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Nachtrag zum Spiegel-Artikel (3) D) Times Online mit einer "Disc five" Der schon weiter oben angesprochene Times Online-Artikel "Hitler's 'Desert Island Discs' turn up in a dead Russian soldier's attic" ("From the Times", Autor: Roger Boyes, Berlin, datiert auf den 7. August 2007) schließt mit einer Aufstellung, die einen Diskographen wie mich wieder der Suchsucht anheim fallen läßt. Es werden, wie der Titel des Artikels besagt, Hitlers Einsame-Insel-Platten angeführt. Doch woher der Autor seine Kenntnis hat, ist nicht angegeben. Die Textstelle sieht inhaltlich wie folgt aus: Fu[e]hrer's favourites Five discs that Hitler wanted to take with him 1 Piano sonatas, Opus 78 and 90, Beethoven 2 Wagner's overture to The Flying Dutchman by the Bayreuth Orchestra, conducted by Heinz Tietjen 3 Russian arias, including the death in Boris Godunov, by Mussorgsky, sung by the Russian bass Fyodor Shalyapin 4 Tchaikovsky's Violin Concerto, with the Berlin State Opera Orchestra, soloist Bronislaw Huberman 5 Mozart Piano Sonata No 8 in A minor [KV 310] with Artur Schnabel Eine Klärung vorweg: Die "five discs" würden natürlich in Wirklich- keit, da Sets darunter sind, weit mehr als fünf (einzelne) Platten umfassen, wohl mindestens 13. Was nun die fünf Posten selbst angeht, so sind bereits in den Ausführungen weiter oben in irgendeiner Weise Inhalte zur Sprache gekommen, allerdings nur zu den "discs" 1 bis 4, wobei die Posten 2 und 4 als identifiziert gelten dürfen, eine Klärung, die für 1 und 3 nicht geboten werden kann. Dafür sind die Angaben der Times nicht geeignet. Doch Umrisse ergeben sich aus den entsprechenden Diskussionen schon, bezüglich Posten 1 siehe unter Artur Schnabel, Eugen Petri und Wilhelm Kempff, bezüglich Posten 2 siehe unter Feodor Schaljapin (Darlegungen an zwei verschiedenen Stellen). So ganz im Dunkeln tappt man bei den Posten 1 und 3 also nicht. Und was ist mit der "disc five"? Die einzige Aufnahme Schnabels dieser Sonate stammt vom 27. Januar 1939 {*1}. Aufgenommen wurde sie in Paris für den EMI-Konzern, eine 6-seitige Einspielung, 30-cm-Platten, erschienen in England auf His Master's Voice D.B. 3778-3780 und zwar nach meinen Unterlagen erst sehr spät, Anfang (spätestens Juni) 1940 (neben der englischen Originalausgabe erschien der Satz auch in Australien: HMV ED 274-276). In Deutschland ist die Aufnahme nicht veröffentlicht worden {*2}, das allerdings ist schon wegen der faschistischen Rassenideologie nicht anzunehmen, zudem herrschte ja, man greife zu einem Geschichtsbuch, seit dem 3. September 1939 zwischen England und Deutschland Krieg (England und Frankreich hatten dem von den Nazis beherrschten Deutschland an diesem Tag den Krieg erklärt). Was also ist von der "desert island disc five" zu halten? Genau das ist die diskographische Frage. Angenommen die Angabe ist richtig, dann müßte die nächste Frage lauten: Wie kam Hitler an die ausländische Schnabel-Ausgabe? Ein normaler Import ist nicht recht vorstellbar. Wie sollte das vor sich gegangen sein? Welches Geschäft sollte das (am deutschen Zoll vorbei!) gemacht, gewagt haben? Und wie überhaupt sollten Informationen über die Existenz der Ausgabe in Hitlers Umgebung geraten sein? Mitbringsel, das schon eher, aber vielleicht in einer nicht gerade alltäglichen Art und Weise, wie die nachfolgende Darlegung deutlich zu machen versucht, nämlich per Beschlagnahmung, Raub oder Hehlerei. Da die Einspielung eine EMI-Produktion ist, kann man davon ausgehen, daß sie von der französischen Tochterfirma La Voix de son Maître aufgenommen wurde, und somit wäre auch möglich, daß sie unter dem Etikett Disque "Gramophone" veröffentlicht worden war. Disque "Gramophone" war auf der Ebene der D.B.-Serie das französische Filial- etikett der englischen His Master's Voice-Marke (siehe die Ausführungen weiter oben). Und im Falle einer französischen Edition könnte man sogar ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== von gleichen Bestellnummern ausgehen, von D.B. 3778-3780 also, denn die Nummern dieses Bereichs, d.h. dieser Höhe, gehörten innerhalb der D.B.- Serie durchaus dem sogenannten "internationalen" Nummernkreis an {*3}. Mir ist allerdings zu alldem nichts bekannt. Die wenigen diskographi- schen Quellen, die für diese Einspielung auftreibbar waren, geben zur obigen Bestellnummer nur "Gramophone" oder "English Gramophone" an. Da die D.B.-Serie aber, wie schon gesagt, eine internationale Numerierung pflegte (davon ausgenommen sind ein paar kleine länderspezifische Teilserien), könnte das den Umstand erklären, daß ich bislang nicht auf spezifische Disque "Gramophone"-Nachweise gestoßen bin, sondern nur auf das allgemeine "Gramophone". Wie auch immer, bezieht man Frankreich als Gesichtspunkt mit ein, dann wäre ein möglicher Weg zu Hitler über die deutsche Besetzung französischer Gebiete, insbesondere des Schall- platten-Zentrums Paris, immerhin denkbar. Und somit wären wir auch bei allem Möglichen: Kauf, Geschenk, Mitbringsel. Man denke aber eher an die "Methode" Beschlagnahmung: In Paris eine der verbrecherischen Nazi- Vorgehensweisen, insbesondere Juden gegenüber. Dort "konfiszierte" seit September 1940 der "Sondersstab Musik" Wert- und Kunstgegenstände in jüdischen Haushalten und Anwesen, die, wie es hieß, "herrenlos geworden waren" (weil die Besitzer sich in Sicherheit gebracht hatten, wenn das noch ging). "Sicherstellen" hieß das auch. So wurden z.B. im Rahmen dieser Beschlagnahmungen bei Gregor Piatigorsky und Wanda Landowska auch Schallplatten "sichergestellt", wobei zu beiden Beschlagnahmungsfällen mit der Datierung "Paris, den 19.2.1941" eine maschinenschriftliche "Notiz über [die] Bezeichnung von Kisten" überliefert ist. Dem schizoiden Nazi-Selbstverständnis gemäß wurde der Inhalt bürokratisch inventarisiert und die Kisten akkurat mit Signatur versehen. Mehr als erstaunlich ist die fachkundige Bestimmung beson- derer musikalischer Gegenstände des Landowska-Bestands. So etwas kann nicht jeder, das bedarf einiges an musikwissenschaftlicher bzw. instrumentenkundlicher Erfahrung, und womöglich auch einiges an Auf- wand, Beispiele (die Inventarliste enthält Schreibfehler) {*4}: [Kiste] P 39 Cembalo, 17. Jahrhundert [Kiste] P 40 Cembalo, 1642 v. Hans Buchers [?] [Kiste] P 41 Spinett, Pleyel 1807 [Kiste] P 43 Cembalo (innen Bild nach Verracchio) [Verrocchio?] Am 18. Februar, also offenbar im Zusammenhang mit den genannten Vorgängen, waren aus der Wohnung eines Arno Poldès 3000 Schallplatten (wie es im Protokoll heißt:) "abtransportiert" worden. Wohin? Das ist angegeben: "Die Kisten" (auch wieder ordentlich gekennzeichnet, mit "GRA 1" bis "GRA 11") waren "zur Lagerung bei Franzkowiak, Berlin bestimmt." (Eine "Lagerung" in Frankreich war den "Sicherern" wohl nicht ganz so passend.) Unterzeichnet ist das Dokument "Notiz über [die] Bezeichnung von Kisten" (exakt - auch schriftbildlich - die gleiche Datierung wie oben) mit "[Dr. Wolfgang] Boetticher." Eine jener vielen schauerlichen NS-"Musikpersönlichkeiten", Mit"arbeiter" des Einsatzstabs Reichsleiter [Alfred] Rosenberg (siehe unten u.a. die Links). Die oben geschilderten "Zugriffe" (Nazi-Jargon) bezogen sich auf Eigentum von Privatpersonen, es scheint aber so zu sein, daß der Nazi- Geist auch in der Plattenindustrie sein Unwesen trieb {*5}. Dazu würde jedenfalls eine vom Leiter der Abteilung Musik eben dieses Stabs Rosenberg, Dr. Herbert Gerigk, ein paar Monate vor den oben genannten Aktionen verfaßte "Besichtigungs"anweisung passen. Danach zu urteilen, war offenbar auch die EMI mit ihren Marken La Voix de son Maître, Disque "Gramophone" usw. im Visier dieses sehr passionierten Berliner Plattensammlers gewesen. Denn in dem Schriftstück fällt der Satz: "Es muß [...] mit mindestens 10 - 20000 Schallplatten gerechnet werden", unterzeichnet ist das Anweisungsschreiben, das den Eingangsstempel des Amts des Reichsleiters Rosenberg, "Kanzlei Rosenberg", trägt, mit: "10.8.40. Gerigk" {*4} Wie man sieht: Es waren durchaus "Nazi-Mitbringsel" möglich, und so kann angesichts dieser Nachweise ein allzu erstauntes, grundsätzliches Rätselraten um die diskographische Frage "ja, wie soll das denn ge- schehen sein?" eigentlich entfallen. Auf Foto 12 der einst ungekürzten Fassung der Moskauer Fotogalerie (siehe weiter oben) sind übrigens bei dem einen aufgeschlagenen Album (rechts im Bild) zwei rote Etikette zu sehen, deren eigenartig helles, blasses Rot auf Disque "Gramophone" hindeuten könnte, und, mit aller Vorsicht gesagt, das Design der Etikette, kaum erahnbar, schemenhaft, ebenso (Electrola ergäbe bei mir sicherlich einen etwas anderen Eindruck). Ein Blick mit Lupe zeigt zudem: Das eine der beiden Etikette trägt ganz offensichtlich einen "Führer- / hauptquartier"-Aufkleber. Natürlich, so mag es manchem scheinen: eine abenteuerliche Geschich- te. Gedankenspielereien? Nein. Auch nicht im Hinblick auf "Disc five", es sei denn, die Angabe in der "Times" ist ein Fantasie-Produkt oder sonst irgendein fehlerhaftes Gebräu. Eine Bemerkung noch zur Entwicklung der Schallplattenszene in Frank- reich: Sie war in den 1930er Jahren mindestens schon so weit ausgebaut wie in England (siehe oben). Die internationale Beschaffung florierte beträchtlich, London und Paris waren hierbei tonangebend. Dagegen kann man Deutschlands Schallplattenmarkt der Zeit ab 1933 (ausgenommen die "Klassik"-Eigenproduktion und Teile der Tanz- und Schlagermusik) nur als zweitklassig bezeichnen, bezogen auf die internationalen Beschaffungs- möglichkeiten war er durch die schwachsinnig gewordenen politischen Ver- hältnisse sogar eher drittklassig, "overcover" zumindest, "undercover" (gab es) sah die Sache geringfügig besser aus. In Frankreich aber war alles "overcover" zu haben. Man denke nur allein im Jazz-Bereich an die beiden historisch bedeutsamen Sammler- und Kritikerpersönlichkeiten Hughes Panassié und Charles Delaunay (Sohn des Malerehepaars). Sie ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== hatten beispielsweise über den amerikanischen Jazz-Markt ein ungleich gehobeneres und aktuelleres Wissen als es, von einigen Ausnahmen abgesehen, sonst in Europa vorzufinden war. Auch im Ursprungsland des Jazz, in den USA, war so etwas höchst außergewöhnlich. Auf unser Thema hier bezogen, heißt das alles im Klartext: In Frankreich war man an Importe (auch an "Doppelimporte", z.B. Einfuhren aus USA über England) gewöhnt, und von dort her können selbstverständlich, wie oben geschil- dert, alle möglichen und "unmöglichen" Platten nach Berlin gekommen sein, warum nicht auch in den Umkreis Hitlers? Wie jeder sieht: Wer auf diesem Gebiet Wissen verbreiten will (und wenn auch nur halbwegs gesichertes), dem steht sehr diffizile Forschung ins Haus. Eine Klippe, die an die Anfangspassagen dieses Beitrags erinnern möchte. {*1} Quelle: EMI Classics, CD-1193(5): Artur Schnabel plays Mozart / The complete EMI recordings, augmented by live performances; 2007 Dazu ein oft wiedergegebenes Zitat (Übernahme aus dem Internet): "Children are given Mozart because of the small quantity of the notes; grown-ups avoid Mozart because of the great quality of the notes." (Artur Schnabel) Beachte: Diskographische Details werden bei Gelegenheit und im Zusam- menhang mit der Verbesserung der zu den Beethoven-Sonaten gelieferten Daten (siehe weiter oben) nachgetragen. Die Quelle für diese Infor- mationen ist die weitgehend unbekannte, aber herausragende Artur Schnabel-Diskographie von David Bloesch (England, Selbstverlag, [1986], 104 S.). {*2} In Clough/Cuming (WERM) ist keine deutsche Pressung genannt. Eine negative Aussage also, die u.a. durch drei Kataloge der Elec- trola- und Columbia-Musikplatten gestützt wird: 13. Numerisches Verzeichnis (Stand: 31. August 1939) 14. Numerisches Verzeichnis, 2. Ausgabe (Stand: 31. Dezember 1940) 15. Numerisches Verzeichnis (Stand: 30. November 1941) Der "Stand" bezieht sich immer auf den gedruckten (!) Katalogtext und bezieht selbstverständlich nicht übers Jahr anfallende Einklebe- zettel mit ein (für diese Zettel steht von vornherein reichlich Frei- raum zur Verfügung, beachte auch: nach diesen Einklebungen, die bibliographisch nur zufallsbedingte Erscheinungen bzw. Ergänzungen sind, lechzt die diskographische Arbeit geradezu, denn über sie sind nicht nur Nachweise, sondern auch Aussagen zu Datierungen möglich). {*3} Die Schreibweise des französischen Präfix lautet nicht D.B., sondern DB-. Eine typische Darstellungsart ist z.B. DB-11.105 und DB- 11.106 (Strawinsky, Klavierkonzert, Solist: Soulima Strawinsky, Diri- gent: Fernand Oubradous, Paris, November 1943, siehe weiter oben) {*4} Zitate aus Nazi-Schriftstücken, abgebildet in: Albrecht Dümling und Peter Girth (Hg.), Entartete Musik, Zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938, Eine kommentierte Rekonstruktion, [Düsseldorf] 1988 (Kata- log zur Ausstellung "Entartete Musk", Tonhalle Düsseldorf, 16. Januar - 28. Februar 1988, 1. Auflage), Kapitel: Handlanger in Paris, S. 98- 103 (maschinenschriftliche Dokumente). 3. überarbeitete und erwei- terte Auflage: Düsseldorf 1993 (der kleine verlag), 279 S., S. 141- 148 (die "4. überarbeitete und erweiterte Auflage 2007", Das Verdäch- tige Saxophon, 'Entartete Musik' im NS-Staat - Dokumentation und Kommentar, herausgegeben von Albrecht Dümling, 368 S., enthält die Dokumente nicht mehr). Gerigk war ein gewiefter Nazi-Ideologe, ein Ehrgeizling, sah sich als Musikwissenschaftler (war er einst auch), Mitarbeiter im Richt- schnur-Amt des Nazi-Chefmythologen Alfred Rosenberg, Sammler (von Platten, und anderen Nachweisen: siehe nachfolgend), Rezensent, Her- ausgeber der zum Nazi-Organ verkommenen Monatszeitschrift "Die Musik". Mit"arbeit" an dem Schund"werk" "Lexikon der Juden in der Mu- sik" (herausgegeben von einem Dr. Theo Stengel), Berlin 1940 (Bern- hard Hahnefeld Verlag, mehrere Auflagen). Im Zusammenhang mit Stra- winsky auf Schallplatten im "Dritten Reich" davor und danach mehr ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== über den "Dr. habil. Herbert Gerigk", wie er sich selbst bei passen- den Gelegenheiten anpries. Eine schauerliche Person der Zeit 1933- 1945 ("Leiter der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schu- lung und Erziehung der NSDAP"). Gerigks Anstiftungsschreiben vom 10. August 1940 beginnt wie folgt: Betrifft: Vordringliche Arbeiten auf dem Gebiet der Musik in Frankreich. Um dem Zugriff anderer an den Beständen interessierter Dienststellen zuvorzukommen, ist die möglichst baldige Besichtigung der führenden Schallplattenfabriken ["Schallplattenfabriken" handschriftlich unterstri- chen] und Schallplatten-Verteilungslager erforderlich. Die Produktion erfolgt im wesentlichen in Pariser Vor- orten. Es ist anzunehmen, daß uns dabei große Bestände jüdischer [z.B. Benny Goodman] und atonaler Musik [z.B. Igor Strawinsky] in die Hände fallen, die als Vorführ-Material an der Hohen Schule [geplantes Nazi- Lehrinstitut für deutsche Kultur und Reinrassigkeit] in späterer Zeit wertvoll sein können. Da es sich fast ausschließlich um Firmen handelt, die in englischem Privatbesitz sind [u.a. La Voix de son Maître, Disque "Gramophone", Parlophone, Odéon = Etikette der EMI], steht einer Beschlagnahme nichts entgegen. Der Umfang des für uns verwertbaren Materials kann naturgemäß nur an Ort und Stelle ermittelt werden. Es muß aber mit mindestens 10 - 20000 Schallplatten gerechnet werden. [...] Es existierten im übrigen nicht nur EMI-Marken. Hierauf bezieht sich anscheinend in Gerigks Raubplan das "fast" vor "ausschließlich". So war beispielsweise 1937 der Notenverlag Le Chant du Monde mit der angeschlossenen kleinen Plattenmarke gleichen Namens gegründet wor- den. Und es gab selbstverständlich auch noch die große und etablierte Polydor, eine Tochterfirma der Deutschen Grammophon. Zudem bestanden neben Le Chant du Monde noch weitere kleine Marken wie L'Oiseau Lyre, L'Anthologie Sonore, BAM (Éditions de la Boîte à Musique) (Weiteres siehe Intro 2002 ff., Teil 7 f.). An der Angabe, den Umfang des "verwertbaren Materials" auf "10 - 20000 Schallplatten" einzuschätzen, sieht man, daß Gerigk "seine" eingeschränkten deutschen Verhältnisse im Kopf hat. Selbst bei einer Reduzierung auf "Beleg-Exemplare" käme man nicht auf diesen Über- schlag, aber es kommt natürlich darauf an, was unter "für uns ver- wertbar" verstanden wurde. Nein, lassen wir dies beiseite: Gerigk ist ein Platten-Profi, er kennt die nicht vernachlässigbaren Preß- unterschiede und -ungenauigkeiten bei Schellacks ganz genau, zumal jetzt im Krieg. Der braune Record Collector will abkassieren, und das in Mengen, zum Aussuchen. Um so erstaunlicher ist, daß Gerigk keinen ausspionierten ungefähren Überblick davon hat, was überhaupt zu klauen ist bzw. wie sehr der französische Schallplattenmarkt dieser Zeit den deutschen in jeder Beziehung um Längen schlägt. Gerigk wird ein "böses" Nazi-Erwachen erlebt haben, allein schon wegen der Trans- portprobleme (per Güterzugwaggon[s]?). {*5} Willem de Vries, Der Sonderstab Musik des Einsatzstabes Reichs- leiter Rosenberg / Weitere Recherchen nach dem Schicksal von Beute- musik in Polen und Russland, in: Isolde von Foerster, Christoph Hust, Christoph-Hellmut Mahling (Hg.), Musikforschung Faschismus Nationalsozialismus, Mainz 2001 (Are), X, 509 S., darin: S. 173-180 [Hinweis zum Buch überhaupt: Es ist eine 2. (textlich unveränderte) Auflage erschienen. Diese ist bei einem Preis von € 44,50 eine Zumu- tung. Denn der Druck ist eine Vergrößerung, und dies führte dazu, daß die Abbildungen auf den Seiten 370/371 und 431 gänzlich verzerrt, verwaschen wiedergegeben sind. Wie der Verlag auf Anfrage mitteilte, hat die gesamte Auflage diese Mängel. Da gibt es nur eine Lösung: Diese Fehldruckauflage aus dem Verkehr zu ziehen.] Beachte: Im Zusammenhang mit Nachforschungen, die Willem de Vries unternahm und in seinem Buch, Sonderstab Musik / Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940-45, Köln 1998 (Dittrich), 380 S., darstellte, siehe den Link unten zu Michael Walters Rezension. Im Jahr 2001 steht in dem oben zitierten Aufsatz das Folgende: Schon im September wurde bei Wanda Landowska eine erste große Beschlagnahmung durchgeführt, bald folgten etwa dreißig weitere umfangfreiche Einsätze bei jüdischen Musikern, Komponisten, Musikverlagen, Instrumentenhändlern, Schallplattenfirmen usw. [S. 173] Der Umfang des Musikraubs war gewaltig. [...] auch aus der sogenannten Möbel-Aktion fielen ab 1942 dem Sonderstab Musik Instrumente, Handschriften, Musik- bücher, Schallplatten etc. mühelos zu. Wie viele Musikalien aus den fast 70.000 beraubten jüdischen Häusern in Westeuropa abtransportiert wurden, ist heute nicht mehr zu ermitteln. [S. 174] Wie man an Walters Rezension ersehen kann, sind die drei hier ange- sprochenen Pariser Dokumente in der Diskussion, und zwar u.a. inwie- fern und inwieweit Boetticher an den Aktionen beteiligt war. Boetti- cher selbst behauptete offenbar u.a. (wenn ich das richtig verstehe), die von ihm unterschriebene Kistenliste, in der es heißt, "... wurden unter meiner Aufsicht 3000 Schallplatten aus der Wohnung des geflüch- teten Juden Arno Poldes [...] abtransportiert", habe er nur geschrie- ben, beteiligt gewesen sei er an der Aktion nicht. Auf diese seltsame (wenig raffinierte) Schutzbehauptung scheinen keine allzu treffenden Gegenargumente eingefallen zu sein. Vielleicht ist das der Grund, daß Dümling diese historisch überaus wichtigen Unterlagen aus der 4. Auf- lage seines Dokumentationsbandes herausnahm (siehe oben), und damit auch die eigentlich prägnanten Kapitel "Die Hand eines Handlangers" (= Christoph Wolffs angesteckte Lunte von 1982) zum einen und "Hand- langer in Paris" (eine Aktendokumentation) zum andern. Nun fällt aber doch auf, daß die äußere (!) schreibmaschinenschrift- liche Form in einigen Punkten exakt gleich ist, und daß auch eindeu- tig die gleiche Schreibmaschine verwendet wurde. Daß es dieselbe Ma- schine war, zeigt u.a. die oben offene "4" mit ihrem verkürzten "Bein", und zudem ihre dreimal gleiche und charakteristische Stel- lung zur "9" im Datum "19.2.1941". Auch ist das Expertenwissen, das z.B. die Inventarisierung des Landowska-Bestands offenbart, nicht ganz zu vergessen. Walter führt eine längere, zweifellos wichtige Erörterung dazu, daß die von Boetticher unterschriebene Liste das Aktenzeichen "Dr.Boe./Vg." trägt, eine Verteilerangabe hat und außerdem noch den Bestimmungsort der Kisten angibt, die beiden ande- ren aber nur "Vg." aufweisen und keine Verteiler- und Bestimmungs- ortangaben haben, dies scheint mir aber angesichts der Tatsache der identischen Schreibmaschine, jedenfalls bezüglich des Falls Boetti- cher, nicht ganz so wichtig zu sein. Für solche Unterschiede gibt es doch reichlich einsichtige Erklärungsmöglichkeiten. Andrerseits sollte man vielleicht alle relevanten Dokumente noch einmal genauer auf Übereinstimmungen, auf Anzeichen prüfen, insbesondere im Hin- blick auf die Fährte: Wo in Paris diese Schreibmaschine war (eine deutsche übrigens, aber offenbar ohne "ß"), da dürfte auch der lauten-, instrumenten- und Renaissance-kundige Dr. Boetticher nicht weit gewesen sein (und möglicherweise andere auch nicht, vielleicht war es eine oder die Büroschreibmaschine der Pariser Außenstelle "Sonderstab Musik" des berüchtigten "Einsatzstab[s] Reichsleiter Rosenberg"). Der Bereichsleiter Gerigk des "Amt[s] Musik" verlegte November 1943 seinen Standort nach Schlesien ins im Hischberger Tal gelegene Schloß Langenau (seit der Nachkriegszeit polnisches Gebiet, Czer- nica). Überraschenderweise scheint ein Brief von dort, datiert auf den 24.6.1944 und unterschrieben von Gerigk, auf genau der hier angesprochenen Maschine geschrieben worden zu sein (zumindest ist es der gleiche Typ). Der Brief ist wiedergegeben in "Entartete Musik" 3. Auflage, S. 128 (siehe oben). Links zu Themen wie "Mitbringsel", "Gerigk" und "Boetticher": Pressestimmen zu de Vries, Dittrich Verlag (Revidierte Fassung der Homepage. Die Quellenangaben, wie in der früheren Fassung angegeben, werden von mir bei Gelegenheit ergänzt.) Wolfram Goertz, Die Zeit, Rezension Michael Walter, noch eine Rezension ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== Rainer Sieb, u.a. über Gerigk Kunstraub, Wikipedia-Artikel "Bruno Lohse" Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, Wikipedia-Artikel DP, 28.9.2007 (Datierung der Erstfassung dieses Teils) Video zur Nikolina Gora-Fundsache (1) A) Vorbemerkung In Moskau entdeckt: Hitlers Plattensammlung (keine Autorenangaben) Hamburg, August 2007 (Spiegel TV, Erstsendung: 12. August 2007) Dauer: 2 Minuten 54 Sekunden Video-Dokument. Am 12. Oktober 2007 ins Internet gestellt, Anfang Januar 2008 (spätestens am 10. Januar) aus dem Netz genommen, im Rahmen der Veröffentlichung des Lexikon-Datenbankverbundsystems "SPIEGEL WISSEN [-] DAS LEXIKON DER NÄCHSTEN GENERATION." am 12. Februar 2008 wieder zugänglich gemacht (öffentliche Präsentation des Lexikongefüges am 13. Februar). Man kann nur hoffen, daß jetzt im Spiegel-Archiv etwas Ruhe einkehrt, und daß dieses für die diskographische Erforschung der Nazi- zeit einerseits und der Nachkriegszeit andererseits wichtige Kurzfilm- dokument endlich online bleibt. Das wäre sehr zu begrüßen. Wichtig ist das Video in der Tat, trotz seiner Schwächen. Eine dieser Schwächen ist der Mangel, die Quellen, sprich: Alben und Platten, deut- lich, d.h. bildlich, in den filmischen Vordergrund zu bringen. Statt Stimmung also, betonter Inhaltliches kundzutun, zu beurkunden. Details zur Veröffentlichung des Filmbeitrags siehe nachfolgend. An diese Erläuterungen schießen sich diskographische Beobachtungen und Ausführungen an, in die hier und da und nach und nach Abbildungen (Alben, Etikette und dergleichen) eingefügt werden. Mangel herrscht nicht, die Frage ist nur, mit was man Anschaulichkeit erreichen kann. Diese im Entstehen begriffene Online-Arbeit mit Abbildungen zu über- laden, ist kein gangbarer Weg. Man muß sich eben etwas daran gewöhnen: Diskographische Ausführungen haben immer etwas Trockenes an sich, leider. Leblos ist die Materie aber nicht. Ein Ziel steht indessen fest: Das Video sinnvoll zu ergänzen. Video Nikolina Gora (Николина Гора, indirekter Link) Betrifft die angezeigte Video-Link-Box: Wähle "Vergrößern" (Direkt- Adresse wird angezeigt, deep linking möglich, Video wird im Rahmen der Abteilung "Spiegel Online Video" wiedergegeben); bei der Option "Abspielen" wird der Film in der Link-Box kleinformatig abgespielt (eine gesonderte Adresse wird nicht angezeigt). Deep Link zur Video- Vergrößerung (URL): http://www.spiegel.de/video/video-22699.html =============================================================== Beachte: Betrifft oben den toten indirekten Video-Link Der Spiegel hat in den Jahren 2007 bis 2009 zum x-ten Mal seine Archivstruktur geändert. Offenbar zum 1. Dezember 2009 erneut. Die hier gelieferten Beschreibungen sind mittlerweile überholt. Leider ist eine punktuelle Überarbeitung meiner Homepage derzeit nicht möglich. Die Link-Technik wird in Zukunft stark eingeschränkt, wo es möglich ist: eingestellt. Der ephemere Charakter des Web zwingt dazu. Der zeitliche Aufwand für die Aktualisierungen ist zu groß. Hier der direkte Link: Nikolina Gora 2. Dezember 2009 ============================================================== Hinweis: Ursprünglich konnte das Nikolina Gora-Video im Rahmen einer Abbildungs-Link-Leiste aufgerufen werden, die Adresse wurde im Browser-Adreßfeld offen angezeigt, war also kopierbar (Mög- lichkeit eines Direkt-Links). Mitte Dezember 2007 wurden diese Zugangsmöglichkeiten gelöscht, als die Video-Anzeige eine neue Struktur erhielt. Der Film selbst blieb aber zugänglich, man erreichte seine Anzeige über die Rubrik "Video" und die Such- feldeingabe "Video Suche:". Als Suchbegriffe waren besonders geeignet: Hitlers (mit "s"), Plattensammlung. Komfortabel konnte man diese (Geheim-)Lösung nicht gerade nennen. Die neue Struktur brachte insgesamt eine Reihe von Nachtei- len. Schuld daran war vor allem, daß der neue Video-Darstel- lungsmodus zu weitgehend in Flash programmiert war, er wider- ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== sprach etlichen Internet- bzw. Browser-Eigenschaften. So blieb z.B. auf der Strecke, Filme in eine Favoriten- oder Link-Liste aufnehmen zu können, denn es waren ja, wie oben schon im Fall des Nikolina Gora-Films angedeutet, die Adressen der Archiv- Videos nicht mehr zugänglich. Das alles wirkte undurchdacht. Nein, es drängte sich eigentlich der Verdacht auf, es stünde kaufmännisches Kalkül dahinter, eine absichtlich hürdenhafte Gestaltung zu fabrizieren, nur um durch Umständlichkeit zeit- schindende Langsamkeit entstehen zu lassen. Zeit, gefüllt mit nutzlosen Reklameeinschüben, -vorschaltungen. Merkt denn wirklich keiner der Reklame-Absender, wie sehr dieses Zeug nervt? Und an des Spiegels Adresse gerichtet die Mahnung: Oft genug ist der krasse Gegensatz zum nachfolgenden Inhalt schlicht und ergreifend peinlich. (Anmerkung: So wie es aussieht, scheinen mit der Einführung des Lexikonverbunds "Spiegel Wissen", Mitte Februar 2008, die Reklameeinspielungen nicht mehr so häufig vorzukommen. Warten wir es ab.) Mit "Spiegel Wissen" hat sich einiges verändert. So sind jetzt die Archiv-Videos direkt anlinkbar, die Adressen liegen offen. Die einfache und gegenüber Flash auch sichere HTML- Programmierung (mit den üblichen CSS- und Javascript-Bauteilen) hat wieder die Oberhand gewonnen. Das ist zweifellos hilfreich. Doch ganz mängelfrei war das neue Angebot anfangs nicht (Bei- spiel: In der Video-Link-Box, die bei dem obigen Aufruf er- scheint, funktionierte "Abspielen" nicht, ein Programmierfeh- ler). Und derzeit es gibt immer noch ein paar Browser-widrige "Techniken", die aber für unseren Fall der Anzeige des Nikolina Gora-Video nicht ins Gewicht fallen. Sehr gut ist hingegen, daß nun für das Link-Erscheinungsbild ein größeres Format gewählt wurde, es ist von den bislang drei Formaten das größte. Der blau-weiße Aufkleber "Führer- / hauptquartier / 912" auf dem himmelblauen Columbia-Etikett ist nun lesbar, was bei der zweiten Fassung, von etwa Mitte Dezember 2007 bis Anfang Januar verwendet, in keiner Weise mehr der Fall war (siehe dazu auch unten). Wer den obigen indirekten Link nicht benutzt und über "Spie- gel Wissen" den Weg über die Sucheingabe wählt, sollte "Hitlers Plattensammlung" eingeben. Versucht man es beispielsweise nur mit "Hitlers", kommt man nicht weit. Es gibt wohl noch andere Möglichkeiten ans Ziel zu kommen, aber der Link oben ist für unseren Zweck wohl der beste Weg. Am 12. August 2007, also sechs Tage nach der Veröffentlichung des Spiegel-Artikels "Souvenir aus dem Bunker", erschien auf Spiegel Online Spiegel TV die Nachricht, an diesem Tag würde von RTL in der Sendung "Magazin" ein Beitrag gebracht zum Thema: "DJ Hitler - Adolfs heimliche Plattensammlung entdeckt". Die folgende kurze Ausführung begleitete den Hinweis (Kopie 26.9.2007): DJ Hitler - Adolfs heimliche Musikleidenschaft Über 60 Jahre nach Kriegsende sind Teile von Hitlers Schallplattensammlung wieder aufgetaucht - auf dem Dachboden der Datschen-Siedlung "Nikolina-Gora" unweit von Moskau. Früher gehörte die Datscha Lew Besymenski, einem ehemaligen Hauptmann des militärischen Aufklä- rungsdienstes der 1. weißrussischen Front, der die Musiksammlung nach dem Krieg offenbar mit in seine Heimat ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== brachte. Überraschender noch als der Fund selbst ist die Tatsache, dass auf vielen der gefundenen Platten Feind- musik ist. Berühmte russische Komponisten ebenso wie jüdische Künstler. Anna Sadovnikova [Filmreporterin] hat sich die Sammlung in Moskau angesehen. Drei Monate später (am 12. Oktober) stellte der Spiegel auf Spiegel Online Spiegel TV den oben angegebenen Film ins WWW, Titel: "In Moskau entdeckt: Hitlers Schallplattensammlung" (im Untertitel zum späteren Archiv-Video nur noch "Plattensammlung", siehe oben). Das Vorschaubild zum Film zeigt ein hellblaues Columbia-Etikett mit dem Aufkleber "Führer- / hauptquartier / 912"; diese Nummer war bisher noch nicht aufgetaucht. Sie war, nebenbei gesagt, auf der ursprünglichen Fassung des Vorschaubildes lesbar, und das ist sie auch seit der Einführung des Lexikonverbunds "Spiegel Wissen" wieder (die zwischenzeitliche, das Video begleitende Fassung hatte ein zu kleines Format, um die Auf- schrift lesen zu können). Mittlerweile sind sieben solcher "Führer- hauptquartier-Nummern" bekannt (zu den ersten sechs siehe oben die Diskussionen): 727 (Klaviersonate? C-moll), 728 und 73[2] (Schubert: Streichquintett, op. posth. 163), 779 (Wenn man beim Wein sitzt), 839 und 840 (beide Schaljapin) sowie 912 (Erörterung siehe unten). Setzt man als gegeben, 728 und 732 seien die Ecknummern des Streichquintett- Sets, alles spricht dafür und nichts dagegen, dann sind sogar zehn Nummern bekannt. Und da wir schon beim "Setzt-man-als-gegeben" sind: 912 macht ohne 911, 913 und 914 keinen rechten Sinn. Damit wären wir bei 13 FHQ-Nummern angelangt. Im Film sind 20 Alben zu sehen. Zu erkennen sind zunächst das "Lehmann-Album", das RCA Victor-Brahms-Album "ein deutsches requiem" und das "Huberman-Album". Außerdem ist wohl auch das erst im November 2008 in den Blickwinkel gerückte Electrola-Album Nr. 177 (Schubert: Streichquintett, op. posth. 163) dazuzuzählen. Diese vier wurden oben diskutiert. Zum "Lehmann-Album" noch die Bemerkung: Man sieht deutlich (in der Umgebung der 30-cm-Alben), daß es, wie oben schon mitgeteilt, ein Album für 25-cm-Platten ist. Identifizierbar sind überdies ein weiteres Album sowie ein Ausgaben- satz (bzw. ein Teil davon), beide Objekte waren bislang nirgends zu sehen oder auch nur angedeutet worden. Um hier wenigstens etwas Klar- heit zu schaffen, waren teils sehr intensive Recherchen nötig. Die Ergebnisse sind in zwei Kapiteln zusammengefaßt: "B) Rotes Electrola- Album" und "C) Himmelblaues Columbia-Etikett", wobei die Abhandlung über das rote Electrola-Album eine ganze Reihe von Themen aufgreift, aufgreifen muß, denn es ergeben sich mittlerweile doch etliche Fragen, insbesondere allgemeiner, historischer Art. Es ist jetzt wohl auch an der Zeit, daraufhinzuweisen, daß der Auf- kleber "Führer- / hauptquartier" bislang nur im Zusammenhang mit Plat- ten auftaucht, die Alben selbst scheinen keine dementsprechenden Archiv- markierungen zu haben. Das könnte weitere Fragen aufwerfen, wie über- haupt bei näherem Studieren der bis jetzt vorliegenden Quellunterlagen zu diesem Gebiet immer mal noch das eine oder andere auffällt, das von Interesse sein könnte. Einzelheiten dazu findet man u.a. in der Abtei- lung "C) Verschiedenes" im Anschluß an die folgende längere Ausführung (als Nachtrag von Zeit zu Zeit, denn Nachforschungen auf diesem wüsten- artigen Terrain sind frustrierend zeitintensiv, und selbstverständlich brauchen dann auch die Darlegungen eventueller Ergebnisse ihre Zeit). Eines der Alben zieht im Übrigen mein Identifikations-Interesse seit langem besonders an. Es handelt sich um das blaue Album, das im Film nach kurzer Zeit vor der Heizung zu liegen kommt, dasjenige in der Mitte der drei Albenstapel, es hat drei Bindungsstifte. Ein spezielles Firmenalbum scheint es nicht zu sein, also trotz der satten Bläue wohl auch kein Parlophon-Album. Man sieht, daß der Deckel, etwa im oberen Drittel, mittig, eine seltsame Auffälligkeit aufweist. Es scheint da etwas weggekratzt worden zu sein. Was könnte das gewesen sein, das möglicherweise für so "wichtig" oder verräterisch gehalten wurde, daß es entfernt wurde, entfernt werden mußte? Vielleicht ein Hoheitszei- chen? Die übereinandergestellten Buchstaben A und H? Hitler verwendete in seiner Privatsphäre derartige Embleme. Und auch über der Eingangs- tür zu Hitlers Arbeitszimmer in der von Albert Speer gebauten Neuen Reichskanzlei war ein solches Führer-Monogramm, H über A, angebracht worden. Diese Tür, die von der monströsen Marmorgalerie zum Arbeits- zimmer führte, kann man sich samt dem Führer-Emblem (ein Riesending) im Internet ansehen (über YouTube in einigen "Hitler-Filmen" auch). Leider ist es mir bis jetzt (Mai 2009) nicht gelungen, ein Album mit einem Zeichen oder einer Aufschrift ausfindig zu machen, das zu dem im Film sichtbaren blauen Album passen könnte. B) Rotes Electrola-Album Neu ist ein rotes Electrola-Album mit betiteltem Rücken "Beethoven Violinkonzert in D-dur Op. 61". Vor dieser Titelgebung, also unten über dem Boden, steht vermutlich "ELECTROLA / ALBUM / No. [Zahl]". Man sieht nur, daß da eine Aufschrift ist, entziffern kann man sie nicht. Die Machart weist das Album nach aller Erfahrung in die 1930er Jahre bzw. ins "Dritte Reich", das legen auf dem Deckel auch die Aufschrift "ELECTROLA" und das Electrola-Logo nahe. Ein typisches Firmen-Album ist das, es unterscheidet sich ganz charakteristisch von einigen anderen roten Alben, von sogenannten Archiv-Alben, die auch im Film zu sehen ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== sind (zu dieser überaus wichtigen Spezies sind erste Hinweise in Vor- bereitung). Ob in dem Electrola-Album mit der oben angegebenen Rückenbeschrif- tung die Platten D.B. 2927/2931 und D.B.S. 2932 stecken? Das wäre al- lerdings mindestens so ungewöhnlich wie das Vorhandensein des Huberman- Albums ungewöhnlich ist, denn der Solist dieser Einspielung ist Fritz Kreisler (ebenfalls jüdischer Herkunft). Inwieweit eine solche Frage diskographisch überhaupt gestellt werden kann, werden wir uns ansehen, und zwar im Rahmen eines Überblicks über die Gramophone- bzw. EMI- Einspielungen dieses Konzertes, die alle mit EMI-Tochterfirmen bzw. Etiketten wie His Master's Voice, Electrola und Disque "Gramophone" zu tun haben und auch alle in der international betriebenen bzw. aufgefaß- ten D.B.-Serie erschienen sind (Einzelheiten dazu weiter oben). Huberman und Kreisler, das sei eingeschoben (die Info könnte für das Thema "Der 'Führer', ein Plattensammler?" Bedeutung haben), spielten besondere Instrumente: Stradivari-Geigen. Hubermans Instrument stammte von 1713; es wurde ihm 1936 in der Carnegie Hall, New York, gestohlen (tauchte dann 1987, offenbar unter dramatischen Umständen, wieder auf; Quelle, Internet: emilorlikart.com). Zu Kreislers Violine das folgende Zitat: Après avoir joué un Stradivarius de 1721 ayant appartenu à Fritz Kreisler, Renaud Capuçon joue à présent le Guarneri del Gesù «Panette» de 1737, ayant appartenu à Isaac Stern et acheté pour lui par la Banque Suisse Italienne (BSI) (Quelle: pagesperso-orange.fr/fondationpierre dumas/cvrenaud capucon.htm) (Recherche: November 2007). =================================================================== Beachte: Die in diesem Kapitel zwecks Identifikation dargestellte Diskussion stammt im wesentlichen vom Herbst 2007. Mittlerweile ist aber das Album eindeutig identifiziert. Es handelt sich um das unten unter Punkt 5 angeführte Electrola-Album Nr. 4, das heißt, wenn in dem im Film sichtbaren Album die richtigen Platten stecken, dann läge Kreislers erste Aufnahme des Konzerts vor, also diejenige von 1926. Sollte das zutreffen, wäre die entscheidende Frage: Haben die Platten den "Führer- / hauptquartier"-Aufkleber? Wenn wiederum ja, dann wäre dies zweifellos eine weitere höchst verwunderliche Tatsache. Wie konnte es zu der Verspätung der Identifizierung kommen? Ich hatte übersehen, daß die auf dem Rücken des Albums unleserliche Numerierung deutlich nur eine einstellige Zahl sein kann. Nun ist leider die Nummer des Electrola-Albums der Kreisler-Aufnahme von 1936 nicht bekannt; doch wenn es überhaupt eine gab, kann sie, nach den Einzelplattennummern geurteilt, nur irgendwo um 120 herum liegen. Und da das Strub-Album die laufende Nummer 258 hat, bleibt für das Electrola-Album in Nikolina Gora nur die Zahl 4 übrig. Das ist unzweifelhaft. Über den gegenwärtigen (oder vielleicht einsti- gen) Inhalt des Albums ist damit allerdings noch nichts gesagt. Der Kreisler-Eintrag von 1926 wird bei Gelegenheit mit den nötigen Details versehen, z.B. mit den Satzangaben. Wie jedoch die vorliegende Identifikationsdiskussion zu verändern ist, ohne daß der vielleicht nicht uninteressante Informationsge- halt verloren geht, zumal er für den noch unbekannten Inhalt des Albums möglicherweise von Bedeutung sein könnte, ist eine offene Frage. 25.2.2009 =================================================================== 1) Aufnahme 1947 Yehudi Menuhin, Orchestre du Festival de Lucerne, Wilhelm Furtwängler His Master's Voice (GB) D.B. 6574-6578, D.B.S. 6579 (6 Platten, 11 Seiten, D.B.S.: "S" bedeutet "single-sided", Platte "einseitig"); automatische Kopplung: D.B.S. 9198, D.B. 9199-9203 (nicht in Clough/Cuming, WERM) Datierung: Luzern (Kunsthaus), 28. und 29. August 1947 (Produzent: Walter Legge, über ihn siehe weiter oben) 2) Aufnahme 1940 Jascha Heifetz, N.B.C. Symphony Orchestra, Arturo Toscanini [RCA] Victor (USA) Album M-705 (5 Platten, 9 Seiten, Einzelplatten- nummern: 17441-17445, letzte Platte "single-sided") Datierung: New York (Radio City, Studio 8-H), 11. März 1940 Übernahmen: His Master's Voice (GB) D.B. 5724-5727, D.B.S. 5728 (5 Platten, 9 Seiten), automatische Kopplung: D.B.S. 8821, D.B. 8822- 8825 (nicht in Clough/Cuming, WERM). Auch veröffentlicht auf D.B. (CH) 6065-6068, D.B.S. 6069 und auf D.B. (F) 11110-11114 (D.B. 11114 nicht "single-sided", B-Seite hat ein "Füllstück": Franz Schubert, Rondo aus der Klaviersonate D-dur op. 53, Bearbeitung von Carl Friedberg; Interpreten: Heifetz und Emanuel Bay, Klavier; die Angabe in Bennett/Hughes [1961] "automatic coupling" ist sicherlich falsch, vgl. die dem widersprechenden Angaben in Clough/Cuming, WERM). 3) Aufnahme 1939 Max Strub, Sächsische Staatskapelle, Dresden, Karl Böhm ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== Electrola D.B. 5516-5520, D.B.S. 5521, Album Nr. 258 (6 Platten, 11 Seiten) Datierung: Dresden 1939 4) Aufnahme 1936 Fritz Kreisler, London Philharmonic Orchestra, John Barbirolli His Master's Voice (GB) D.B. 2927-2931, D.B.S. 2932 (6 Platten, 11 Seiten), automatische Kopplung: D.B.S. 8210, D.B. 8211-8215 (nicht in Clough/Cuming, WERM) Datierung: London, 16. Juni 1936, veröffentlicht 1937 Übernahme: Electrola D.B. 2927-2931, D.B.S. 2932 (Matrizennummern: 2EA 2974-2984), auch als Nachkriegsauflage gepreßt (siehe unten). 5) Aufnahme 1926 Fritz Kreisler, Mitglieder des Orchesters der Staatsoper Berlin, Leo Blech Electrola D.B. 990-995, Album Nr. 4 (D.B. 995, B-Seite, "Füllstück": Johann Sebastian Bach, Adagio aus der Partita in g-moll, unbegleitet) Datierung: Berlin (Singakademie?), 14. bis 16. Dezember 1926 (sehr frühe elektrische Aufnahme, ein Jahr nach der Einführung) Es soll nun die Frage angegangen werden, ob eine dieser Aufnahmen mit dem Bereich "Führerhauptquartier" in Verbindnung gebracht werden kann, mit anderen Worten: ob eine Herkunft aus dem "Führerbunker" überhaupt möglich ist? Eine der Einspielungen kommt von vornherein nicht in Betracht: Die Menuhin-Aufnahme von 1947. Sie wurde hier nur angeführt, weil sie eine D.B.-Ausgabe ist (die letzte D.B.-Ausgabe dieses Konzerts) und weil die klassischen Nachweiswerke Clough/Cuming (WERM) und Bennett/Hughes [1961] keine Datierung ermöglichen (das gilt für die anderen Ausgaben ebenso). Dazu kommt noch, daß diese beiden Werke "Electrola" nicht gesondert angeben, sondern unter "Gramophone" bzw. "His Master's Voice" subsumie- ren. Somit könnte also, da die D.B.-Serie eine internationale Serie war, durchaus das Mißverständnis entstehen, die Menuhin-Aufnahme sei auch auf Electrola erschienen. Meines Wissens ist sie aber als 78er Ausgabe nie im Electrola-Katalog geführt worden. Doch ist natürlich der extreme Fall nicht auszuschließen, die englische oder eine andere ausländische Pres- sung in einem alten Electrola-Album vorzufinden. Der Gründe dafür könn- ten viele sein (siehe auch weiter unten die Anmerkung zur Nachkriegs- pressung der 1936er Kreisler-Aufnahme). Auch die Heifetz-Aufnahme ist kein kniffliger Fall, sie erfordert aber dennoch eine etwas ausgebreitete Darlegung der Verhältnisse. Zunächst eine Tatsache: Diese Einspielung vom März 1940 ist weder im 14. noch im 15. Numerischen Verzeichnis (Stand: 31. Dezember 1940 bzw. 30. November 1941) der Electrola-Platten geführt. Auch sonst kenne ich keinen Nachweis einer deutschen Ausgabe. Kurz: Es ist davon auszugehen, daß zumindest vor Kriegsende die Aufnahme in Deutschland (gemeint ist in etwa das Deutschland innerhalb der "kleindeutschen" Grenzen) nicht ange- boten oder verkauft worden ist, auch nicht über den Weg des Imports. Etwas anderes ist auch nicht zu erwarten. Denn da war zunächst einmal die faschistische Rassen-Ideologie, die gegen 1940, eigentlich schon viel früher, eine unüberwindbare Mauer darstellte (zu Kreisler aber, 1937/1938, siehe unten). Darüber hinaus war Electrola als Tochterfirma des (englischen) EMI- Konzerns durch die am 3. September 1939 dem "Dritten Reich" gegenüber ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== ausgesprochene Kriegserklärung Englands und Frankreichs in nicht zu unterschätzende Sortimentsprobleme geraten. Um deren Auswirkungen deut- licher zu sehen, ist günstig, auf die (bezüglich des so wichtigen Matrizenaustauschs bestehende) EMI-Dreiecksbeziehung hinzuweisen: Nicht nur Electrola und RCA Victor waren Vertragspartner, auch die EMI-Mutter und RCA Victor waren es, übergeordnet sogar. Somit war klar: Hier war wohl nicht mehr viel zu erwarten. Außerdem lief die Zeit ab: Man nimmt bei Schallplatten als Erstellungsdauer (für Matrizierung, Pressung, Druck, Auslieferung usw.) im Regelfall zwei bis drei Monate an, je nach Fall kann es flotter gehen, es kann aber auch (aus technischen Gründen beispielsweise) "ewig" dauern. Bei einer Übernahme kommt noch hinzu: Matrizenverschickung, Preßstempelherstellung ("Sohnmatrizierung"), Druckproduktion (Etikett, Album usw.) und die eigentliche Pressung. Für all das zusammen kann man gut und gerne sechs bis neun Monate ansetzen, so daß sich in Spannungszeiten (lies: Krieg) derartige überkontinenta- len Fabrikationsabläufe peu à peu zu unberechenbaren Warteschleifen auswachsen. Fazit: Auch wenn die Kriegserklärung des "Dritten Reichs" an die USA "erst" am 11. Dezember 1941 erfolgte, für eine deutsche Pressung einer amerikanischen RCA Victor-Aufnahme waren die Zeiten nicht gerade förderlich geworden. Deshalb versuchte Electrola auch, sich zunehmend auf deutsche Künstler zu konzentrieren. Und just bei opus 61 empfand die Repertoire-Abteilung wohl auch keine Lücke, siehe Aufnahme 3. Doch zunächst zu Aufnahme 4 und hierbei wiederum zuerst eine Tatsache (die vielleicht erstaunen wird): Die englische 1936er Kreisler-Aufnahme ist, wie der unten angegebene Katalog zeigt, im "Dritten Reich" um 1937/1938 herum "offene" Handelsware. Nicht nur das, der Katalog ent- hält darüber hinaus zahlreiche Platten mit Kompositionen oder Bearbei- tungen von Kreisler, besonders ist er aber als Interpret genannt: über 80 Einträge. Columbia Electrola Haupt-Katalog 1937/38 Dieser Katalog enthält alle bis 30. September 1937 erschienenen, noch geführten >Electrola<- und >Columbia<-Musikplatten ausschl. [aus- schließlich] Tanzplatten Doch ein Jahr später ist Kreisler dann komplett gestrichen (Katalog- angabe siehe unten). Das bestätigt auch das (bezüglich Jazz "noch recht freizügige") 13. Numerische Verzeichnis der Electrola GmbH (Stand: 31.8. 1939). Es ist zu vermuten, daß in dieser Zeit (1938/1939) Goebbels mas- siv gegen Electrola vorging, vielleicht auch gegen den Electrola-Direk- tor Albert Thomas Lack persönlich. Denn Lack war für Goebbels ein Gal- lenstein besonderer Größe und Electrola zudem eines der Tore z.B. nach Frankreich (La Voix de son Maître), England (EMI) und zu den USA (RCA Victor mit seinen fulminanten Stokowski-Erzeugnissen, vom Jazz ganz zu schweigen: Benny Goodman u.a.). Statt "Tor" wäre der Begriff "Hintertür" vielleicht treffender. Hauptkatalog 1938/[1939] / Electrola Columbia Dieser Katalog enthält alle bis 30. September 1938 erschienenen, noch geführten >Electrola<- und >Columbia<-Musikplatten ausschl. [aus- schließlich] Tanzplatten ======================================================================== Und außerdem Seite E? ========================================================================
Electrola Columbia Hauptkatalog 1938
Das "Ensemble": Radio, Plattenspielertruhe Zur Nazizeit Elektro-Träumen am Südsee-Gummibaum Gestrichen ("ausgemerzt"): Ignaz Friedman, Bronislaw Huberman, Fritz Kreisler, Felix Mendelssohn Bartholdy und andere personae den Nazis non gratae (erlesener Einband in Bütten, Abbildung fensterartig vertieft)
Es ist die Sichtweise wohl richtig, daß Kreislers Aufnahme von 1936 als Ersatz für die frühe Aufnahme von 1926 gedacht war. Wie lange die alte Aufnahme noch erhältlich, d.h. bestellbar war, ist derzeit noch nicht klar. Überraschend ist, daß im Katalog 1937/38 das "Füllstück" für die B-Seite der Platte 6, "Partita in G-Moll. Bach", Bestellnummer "DB 995" (noch) angegeben ist (Abteilung: Electrola, Titelverzeichnis, S. 57), das Hauptwerk, Beethovens Violinkonzert, aber nicht (mehr). Hier liegt, im Fall der "Noch-Nennung" des "Füllstücks", offenbar ein Ver- sehen vor, und man wird wohl davon ableiten können, daß im Katalog zuvor (1936/37) die alte Aufnahme noch im Angebot war. Und in der Tat war das so, das bestätigt jedenfalls die "3. Auflage" dieses Katalogs, deren genaue Datierung bis jetzt noch nicht geglückt ist (naheliegende Vermutung: Anfang Dezember 1936). Eines sollte unbedingt noch angemerkt werden: Die 1936er Kreisler- Einspielung erschien auch als 78er Nachkriegspressung, Bestellnummmern wie oben angegeben. Doch wann genau diese Ausgabe in den Handel kam, ist noch nicht geklärt, vielleicht Ende 1949 (für das noch kümmerliche Trümmer-Weihnachtsgeschäft). Wie immer, der "Electrola und Columbia Musikplatten Hauptkatalog 1950", der nach dem Krieg der wohl erste Electrola-Columbia-Gesamtkatalog war und die "Neuerscheinungslisten" bis zur Nummer 12 (offenbar August 1950) enthält, verzeichnet die Aufnahme (weiteres zu diesem Katalog und zu Electrola-Nachkriegs- pressungen in Vorbereitung). Drei der bisher näher betrachteten Aufnahmen des Konzerts hatten "Merkmale", die gegen eine Herkunft aus dem "Führerhauptquartier" bzw. "Führerbunker" sprechen könnten (nur zur Erinnerung: die 1947er Menuhin- Aufnahme kommt selbstverständlich von vornherein nicht in Frage). Bei der 1926er Ausgabe sind die Schranken das Alter der Aufnahme und die jüdische Herkunft des Solisten (Kreisler), und dieses letzte "gewichtige Merkmal" gilt auch für die 1940er Aufnahme (Heifetz), wobei gegen diese zeitlich letztmögliche Einspielung noch einige andere, oben dargelegte, Argumente sprechen. Im Gegensatz dazu spräche gegen die 1939er Aufnahme Max Strubs über- haupt nichts. Und somit könnte gut sein, daß sie es ist, die in dem im Video gezeigten Album steckt (oder gesteckt hat). Denn wenn sie es nicht ist, bliebe, mit einiger diskographischer Bodenhaftung gedacht, zunächst nur ein "Fall Kreisler" übrig, entweder die Aufnahme von 1926 oder die von 1936. Möglich ist natürlich auch, daß das Album überhaupt nichts mit ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== Hitler zu tun hat und schlicht und einfach eine Nachkriegshinzufügung ist. Strubs Einspielung erschien laut Clough/Cuming (WERM) nur in Deutsch- land, und auf der Suche nach Besprechungen fand ich bislang nur eine einzige, eine Kurzbesprechung (länger waren die damaligen "Rezensionen" ohnehin nur in Ausnahmefällen). Die (nennen wir sie:) "Bekanntmachung" erschien im Dezember 1939 in der "einschlägigen" Monatszeitschrift "Die Musik", deren Untertitelgebung lautet: "Organ der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP. / Amtliches Mit- teilungsblatt des Musikreferats im Kulturamt der Reichsstudentenfüh- rung", so auf dem Titelblatt und der ersten Textseite, auf der es wei- tergeht mit "Mitteilungsblatt der Berliner Konzertgemeinde" (war eben- falls eine NS-Einrichtung). Der Herausgeber dieser 1901 gegründeten, 1933 nazifizierten und später (bis zum "Bormann-Erlaß") in einer stili- sierten "Nazi-Fraktur" ("Runen-Fraktur") gesetzten Zeitschrift war seit etwa Mitte der dreißiger Jahre "Dr. phil. habil. Herbert Gerigk, Reichs- hauptstellenleiter" {*1}. Er ist auch der Verfasser der erwähnten "Kurz- besprechung", die unten wiedergegeben ist. Eigentlich eine harmlose Abfassung: Gerigk, der Nazi-Wolf im Schafpelz. Denn: Nicht alle der zahlreichen Artikel, Platten-, Noten- und Buchbesprechungen Gerigks sind so "harmlos" (zu Gerigk siehe auch weiter oben). In einen wirklichen Nazi-Zusammenhang zu bringen, wäre hier, wenn überhaupt, nur der Schlen- ker "der kompromißlose Beethoven" (dazu jedoch die Faschismus-Verehre- rin Elly Ney, in Vorbereitung): B e e t h o v e n s V i o l i n k o n z e r t liegt auf elf Plattenseiten in einer Aufnahme mit Max S t r u b als Solist vor, der mit außerordentlicher Musikalität jede Phrase herrlich durchformt und dessen makellose Technik die Grundlage für eine genußvolle Wiedergabe bil- det. Die Verinnerlichung seines Spiels tritt besonders in Erscheinung im Larghetto, das in herrlichem Zusammengehen mit der Dresdner Staatskapelle unter Karl B ö h m s Führung geradezu als der Höhepunkt der Aufnahme er scheint. Dabei läßt sich Strub in den Ecksätzen nichts von den virtuosen Möglichkeiten entgehen, für die auch der kompromißlose Beethoven gesorgt hat. Akustisch wieder eine Meisterleistung der Technik! Böhm musiziert - wie es auch richtig ist - als gleichberechtigter Partner mit dem Solisten. (Electrola DB 5516/5520.) In: Die Musik, Berlin, Dezember 1939 (XXXII. Jahrgang, Heft 3, Abteilung: Die Schallplatte, Neuaufnahmen in Auslese), S. 104 {*1} Beachte: Die Unterbetitelung des Nazi-Magazins "Die Musik" veränderte sich im Laufe der Zeit. Nach dem "Bormann-Erlaß" vom 3. Januar 1941 wurde der Satz nicht sofort komplett umgestellt. Das Deckblatt behielt das alte "Runen-Fraktur"-Layout ohnehin (eine kurze Darstellung zu alldem ist in Arbeit). Den ersten Eintrag der Strub-Einspielung in den Electrola-Columbia- Katalog enthält die wohl zweite Ausgabe des Hauptkatalogs 1939/1940. Diese erschien offensichtlich im Dezember 1939, ihr ist nämlich ein Nachtrag für die Zeit September bis November beigeheftet. Und in eben dieser Ergänzung befindet sich der Eintrag, d.h. nach Adam Riese, die Aufnahme war nicht vor September 1939 auf dem Markt (weitere Einzel- heiten zu dieser Katalogausgabe siehe weiter unten, dort findet man auch einen Scan des Deckels vor). Zu dieser Sachlage der Veröffentlichung paßt, daß auch das 13. Numerische Verzeichnis der Electrola- und Columbia-Platten, das den Produktionsstand zum 31. August 1939 wieder- gibt, die Aufnahme nicht enthält, daß aber ein die Aufnahme betreffender vorgedruckter Nachtragszettel existiert (der in das mir vorliegende Exemplar dieses Verzeichnisses eingeklebt wurde). Fortsetzung in Vorbereitung. Themen u.a.: Hitler, ein Plattensammler? Platten in Hitlers Berghof, im "Führerhauptquartier", Plattenanschaffung für Hitler (erste Gedanken dazu). ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== C) Himmelbaues Columbia-Etikett Neu ist auch ein Album, dessen Deckel nicht zu sehen ist, es wird aufgeschlagen, das heißt, nach zwei leeren Plattentaschen (fehlende Platten?) kommen die Etikette zweier Platten zum Vorschein: hellblaue bzw. himmelblaue deutsche Columbia-Etikette mit goldfarbenem Aufdruck, beide Platten tragen den "Führer- / hauptquartier"-Aufkleber. Beim Umschlagen sieht man, daß die linke Platte einen auf jeder Seite hat, wovon der eine beschädigt ist (die Aufschrift ist verloren gegangen), der Aufkleber auf der rechten Platte ist zwar intakt, doch nicht ent- zifferbar. Es handelt sich um ein "Klavierkonzert in A-moll, Op. 16", so läßt sich der Goldtext auf dem in Großaufnahme gezeigten zweiten Etikett der nach links aufgeschlagenen Platte entziffern, der Aufkleber (linksgezackt) hat die Aufschrift: "Führer- / hauptquartier / 912". Von den anderen relevanten Etikett-Informationen ist vage "Grieg", "Walter" und noch vager, aber dennoch eindeutig, "Gieseking" auszu- machen (ebenso schemenhaft das Präfix der Matrizennummer: C[RX], "C" = elektrische Aufzeichnung mit Hilfe des Columbia-Verfahrens nach Alan Blumlein, Einführung der Technik 1932 oder 1933, Einführung der Kenn- zeichnung spätestens 1933, "R" = Deutschland, "X" = 30-cm-Platte {*1}). Erkennbar wird auch die Titelgebung (wenn man weiß, was da in etwa stehen muß) "2. Satz (I. Teil): Adagio", und daß es sich um die Seite 4 handelt, ist ebenfalls erahnbar (Weiteres siehe unten). {*1} In der ersten Version des Identifikationsversuches hatte ich als Matrizen-Präfix "CAX" vermutet. Das aber ist eigentlich eine Kennzeichnung englischer Aufnahmen bzw. Pressungen (mehr dazu im Huberman-Kapitel). Beachte: Durch die Bestimmung der Gieseking-Aufnahme sind in der Nikolina Gora-Platten(an)sammlung bis jetzt zwei Nachweise des Grieg- schen Klavierkonzertes aufgetaucht. Man erinnere sich an die oben be- sprochene Aufnahme mit (sicherlich) Ignaz Friedman. Klavierkonzert, zwei lyrische Stücke, diskographische Details im Überblick: Edvard Grieg (1843-1907) Klavierkonzert A-moll, op. 16 (erste Fassung 1868, mehrfach ver- bessert, letzte Fassung: 1907, kurz vor dem Tod) Walter Gieseking Mitglieder des Orchesters der Staatsoper, Berlin Hans Rosbaud Columbia LWX. 210-213 (Album No. 41, 4 Platten), Konzert: 7 Seiten Rückseite von LWX. 213 (Seite 8, zwei "Füllstücke"): Edvard Grieg, An der Wiege, op. 68, Nr. 5, Französische Serenade, op. 62, Nr. 3; beide Werke gehören zur Reihe "Lyrische Stücke" (Lyriske Stykker) für Klavier {*1}, Interpret: Gieseking. Datierung: Berlin, 28. April und 13. Oktober 1937 (Klavierkonzert), Aufnahmedatum für die beiden Klavierstücke: 28. April 1937 oder kurz danach, vielleicht 29. April (war ein Werktag = Donnerstag); Anmer- kung zur Datierung siehe unten. Erschienen wohl Anfang 1938 (in den USA spätestens März). Matrizennummern: CRX 55-6, CRX 56-2, CRX 57-1, CRX 58-2, CRX 59-2, CRX 60-2, CRX 61-2, CRX 74-2 Beachte: Angaben nach dem Bestandsverzeichnis "Historische Tonträger im Deutschen Musikarchiv", Labelkatalog, Band 2, Columbia, Berlin 1988 Übernahmen: Columbia (GB) LX 647-650, Columbia (F) LFX 498-501, ar- gentinische und USA-Ausgabe siehe Clough/Cuming (WERM) Frühester Katalognachweis (LWX. 210-213): Hauptkatalog 1938/[1939] / Electrola Columbia (Näheres und Abbildung siehe oben) Beachte: Clough/Cuming (WERM), Hauptteil, Grieg "Concerto...": LWX. 210-213 fehlt, erst in den Korrekturen angegeben: Second Supplement, 1953; "At the cradle", LWX. 213, Druckfehler: 203; "French Serenade": deutsche Bestellnummer fehlt. 13. bis 15. numerisches Verzeichnis: Album Nr. 41, Hauptkatalog 1939/40: Album C 41 (Hauptkatalog 1938/[1939]: kein Hinweis auf ein Album), Deutsches Musikarchiv: Columbia Album No. 41 {*1} Es erschienen zwischen 1867 und 1901, aufgeteilt auf 10 Hefte, 66 "Lyrische Stücke", Erstveröffentlichung jeweils: Edition Peters, Leipzig. Die allgemein verbreitete Titelgebung "Lyriske Stykker" scheint von den Autographen abgeleitet zu sein. Denn die Titelgebung der (deut- schen) Erstausgaben sieht insgesamt wohl etwas anders aus, jeden- falls steht auf dem Deckblatt des Opus 47: Lyrische Stücke / Heft IV. / Morceaux lyriques - Lyric Pieces. / Opus 47. // (Recherche bei Gelegenheit) Igor Strawinsky instrumentierte 1910 Opus 71, Nr. 3, "Der Kobold" (Småtrold), für Orchester. Die Columbia-Ausgabe LWX. 210-213 (Album Nr. 41) war mit großer Wahrscheinlichkeit bis Ende 1943, bis zum kriegsbedingten Zusammenbruch der Electrola-Columbia-Produktion lieferbar. "15. Numerisches ELECTROLA Verzeichnis" heißt der sicherlich letzte größere Katalog mit Electrola- und Columbia-Platten (Stand: 30. November 1941). In diesem Verzeichnis jedenfalls ist das Gieseking-Album noch im Angebot. Gieseking, so scheint es, war sowieso immer mit dabei, selbst das möglicherweise letzte Electrola-Columbia-Lebenszeichen "Neuerscheinungen 1943 / Liste 5", enthält eine Platte von ihm: Columbia LW 39 (Beethoven, Sonate in G-dur op. 49, Nr. 2, RM 4.-). Übrigens: "NEUE PLATTEN / können zur Zeit nur gegen Rückgabe von Altmaterial [= alte, abgespielte Platten] bezogen werden." Das steht unten auf der letzten Seite des Faltblatts. Neu ist diese Einschränkungsmaßnahme allerdings nicht, schon bald nach Kriegs- beginn trifft man in der Plattenwirtschaft auf so etwas, dieses oder ähnlichen Inhalts. ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== Die deutsche Ausgabe der Gieseking-Einspielung ist als Album sehr selten, der Plattensatz selbst ist es nicht, er ist für die Diskographie "greifbar". Doch bevor eine "Objektansicht" geplant wird, kann voraus- greifend auf der Grundlage einiger Sekundärquellen zumindest schon mal eine Auskunft über so manches geliefert werden, so auch über die Titel- aufschriften. Das Nikolina Gora-Video legt die Form, das Muster nahe, die nötigen weiteren Einzelheiten vermitteln die Electrola-Columbia- Kataloge (Hauptkataloge 1938/[1939], 1939/1940, die numerischen Ver- zeichnisse 13 = Stand August 1939, 14 zweite Ausgabe = Stand Dezember 1940, 15 = Stand November 1941), das Bestandsverzeichnis des DMA von 1988 (siehe oben), vor allem aber die historischen Karteinachweise (also die "Karteikarten" = ein weißer Schimmel) aus dem im Haus des Rundfunks, Berlin, angesiedelten ehemaligen Zentralarchiv des Reichsrundfunks (Scans in Vorbereitung). Mit Hilfe dieser vorgenannten Quellen-Mixtur ergibt sich die unten wiedergegebene Aufstellung der Titelgebungen, so wie sie vermutlich auf den Etiketten der acht Seiten stehen. Uns interessiert hierbei besonders die Seite 4 mit der vermuteten Betitelung (siehe oben) "2. Satz (I. Teil): Adagio". Das nämlich ist die Platte, die der Aufkleber "Führer- / hauptquartier/ 912" "verziert". Und ausgehend von dieser Tatsache, ergibt sich, daß, wie oben erwähnt, der Satz wohl die FHQ-Nummern 911 bis 914 hat oder hatte. 1 1. Satz (I. Teil): Allegro molto moderato LWX. 210 2 1. Satz (II. Teil): Allegro molto moderato LWX. 210 3 Kadenz und 1. Satz (Schluß): Allegro molto moderato LWX. 211 4 2. Satz (I. Teil): Adagio LWX. 211 5 2. Satz (Schluß): Adagio LWX. 212 3. Satz (I. Teil): Allegro moderato molto e marcato 6 3. Satz (II. Teil): Allegro moderato molto e marcato LWX. 212 7 3. Satz (Schluß): Allegro moderato molto e marcato - LWX. 213 Andante maestoso 8 a) An der Wiege - b) Französische Serenade LWX. 213 Auch Diskographen sind nur Menschen. Vor allem wenn es um Begleit- informationen ganz bestimmter Sorte geht. Das kann sie umtreiben, so wie Liga-Tischtennisspieler jahrelang lang über Belag-Ontologien (Seins- Beschaffenheiten) philosophieren können. Der Krisisgrund in diesem Fall: Eng beieinanderliegende Matrizennummern und weit auseinanderliegende Aufnahmetage, es droht Vertrauensverlust. Zunächst zur Materiallage: Die oben angegebenen Aufnahmedaten stammen aus mehrfachen Web-Quellen. Wo kommen deren Daten her? Ist je ein ernstzunehmender Matrizenkalender der deutschen Columbia-Einspielungen veröffentlicht worden? Meines Wissens nicht. Wie also weiter? Auf diese Frage gibt es wohl nur eine Antwort: In dubio pro reo. Wir nehmen, was wir sehen, als richtig an, und versuchen, aus dem, was wir haben, einen Schuh zu werkeln. Wenn der dann nicht paßt? Bleibt der Philosophentrost. 28. April und 13. Oktober: Ein halbes Jahr Abstand. Was soll man damit anfangen? Zunächst: Ungewöhnlich ist das nicht. Vor der Deutung aber doch noch mal die Ampel auf rot: Aufnahmeprozesse und deren Kennzeichnungen waren und sind in der Tonträgerfabrikation manchmal gleich oder ähnlich, manchmal aber auch so verschieden, daß der fromme diskographische Wunsch nach Verallgemeinerung, nach Übertragbarkeit vielfach beobachteter vergleichbarer Sachlagen oft genug ganz und gar unangebracht ist, Klartext: zu einer Hochseilnummer ohne Netz werden kann. Versuchen wir also aus dem Gegebenen das Beste zu machen: Gesetzt der Fall, die beiden für die Klavierkonzertaufnahme eingesammelten Daten 28. April und 13. Oktober sind richtig, dann dürfte auch nicht strittig sein, daß der zeitliche Abstand zwischen den Matrizennummern CRX 61 und CRX 74 - das ist der einzige unmittelbar sichtbare Abstand in der mitgeteilten Matrizenreihe - niemals ein halbes Jahr betragen kann. Diese Nummern können zeitlich eigentlich nur in unmittelbarer Nähe vergeben worden sein. Vielleicht allenfalls im Abstand von ein oder zwei Tagen, ein normaler Aufnahmebetrieb der damaligen Zeit und im Berliner EMI-Fabrikationszentrum angenommen. Für CRX 74, das sind die beiden lyrischen Stücke, wäre also, wie oben angegeben, der 28. oder 29. April eine vernünftige Annahme. Wozu aber paßt denn nun der 13. Oktober? Die einzige Matrizenangabe, bei der sich ein Verdacht fast wie von allein nährt, in ihr stecke ein Geheimnis, sie deute vielleicht eine Aufnahmenfolge an, die nicht an einem Tag durchgeführt wurde, ist die für die erste Seite. Und in der Tat macht es einem die Angabe eines sechsten Takes leicht, hier einzuhaken, davon abzuleiten, er könne ein halbes Jahr später aufgezeichnet worden sein, wobei die Matrizennummer beibehalten worden sei, obgleich natürlich genauso gut eine neue Matrizennummer hätte vergeben werden können. Gleichwie, das alles sind keine ungewöhnlichen Vorkommnisse, und für unser vorliegendes Rätsel heißt das, es sieht so aus, als wäre eine passable Lösung parat, als könne der 13. Oktober mit ruhigem Gefühl der ersten Seite, genauer gesagt, dem Take CRX 61-6, zugeordnet werden. "Mit ruhigem Gefühl": Wer noch nie mit originalen Produktionsunter- lagen zu tun hatte, wird sich kaum vorstellen können, auf welch wenig geordnete, auf welch verworrene, schwer durchschaubare und widersprüch- liche Situation man hierbei treffen kann. Die Datierung, eine der heiligsten Kühe der Diskographie, hat es in sich. Häufig genug benö- tigte jedes Datum eine Fußnote. Das ist natürlich keine liebliche Musik in so manchem Ohr der oft so eitlen Diskographen-Zunft, das kann ich mir vorstellen. Aber die Dinge sind so. Und deshalb ist vielleicht ganz angebracht, noch ein paar Sätze über Ursachen für "real-diskographische" Unruhe anzufügen. ======================================================================== Und außerdem Seite E? ======================================================================== Eine Datierung kann ein sehr komplexer Tatbestand sein. Gerade in der "Klassik" und dort insbesondere bei größeren Werken, wie Sinfonien, Konzerten, Opern und dergleichen. Hierbei ist eigentlich immer einzu- kalkulieren, daß eine Studioaufnahme in der Regel nicht an einem Tag zustande kommt. Doch Datierungen können über derlei hinwegtäuschen. So kommen zum Beispiel skurrile "Anfangsdatierungen" vor, das heißt, auf einen festgehaltenen Produktionsbeginn folgten über eine gewisse Zeitspanne hinweg noch weitere (Teil-)Aufnahmen, deren zeitliche Dokumentation aber unberücksichtigt blieb. Auch das Gegenteil gibt es, und zwar sehr häufig, fast regelmäßig: Abschlußdatierungen, bei denen die Vorausvorgänge unter den Tisch gefallen sind. Wann immer man also für eine Studioaufnahme der Zauberflöte Mozarts eine Datierung vor- findet, die nur aus einem Tag besteht, dürfte das wohl kaum die ganze Wahrheit sein. In der "Neuzeit" der Aufnahmeverfahren (grob datiert: seit etwa 1950) ist zudem noch u.a. mit Schnitt, Abmischung oder einer wie auch immer gearteten "offiziellen" Produktionsendabnahme einer vielleicht sehr langwierigen Produktion zu rechnen. Im Rundfunk geistert für solcherlei Geschehnisse z.B. der Ausdruck "sendefertig" durch die Nachweisunterlagen. "Preßfertig" oder ähnliches hat die Plattenher- stellung zu bieten. Man sieht: All das kann die Datierungsangabe (welcher Produktionsstufe zugehörend, welcher Herkunft und von wem auch immer) beeinflussen, ja sogar bestimmen. Für die vorliegende Columbia- Aufnahme allerdings gilt: Sie fällt noch in die Kategorie Direkt- schnittaufzeichnung, das heißt, ein diesen Vorgang dokumentierendes Datum müßte bei guter, matrizenorientierter Buchführung, versteht sich, die (Seiten-)Aufzeichnung eigentlich unmittelbar dokumentieren, aber wo der Mensch wirkt, entstehen auch Fehler. Zudem wurden in der 78er Zeit bei einer Matrizenübernahme (Nutzung einer Fremdaufnahme) oft genug Eingangsdatierungen festgehalten, unter Umständen vermengt mit Begleitdatierungen, wie der erneuten Preßstempelherstellung. Auch kamen in Sonderfällen "dubbings" (= Überspielungen) vor, von der Tatsache ganz abgesehen, daß 78er, je nach Land und Plattenfirma verschieden, von einem bestimmten Zeitpunkt an keine Direktschnittplatten mehr waren, sondern Übertragungen von "Transcriptions" (40-cm-Großfolien, -platten) oder Tonbändern, aber all das lassen wir jetzt beiseite, es betrifft das hier behandelte Problem nicht. Doch Datierung kann, wie man sieht, einen Diskographen, nicht nur den, schwindlig machen. Wie in diesem Beitrag überall deutlich wird, hatte Hitler irgendein Verhältnis zur Schallplatte. Mehr noch, es wäre nicht verwunderlich, wenn sie, die "Drehscheibe", für ihn eine Magie gewesen wäre. Falls so, hätte er sich hierin um nichts von zahllosen Menschen seiner Zeit unter- schieden. Außer in einem Punkt: Er hatte in der Tat und im Gegensatz zu den meisten seiner mehr oder minder Unterjochten auch die Mittel und Wege, einem solchen Steckenpferd, diesem modernen Seelenbalsam, wirklich kompakt zu frönen, vorausgesetzt natürlich, das wäre sein Anliegen gewesen. Zu "Mittel und Wege" und "wirklich kompakt" sei hinzugefügt, daß im Zusammenhang mit Hitler Bezugnahmen oder Vergleiche problematisch sind, weil derlei, scheinbar neutrale, Zuweisungen nichts darüber aus- sagen, daß sie bezüglich Hitlers Funktion und Despotenherrschaft einen anderen Sinn, einen negativen Hintersinn haben. In anderen Worten: Was immer sich auf H. bezieht, immer ist die seiner Person anhaftende kriminelle Energie mitzubedenken (das Schallplattenthema betreffend an anderem Ort mehr dazu). Hing Hitler nun am Medium Platte oder nicht? Eines erstaunt jeden- falls: Im gehörten gleich mindestens ZWEI Sammlungen {*1}, eine private: die einst im Berghof im Berchtesgadener Alpengebiet vorhandene (nach gegenwärtigem Kenntnisstand und selbst im übertragenen Vergleich zu heutigen mittleren Sammlermaßstäben von ERHEBLICHEM Umfang), und eine "amtliche": die "Führerhauptquartier-Sammlung" (im damaligen gesell- schaftlichen Verhältnis gesehen, und was man bis jetzt darüber weiß, auch nicht gerade eine kleine oder unbedeutende Sammlung, die zudem von 1939 bis 1945 offenbar immer mit dabei war, parat war, als Diener für alles, auch für "trübe Niederlagenstunden" sozusagen; bei Gelegenheit werden wir uns das im Überblick etwas ansehen, soweit jedenfalls der bisherige Kenntnisstand einen Überblick zuläßt). {*1} Es ist nach Lage der Dinge eigentlich davon auszugehen, daß der Diktator über mindestens VIER Sammlungen verfügte. Berichte, Beobach- tungen und naheliegende Überlegungen bilden die Grundlage für diese Vermutung. Noch einer, neben anderen aus dem engsten Parteiumkreis Hitlers, hatte auch mit Schallplatten zu tun: Joseph Goebbels. Inwieweit er allerdings eine private Sammlung hatte oder gar pflegte, ist für mich bislang kein Thema einer Nachforschung gewesen. Es wäre aber nicht verwunderlich, wenn er, der Medien-Nazi des "Dritten Reiches", seinem "grandiosen" Vorbild nacheifernd, für sich zu Hause nicht auch irgend- etwas mit Schallplatten am Hut gehabt hätte. Immerhin, ein Besuch bei Telefunken ist nachweisbar (und der Hausbericht darüber zeigt einigen Stolz). Aber ganz abgesehen davon, Goebbels hatte eine Sammlung, eine amtliche! Nicht nur das, er hatte ein ganzes Archiv, und das war nicht irgendetwas; es reichen meiner Kenntnis nach noch nicht einmal Weltmaß- stäbe der damaligen Zeit aus, um in etwa die Dimension einschätzen zu können. Goebbels Rolle hierbei ist einfach zu erklären. Er war als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda der oberste Chef (nach Hitler, versteht sich) des zentralisierten, entmündigten, "gleichge- schalteten" deutschen Rundfunks und somit war er auch für dessen Dach- organisation, die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft m.b.H., die oberste Auf- sichtsperson und Befehlsgewalt. Und da die 1925 gegründete RRG mittler- weile ihren Sitz im Berliner Haus des Rundfunks hatte, wurde dort ab 1933/1934 damit begonnen, das zentrale Tonträgerarchiv des Reichsrund- funks aufzubauen. Goebbels Gegenwart und Durchsetzungskraft in Richtung Gleichschaltung waren enorm, das ist nur zu gut bekannt. Daß sich aber die Auswirkungen, seine Effizienz, sogar noch auf der vermeintlich untersten Karteikartenebene nachweisen lassen (Neugestaltung), dürfte manchen doch verwundern. Aber trotz alldem, so scheint es, hat er wohl doch nicht alles 100prozentig kontrollieren können (oder wollen). Soweit eine kleine Einleitung dafür, den beiden unten abgebildeten Archivkarten einen Blick zu schenken. Nicht nur an der Ostfront war also Giesekings Columbia-Einspielung präsent, wenn man es so formulieren will: in Staatshand existent, in Berlin war sie es per HdR-Archiv auch (zum Haus des Rundfunks usw. findet man auch am Anfang dieser Arbeit ein paar Hinweise, ebenso unter Strawinsky, Kapitel SFB, hier findet man zum HdR einen längeren Beitrag, außerdem: Weiteres ist in Arbeit).
Haus des Rundfunks, Karteikarte, Columbia LWX. 210, Eduard Grieg, Klavierkonzert A-moll, Walter Gieseking, 1937Haus des Rundfunks, Karteikarte, Columbia LWX. 213, Eduard Grieg, Klavierkonzert A-moll, Walter Gieseking, 1937
Papyri des deutschen Rundfunks Haus des Rundfunks, Berlin Zentralarchiv der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft m.b.H. Bestand 2. Mai 1945
Fortsetzung in Vorbereitung, auch zum Thema: Gieseking im "Dritten Reich" (erste Beobachtungen dazu) Weiter [aussdm08]

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