignaz Fried-
man war jüdischer Herkunft. Das hatte ich übersehen. Erst als ich das
nachfolgend angeführte kleine Verzeichnis in den Händen hatte, stieß ich
auf diese Tatsache, wobei mir damit auch einiges von der Tragweite des
Themas hier bewußt wurde. Ein sehr seltenes Büchlein. Das eingesehene
Exemplar stammt aus dem Besitz eines Reichssenders (in dessen Bibliothek
offenkundig noch ein Hausstempel aus der Weimarer Republik benutzt
wurde!), es trägt in Bleistift auf dem Deckel einen Namen ("Reisch",
jüdische Herkunft?) und die Jahreszahl 1938 ("Besitzänderung" durch die
Novemberprogrome 1938?). Daß sich dieser 1936 erschienene Katalog tapfer
als ein kleines Instrument gegen die allgemeine Diskriminierung der
Juden verstand, ist offensichtlich. Das zeigt auch das Vorwort, vor
allem zwischen den Zeilen.
Julius Sachs (Zusammenstellung)
Der Jüdische Musikalien-Katalog / Die wichtigsten Werke jüdischer
Komponisten
Breslau 1936 (Brandeis), 96 S.]
[Einschub 24. Januar 2010: Meine Ausführungen oben über den Herstel-
lungs- und Vertriebsprozess der Columbia scheint in etwa auch im Fall
des Friedman-Albums zuzutreffen. Eine deutsche Pressung scheint es
nicht gegeben zu haben, vielmehr wurde in Deutschland die englische
Ausgabe vertrieben, das jedenfalls läßt sich so dem deutschen Electro-
la-Columbia Hauptkatalog 1937/1938 (Stand: 30. September 1937) entneh-
men, angegeben ist dort die englische Bestellnummer CX 9446/49 {*1}.
Anmerkung: Im nächsten Hauptkatalog, das ist der von 1938 (Stand: 30.
September 1938), der eigentlich mit 1938/1939 gekennzeichnet sein müßte,
ist Friedman nicht mehr genannt. Die Nazi-Rassendoktrin begann nun auch
in der Schallplattenindustrie ihre Knebel einzusetzen (zur Abbildung
des Frontdeckels des 1938er Katalogs siehe weiter unten).
{*1} In Clough und Cuming, WERM I, ist unter "Columbia" bei der Er-
klärung der Nummernfamilien dem 9000er Nummernkreis kein Präfix zu-
geordnet, also auch kein "CX". Doch die deutschen Kataloge führen
es, und zwar offenbar vornehmlich vor der 9000er Nummernserie, die
im allgemeinen englische Veröffentlichungen kennzeichnet. Das ist
eine Numerierung, die in der WERM in die Rubrik "Old series, without,
or with general prefix" eingeordnet ist. Ein "general prefix" ist
z.B. "D". Es wurde zum Teil länderübergreifend genutzt. Für die
sogenannte neuere Numerierung, Länder mit spezifischen Präfixen zu
kennzeichnen, gibt es in der WERM I eine eigene Rubrik: "New series,
National letter prefixes". Bekannte Präfixe der neueren Numerierung
sind z.B. England: DX, LX; Deutschland: DWX, LWX; Frankreich: DFX,
LFX. "CX" kommt in der WERM nur vor in der Verbindung DCX und LCX,
wobei beide Präfixe als "BRITISH MADE EXPORT & INTERNATIONAL" aus-
gewiesen sind. Soweit eine kurze Einführung. Sie genügt aber wohl
schon, um zu zeigen, daß die oben erwähnte Bestellnummer "9446-49",
die 1928 in der "DIE MUSIK" ohne Präfix angegeben ist, nicht unbe-
dingt eine Nachlässigkeit sein muß. Und auch, daß nur im Einzelfall
entschieden werden kann, welches in Deutschland verkaufte Produkt
eigentlich vorliegt, z.B. ob eine deutsche oder eine ausländische
Pressung. In diesem Sinn bitte ich den obigen Hinweis auf meine
Erfahrungen mit dem - vor allem deutschen - "Columbia-Chaos" nicht
zu übersehen.
Beachte: Allen zwischenzeitlichen Vorsichtsbekundungen zum Trotz
scheint nun doch die nachfolgende - schon zu Beginn der Nachforschungen
aufgestellte - Einschätzung Bestand zu haben:]
Gegen eine mögliche Herkunft des Friedman-Albums aus dem "Führer-
bunker" spricht rein diskographisch nichts vollkommen Ausschließendes,
vorausgesetzt natürlich, es trifft die Identifikation überhaupt zu, die
hier "blind" erschlossen wurde.
Alle anderen Alben dieses Fotos können, wie teilweise schon ausge-
führt, ebenfalls aus dem "Bunker" stammen. Und hierzu zählt sicherlich
auch das Eroica-Album, für dessen eingrenzende Bestimmung, die eigent-
lich einer Identifizierung gleichkommt, einige Wochen intensiver
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Recherche ins Land gingen. Es gab nämlich im "Dritten Reich", wie man
sich denken kann, eine ganze Reihe Eroica-Aufnahmen, aber aufgrund der
Machart des Albumfrontdeckels und der zur Verfügung stehenden diskogra-
phischen Informationen zu den in Frage kommenden Veröffentlichungen
komme ich zu der Auffassung, es kann eigentlich nur das Odeon-Album
O-6901/6906 sein (sechs 30-cm-Platten, 12 Seiten) - allerdings höchst-
wahrscheinlich in Form der unten diskutierten Parlophone-Erstausgabe -,
eine Einspielung, wie es nach Bibliotheksangaben auf den Etiketten
heißt, "mit großem Symphonie-Orchester (Mitglieder der Staatskapelle,
Berlin)" {*1}. Dirigent ist der 1932 mit dem Beethoven-Preis der
Preußischen Akademie der Künste ausgezeichnete und 1933 verstorbene
Komponist und Generalmusikdirektor Max von Schillings, auf vielen Plat-
ten steht "Professor Max von Schillings".
{*1} Zur von der Staatsoper ausbedungenen Verwendung der Formel
"Mitglieder der Staatskapelle, Berlin" siehe Sieben/Wahl Odeon 1988,
S. 22. Zusammenfassung: Wenn bei Aufnahmen nur eine Auswahl an Musi-
kern der Staatskapelle teilnahm, diese also sozusagen nur den Orche-
sterrahmen bildete, der aufzufüllen war, dann sollte auf den Eti-
ketten als Orchesterbezeichnung nicht nur "Staatskapelle, Berlin"
stehen.
Aufgenommen wurde die Eroica-Produktion 1929 in Berlin (zur Datie-
rung siehe unten die Tabelle), veröffentlicht Ende 1929 oder Anfang
1930. Eine frühe Erwähnung einer Columbia-Ausgabe - offenbar einer
amerikanischen Pressung (in Clough/Cuming, WERM, ist nur die englische
Parlophone-Pressung E 10965/10970 vermerkt) - findet man in der TIME
vom 7. Juli 1930 (Abteilung: "Music: July Records", kostenfrei im
Internet einzusehen). Diese Erwähnung ist eine Art Kurzrezension, sie
besteht im Grund nur aus einem einzigen Satz. Leider ist die Bestell-
nummer des Sets nicht angegeben (Google-Suche: Time 1930 "Music: July
Records" Schillings):
Berlin's big man gives a dramatic reading of the
monumental Eroica which Beethoven intended, until
his hero took the crown of Emperor, to dedicate to
Napoleon.
Dafür meldeten dann der "Führer" und seinesgleichen dem Werk gegen-
über ihre Ansprüche an: Eroica et BOMBastica. Aber die leisen, traurigen
Stellen und vor allem die Abgründe und Abstürze sind doch wirklich nicht
zu überhören; man hörte lieber so (nach Wilhelm von Lenz, dem Kaiser-
reich verpflichtet): Leben und Tod eines Helden, Leichenbegängnis, Waf-
fenspiele am Grabe, Leichenmahl und Heldenballade.
Der oben erwähnte Plattensatz O-6901/6906 ist im Odeon/Gloria-Haupt-
verzeichnis 1936/1937 gelistet ("Musik aus aller Welt auf Odeon und
Gloria Musikplatten", "... enthält eine Zusammenstellung aller erschie-
nenen Odeon-Musikplatten bis einschließlich des Juli-August-Nachtrages
1936"). Blaue Etikette (zumindest z.Zt. dieses Katalogs), das ist die
zweithöchste Preisstufe: 4.00 RM pro Platte. Zwei Jahre später wird das
Album immer noch angeboten, wie das Hauptverzeichnis 1938/1939 (31.
Auflage) beweist. Nun sind 4.00 RM (= blaues Etikett) aber nur noch die
dritthöchste Preisklasse (zu Odeon-Katalogen siehe die Ausführungen im
Huberman-Kapitel).
Auf Seite 8 des letztgenannten Verzeichnisses ist im Rahmen einer
Abhandlung über die Carl Lindström A.-G., "Das Werk", "Die Schallplatte"
und "Die Aufnahme", u.a. ein von Schillings-Porträt wiedergegeben, ihn
begleitet die folgende kurze Lobeshymne (etwas weihevoll, geschwollen,
unüberhörbar kaiserliches "Alt-Deutsch"):
MAX v. SCHILLINGS †
schrieb 1929 über die Schallplatte:
"Das Schallplattenwunder hat der Kultur einen Dienst von
kaum zu überschätzender Bedeutung geleistet. Die Werke
der bildenden Künste konnten in Nachbildungen Eigentum
der ganzen kukturbedürftigen Welt werden; ein dauerndes
Leben und allgemeine Verbreitung war ihnen gesichert.
Von der Handzeichnung und Kopie bis zur Photographie
reichten die Möglichkeiten. Die Kunstwerke der Sprache
und der Töne waren noch vor 2 1/2 {*1} Dezennien an den
Augenblick ihrer Nachschöpfung durch Menschenkräfte
gebunden. Die Schallplatte hat dem klingenden Kunstwerk
und seiner individuellen Gestaltung durch den nachschaf-
fenden Künstler endlich Dauer verliehen."
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{*1} Über den Zeitpunkt 1904 kann man sich durchaus wundern. Er hängt
vielleicht mit der Gründung der Carl Lindström G.m.b.H. und der Ein-
führung der Marke Parlophon zusammen. 1904 wurde Lindströms Mechani-
ker-Firma in eine G.m.b.H. umgewandelt, und lange Zeit versah man
auch das Geburtsjahr der Parlophon-Bezeichnung mit dieser Jahresan-
gabe (Weiteres siehe im Huberman-Kapitel).
Eigenartigerweise ist die Odeon-Ausgabe in Clough/Cuming (WERM) nicht
verzeichnet, das erstaunt aber nicht so sehr, wohl aber, daß die Auf-
nahme in der Odeon-Diskographie von Sieben/Wahl 1988 fehlt, und daß auch
noch zu allem Überfluß die darin angeführte Matrizenauflistung, begin-
nend mit 1923, von mir geprüft bis etwa 1937 (Erinnerung: von Schillings
starb 1933), keine Lücken aufweist! Mehr noch: Es fehlen in der Tat fast
alle Aufnahmen von von Schillings, die im Odeon-Hauptverzeichnis 1936/
1937 (und ebenso im Hauptverzeichnis 1938/1939) angeboten werden, z.B.
von Beethoven die Sinfonie Nr. 6 in F-dur, op. 68 (Pastorale), O-6907/
6912 (12 Seiten), von Schubert die unvollendete Sinfonie Nr. 8 in h-
moll, O-6996/6998 (6 Seiten), Orchester beide Male: Mitglieder der
Staatskapelle, Berlin. Außerdem fehlen auch Schumann-, Wagner-, und
Weber-Einspielungen, an Bestellnummern sind das u.a. O-6913 bis O-6922
(also die fortlaufenden Nummern nach den beiden Beethoven-Sinfonien).
Was mag hier vorliegen? Denkbar ist zunächst, daß alle diese Aufnahmen
fürs Auslandsgeschäft bestimmte Produktionen waren, und zwar Produkti-
onen der Lindström-Schwesterfirma Parlophon. So erschien ja auch, wie
oben schon gesagt, die Eroica-Einspielung zumindest schon mal in Eng-
land auf Parlophone (E 10965/10970), und auf dieser Spur sollte man
bleiben, auch wenn Clough/Cuming von der Eroica von Schillings' nur
die eine Ausgabe angeben. Es gab nämlich mindestens noch zwei weitere
Parlophon-Pressungen, eine davon taucht 1931 im Heft Nr. 4 der Dansk
Musik Tidsskrift auf: Parlophon 9434/9439 (Weiteres dazu siehe unten).
Und Parlophon bzw. Parlophone stellt sich auch im Zusammenhang mit
Schuberts "Unvollendeter" ein, so wird Juli 1928 in der englischen
Zeitschrift Music & Letters eine solche Ausgabe ohne Nummernangabe
besprochen {*1}; das dürfte jedoch die Ausgabe sein, die in Clough/
Cuming verzeichnet ist, die englische Parlophone E 10672/10674 (wobei
in Clough/Cuming wiederum die in der Dansk Musik Tidsskrift, gleiches
Heft wie oben, vermerkte Pressung Parlophon 9800/9802 fehlt, diesmal
aber die deutsche Odeon-Pressung O-6996/6998 angegeben ist, zu dieser
siehe oben).
Wie man hier hervorschimmern sieht, gibt es einen Zusammenhang zwi-
schen Parlophone- und Odeon-Ausgaben, wobei die Parlophon-Pressungen
mit den Jahren 1928 bis 1931 verbunden sind, wie die Nennungen in den
Zeitschriften zeigen. Odeon-Ausgaben tauchen hierbei nicht auf. Ein
Zufall ist das nicht, wie wir gleich sehen werden.
{*1} Music & Letters, A Quarterly Publication, London, Juli 1928
(Vol. IX, No. 3, Abteilung: Gramophone Records), S. [295]. Die Stelle
lautet:
Parlophone / Schubert: Symphony in B minor (Max von
Schillings and the Berlin Opera House Orchestra). It
is not likely that a more movingly beautiful Schubert
interpretation will be offered during the centenary year
than this, or a recording that gives in its reproduction
more satisfaction to the sensitive listener. The conductor
leaves the composer entirely free to say what he wants to
say. [...]
S.G. [= Scott Goddard, ständiger Plattenrezensent]
Das Rätsel, daß man beispielsweise die Eroica-Einspielung von Schil-
lings' in den besagten Odeon-Katalogen 1936/1937 und 1938/1939 vorfin-
det, in der 1988er Odeon-Diskographie der Autoren Sieben und Wahl aber
nicht, ist schnell gelöst, wenn man die Parlophon-Fährte nicht verläßt.
Keine Hilfe ist hierbei allerdings die in der Odeon-Diskographie wieder-
gebene Auflistung "Die Übernahmen von Parlophon und Columbia mit deren
Original-Matrizen-Nummern und Aufnahme-Daten" (S. 104), hier fehlt die
Aufnahme ebenfalls. Die nötigen Informationen werden dann aber in der
von den gleichen Autoren verfaßten Parlophon-Diskographie II 1990 gebo-
ten. Und nach dieser Arbeit wurde die untenstehende Tabelle zusammen-
gestellt (P = Parlophon, 30 cm; I bzw. II = Seitenangabe; O = Odeon, 30
cm).
Kurze Erläuterung zu den Bestellnummern: Der Satz P. 9434/9439 war
eine Veröffentlichung für den deutschen Markt, er kam wohl noch 1929 in
den Handel. P. 8921/8926 dagegen war für Italien bestimmt. Die Ausgabe
O-6901/6906 verdeutlicht den Umstand, daß die Lindström A.-G. das Parlo-
phon-Etikett 1933 vom Markt nahm und etliche der alten Parlophon-Aufnah-
men auf Odeon erscheinen ließ. O-6901/6906 dürfte 1934 herausgekommen
sein (siehe hierzu weiter unten).
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Und außerdem Seite E?
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Matrize Aufnahme Inhalt Bestellnummer
21435 24.5.1929 1. Satz, 1. Teil P. 9434-I P. 8921-I O-6901
21436 2. Teil -II -II
21437 3. Teil P. 9435-I P. 8922-I O-6902
21438 4. Teil -II -II
21492 13.6.1929 2. Satz, 1. Teil P. 9436-I P. 8923-I O-6903
21493 2. Teil -II -II
21494 3. Teil P. 9437-I P. 8924-I O-6904
21495 4. Teil -II
21519 27.6.1929 3. Satz P. 9438-I P. 8925-I O-6905
21520 4. Satz, 1. Teil -II -II
21521 2. Teil P. 9439-I P. 8926-I O-6906
21522 3. Teil -II -II
Beachte: In der Parlophon-Diskographie von Sieben/Wahl (Parlophon-
Diskographie II 1990) sind die Blöcke 8921/8922 und 8923/8924 ver-
tauscht.
In der Preßpraxis wurde den Matrizennumnern der 30-cm-Parlophon-Aus-
gaben oft eine "2-" vorangestellt, diese "2-" haben auch alle Nummern
des im Deutschen Rundfunkarchiv befindlichen Satzes P. 9434/9439
(Datenbankinformation, Objekteinsicht bei Gelegenheit). "2-" bedeu-
tet 30-cm-Format.
In Deutschland erschienen offenbar alle die genannten "mysteriösen"
Odeon-Pressungen erst nach von Schillings' Tod, vermutlich als eine
Ehrerweisung, zumindest kann man das für die Faschismus-Seite als sicher
annehmen, denn von Schillings war für die Nazis eine große Hoffnung
gewesen. Und in der Tat hatte er auch an der Entwicklung der "Bewegung"
bzw. "Erhebung" kräftig mitgewirkt. Inwieweit er aber in allen Belangen
und Situationen ein Hitler-Anhänger war, das ist derzeit in der Diskus-
sion. Ich glaube aber, hier liegt ein Mißverständnis vor (vgl. zunächst
u.a. Joseph Wulf, Musik im Dritten Reich, Ein Dokumentation, Gütersloh
1963, rororo Taschenbuch 818-819-820, [Reinbek] 1966; Fred K. Prieberg,
Musik im NS-Staat, Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch 6901, 1982;
zur neueren Diskussion: Albrecht Dümling, Plädoyer für unerbittliche
Genauigkeit, Konsequenzen der Prieberg-Dokumentation für die Musikfor-
schung, in: neue musikzeitung, September 2005 (erreichbar über Google:
Dümling Schillings). Zu von Schillings siehe auch: Autor nicht genannt
(Dümling?), Ständische Interessenvertretung ohne Machtbefugnis, Propa-
gandaminister Joseph Goebbels und die Aufgaben der Reichskulturkammer
im Dritten Reich, in: neue musikzeitung, März 2007 (erreichbar über
Google: neue musikzeitung Interessenvertretung Machtbefugnis).
Ein diskographischer Hinweis noch zu den Odeon-Bestellnummern 1923
ff.: Während die Matrizennummernfolge (dargestellt in Sieben/Wahl Odeon
1988), wie gesagt, keine Lücken aufweist, ist das bei der Bestellnum-
mernfolge ganz anders. Hier ließ Odeon in der Regel viel Platz. Nach-
folgende (Wieder-)Veröffentlichungen konnten somit gut in die einzelnen
Nummern"kreise" eingebaut werden: O-6901/6906 (Eroica) und O-6907/6912
(Pastorale) passen gut in eine Lücke nach O-6900 (einer Aufnahme des
Jahres 1934) und O-6996/6998 (Schuberts "Unvollendete") paßt gut in eine
Lücke nach O-6990 (einer Aufnahme des Jahres 1936). Beachte: Bei Veröf-
fentlichungsdatierungen müssen die Nummern"kreise" als "Bedeutungsträ-
ger" berücksichtigt werden, man darf also z.B. nicht die 8000er Folge
mit der 6900er Folge vermengen und meinen, 6900 sei unbedingt vor 8000
einzureihen. Das läßt sich gut an der zur 8000er Reihe gehörenden deut-
schen Ausgabe der folgenden, 1928 in Paris eingespielten, Aufnahmen
verdeutlichen, Bestellnummer O-8728/8729: Gabriel Pierné, Orchestre de
l'Association Artistique des Concerts Colonne, Hector Berlioz, Le
Carnaval Romain, mit dem "Füllstück" auf Seite 4: Igor Strawinsky,
Berceuse aus L'Oiseau de Feu (Der Feuervogel). Der Satz O-8728/8729
existierte schon lange bevor die Odeon-Nachpressung O-6901/6906 der
Parlophone-Eroica unter von Schillings erschien, diese kam, wie oben
schon angedeutet, etwa um 1935 in den Handel, offenbar als eine unter
den vielen Einstimmungspublikationen zur vom NS-Staat als Monumental-
ereignis aufgezogenen Olympiade 1936 (zur Erinnerung: beide Spiele der
IV. Olympiade 1936 fanden in Deutschland statt, die Winterspiele in
Garmisch-Partenkirchen, die Sommerspiele monströs und wuchtig-pompös in
Berlin: Olympia unter dem heroischen Glorienschein des Hakenkreuzes).
Der Grund nun für das Fehlen der Aufnahmen in Sieben/Wahl Odeon 1988
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scheint der zu sein, daß bei der Übernahme der Parlophon-Matrizen die
Matrizennummern nicht ausgetauscht wurden. Dementsprechend müßte also
die Odeon-Ausgabe der Eroica Parlophon-Matrizenummern haben, und so ist
ja wohl auch die obige Liste zu verstehen. Da mir leider kein Standort
der Odeon-Pressung bekannt ist, kann dies derzeit nicht überprüft wer-
den (es ist aber diese Beibehaltung an sich eine bekannte Tatsache).
Parlophon P. 9456
Typische deutsche von Schillings-Parlophon-Pressung
Weimarer Republik, 1929 bis 1933 im Katalog,
im "Dritten Reich" auf Odeon
(Parlophon: Lindströms Paradeetikett,
Beschriftung goldfarben, besseres Foto geplant)
Der Generalmusikdirektor Professor Dr. h.c. Max von Schillings
begann seine Dirigentenlaufbahn 1892 in Bayreuth, und für den Rezen-
senten "S.G." (siehe oben Zwischennote {*1}) gilt er bezüglich Wagner,
wie er in seiner nachfolgenden Besprechung einer ebenfalls auf Parlo-
phone erschienenen Aufnahme mit Teilen aus Tristan sagt, als richtungs-
weisend, als maßgeblich: "His Wagner is therefore traditional."
Und was es noch für weitere Diskussions-Gesichtspunkte geben mag: Die
beiden oben wiedergegebenen kurzen Textstellen aus Rezensionen sind -
wenn auch "nur" aus dem anglo-amerikanische Raum - Beispiele für Vor-
stellungen aus den Jahren vor 1933. Unbelastete, vor der Katastrophe
sozusagen. Sehen wir uns einmal ein paar andere Dokumente an, aus der
Zeit, als sich in Deutschland die ruinöse Nazi-Entwicklung politisch
durchzusetzen begann.
In einer großen (betont kursiv gesetzten) Sonderannonce, abgedruckt
in der Deutschen Tonkünstler-Zeitung vom 5. April 1933 (31. Jahrgang,
Heft 4, Nr. 570, S. 49 = Eingangsseite des Heftes), preist der Reichs-
verband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer E.V. (1903 gegründet) die
"in Deutschland zum Durchbruch gekommene nationale Bewegung". Diese, so
heißt es weiter, "wird auch die Ziele des" R.D.T.M.
verwirklichen und die Führung des Verbandes wird ihre
ganzen Kräfte einsetzen, um an der Erstarkung des deut-
schen Geistes und an dem Emporblühen der deutschen Kunst
mitzuwirken.
Der Ehrenvorsitzende des R.D.T.M.:
Prof. Dr. Max v. Schillings
[Es folgen (die Personen sind jeweils namentlich ange-
führt):]
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Die Obmänner des Beirates: [...]
Der Hauptvorstand: [...]
(Notiz zur DTZ: Sie wurde vom R.D.T.M herausgegeben und erschien in
der Verlagsanstalt Deutscher Tonkünstler m.b.H., Adresse: Mainz, Weiher-
garten 5. Diese Adresse ist in der Musik wohlbekannt.)
Ein (vielleicht passiv genannter) Ehrenvorsitzender hat unter Umstän-
den nicht viel mit dem zu tun, worunter sein Name steht, könnte manch
einer, verständnisvoll aufgelegt, denken. Doch lesen wir, was von
Schillings in einem Huldigungsvortrag selbst von sich gibt, dieselbe
Quelle, Abteilung "DTZ-Berichte", "[Richard-]Wagner-Gedenkfeier in
Leipzig" anläßlich des 50. Todestags des Komponisten, "Gedächtnisrede
von Professor Dr. h.c. Max von Schillings", S. 51/52. In diesem nicht
gerade knappen Vortrag (abgefaßt in typisch ritualisierendem Kaiser-
Wilhelm-Schwulst-Deutsch) hymnisiert der Trauerredner am Schluß, das nun
darzubietende Vorspiel zu den Meistersingern möge "seine freudige Kraft
auf uns überströmen lassen und den Leipziger Meister im schönsten Glanze
seines Deutschtums uns zeigen, eines Deutschtums, wie es IN UNSEREN
TAGEN sich wieder auf sich selbst zu besinnen und sich SEINER KRAFT
bewußt zu werden trachtet [Hervorhebungen von mir]."
Im Juli 1933 stirbt von Schillings bei einer Operation, unter den
Händen des berühmten Chirurgen Ernst Ferdinand Sauerbruch (der, nebenbei
bemerkt, in der NS-Zeit sehr stark vom Nazi-Virus befallen war). Die DTZ
widmet Heft 8 (5. September 1933, Nr. 574) dem Verstorbenen, d.h. ab S.
122 sind Gedächtnisreden abgedruckt, gehalten anläßlich der Trauerfeier
der Preußischen Akademie der Künste. Nur die allererste davon, eine weit
ausholende Blase, soll uns interessieren, literarisch und äußerst bil-
dungsbewußt ausgeschmückt ist sie. Wen wundert's, sie stammt von einem
gewissen Dr. Gottfried Benn. Darin heißt es: "Da ich von den ordentli-
chen Mitgliedern der Preußischen Akademie derjenige bin, der [...] als
Letzter mit unserem verstorbenen Präsidenten zusammengewesen" ist,
"nämlich noch vor wenigen Tagen eine unvergeßlich lebendige Stunde lang
im Austausch von Hoffnungen und Gedanken, fühle ich eine innere Pflicht,
in dieser Trennungsstunde nicht zu schweigen. Am Tage vor seiner Opera-
tion hatte der Verstorbene die Güte, mich wissen zu lassen, daß er mich
noch einmal zu sehen wünsche [...] und ich erlebte wohl dieses Daseins
letzte schöpferische Stunde. Es waren keine privaten und persönlichen
Dinge, die zwischen uns zur Sprache kamen, sondern immer nur jene
geistigen und weltanschaulichen Fragen, die uns alle seit Beginn des
Jahres so tief durchwühlten und die es mit sich gebracht hatten, daß wir
gewisse Fragen der Akademie gemeinsam zu bearbeiten begonnen hatten.
[...] Wie wendete er sich ihrer Zunkunft zu! Was für eine grandiose,
was für eine rätselhafte deutsche Bewegung hatte sich hochgekämpft und
trug uns nun alle, eine politische Bewegung, aber eine, die von einem
neuen deutschen Menschen sprach, eine Bewegung, die nach Macht strebte,
aber um diese Macht zu innerer Züchtung und moralischer Restauration
anzusetzen, - nein, noch rätselhafter: eine Revolution..." Es zeigte
sich "diese wunderbare große Hieroglyphe [= Hakenkreuz; Hieroglyphe
wörtlich: heiliges (Schrift-)Zeichen, "Heilzeichen"], s i e erblickte
der Verstorbene und fühlte sie am deutschen Himmel angekündigt und
erklingen."
... am deutschen Himmel angekündigt...
Auf dem Weg zum Warschauer Ghetto
Gesamtkunstwerk - Größenwahn - Herrenrasse
Max von Schillings:
Juli/August 1928
im Ostseebad Zoppot (Sopot) bei Danzig (Gdańsk)
(Deckblatt des Programmhefts)
Wilhelm Kempff hat übrigens auch einen Nachruf auf von Schillings
veröffentlicht, der aber vergleichsweise harmlos ist. Auf den ersten
Blick jedenfalls, ein zweiter Blick zeigt dann aber, inbesondere wenn
man sich in die allgemeine Nazi-Schreibe in etwa eingelesen hat, aller-
hand "eindeutig Zweifelhaftes" (zu Kempff im "Dritten Reich" sind erste
Gedanken in Vorbereitung, zum Nachruf siehe dann dort).
Da wir gerade an der DTZ dran sind, noch ein paar Hinweise. Auf den
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Seiten 126 und 127 des genannten Heftes 8 ist in der Abteilung "DTZ-
Berichte" ein langer Auszug aus Hitlers "programmatischer Rede" abge-
druckt, die der Massenmagier auf dem Nürnberger Parteitag vom 1. Septem-
ber 1933 gehalten hat, Titel: Kunst und Rasse. Diesen Schmutz zu lesen,
sollte man sich nicht zwingen, aber eines sollte man wirklich kennen:
den Briefwechsel zwischen Wilhelm Furtwängler (47) und Goebbels (35),
damals u.a. abgedruckt in der DTZ vom 5. Mai 1933 (Nr. 571, S. 70),
unter der Titelgebung: Freiheit und Volksgebundenheit der Tonkunst /
Briefwechsel Furtwängler-Goebbels. Nicht daß es spannend wäre, was die
beiden Herren da faseln, es ist das, was der weltbekannte Furtwängler
sagt so unbegreiflich, so unglaublich. Sein Brief paßt in eine dreivier-
tel Spalte, die Antwort Goebbels ist etwa doppelt so lang. Erich Kästner
hat den Nagel auf den Kopf getroffen:
Was auch immer geschieht:
Nie dürft ihr so tief sinken,
von dem Kakao, durch den man euch zieht,
auch noch zu trinken!
(aus: Gesang zwischen den Stühlen, 1932)
Goebbels Antwort an Furtwängler ist mehr, sie ist eine furchtbare
Verhöhnung, furchtbar in einem wohl nicht beschreibbaren Sinn. Dies aber
war nur möglich, weil der Dirigent sich auf unterster, schmierigster
Stufe befindlich äußert. Er schreibt u.a.: "Darum ist die Frage der
Qualität für die Musik nicht nur eine ideale, sondern schlechthin eine
Lebensfrage. Wenn sich der Kampf gegen das Judentum in der Hauptsache
gegen jene Künstler richtet, die - selber wurzellos und destruktiv -
durch Kitsch, trockenes Virtuosentum und dergleichen zu wirken suchen,
so ist das nur in Ordnung. Der Kampf gegen sie und den sie verkörpernden
Geist, der übrigens auch germanische Vertreter besitzt [möglicherweise:
besetzt], kann nicht nachdrücklich und konsequent genug geführt werden.
Wenn dieser Kampf sich aber auch gegen wirkliche Künstler richtet, ist
das nicht im Interesse des Kulturlebens..." Je mehr man das liest, umso
betretener wird man, allein schon dieses "nicht im Interesse des Kultur-
lebens". Das zusammengefaßte Hohngelächter Goebbels darauf: Bravo,
bravissimo, Furtwängler. Sie sind, "sehr verehrter Herr Generalmusik-
direktor", doch intelligenter, als ich dachte. Heil Hitler! Und auf Ihr
"In vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener / Wilhelm Furtwängler." ver-
bleibt mir nur ein "In besonderer Hochachtung Ihr ergebener / Dr.
Goebbels."
Mit Sicherheit ist seit Wulf (Musik im Dritten Reich, 1963, rororo
1966, S. 86/87) der Briefwechsel (oder ein Auszug daraus) schon oft
abgedruckt worden. Denn was der unselige Furtwängler dieser Zeit hier
von sich gibt, ist auch wirklich unglaublich. Und eben deshalb sollte im
Zusammenhang mit Zitaten aus der DTZ noch einmal daran erinnert werden.
(Anmerkung: Nach Wulf erschien Furtwänglers Brief offenbar zuerst am
11. April 1933, in: Vossische Zeitung; und Goebbels Anwort stammt, eben-
falls nach Wulf, vom selben Tag, in: Berliner Lokal-Anzeiger, Morgenaus-
gabe. Die Schlußgrußfloskel beider Schreiber hat bei Wulf vor "ergebe-
ner" die Verstärkung "sehr". Der WORTlaut des obigen Zitats weist, abge-
sehen von geringfügigen Abweichungen in der Interpunktion, keine Unter-
schiede auf.)
Wir kommen jetzt zu dem angesprochenen Mißverständnis, zumindest
vermute ich, daß es eines ist. In dem Aufsatz "Plädoyer für unerbitt-
liche Genauigkeit, Konsequenzen der Prieberg-Dokumentation für die
Musikforschung" von Albrecht Dümling, abgedruckt in: neue musikzeitung
(nmz), September 2005 (54. Jahrgang), S. 7 (dieser Artikel wurde schon
oben angegeben), stehen die folgenden Sätze:
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Zivilcourage bewies auch die Witwe des Komponisten Max
von Schillings, als sie gegen die Darstellung ihres
Mannes als gläubigen antisemitischen Vorkämpfer des
NS-Staats protestierte. Bislang galt Schillings, der als
Akademie-Präsident die Entlassung ihrer jüdischen Mit-
glieder Franz Schreker und Arnold Schönberg verantwor-
tete, tatsächlich als ein solcher Vorkämpfer. Um so
ernster ist zu nehmen, wenn seine Witwe dieses damals
nützliche Etikett noch während der NS-Zeit zurückwies.
Irgendetwas dürfte hier nicht stimmen, denn in den durch und durch
nationalsozialistisch geführten, wirklich sehr einschlägigen Periodica
"Die Musik" und "Zeitschrift für Musik" erschien von von Schillings'
Ehefrau eine (wie sie es wohl auffaßte) Klarstellung, die noch einmal
die "Weltanschauung" des Dirigenten und Komponisten unmißverständlich
deutlich machen soll, und das ist ihr so wichtig, brennt ihr so unter
den Nägeln, daß sie es gleich in (mindestens) zweien solcher Nazi-
Publikationen verlautbaren muß ("Die Musik": Berlin, Juni 1936, XXVIII.
Jahrgang, Heft 9, Abteilung: Zeitgeschichte, S. 719; "Zeitschrift für
Musik": Regensburg, Juni 1936, 103. Jahrgang, Heft 6, Abteilung: Kleine
Mitteilungen, S. 774) {*1}:
Erklärung
Im Einvernehmen mit den Präsidenten der Reichsmusikkammer
[Peter Raabe] und der Reichsschrifttumskammer [Hanns
Johst] {*2} übergibt Frau Barabara v. [von] S c h i l -
l i n g s - K e m p der Öffentlichkeit folgende Erklä-
rung:
"In Ankündigungen des in der Hanseatischen Verlags-
anstalt erschienenen Buches von Wilhelm Raupp über Max
von Schillings ist behauptet worden, daß es sich hier
um die einzige von den Erben des Meisters autorisierte
Biographie handele. Demgegenüber lege ich Wert auf die
Feststellung, daß die Behauptung in dieser Form nicht den
Tatsachen entspricht. Zwar trifft es zu, daß ich als
Alleinerbin dem Verfasser ein umfangreiches Dokumenten-
material für seine Arbeit zugänglich gemacht habe. Jedoch
geschah dies unter der ausdrücklichen Bedingung, daß die
Drucklegung erst nach abschließender Verständigung mit
mir erfolgen sollte. Da der Verfasser diese Bedingung
nicht eingehalten, vielmehr das im anvertraute Material
in einer durchaus eigenmächtigen und den Tatsachen viel-
fach nicht gerecht werdenden Weise ausgewertet hat, lehne
ich jegliche Mitverantwortung für diese biographische
Arbeit ab.
Darüber hinaus sehe ich mich im Sinne meines verstor-
benen Gatten genötigt, gegen die Art, wie hier die Per-
sönlichkeit und das Lebenswerk Max von Schllings' viel-
fach mit stark tendenziöser Verzerrung gezeichnet werden,
schärfsten Einspruch zu erheben.
Ich behalte mir vor, der Öffentlichkeit in absehbarer
Zeit eine Sammlung von Briefen und Dokumenten vorzulegen,
die den Menschen und Künstler Max von Schillings und sei-
nen Kampf für deutsche Art [Gegenbegriff: Entartung] und
Kunst im Lichte wissenschaftlicher Wahrheit erscheinen zu
lassen."
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{*1} Wiedergabe der Fassung, die in der "Zeitschrift für Musik" abge-
druckt ist; die Fassung in "Die Musik" hat nicht die Überschrift
"Erklärung", dafür ist sie allerdings unterzeichnet mit "gez.
B a r b a r a v o n S c h i l l i n g s." Ansonsten ist bis auf
Kleinigkeiten (Einrückungen, Anführungszeichen usw.) der WORTlaut
beider Fassungen gleich.
Zu den Untertiteln der beiden Zeitschriften. "Die Musik": Amtliches
Organ der NS-Kulturgemeinde / Amtliches Mitteilungsblatt der Berliner
Konzertgemeinde / (Konzertring der NS-Kulturgemeinde), erweiterte
seine "Aufgaben" später, dementsprechende Verschärfung der Unter-
titelgebung: Organ der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Füh-
rers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschauli-
schen Schulung und Erziehung der NSDAP). "Zeitschrift für Musik":
Monatsschrift für eine geistige Erneuerung der deutschen Musik (Eine
kurze Vorstellung dieser und ein paar anderer Nazi-Musikzeitschrif-
ten ist in Planung. Beachte: "Nazi-Musikzeitschrift" heißt Musik-
zeitschrift unter nationalsozialistischer Leitung, d.h. auch, nicht
jeder darin publizierte Beitrag ist automatisch ein Beitrag eines
Nazis.)
Für Google-Index: Barbara Schillings-Kemp
{*2} Peter Raabe (Generalmusikdirektor Professor Dr. Dr. e.h., Dr.
e.h. erst später) und Hanns Johst (Nazi-Dichter) waren überzeugte
Faschisten. Raabes Artikel, u.a. in den Periodika "Deutsche Ton-
künstler-Zeitung", "Die Musik" und "Zeitschrift für Musik", sind
Muster-Beispiele für NS-Musik"schrifttum".
Wie die peinliche "Erklärung" von Schillings-Kemps zeigt, war ihr
Mann und "Meister" im "Dritten Reich" nach seinem Tod nicht tot. Als
Beispiel möge ein weiteres Bekenntnis dienen, verfaßt hat es ein "Geh.
[Geheimer] Rat Prof. Wolfgang Golther" aus Rostock, betitelt ist es mit
"Max v. Schillings. / Erinnerungen an eine lebenslange Freundschaft."
Ein gralartiges Runen-Credo, so wirkt das auf mich (Zeitschrift für
Musik, Juni 1938, 105. Jahrgang, Heft 6, S. 633/634). Der Geheime Rat
ist Germanist, nein, das ist er nicht, er ist ein "Professor für
Deutschkunde". Aja. Dementsprechend erfährt man über die Freundschaft,
daß sie "von Anfang an auf dem Grunde der Bayreuther Weltanschauung
erwuchs". Der junge von Schillings sei 1889 nach München gekommen, "wo
des Meisters [Richard Wagners] Werke verhältnismäßig am besten aufge-
führt wurden, in Erinnerung an die Zeit König Ludwigs und Richard
Wagners." Er habe sich dort den "tonangebenden Persönlichkeiten der
neudeutschen Richtung" angeschlossen, und wie selbstverständlich taucht
denn auch bei Golther die notorische, einschlägige Nazi-Standardfloskel
"deutsche Art und Kunst" auf: Für von Schillings sei das das "Hochziel"
gewesen, dafür habe er sich eingesetzt und sich "gegen [...] vielartige
fremde Gewalten" durchgesetzt. Es gab aber auch Rückschläge: Von Schil-
lings "erlebte als Generalintendant eine fristlose Entlassung". Doch
sein "Kampf" (auch ein wohlbekannter Begriff in diesen Zusammenhängen)
sei weiterhin ungebrochen gewesen, ebenso nicht sein "Schaffen". Als
Beispiel für dieses "Schaffen des Meisters" ["Meister" jetzt: von
Schillings] wird u.a. mit Inhaltsangabe das Musikdrama "Ingwelde" ange-
führt (Uraufführung: Karlsruhe 1894). Eine "Neudichtung", wie Golther
erläutert, aus der "spätisländischen Saga" herkommend, mit "altgermani-
schen Sagenmotiven durchwoben", Schlußbild: "Wikingerschiff mit brennen-
dem Holzstoß wie bei Balders Bestattung" (zu Balder alias Baldur siehe
Internet). Mühsam habe der Dirigent und Komponist nach der Entlassung
wieder Fuß gefaßt, "neue Kämpfe" folgten, ABER DANN: "Aus der Ferne
verfolgte ich mit regster Teilnahme seinen [von Schillings] neuen Auf-
stieg, als er vom Führer an die Charlottenburger Oper berufen wurde."
Rund 40 Jahre ist es her, da hatte eine andere für von Schillings
bedeutsame Berufung stattgefunden, diejenige nach Bayreuth, ausgespro-
chen von Richard Wagners Frau Cosima (vom "Fach" die Frau, ohne Zwei-
fel). Jetzt noch ein längeres Zitat aus dieser Huldigungsadresse, länger
wegen des Nazi-(Un-)Odeurs:
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Staatsrat [Heinz] Tietjen [zu diesem siehe weiter oben
und unten] bereitete am 3. Mai 1938 dem einstigen Leiter
der Staatsoper mit der "Ingwelde" eine Ehrung, die dadurch
besondere Bedeutung gewann, daß Frau von Schillings mit der
Spielleitung betraut wurde, um dem Werk ihres Gatten eine
stilgemäße Wiedergabe aus seinem Geiste [wie liturgisch-
weihevoll, weitverbreitetes Posenschmalz] zu sichern.
Hier lebte Schillings mit seinem Wikingerdrama vor Auge
und Ohr einer für nordische Kunst empfänglichen Gemeinde
[sic] wieder auf.
Es gibt in diesen Dingen lange Traditionen. Kennen Sie die "altdeut-
schen" Briefmarken mit der GERmania drauf? Das ist es, wohin ich Ihren
Blick lenken möchte (siehe die Abbildung).
Die Blickrichtung
Mit der Kaiserzeit usw. in die Weimarer Republik usw.
Germania (Athena?) im Kettenhemd und brustbewehrt,
mit Schwert und Fruchtbarkeitssymbol
Briefmarken-Motiv 1900-1922
Soweit eine kleine Dokumentation zu von Schillings. Sie macht unum-
wunden deutlich: Hier liegt eine Haltung vor, die zumindest eine große
Nähe zur nationalsozialistischen "Weltanschauung" zeigt. Wie das weiter-
gegangen wäre, darüber kann wohl nur die "Vorsehung" Auskunft erteilen,
um es in Hitlers Begriffsmorast zu fassen. Denn von Schillings starb
1933 (65jährig), er hatte also keine Gelegenheit, sich wie andere zu
besinnen, oder sich vom Saulus zum Paulus zu entwickeln, noch nicht
einmal die Möglichkeit einer späteren Maskerade, eines Versteckens blieb
ihm, und somit ist das, was wir sehen, ein von historischen Tatsachen
abgeleitetes Resümee, eine nachweisbare Wahrheit, das mag nicht alles
sein, aber nachgeordnet ist es keinesfalls: Von Schillings wirkte an der
"braunen Erhebung" mit, klein reden sollte man das nicht. Denn das, was
kam, ist ungeheuerlich.
Fazit: Wie die Entwicklung der Plattenausgaben und auch die "weltan-
schauliche" Dokumentation zeigen, wäre es kein Wunder, wenn das Eroica-
Album aus den im "Führerbunker" vorgefundenen Kisten stammen würde.
Diskographisch gesehen, sind jedenfalls keine grundsätzlichen Einwände
denkbar.
Soweit bekannt, existiert keine umfassende Diskographie der Einspie-
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lungen Max von Schillings. Nach erster Einschätzung hätte sie wohl auch
einigen Umfang. Nicht nur Parlophon-Aufnahmen gibt es, auch für die
Deutsche Grammophon spielte er ein, wobei in beiden Fällen auch Aus-
landsausgaben veröffentlicht worden waren (Export, Auslandspressungen).
Selbst im Produktionsbereich der Reichsrundfunkgesellschaft (RRG) war
von Schillings tätig. Es gibt Wiederveröfffentlichungen auf LP und CD.
Inwieweit hierbei in Begleittexten eine verantwortungsbewußte Auseinan-
dersetzung gesucht wurde, ist mir unbekannt. Sie wäre jedenfalls wün-
schenswert.
Weiter
[aussdm05]
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