Und außerdem Seite E?
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Beachte:
Gesamter Beitrag (Teile 1 bis 9) in Überarbeitung
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Moskauer Fotos, Einschätzung, diskographische Arbeit (3)
[24.9.2007: Foto 2 gelöscht]
Foto 2: Rotes Electrola-Album. Beethoven / Klavier-Sonaten, op. 78.
90. 111 / Artur Schnabel, Band I // Schnabel war jüdischer Herkunft.
Electrola zählte zu den bedeutendsten Etiketten der 1930er Jahre, zog im
Jahr 1932 nach Berlin auf das Lindström-Gelände (war vorher in Nowawes
bei Potsdam zu Hause). Bekanntes Album, als Album sehr selten, die Ein-
zelplatten sind dagegen nicht so selten. Gegen eine mögliche Herkunft
aus dem "Führerbunker" spricht diskographisch nichts. Siehe auch Foto 6
und 7.
Aufnahmesitzungen: London, Abbey Road Studios (EMI), 21.1., 3.2.,
21.3., 22.3. und 7.5.1932
1) D.B. 1654-1655 Sonate e-moll, op. 90
2) D.B. 1656-1659 Sonate c-moll, op. 111 {*1}
3) D.B. 1659-1660 Sonate Fis-dur, op. 78
{*1} Seiten (Teile) 1 bis 7: Op. 111; Seite 8: Beginn (Seite 1) von
op. 78
Katalog-Nummern der Seiten:
1) 32-2691, 32-2692, 32-2754, 32-2755 (op. 90: Seiten 1 bis 4)
2) 32-2774 bis 32-2780 (op. 111: Seiten 1 bis 7)
3) 32-2781 bis 32-2783 (op. 78: Seiten 8 bis 10)
Matrizen-Nummern der Seiten:
1) E-2B 2615-I, 2B 2616-II, E-2B 2617-II, E-2B 2618-II
2) E-2B 2619 bis 2623, E-2B 3233-II, E-2B 3234-I
3) E-2B 3222-II, E-2B 3223-II, E-2B 3224-II
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv, Datenbank. Die Daten beziehen sich
auf erfaßte Dokumente (deutsche Pressungen). Abweichungen davon sind
immer möglich, insbesondere bezüglich der so wichtigen Take-Angaben
(z.B. -I, -II; diese Zahlen kennzeichnen die soundsovielte Aufnahme
einer Seite, also: 1. Aufnahme, 2. Aufnahme einer Seite; bei 2619 bis
2623 scheinen solche Kennzeichnungen nicht existiert zu haben).
Es gab zeitgenössische Länderausgaben, zudem war die D.B.-Serie von
His Master's Voice, England, schon von Haus aus eine internationale
Unternehmung. Wiederveröffentlichungen existieren zahlreich (LP, CD).
78er Schallplattensätze (Sets) findet man in Privatsammlungen, Archi-
ven, Auktionen, Schenkungs- und Vermächtnis-Konvoluten (welcher Art auch
immer) überwiegend nur in Form von Einzelplatten vor. Alben sind eine
Seltenheit. Das hat verschiedene Gründe. Zunächst: Entweder waren Sätze
nur in "Einzelplatten-Konfektion" in den Katalogen, oder aber, wenn
Alben im Angebot waren, bestand weitgehend der Usus, daß man die Sätze
auch als Einzelplatten erwerben konnte, "lose" also. Zudem herrscht bei
Sammlern und in Archiven seit eh und je weitverbreitet eine Vorstellung
vor, sich aus einer Reihe von (durchaus nachvollziehbaren) archivari-
schen Gründen der Plattenalben und -hüllen ("Hemden") entledigen zu
müssen, selbst dann, wenn es die originalen sind. Als Ersatz für die
historischen Aufbewahrungs- und Schutzmaterialien dienen dann in der
Regel spezielle Archivhüllen aus steifem, Stabilitiät und Schutz ver-
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sprechendem Karton. Nun muß man aber wissen, daß die entfernten histo-
rischen Materialien sehr oft diskographische Informationen aller Art
aufweisen, z.B. Veröffentlichungslisten und Annoncen, außerdem haben
Plattenalben nicht selten Begleittexte mit Inhaltsangaben. Soweit also
korrigierbar, sollte man hier andere Lösungen suchen. Wie auch immer,
ich konnte bis jetzt nicht klären, ob die 14 Platten nur als Album, als
Gesamtalbum ist gemeint, im Handel waren, oder ob es auch Einzelalben
gab. Denn Sonate op. 90 (D.B. 1654-1655) hätte auch separat verkauft
werden können, die beiden anderen Sonaten aber nicht, weil wegen der
gemeinsamen Platte D.B. 1659 eine Trennung keinen Sinn gemacht hätte.
Als Zwei-Sonaten-Album aber könnte man sich D.B. 1656-1660 durchaus
vorstellen.
Bennett/Hughes [1961] geben zu den 14 Platten die folgende Informa-
tion: "(DB 1654-1660 BEETHOVEN SONATA SOCIETY VOLUME I)". Das mag nach
Geheimbündelei klingen, es ist aber eine einfache Angelegenheit. Die
Einführung des elektrischen Aufzeichnungsverfahrens (1925) war in der
Plattengeschichte eine Revolution. Nur noch mit der Erfindung selbst zu
vergleichen. Denn selbst heute geschieht trotz vieler weiterer umwälzen-
der Entwicklungsstufen immer noch das Wesentliche elektrisch. Er war
schon einschneidend, dieser Sprung vom Trichter zum Mikrophon, zur
elektrischen Nadelaufzeichnung und der entsprechenden Wiedergabe. Das
Hörergebnis änderte sich grundlegend, nämlich zur Musik hin. Die
Schallplatte wurde nun als eine Kostbarkeit empfunden, und es bildete
sich, dem Bücherfreund sehr ähnlich, nun deutlicher der Typ Platten-
freund heraus, der enthusiastische, ernsthafte Sammler, und mit ihm
spezielle, anspruchsvolle Sammlerzirkel. So natürlich auch im Stammland
der Sammler, in England. Dort hießen die von der Platte Verzauberten
"Gramophonists". Und an diese "Bewegung" nun knüpfte die EMI mit ihren
Etiketten (His Master's Voice, Columbia usw.) an, indem sie vor allem
die D.B.-Serie des Etiketts "His Master's Voice" zur Plattform auserkor.
Man veröffentlichte als wichtig und gelungen aufgefaßte Einspielungen
unter dem wirksamen Werbeanreiz: Das sei die Wahl einer "Society", die
sich aus Kennern zusammensetzt. Dem Namen nach gab es etliche solcher
"Societies", und sie sollen auch wirklich existiert haben, diese "His
Master's Voice Societies". Neben der Beethoven Sonata Society-Spielart
sind mir noch bekannt: The Bach Society, Brahms Song Society, Delius
Society, Haydn Quartet Society, Hugo Wolf Society, Mozart Chamber Music
Society, Mozart Opera Society, Sibelius Society, Die Schöne Müllerin
Society und Die Winterreise Society. Die "ausgewählten" Veröffentlichun-
gen wurden, siehe oben Fall Schnabel, mit einer "Volume"-Nummer gekenn-
zeichnet. Die mit "Die Schöne Müllerin Society" und "Die Winterreise
Society" versehenen Alben aber nicht. Die höchsten "Volume-Nummern", die
ich kenne, sind: "Mozart Opera Society Volume XIII" von 1938, und ein
Jahr später: "Beethoven Sonata Society Volume XV" (Schnabel, 7 Bagatel-
len op. 33, Bagatelle a-moll "Für Elise" u.a.). Die früheste "Society-
Auszeichnung" erhielt die Ausgabe D.B. 1615-1620, aufgenommen 1931: Hugo
Wolf Society Volume I. Diese Hugo Wolf Society hat der später so bekann-
te EMI-Aufnahmeleiter und Wolf-Bewunderer Walter Legge 1931 gegründet
und dann auch geleitet. Legge, der auch Begleittexte verfaßte, war si-
cherlich auch der entscheidende Kopf hinter all den anderen "Societies",
sofern es sie als getrennte, als spezifische Zirkel überhaupt gegeben
hat. Ein anderer wichtiger Texter war Frank Walker; er wird 1949 für die
Quellenerforschung des von Strawinsky "nach Pergolesi" komponierten
Werks "Pulcinella" einen grundlegenden Beitrag leisten (zu Legge siehe
auch oben unter Karajan: Ein deutsches Requiem).
Es sollte vielleicht noch angemerkt werden, daß der Sammelei-Gedanke
der D.B.-Serie nicht künstlich aufgepfropft werden mußte, denn sie war
eigentlich als eine ausgesprochene Sammler-Reissue-Serie gegründet wor-
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den, noch in der "akustischen Zeitrechnung" (1924). Eine Zeitlang wurde
sie für diese Wiederveröffentlichungsfunktion auch hauptsächlich einge-
setzt. Ein vergleichbares Reissue-Produkt ist die Schaljapin-Electrola
D.B. 799, die unten unter Foto 8 beschrieben wird. Die ersten neun D.B.-
Ausgaben waren übrigens ebenfalls Platten mit Schaljapin, aufgenommen
1910 bis 1924. (Quelle: Bennett/Hughes [1961])
Foto 3 (am 24.9.2007 gelöscht)
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Lehmann-Kapitel in Überarbeitung, völlig neu, stark erweitert
Das im Foto sichtbare Lehmann-Album ist identifiziert. Es handelt
sich um das Recital-Album Nr. 1, Victor M-292, Vorkriegsausgabe.
Zu den beiden unten angegebenen Alben ist eine ausführliche
diskographische Darstellung in Vorbereitung: Komponisten, Titel,
Ausgabengeschichte, Abbildungen.
13. März 2009
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Foto 3: Es sind allem Anschein nach sechs Alben zu sehen, drei rote
(zwei davon sind Telefunken-Alben, das dritte stammt wohl aus dem Elec-
trola-Haus), irgendwelche weiterführenden Informationen lassen sich
nicht einsammeln; Machart: dreißiger Jahre, vor 1945. Desweiteren wird
das nicht zum "Bunker-Kontigent" gehörende "ein deutsches requiem"-Album
gezeigt (siehe oben) und im Hintergrund offenbar ein beige-braunes Album
mit Bild-Deckel ("Schmuckalbum"?), vielleicht ein RCA Victor-Album der
Nachkriegszeit. Schließlich steht im Vordergrund in einem Behälter, halb
verdeckt, ein unscheinbares grünes Victor-Album, dessen "Zugehörigkeit"
zum Führerhauptquartier kaum vermutet werden kann, so abenteuerlich er-
scheint einem das. Titel des Albums: A SONG RECITAL BY / LOTTE LEHMANN /
[A?] / VICTOR // Weitere Details sind nicht zu erkennen. Es handelt sich
vermutlich entweder um das Set M-292, spätestens veröffentlicht März
1936, oder das Set M-419 (A Song Recital, No. 2), spätestens veröffent-
licht März 1938, beide Male ist Erno Balogh der Begleitpianist. Lehmann
war meines Wissens eine erklärte Nazi-Gegnerin. Wikipedia (kopiert am
25.8.2007):
Da sie [Lehmann] nach 1933 nicht der Forderung Görings
folgte, sich als weltberühmte Sängerin in den NS-Kunst-
betrieb einzureihen, wurden ihr Auftritte während der
Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland unmöglich
gemacht. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche
Reich emigrierte sie wie viele andere NS-Opfer und fand
eine neue Heimat in den Vereinigten Staaten...
Überdies enthalten beide Alben je eine Vertonung eines Gedichts von
Heinrich Heine (M-292: Johannes Brahms, Der Tod, das ist die kühle
Nacht; M-419: Robert Schumann, Du bist wie eine Blume). Erstaunte
Blicke? Sie sind angebracht.
Auch diskographisch spricht einiges gegen eine "Bunker-Herkunft".
Bis Ende 1941 (das "Dritte Reich" erklärte den USA am 11. Dezember 1941
den Krieg) war Electrola der deutsche Veröffentlichungspartner in Sachen
amerikanischer RCA Victor-Matrizen, das half den beiden Lehmann-Alben
aber nicht, sie wurden in Deutschland nicht veröffentlicht, vielleicht
war der Glaubensüberläufer Harry Heine dran schuld. Er fand aber hier in
dieser Angelegenheit dann doch den Weg ins "Nazi-Reich", so unter der
Hand und übern Ladentisch, der Grund: aus M-292 gelangten drei Platten
in den Electrola-Katalog. Zunächst eine Tabelle und einige diskogra-
phische Ergänzungen:
M-292 und M-419 sind Alben für 25-cm-Platten. Wer die Abmessungen auf
diesem Foto 3 genau prüft, wird die gegenüber 30-cm-Alben kleinere Größe
erkennnen. Und auch auf dem "Dachboden-Foto" (Foto 4) ist ein solches
Album zu sehen (es wird dasselbe sein).
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Victor (USA) Album M-292, 5 Platten, vermutlich 1935 aufgenommen
Plattennummer Matrizennummer Bestellnummer
Victor (USA) His Master's Voice (GB)
1730 A 95611 / A 95612 DA 1466
1731 A 95613 / A 95614 DA 1467
1732 0A 95615 / 0A 95616 DA 1468
1733 0A 95617 / 0A 95618 DA 1469
1734 0A 95619 / 0A 95620 DA 1470
Victor (USA) Album M-419, 6 Platten, vermutlich 1937 aufgenommen
Plattennummer Matrizennummer Bestellnummer
Victor (USA) His Master's Voice (GB)
1856 OA 06664 / 0A 06665 DA 1603
1857 OA 0957 / 0A 06666 DA 1604
1858 OA 06656 / 0A 06657 DA 1572
1859 OA 06662 / OA 06663 DA 1571
1860 OA 06658 / 0A 06659 DA 1602
1861 OA 06660 / 0A 06661 DA 1573
Quellen: u.a. Clough/Cuming (WERM, unvollständig, teilweise fehler-
haft), Bennett/Hughes 1963 (unvollständig), private Homepage (Matri-
zennummern, möglichweise fehlerhaft)
Es ist möglich, daß M-292 auch in Groß-Britannien als Album erschie-
nen ist, zumindest aber sieht die Beibehaltung der Nummernreihenfolge
nach Wahrung einer Einheit aus, und wenn nur in dem Sinn, einen Zukauf-
anreiz für ein optionales Einsteckalbum zu wecken. Bezüglich M-419 sieht
die Sache allerdings etwas anders aus: Hier hat man den Eindruck, die
englischen Übernahmen seien eher als Einzelplatten-Ausgaben gedacht ge-
wesen; doch ließen sich auch hier die DA-Nummern zusammenfassen, zu zwei
aus drei Platten bestehenden Einheiten, zu (Konfektions-?)Alben eben: DA
1571-1573 und DA 1602-1604.
Die mit DA charakterisierten Bestellnummern des His Master's Voice-
Etiketts zeigen an, daß die Platten der als international verstandenen
Ausgaben-Schiene angehören, der DA-Serie, analog zur DB-Serie also
(siehe weiter oben), nur eben aus 25-cm-Platten bestehend. In Deutsch-
land erschienen aus M-292, wie oben schon angedeutet, drei Platten: DA
1467, 1468 und 1469. Alle drei Pressungen sind im 1938er Katalog ange-
führt (siehe unten); ob nur als lose Einzelplatten erhältlich und/oder
in einem (Konfektions-?)Album vereint, ist nicht bekannt. Notieren
sollte man sich die ebenfalls schon erwähnte kleine Nebentatsache, daß
Heines "Der Tod, das ist die kühle Nacht" mit dabei ist (DA 1469). Sol-
che dem Faschismus-Ideologiewahn gegenüber eigentlich "unbotmäßigen"
Ausgaben sind aber keine Seltenheit. Ganz im Gegenteil, sie gab es,
offen oder mit allen möglichen Tricks verschleiert und erschlichen, bis
etwa 1940 sehr zahlreich (das mag für manche eine überraschende Aussage
sein).
Hauptkatalog 1938 / Electrola Columbia
Dieser Katalog enthält alle bis 30. September 1938 erschienenen, noch
geführten >Electrola< und >Columbia<-Musikplatten ausschließlich
Tanzplatten
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Und außerdem Seite E?
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Da die beiden Aufnahmen-Einheiten in Deutschland nicht als Alben
erschienen sind, spricht (theoretisch zumindest) gegen die Möglichkeit
des Imports der RCA Victor-Alben, gemeint ist im "Dritten Reich" bis
ungefähr 1940, nichts STRIKT Kategorisches. Aber ungewöhnlich wäre es
schon. Eine andere Erklärung für ein mögliches Vorhandensein wäre die
"Mitbringsel-Methode", etwa per Beschlagnahmung (zu dieser "Methode"
siehe weiter unten die Ausführungen im Zusammenhang mit der Anmerkung zu
Schnabels Einspielung der Mozart-Klaviersonate a-moll). Was auch immer
vorliegt, diskographisch dürfte - zumindest theoretisch und bei aller
Skepsis - gegen eine eventuelle Herkunft aus dem "Führerbunker" zunächst
nichts wirklich Gravierendes einzuwenden sein, d.h. ein eklatanter dis-
kographischer Widerspruch ist nicht zu erkennen. Ich vermute aber (aus
dem Bauch heraus), es handelt sich bei dem in Nikolina Gora vorgefun-
denen RCA Victor-Album um eine Nachkriegshinzufügung. Lotte Lehmann (und
dazu noch Heinrich Heine) im "Führerbunker", ein seltsamer Gedanke.
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