Vororientierungen [Stand 1985] Seite 40
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Hessischer Rundfunk (HR)
1) Aufnahmeräume (heutige Situation kurzgefaßt)
Im Frankfurter Funkhaus werden für klassische Aufnahmen im wesent-
lichen der große Sendesaal (Studio 1) und das Kammermusikstudio (Studio
3) eingesetzt. Die wichtigste Außenräumlichkeit ist der Saalbau Alte
Oper in Frankfurt.
2) Rahmendaten zur Entwicklung
Die klassischen Musikaktivitäten des HR gehen sämtlich vom Frank-
furter Funkhaus am Dornbusch, Bertramstraße 8, aus. Zwar existieren
neben dieser Zentrale noch drei kleine hessische Regionalstudios, doch
erschöpft sich die Funktion dieser Studios im wesentlichen in der Über-
mittlung von Nachrichten, Features und dergleichen (zum Studio Kassel,
dem größten unter den dreien, siehe weiter unten).
Begonnen hat der Rundfunk in Hessen nach dem Krieg als "Radio Frank-
furt, Sender der amerikanischen Militärregierung" (zur frühen Bezeich-
nung der Militärsender siehe unter BR, zu OMGUS usw. vgl. RIAS). Wann
genau die erste Sendung ausgestrahlt worden ist, ist nicht klar; es
scheint jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit am 1. Juni 1945 gewesen zu
sein (am 2. Juni jedenfalls gab es schon mit Bestimmtheit Sendungen).
Fast dreieinhalb Jahre lang bestand die Militärführung, bis sie am 28.
Januar 1949 mit der Rückgabe des Senders "in deutsche Hände" endete. Was
im einzelnen diese für den gleichen Vorgang vielfach und allerorts
gebrauchte Formel auch heißen mag, mit der Übergabe war aus Radio Frank-
furt gemäß dem am 2. Oktober 1948 beschlossenen Gesetz zur Schaffung
einer Anstalt des öffentlichen Rechts der Hessische Rundfunk geworden
(zur Entwicklung, auch zur Handhabung der militärischen Vor- bzw. Nach-
kontrolle, vgl. Bausch 1, 1980).
In den ersten Monaten seiner Existenz arbeitete Radio Frankfurt in
Bad Nauheim im Hotel-Restaurant "Terrassenhof", Parkstraße 9, in dem
Gebäude also, wohin man schon gegen Ende des Krieges den Reichssender
Frankfurt verlegt hatte, weil das am 15. Dezember 1930 eingeweihte Funk-
haus des ehemaligen Senders Südwestdeutscher Rundfunk A.-G. (ab April
1934: Reichssender Frankfurt), Eschersheimer Landstraße 33, von Bomben
getroffen worden war. Gerade der Wiederherstellung dieses Hauses galt
sehr früh das Interesse, so daß schon - bei aller Behelfsmäßigkeit - vom
15. Februar 1946 an der Funkbetrieb wieder von Frankfurt aus wahrgenom-
men werden konnte. (Um Verwirrungen vorzubeugen: Die Adresse "Eschers-
heimer Landstraße 33" gilt für das "Studiogebäude" des Senders, die
Verwaltung und damit der Sender als Ganzes hatte die Adresse "Eschers-
heimer Landstraße 10", vgl. u. a. die Bühnenjahrbücher dieser Zeit.)
Zwei Senderäume hatten nahezu unbeschädigt die Bombardements über-
standen, der eine davon war der große Sendesaal (Raum 1). Nach der
ersten notdürftigen Reparatur wurde er Mitte 1949 renoviert und mit
kleinen Veränderungen versehen. Quasi von Anfang an (seit Februar 1946)
betriebsbereit war das Kammermusik- bzw. Mehrzweckstudio Raum 2.
RR Ehemaliger großer Sendesaal (altes Funkhaus/Raum 1): rd. 3200 cbm
(Grundfläche: im Prinzip ein gleichschenkliges Trapez, eine Längswand
mit Fenstern), 1,5 sec/Q 1953, mittleres bis großes Sinfonieorche-
ster, 407 Sitzplätze (ebenes Parkett, in der "Sendesaalzeit" Bedarfs-
bestuhlung, Rückwandempore). Innenraumfotos (Ausschnitte): Rundfunk
Jahrbuch 1932; HR, Öffentliche Konzerte Wintersaison 1953/54 (Pro-
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grammheft, Bühnenpartie mit Orchester).
Am 1. Juni 1951 begann der HR in das Funkhaus am Dornbusch, Bertram-
straße 8, umzuziehen. Dies war ein neues und doch schon umgebautes
Gebäude, denn in seiner ursprünglichen Gestalt hatte es eigentlich das
Parlamentsgebäude des Bundestags werden sollen. Beendet war der Umzug am
1. April 1954, eines aber war noch nicht fertiggestellt: der große
Sendesaal (Studio 1). Doch kurz darauf, am 25. Juni, war es dann soweit,
man gab das erste Konzert, ein Probekonzert, unter Karl Böhm; die offi-
zielle Einweihung feierte man am 30. September 1954 (Festkonzert eben-
falls unter Karl Böhm).
Erheblich früher als der Sendesaal waren die Studios 2, 3 und 4 in
Betrieb. Probedarbietungen gab es schon seit Januar 1952, die reguläre
Inbetriebnahme folgte am 17. März. Studio 2 (rd. 1570 cbm, quaderähn-
liche Form, 1,25 sec/Q 1956, Messung von 1955) steht im wesentlichen
der U- und Tanzmusik zur Verfügung, doch gelegentlich entstanden hier
auch Klassikaufnahmen. Der eigentliche Kammermusikraum ist Studio 3.
Studio 4, das räumliche Pendant zu Studio 3, existiert seit etwa März
1984 nicht mehr, es hatte vor allem der Hörspielproduktion gedient. Ein
Hörspielstudio ist auch das Studio 7, das, seit September 1967 in
Betrieb, manchmal auch für klassische Produktionen eingesetzt wird (vgl.
Histoire du soldat/Pagin). Zu Studio 2 noch eine Anmerkung: Es gehört zu
der Sorte von Hörfunkstudios, denen ein Mangel an ausgereifter Konzep-
tion lange anhängt. Die Ursachen hierfür sind fast immer dieselben: Sie
mußten in einer Übergangszeit oder unter Zeitdruck erstellt werden. Die
Folge sind Umbauten, unentwegt. Daß hierdurch dann gelegentlich völlig
glücklose Entwicklungen entstehen, wundert niemand. Beim Studio 2 ging
die Geschichte offenbar gut aus, obwohl der seltsame Werdegang das
eigentlich nicht so erwarten ließ. Ursprünglich sollte nämlich dieser
fensterlose, relativ kleine Raum als eine Art Sendesaal fungieren, bis
der große Sendesaal fertiggestellt war, teilweise sogar als dessen
Ersatz. Gedacht war, je nach Bedarf, an eine Bestuhlung von bis zu 305
Plätzen (gepolstert!). Eine Zahl, die selbstverständlich nur schwer zu
realisieren war. Deshalb erhielt dieser Liliputaner unter den Sendesälen
auch eine Rückwandempore. Und um die Geschichte ganz zu erzählen: So wie
es sich für einen Sendesaal ziemt, erlebte das Studio sogar eine regel-
rechte, direkt übertragene Einweihung mit dem Titel "Première im Studio
II". Auch der Tag (13. April 1952) war dem festlichen Anlaß angemessen,
es war ein Feiertag: Ostersonntag (vgl. die Ankündigung der Hör zu!,
Südausgabe). Die Umbauten der Folgezeit im einzelnen aufzuzählen, ist
wenig interessant. Es sei nur erwähnt, daß im Februar 1966 die Empore
hinter einer Regiewand verschwand (womit sich natürlich das oben ange-
gebene Volumen verkleinerte). 1982/83 wurde das Studio von Grund auf
erneuert und Anfang 1984 (wohl Januar) wieder dem Betrieb übergeben (die
quaderähnliche Raumform blieb erhalten, die Empore existiert selbstver-
ständlich nicht mehr, Volumen: rd. 1050 cbm). Eine Nachhallkurve des
vollkommen leeren Raumes war nicht greifbar, aber private Versuche mit
einer Alt-Blockflöte brachten angenehme Klangergebnisse. Der Hall war
zwar kurz, doch dem auch nicht sehr nachhalligen Studio 3 wäre Studio
2 in diesem Betriebszustand klanglich keineswegs unterlegen. Einige
klassische Aufnahmen entstanden denn auch dort (vgl. unten "Bänderpro-
fil"), als das Kammermusikstudio Anfang 1984 kleinere Retuschen erfuhr.
Aber nun (Herbst 1984) steht wieder alles voll mit akustischen Utensi-
lien (Reflexionswände, nachhallarme Kabinen usw.), womit klar ist, daß
das Unterhaltungsorchester des hr, die hr Big Band und die Jazzabtei-
lung mit dem Jazzensemble des hr wieder ihren alten Platz eingenommen
haben (mittlere Nachhallzeit in diesem Betriebszustand: 0,6 bis 0,7
sec/Q 1984).
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Mit der Einweihung des neuen großen Sendesaals endete die letzte
Studionutzung des alten Funkhauses. Auf eines sollte in diesem Zusammen-
hang hingewiesen werden: In der Zeit von Januar 1952 bis ca. März/April
1953 existierten zwei "Studios 2" - ein altes und ein neues. Da dies
keine lange Zeitspanne darstellt, wird die Zahl der Aufnahmen, die aus
dieser Zeit noch erhalten geblieben ist, nicht sehr groß sein. Trifft
man aber dennoch einmal auf eine Aufnahme dieser Zeit, so ist eine
eindeutige Bestimmung des Studios nur selten möglich. Man hat es dann
meistens mit der bloßen Zahl "2" zu tun. Hier helfen auch kaum Sekundär-
indizien, z. B. Kürzel für Tonträgerräume, weiter. Denn zu allem Über-
fluß sind die damaligen Kürzel, die im alten wie im neuen Funkhaus für
Regie- und Tonträgerräume in Gebrauch waren, ebenfalls verwechselbar.
Hin und wieder taucht die Meinung auf, der große Sendesaal sei
bereits in der Saison 1953/54 für die Funkkonzerte genutzt worden. Das
ist aber falsch. Alle Konzerte dieser Saison - die hier im Verzeichnis
durch das Klavierkonzert mit Cherkassky, durch die Vorproduktionen der
Suiten 1 und 2 unter Zillig (Konzert: 25. Oktober 1953) und der Danses
concertantes unter Leitner (Konzert: 7. Februar) vertreten ist - fanden
noch in der Eschersheimer Landstraße statt.
Nach dem Auszug des HR aus dem alten Funkhaus, Eschersheimer Land-
straße 33, wurde in dem Gebäude die Hochschule für Musik und Darstel-
lende Kunst untergebracht. Der ehemalige Sendesaal dient noch heute als
Konzertraum, aus dem der HR sogar gelegentlich mitschneidet.
RR Großer Sendesaal (Funkhaus am Dornbusch/Studio 1): rd. 12000 cbm
("Talanlage", konusförmiger Grundriß, siehe unten), 1,8 sec/Q 1956
(Messung von 1955; Bühne: 1,6 sec/Q 1978, Messung von 1977; Akustik
etwas wandelbar, Verlängerung des Nachhalls z. B. bei 500 bis 1000 Hz
um ca. 0,3 sec/Q 1958; Bemerkung: je nach Quelle sehr unterschied-
liche Nachhallwerte), großes Sinfonieorchester mit Chor, ca. 1200
Sitzplätze (ansteigend, keine Empore). Innenraumfotos: Berger, [1955]
(in Richtung Podium); ARD, [1960] (in Richtung Zuschauerraum).
RR Kammermusikstudio (Funkhaus am Dornbusch/Studio 3): 465 cbm (fünf-
eckige, von einem Rechteck abgeleitete Grundfläche, dem Studio 1 in
Nürnberg ähnlich), 0,75 sec/Q 1956 (Messung von 1955, Bemerkung: je
nach Literatur sehr unterschiedliche Nachhallwerte), 0,9 sec/Q 1984,
Messung von 1983, Vorhänge offen, 480 cbm), nach der 1984er Detail-
bearbeitung: 0,95 bis 1,05 sec/Q 1984 (Messung von 1984, Vorhänge
geschlossen - offen), keine Publikumsbestuhlung. Innenraumfotos: HR
Tonmeßtechnik, 1984 (unveröffentlicht).
Abbildungen
Sendesäle (altes, neues Funkhaus): Grund-, Aufrisse, Fotos
vgl. Literaturverzeichnis (fehlt noch)
Das Studio Kassel ist, wenn man die Dinge von der räumlichen und
studiotechnischen Seite her sieht, ein echtes Regionalstudio, ein Funk-
haus im kleinen Maßstab. Und hinzufügen sollte man, daß dieses Bild vom
Regionalfunkhaus nicht nur für das jetzige neue Gebäude gilt (Wilhelms-
höher Allee 347), es galt auch schon für die einstige, eher provisori-
sche Unterkunft (Ausbau einer nicht fertiggestellten Waldorfschule an
der Herkulesbahn, Ahrensbergstraße 20). Wie weit die Konzeption des
Kasseler Studios von einer "Besprechungsstelle" oder einer umfunktio-
nierten Büroetage entfernt ist, und das von Anfang an, zeigt z. B. die
Tatsache, daß seit der Betriebsaufnahme (Mitte 1952) ein Mehrzweckstudio
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zur Verfügung steht. Zunächst - im alten Funkhaus - war das zwar noch
ein einfacher Produktionsraum gewesen, doch inzwischen - seit dem am 3.
Mai 1972 erfolgten Bezug des neuen Funkhauses - ist dies unter der
Bezeichnung Studio 1 ein überaus modernes Hörfunk- und Fernseh-Allround-
studio (rd. 820 cbm, 0,7 bis 1,3 sec/Q 1973, Messung von 1972; Innen-
raumfoto/Ausschnitt: Völker, 1973). Ungewiß ist, ob man denn je dieses
Studio für kammermusikalische Produktionen nutzen wird - wofür es geeig-
net wäre. Vieles dürfte hierbei wohl von der Entwicklung abhängen, die
die jüngst in Gang gekommene Aufwertung des Regionalprogramms nehmen
wird.
Außenräume spielten im Aufnahmebetrieb des HR (sein Vorläufer, Radio
Frankfurt, ist mitgemeint) jahrzehntelang nur eine untergeordnete Rolle.
Das lag wohl vor allem daran, daß man fast von Anfang an einen Sendesaal
(mit guter Akustik) besaß und daß, soweit die Konzerttätigkeit betrof-
fen ist, im Frankfurter Raum keine wirkliche Saalalternative existierte.
Seit dem 28. August 1981 aber, seit der Wiedereröffnung der Alten Oper
(am Opernplatz) gibt es eine solche Alternative. Unter "Alte Oper"
verbirgt sich die wiederaufgebaute Fassung des 1880 erstellten, im
Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern zerstörten Frankfurter
Opernhauses. Zur Verfügung stehen drei Säle - Großer Saal, Mozartsaal
und Hindemithsaal -, wobei vom HR eigentlich nur der Große Saal genutzt
wird (z. B. für die Abonnementkonzerte des Sinfonieorchesters). Eine
raumtechnische Sonderheit sollte nicht unerwähnt bleiben: Im Großen Saal
kann durch eine teleskopartige Hubwand ein Teil des rückwärtigen Rangs
(Rang B) abgesondert werden, so daß ein weiterer kleiner Saal, der soge-
nannte "Olymp" entsteht (rd. 2240 cbm, ca. 335 Sitzplätze). Parallelbe-
trieb in diesen beiden Sälen ist allerdings kaum möglich, hierfür hätte
die Schallisolierung der Hubwand anders ausfallen müssen.
RR Alte Oper/Großer Saal: rd. 22200 cbm (ohne Olymp: rd. 19800 cbm;
Mehrzweckraum, Grundriß: im Prinzip rechteckig), 2,3 sec (ohne Olymp:
2,4 sec)/Q 1984 (Messung von 1982), großes Sinfonieorchester mit
Chor, ca. 2423 Sitzplätze (ohne Olymp: ca. 1938 Sitzplätze; Ränge,
rundum Rang einrichtbar). Innenraumfotos: Ehrlich, 1981.
RR Alte Oper/Mozartsaal: rd. 3600 cbm (Mehrzweckraum, Grundriß: recht-
eckig, quer zum Podium), 1,3 sec/Q 1984 (Messung von 1982), kammermu-
sikalische Besetzungen, ca. 700 Sitzplätze (U-Rang). Innenraumfotos:
Ehrlich, 1981.
RR Alte Oper/Hindemithsaal: rd. 1300 cbm (Mehrzweckraum, Grundriß:
rechteckig, quer zum Podium), 0,85 sec/Q 1984 (Messung von 1982),
kammermusikalische Besetzungen, ca. 340 Sitzplätze (keine Empore).
Innenraumfoto: Ehrlich, 1981.
Abbildungen
Grundriß der Alten Oper (großer Saal usw.), Fotos
vgl. Literaturverzeichnis (fehlt noch)
Ein Saal, der vor allem in den Nachkriegsjahren für den Rundfunk
einige Bedeutung besaß, ist der große Gesellschaftssaal des Palmengar-
tens. Hier fanden neben bunten Abenden und dergleichen auch große Sinfo-
nieveranstaltungen statt (rd. 9000 cbm, ca. 800 Sitzplätze, besetzt 1,55
sec/Q 1954). Einige andere erwähnenswerte Konzertstätten mit "Rundfunk-
bezug" sind in Kassel die Stadthalle (Festsaal, Blauer Saal, Gartensaal;
Hauptveranstaltungsort der Kasseler Musiktage), in Darmstadt die Stadt-
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halle (nicht mehr in Betrieb, vgl. unten), das Orangeriehaus (vgl. un-
ten) und schließlich, um diese fast willkürlich zusammengestellte Liste
nicht zu lang werden zu lassen, in Fulda der große Saal der Orangerie.
3) Sinfonieorchester, Chor, Musikfeste, Darmstädter Ferienkurse,
Konzertreihen, "Pantographie"
Das Sinfonieorchester des HR wechselte im Laufe der Zeit seine
Bezeichnungen. Von 1946 bis Oktober 1950 hieß es Symphonie-Orchester von
Radio Frankfurt, danach: Symphonie-Orchester des Hessischen Rundfunks
(von 1953 bis 1960 gelegentlich: Symphonieorchester ..., von der Saison
1960/61 an: Sinfonie-Orchester ...) und seit März 1971: Radio-Sinfonie-
Orchester Frankfurt. Es sollte vielleicht noch hinzugefügt werden, daß
das Orchester einen Vorläufer hatte, das Oberhessische Symphonie-Or-
chester. Es war im September 1945 in Bad Nauheim - dem damaligen Sitz
von Radio Frankfurt - aus Resten der Orchester der Reichssender Stutt-
gart und Frankfurt gebildet worden. Der Dirigent war ein Albert Grase-
mann. Wie sich im einzelnen der Übergang zum neuen Orchester in Frank-
furt abgespielt hat, ist nicht bekannt.
Der Chor hatte zwei Bezeichnungen: Chor von Radio Frankfurt und Chor
des Hessischen Rundfunks. (Der Zeitpunkt des Wechsels ist ungewiß, aber
er dürfte wohl in Analogie zum Orchester ebenfalls Oktober 1950 lauten.)
OO Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt. Gegründet Anfang 1946, wahr-
scheinlich von Hans Blümer (Dirigent bis September 1946), weiterer
Ausbau durch Kurt Schröder (November 1946 bis 1953), Winfried Zillig
(1947-1951) und Rudolf Albert (bis Anfang 1948, er begann 1945 als
Kapellmeister des Unterhaltungsorchesters), nachfolgende Chefdiri-
genten: Otto Matzerath (1955-1961), Dean Dixon (1961-1974), Eliahu
Inbal (seit September 1974).
CC Chor des Hessischen Rundfunks. Gegründet Ende 1946 von Edmund von
Michnay (Dirigent bis August 1965), aufgelöst August 1967; ca. 1948
bis 1950 35, bis ca. 1960 36 Mitglieder, danach 38 Mitglieder (Ver-
hältnis SA zu TB bei voller Besetzung z. B. 16 zu 19 oder 18 zu 20).
Im besetzten Deutschland war Radio Frankfurt der erste Sender, der
ein ganz der Moderne gewidmetes Konzertforum unterhielt, gemeint ist die
zum ersten Mal vom 7. bis 14. Juli 1946 veranstaltete "Woche für Neue
Musik" (Bezeichnung im Eröffnungsjahr: Zeitgenössische Musikwoche 1946,
von 1956 bis 1963: Tage für Neue Musik, Terminbereich bis 1956: Ende Mai
bis Mitte Juli, ab 1957 vgl. unten). Gegründet hat dieses Musikfest der
bei Radio Frankfurt als Abteilungsleiter angestellte Pianist Heinz
Schröter; er war es auch, der dann gut zehn Jahre lang die künstleri-
schen Geschicke leitete. Man kann es in etlichen frühen Quellen nach-
lesen: Frankfurt sah sich in den Aufbaujahren vorn, doch so ganz allein
stand die "Woche" nicht, wie der ebenfalls im Juli 1946 gestartete
Versuch der Donaueschinger "Musikfreunde" zeigt. Denn auch dort in
Donaueschingen agierte ein Sender - wenn auch nicht als Veranstalter -:
Radio Stuttgart (vgl. SWF, Donaueschinger Musiktage). Ein Detail sollte,
wenn hier von der Vorreiterrolle "Frankfurts" die Rede ist, der Akkura-
tesse wegen nicht unerwähnt bleiben, daß nämlich das 1946er Fest gar
nicht in Frankfurt stattgefunden hat, sondern in Bad Nauheim (im Kur-
haus). Über die Beweggründe, die zu dieser Entscheidung geführt haben,
ist nichts Konkretes bekannt. Man geht aber wohl nicht fehl, wenn man
als wichtigste Ursache den in der zerstörten Großstadt noch allerorts
fühlbaren Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten annimmt. Etwaige Mängel
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am Funkhaus jedenfalls dürften wohl kaum die Ursache dafür gewesen sein,
denn der Sendesaal zum Beispiel, der von 1947 an ins Zentrum der "Woche"
rückte, war auch 1946 längst in Betrieb gewesen (vgl. oben).
Ein vierzehntägiges deutsches Fest
Radio Frankfurt: Woche für Neue Musik, 23. bis 30. Mai 1948
Annonce in der Festschrift (S. 32):
1848 1948
Jahrhundertfeier der ersten deutschen Nationalversammlung
in der Paulskirche, Frankfurt am Main
Fest- und Kulturwoche 16. bis 22. Mai 1948 {*1},
128 Seiten (inklusive Programmbeilage S. 5-20),
herausgegeben von der Stadtkanzlei, Büro Paulskirche
{*1} Von Armin Knab wurde "Das gesegnete Jahr" und von Harald
Genzmer "Frankfurter Konzert 1948" uraufgeführt. Knab schrieb fürs
"Dritte Reich" u.a. "Wach auf, du deutsches Land" (vgl. Prieberg,
Musik im NS-Staat, 1982, S. 112); Genzmer stand auf Hitlers "Gott-
begnadeten-Liste" (vgl. Wikipedia: Genzmer, Stand: 11.12.2011).
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Von 1952 an begann man die "Woche" kontinuierlich zu verkürzen, bis
sie schließlich 1955 nur noch aus zwei Tagen bestand und im Jahr darauf
in "Tage für Neue Musik" umbenannt wurde. Warum kam es eigentlich nicht
schon 1955 zu dieser Umbenennung? Vielleicht deswegen nicht, weil man
die beiden Konzerte trickreich - mit einigen Tagen Abstand zueinander -
in die Darmstädter "Internationalen Ferienkurse für Neue Musik" einge-
baut hatte. (Die Ankündigung im Programmheft lautete so: Orchesterkon-
zert im Rahmen der "Woche für Neue Musik".) Organisatorisch war also die
"Woche" mit den "Ferienkursen" verbunden worden, örtlich aber nicht:
beide Konzerte hatten nämlich in Frankfurt, im (neuen) großen Sendesaal
des Funkhauses am Dornbusch stattgefunden (vgl. Messe/Stokowski). Völlig
ineinander verwoben wurden die beiden Unternehmungen dann aber 1957, als
man die "Tage" ganz nach Darmstadt verlegte. Bis 1961 betrug dabei der
jeweilige Beitrag des HR zwei Kammer- und zwei Orchesterkonzerte (1962
alles in allem drei, 1963 zwei Konzerte), Hauptveranstaltungslokal der
"Tage" wurde die Stadthalle (vgl. unten). Von ungefähr kam das Veran-
staltungsbündnis natürlich keineswegs, vorausgegangen waren mannigfache
Verflechtungen und Beziehungen. Man denke nur an die Unterstützung, die
der Rundfunk den "Kursen" von Anfang an gewährte. Einige andere Koope-
rationen sollten aber auch genannt werden: So hatte Radio Frankfurt
schon 1946 im Funkhaus ein Konzert bestritten und darüber hinaus die
Kursteilnehmer zweimal zu Studien eingeladen. Gezeigt wurde u. a. der
Produktionsprozess von der Probe bis zur Aufnahme, wobei die neu einge-
führte Magnetophonbandtechnik im Mittelpunkt des Interesses stand. 1949
war dann die "Woche" in der Tat schon einmal in Verbindung mit den
"Ferienkursen" ausgerichtet worden. Was gerade hier bei diesem 1949er
Zusammenschluß so auffällt, sind die erstaunlichen Programmverdopplun-
gen, d. h. diejenigen Konzerte - und das sind eine ganz Reihe -, die
zunächst in der Darmstädter Stadthalle stattfanden und anderntags in
Frankfurt wiederholt wurden, entweder im Sendesaal des Funkhauses oder
im großen Gesellschaftssaal des Palmengartens. In zwei "Symphonie-
Konzerten" mit der Saalpaarung Stadthalle - Palmengarten gab es auch
Strawinsky: Le sacre du printemps mit dem Sinfonieorchester des NWDR
Hamburg unter Hans Schmidt-Isserstedt und Orpheus mit dem Südwestfunk-
Orchester unter Hans Rosbaud. (Stellt sich angesichts des Aufwandes
nicht die Frage, wie man eigentlich bei den damaligen Verkehrsbedin-
gungen dieses mühselige Hinundhertransportieren ganzer Orchester samt
ihrer Apparate bewerkstelligte?) Die engste der frühen Verflechtungen
kam für das nach der Nazi-Zeit und nach dem Krieg zum ersten Mal in
Deutschland veranstaltete (25.) Weltmusikfest der Internationalen
Gesellschaft für Neue Musik zustande. Dieses Ereignis fand 1951 in
Frankfurt statt, es ersetzte die "Woche" und war gleichzeitig ein in
die "Ferienkurse" eingebundener Konzertteil. (Man beachte in diesem
Zusammenhang, daß unter dem Eindruck des IGNM-Festes die Bezeichnung der
1952er "Woche" zu "Internationale Woche für Neue Musik" abgeändert
wurde.) Schließlich, kurz vor der Fusion der "Ferienkurse" und der
"Tage" im Jahr 1957, beteiligte sich der HR an den "Ferienkursen" mit in
der Darmstädter Stadthalle ausgerichteten "Orchesterkonzerten" (1954:
zwei, 1956: eins; 1954 war unter den Werken das Ebony concerto, Leitung:
Ernest Bour). Die letzten "Tage für Neue Musik", die innerhalb der
"Ferienkurse" als solche angekündigt wurden, gab es 1963. Seither
tragen die Beitrage des HR keinen derartigen Obertitel mehr; als HR-
Veranstaltungen gekennzeichnet sind sie aber noch (gelegentlich mit dem
Zusatz "Sonderkonzert" oder "Gastkonzert"). Wie es scheint, war mit
dieser Auflösung auch eine Neuorientierung verbunden, denn Strawinsky
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beispielsweise kommt nun im Programm nicht mehr vor, während in den
Veranstaltungen der einstigen "Wochen" bzw. "Tage" doch immer wieder das
eine oder andere Werk dieses Komponisten gespielt worden war (vgl.
unten). Wie steht es nun um die Dokumentation dieser Strawinsky-Auffüh-
rungen? Ziemlich ungünstig, denn präsent sind im HR-Archiv nur ein paar
Bänder aus den Jahren von 1955 an, die Zeit davor aber, die "selbstän-
dige" Phase, scheint in die Schallschluckkammer der Geschichte geraten
zu sein. Da hilft wohl auch kein mühseliges Suchen mehr, obwohl man
natürlich gelegentliche Findlinge nie ganz ausschließen kann; wie
zufällig das sein kann, macht die Fußnote zu den Trois pièces pour
clarinette seule/Dobree deutlich.
Die "Internationalen Ferienkurse für Neue Musik", seit 1948 feder-
führend ausgerichtet vom Internationalen bzw. Kranichsteiner Musikin-
stitut Darmstadt (vgl. unten), wurden erstmals vom 25. August bis 29.
September 1946 veranstaltet. Gegründet hat sie beide - die "Ferien-
kurse" und das Musikinstitut - Wolfgang Steinecke, er war auch bis zu
seinem Tod im Dezember 1961 ihr Leiter. Bevor nun eine Umrißskizze
folgt, zunächst einige Randdaten: 1946 und 1947 hieß die Kursveranstal-
tung "Ferienkurse für internationale neue Musik"; die heute geläufige
Version "Internationale Ferienkurse für neue Musik" wurde erst 1948
eingeführt, wobei man 1950 das "neue Musik" zu "Neue Musik" begrifflich
verdeutlichte. Von 1957 bis 1963 lautete die volle Bezeichnung "Interna-
tionale Ferienkurse für Neue Musik in Verbindung mit den Tagen für Neue
Musik des Hessischen Rundfunks". Da ein solcher Titelbandwurm nicht
überall praktikabel ist, versuchte man es gelegentlich mit Kurzfas-
sungen. Eine, die bis 1961 auch auf der Umschlagseite der Programmhefte
verwendet wurde, hieß einfach: Neue Musik Darmstadt 1957, 1958 etc. Die
Dauer der "Ferienkurse" schwankt im allgemeinen zwischen zwei bis drei
Wochen (die Reduktion auf eine und die Erweiterung auf fünf gab es aber
auch schon). Ähnlich variantenreich wird es, wenn man die Termine mit
dem Ziel vergleicht, eine zeitliche Einordnung zu erhalten. Zwar tauchen
dabei die Monate Juli und August am häufigsten auf, doch reicht die tat-
sächliche Spannbreite von Ende Mai bis Ende September. 1970 wurde die
jährliche Abfolge aufgegeben, und der Alle-zwei-Jahre-Turnus eingeführt.
(Eine nach wie vor jährliche Einrichtung ist die 1947 gegründete, seit
langem ebenfalls in Darmstadt veranstaltete "Hauptarbeitstagung des
Instituts für Neue Musik und Musikerziehung". Ihr Termin liegt im Früh-
jahr: März/April.)
Um über die fast verwirrende räumliche Entwicklung der "Ferienkurse"
einen Überblick zu erhalten, geht man am besten so vor, daß man, auch
wenn dies gelegentlich schwer fällt, die Konzertteile von den Unter-
richtsteilen trennt. Durch Ordnen kommen dann Abfolgen zum Vorschein,
wobei die Abfolge der Seminarteile in vier Phasen gegliedert werden
kann: 1) Jagdschloß Kranichstein (1946-1948), 2) Seminar Marienhöhe
(Darmstadt-Eberstadt, ein Theologisches Seminar der Siebenten-Tags-
Adventisten und außerdem ein privates Aufbaugymnasium: 1949-1957, 1960-
1965) (1958: Schloß Heiligenberg bei Jugenheim, 1959: Tanzschule Bäulke,
Darmstadt, Dieburger Straße 234), 3) Justus-Liebig-Haus (Bürgerhaus,
Große Bachgasse 2: 1966-1970), 4) Georg-Büchner-Schule (Nieder-Ram-
städter Straße 120, 1960 erstellt: 1972 bis heute). Diesem Grundmuster
können nun die Konzerträume, unterschieden in (meist längerfristige)
Zentren und kurzfristige "Nebenräume", gegenübergestellt werden, so daß
sich ein einigermaßen anschauliches, nachvollziehbares Bild vom räum-
lich-organisatorischen Werdegang der "Ferienkurse" ergibt. Ein Werde-
gang, der vom steten, nachkriegsbedingtes Ausweichen und "Weiterziehen"
bis zur jetzigen Ortsgebundenheit reicht.
Zunächst zu den Zentren, dabei kennzeichnet A) einen Raum, der nur in
der Anfangszeit eingesetzt wurde, B) diejenigen langfristigen Zentral-
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säle, die über die Anfangszeit hinaus im Einsatz waren oder erst
zwischen 1948 und 1952 hinzukamen, und schließlich C) die beiden seit
1968 bzw. 1972 im Mittelpunkt des Geschehens stehenden Sporthallen: A1)
Musiksaal (Rondellzimmer) des Jagdschlosses Kranichstein (1946-1948,
1952; Innenraumfoto/Ausschnitt: Programmheft 1952); B1) Orangeriehaus im
Orangeriegarten (wegen der Ausbombung des großen und kleinen Hauses
lange Zeit Behelfsbühne des Landestheaters, Dezember 1945 eröffnet, 1948
ca. 640, 1950 laut Sitzplan ca. 553 Plätze: 1946-1948, 1952, 1953, 1955-
1957, 1966-1968, 1984), B2) Stadthalle (Lagerhausstraße 1 Ecke und
Eingang Wilhelm-Leuschner-Straße, nach dem Krieg aus der Turnhalle des
Liebig-Realgymnasiums gewonnen, Juni 1948 als provisorischer Allzweck-
saal in Betrieb genommen, ca. 760-800 Sitzplätze, in den 70er Jahren
wieder zur Turnhalle umgewandelt [vgl. auch unten]: 1948-1967, 1970),
B3) Aula und andere Räume des Seminars Marienhöhe (1949-1957, 1960-
1965), B4) Kongreßsaal der Mathildenhöhe (1952-1961); C1) Städtische
Sporthalle am Böllenfalltor (Nieder-Ramstädter Straße 170: 1968 bis
heute, Innenraumfotos/Ausschnitte: Thomas, 1976), C2) Turnhalle der
Georg-Büchner-Schule (1972 bis heute, Innenraumfotos: Thomas, 1976 und
1980).
Nebenräume (Auswahl): 1) Pauluskirchensaal (Ohlystraße 53, evange-
lisch: 1946), 2) Martinsgemeindesaal (Liebfrauenstraße 6, evangelisch:
1946), 3) alte Aula der Technischen Hochschule (1946, 1950, 1951), 4)
Sendesaal des alten Frankfurter Funkhauses (1946, 1949), 5) Städtisches
Ausstellungsgebäude der Künstlerkolonie Mathildenhöhe (1948), 6) Großer
Sendesaal des Frankfurter Funkhauses am Dornbusch (1955, 1961, 1966-
1970), 7) Konzertsaal Schloß Heiligenberg (1958), 8) großer Saal (ca.
359 Sitzplätze) und andere Räume im Justus-Liebig-Haus (1966-1970).
Eine Darstellung der "Ferienkurse" mit Schloß Kranichstein zu begin-
nen, ist richtig - und romantisch ist es außerdem. Man könnte es aber
auch profaner gestalten und das Zimmer 106 im Stadthaus, Lagerhausstraße
1, an den Anfang setzen. In dieser Behelfsunterkunft (vgl. unten) befand
sich nämlich neben dem Sekretariat der Hessischen Landesmusikschule
Darmstadt auch die Verwaltung und Geschäftsstelle der im Februar 1946
eingerichteten Volkshochschule der Stadt Darmstadt und der Co-Leiter der
letztgenannten Einrichtung war Steinecke. Von hier aus also organisierte
er die ersten "Ferienkurse". Und von hier aus gründete er auch 1948 das
von der Stadt getragene Internationale Musikinstitut Darmstadt, das von
1949 bis Herbst 1963 in nostalgischer Erinnerung an die ersten drei
Kursjahre Kranichsteiner Musikinstitut Darmstadt hieß (in Gebrauch war
auch häufig die Kurzform ohne Darmstadt). Ob das Institut im übrigen
selbst jemals im Kranichsteiner Schloß seinen Sitz hatte, wie manche
Quellen dartun, erscheint ungewiß. Schon allein die Ortsangaben des
ersten Jahres - und nur dieses Jahr kommt im Grunde in Frage - ergeben
kein einheitliches Bild, so findet man als Angabe Darmstadt genauso wie
Darmstadt-Kranichstein bzw. Schloß Kranichstein. Vielleicht war man für
einige wenige Monate mit sechs Noten und elf Büchern dort; doch der
damalige Straßenbahnfahrplan bringt es eigentlich schon an den Tag: weit
draußen am Kranichsteiner Weiher dürfte es zwar schön, aber wohl wenig
zweckmäßig gewesen sein. Eine Randbemerkung: Ist eigentlich in der
frühen Zeit niemandem aufgefallen, daß dieses als Jagdmuseum genutzte
Jagdschloß Kranichstein - bei aller Idylle von außen - innen eine
Blutrünstigkeit sondergleichen zur Schau stellt? Aus den glühenden
Würdigungen eines Hans Heinz Stuckenschmidt beispielsweise ist Distanz
hierzu nicht im entferntesten zu erahnen. Überhaupt scheint damals
gelegentlich eine seltsame, skurrile, auch gedankenlose Romantik den
Blick vernebelt zu haben, denn wie anders soll man z. B. das von einem
Kursteilnehmer gezeichnete Bild "inmitten der imposanten Ruinen Darm-
stadts" deuten (vgl. die Erinnerungen im Programmheft 1952). Ob nun in
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Kranichstein oder nicht, von 1949 bis ca. 1952 besagen jedenfalls
Annoncen und Adreßbücher unmißverständlich, daß man in der Lagerhaus-
straße 9 zu finden sei. Das Gebäude, eine Schule, belegt, wo immer
möglich, mit städtischen Abteilungen, war eine Nebenstelle des bereits
oben erwähnten Stadthauses, das ebenfalls nur provisorisch untergebracht
war, und zwar in dem Schulgebäudeblock Lagerhausstraße 1-3 (hier hatten
neben dem Stadthaus große Teile der Stadtverwaltung und drei [sic] Gym-
nasien mit dem Raum zurechtzukommen). Hinter dieser Straßenfront befand
sich übrigens die Stadthalle (vgl. oben), und noch eines sollte man
erwähnen: In der Lagerhausstraße 9 befand sich damals auch das Amerika-
haus, auf das als Ortsorientierungshilfe das Kranichsteiner Musikinsti-
tut 1949 in Annoncen ausdrücklich hinweist. Ca. 1953 wechselte das
Institut dann in das Gebäude der Landeskirchenkasse der Evangelischen
Kirche in Hessen und Nassau, Roquetteweg 31, und im Herbst 1963 schließ-
lich bezog es die heutige Unterkunft, eine viele Jahre lang von der
amerikanischen Besatzungsmacht "belegte" Villa, Nieder-Ramstädter Straße
190. Damit war nun die Basis gegeben für eine räumliche Reorganisation
der "Ferienkurse": das Institut, die Georg-Büchner-Schule, die Sport-
halle am Böllenfalltor, die Unterkunftmöglichkeiten in neuen Studenten-
wohnheimen der Technischen Hochschule, das alles liegt an oder in der
Nähe der Nieder-Ramstädter Straße. Auch das Orangeriehaus ist nicht
allzu weit weg. (Den Ausgangspunkt Lagerhaustraße kann man heute nicht
mehr mit den alten Begriffen finden. Stadthaus, Stadthalle, der ganze
Stadtverwaltungskomplex und auch das Amerikahaus, sie alle wurden durch
Gebäude an anderer Stelle ersetzt. Und obendrein heißt die Lagerhaus-
straße heute Reiber-Straße. Noch eine zweite Anmerkung: Angesichts der
obigen Ausführungen ist sicher klar, daß es höchst merkwürdig anmutet,
wenn die für Neue Musik zuständige Zeitschrift "Melos" Ende der 50er
Jahre ihre Rezensionen der "Ferienkurse" unter dem Ortsnamen Kranich-
stein rubriziert. Oder vergleiche hierzu auch den Titel [Melos, Oktober
1963]: Flaneure haben in [sic] Kranichstein ausgespielt.)
(Anmerkung: Errata-Hinweis von 1985)
Auf die innere Organisation der "Ferienkurse", auf Programminhalte
und deren Entwicklung, kann hier nicht eingegangen werden, da derlei
Themen den gewählten Rahmen sprengen würden. Denn Fragen gäbe es genug,
wie unten unschwer aus den kurzen Andeutungen zum Stichwort Strawinsky
zu ersehen ist. Zunächst aber - vor dem Strawinsky-Abschnitt - noch ein
paar Randbemerkungen zur äußeren Organisation. In der Regel unterliegen
die pädagogischen Teile der "Ferienkurse" irgendeiner Stoffgliederung.
Und ähnliches gilt auch für die Konzertveranstaltungen, von denen ja
ohnehin sehr oft eine direkte Verbindung zum Lehrplan besteht (z. B. in
der Form, daß sie als Medium für praktische Übungen oder als "Beispiel-
apparat" eingesetzt werden). Nun ist es aber nicht so, daß "Stoffgliede-
rung" im Konzertbereich der treffende Ausdruck wäre, dafür sind die
verwendeten Ober- und Untertitel oft zu allgemein gehalten. Am ehesten
paßt vielleicht "Strukturierung", und die reicht von den ganz einfachen
Formen, wie "Orchesterkonzert I, II, III" oder "Gastkonzert" (einer
Rundfunkanstalt), bis zu reihenähnlichen oder anderen kompakten Gebil-
den. Beispiele hierzu wurden bereits oben angeführt, als von den Beiträ-
gen des HR die Rede war (vgl. "Woche für Neue Musik"). Ein weiteres
Beispiel sind die "Internationalen zeitgenössischen Musiktage". Sie
existierten von 1946 bis 1948, wobei die Veranstalter bzw. Co-Veranstal-
ter, darunter Radio Frankfurt (1946) und der SWF (1948), wechselten.
Abgelöst wurde diese "Studienwoche für neue Musik", die praktisch ein
Musikfest im Musikfest gewesen war, durch die von 1948 bis 1957 ausge-
richteten "Studiokonzerte" der Reihe "Musik der jungen Generation"
(Veranstalter war das "Musikinstitut"). Auf Titelgebilde, die den
Begriff "Studio" beinhalten, trifft man im übrigen auf Schritt und
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Tritt: Uraufführungs-Studio, Kompositionsstudio, Nachtstudio, um nur
einige Beispiele zu nennen. Hinweisen sollte man auch auf ein Unterneh-
men, das zwar außerhalb der Ferienkurse veranstaltet, aber doch zumin-
dest bis 1962 als Ergänzung aufgefaßt wurde: die Kammermusikkonzertreihe
der im Januar 1950 gegründeten, bis ca. 1968 als Konzertveranstalter
tätigen Kranichsteiner Musikgesellschaft. (Durch die Leitung Steineckes
war die "Musikgesellschaft" bis 1962 fast eine Zweigeinrichtung des
"Musikinstituts" gewesen. Ihre selbständig veranstalteten Konzerte
endeten 1962. Bis ca. 1968 beteiligte sie sich dann ebenso wie das
"Musikinstitut" an der Durchführung von Kammerkonzerten, die im Rahmen
der bereits bestehenden städtischen Musica Viva-Konzertreihe gegeben
wurden).
Wie schon oben verdeutlicht, wurden die "Ferienkurse" von Anfang an
von Rundfunkaktivitäten begleitet. Unmittelbar beteiligt war im ersten
Jahr allerdings nur der heimische Sender, Radio Frankfurt, den man im
1946er Programmheft, einem damaligen Usus der amerikanischen Militär-
regierung folgend (vgl. BR) noch als "Süddeutscher Rundfunk - Radio
Frankfurt" tituliert findet. Auch der Südwestfunk war 1946 schon mit
dabei - vertreten durch Heinrich Strobel, dem Leiter der Musikabteilung.
Ein im März 1949 gegründeter "Patenring der Ferienkurse" warb dann
verstärkt um aktives Interesse mit dem Ergebnis, daß im Laufe der Zeit
praktisch alle deutschen Rundfunkanstalten in der einen oder anderen
Form mit den "Ferienkursen" eine Verbindung eingingen, wobei jedoch zu
bedenken ist, daß die Anzahl der beteiligten Anstalten mitunter sehr
variierte (und daran dürfte sich auch in Zukunft kaum etwas ändern).
Man würde es zweifellos mehr als erstaunlich finden, wenn die welt-
weit renommierte Schule Neuer Musik bei ihrem Debüt im Jahr 1946 nicht
irgendein Werk Strawinskys im Programm gehabt hätte. Aber sie hatte und
zwar gleich drei Stücke, man sollte präzisieren: mindestens drei Stücke,
denn aus dem - nachträglich verfaßten - Programmheftchen geht kaum etwas
über die Inhalte derjenigen Kurseinheiten hervor, die mehr oder minder
Lehrveranstaltung und Konzert in einem waren. Das erste Strawinsky-Werk
überhaupt war das Duo concertant, es wurde am Eröffnungstag, dem 25.
August, im sogenannten Ersten Schloß-Konzert von Günter Kehr (Violine)
und Heinz Schröter (Klavier) vorgetragen (Raum: Rondellzimmer; zu diesem
"ersten" Konzert sei angemerkt, daß ihm - zur Eröffnung des Musikfestes
- schon eine "Erste Schloßhof-Serenade" vorausgegangen war). Die letzten
Strawinsky-Aufführungen im Rahmen der "Ferienkurse" gab es 1962, also im
80. Geburtsjahr des Komponisten: die Suite für sieben Instrumente aus
der Geschichte vom Soldaten (unter Bruno Maderna, vgl. Verzeichnis), das
von Aloys und Alfons Kontarsky gespielte Concerto für zwei Klaviere (ein
Kammerkonzert in der Stadthalle) und die Bearbeitung der von Gesualdo di
Venosa stammenden Tres sacrae cantiones (unter Kurt Prestel, vgl. Ver-
zeichnis). Man sollte es vielleicht noch einmal betonen: das Jahr 1962
markiert den Schlußstrich generell, d. h. die Programmgestaltung des
zentralen Veranstalters (der "Ferienkurse" im engeren Sinn) ist davon
ebenso berührt, wie die der Gastveranstalter (HR etc.). War diese
Gleichzeitigkeit reiner Zufall? Sicher nicht. Man geht wohl kaum fehl,
wenn man dies alles dem Umfeld der Reorganisation zuordnet, der nach
Steineckes Tod das "Musikinstitut" unterzogen worden war.
Studiert man nun die von 1946 bis 1962 praktizierte Programmgestal-
tung mit dem Ziel, eine Aussage zur Präsenz des Strawinskyschen Schaf-
fens treffen zu können, stellt sich sofort die Frage, ob man die "Inter-
nationalen zeitgenössischen Musiktage", die "Woche [bzw. Tage] für Neue
Musik" und die Kammermusikkonzerte der Kranichsteiner Musikgesellschaft
in die Auswertung einbeziehen soll oder nicht. Bezieht man sie ein, wie
es auch die vom "Musikinstitut" erstellte, bis 1961 reichende Programm-
auflistung "Neue Musik in Darmstadt" getan hat (vgl. unten), würde die
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Gesamtzahl ca. 45 Werke betragen. Das wäre ein Resultat, das Strawinsky
in den oberen Bereich der Häufigkeitsskala plazierte: Krenek ca. 38,
Hindemith ca. 42, Bartok ca. 52, Webern ca. 52, Schönberg ca. 73 Werke
(wegen einiger Unsicherheiten ist der Zusatz "circa" nicht entbehrlich).
Als erster Schritt böte sich nun an, die terminlich ja außerhalb der
"Ferienkurse" veranstalteten Konzerte der Kranichsteiner Musikgesell-
schaft auszuschließen. Übrig blieben rund 35 Werke, was im entsprechen-
den Vergleich schon nicht mehr ganz im Rahmen wäre. Klammerte man dann
sogar noch die HR-Beiträge aus, würde die Gesamtzahl auf ca. 20 Werke
sinken und zum Vorschein käme - unter Beibehaltung der Vergleichsbedin-
gungen - eine deutliche Unterrepräsentation. Die Frage ist natürlich,
ob die Einengung überhaupt soweit getrieben werden darf. Wenn man eine
Aussage zum Verhältnis der "Ferienkurse" zu Strawinsky machen will,
wahrscheinlich ja (vgl. unten).
Statistiken wie die obige nehmen keine Rücksicht auf Qualitäten. Sie
sagen auch nichts darüber aus, ob es sich um sehr kurze, sehr lange oder
zusammengestellte Werke handelt. Ein Liedzyklus beispielsweise mag aus
etlichen Einzelliedern bestehen, er zählt als ein Stück. Und ganz
bestimmte Tendenzen kommen ebenfalls nicht zum Ausdruck, z. B. die, daß
die Strawinsky-Werkliste der "Ferienkurse" im ganzen gesehen und an der
Entwicklung der Unternehmung gemessen, vergangenheitsbezogen bzw. rück-
wärts orientiert erscheint. Als Beispiele mögen die Jahre 1961 und 1962
dienen; zu 1961 vgl. Berceuses du chat/Singstimme-Ensemblefassung:
Henius, zu 1962 vgl. Histoire du soldat/Konzertsuite: Maderna (oder
siehe die Aufzählung weiter oben). Man beachte dabei allerdings, daß
dies außer der Veranstaltung mit dem Concerto per due pianoforti soli
alles Gastbeiträge waren und daß selbst das "Concerto" im ausgedruckten,
also vorausgeplanten, Programm nicht vorgesehen war. Überhaupt ist 1962
als Beispiel vielleicht nicht so treffend, denn, obwohl bei den Tres
sacrae cantiones nur fehlende Stimmen ergänzt wurden, sind sie ja immer-
hin ein "neues Werk" (die wohl unbestreitbar "ewige Aktualität" der
Histoire du soldat sollte als Gegenargument nicht auch noch bemüht wer-
den, dafür ist die - rein instrumentale - Suite zu weit von den Textin-
halten entfernt.)
Gerade die eben genannten Beispiele können natürlich zu den Gedanken
führen, Strawinsky sei für den eigentlichen Veranstalter schon vor 1963
kein Konzertthema mehr gewesen. Doch dem nachzugehen empfiehlt sich für
diese Stichwortsammlung nicht. Die grundsätzlichsten Dinge zur Organi-
sation sind angesprochen worden, ginge man darüber hinaus, wäre die
unvermeidliche Folge, nicht nur tiefer in die "Ferienkurse" eindringen
zu müssen, man müßte auch den allgemeinen Rahmen, die Ästhetik der Neuen
Musik, in den Blickwinkel zerren, daraus könnten hier aber, um im Bild
zu bleiben, nur Zerrbilder entstehen. So wäre z. B., um die Entwick-
lungen verstehen zu können, auch das Wirken zweier Personen zu diskutie-
ren, die zu beidem, zu den "Ferienkursen" und zur Neuen Musik, in eng-
ster Beziehung standen und deren Einflüsse nicht unterschätzt werden
dürfen: Heinrich Strobel und Theodor W. Adorno. Strobel, der von Anfang
an an den "Ferienkursen" teilgenommen hatte, hielt 1952 seinen letzten
Vortrag, selbstverständlich über Strawinsky, über das Gesamtwerk (1952
war das Jahr des 70. Geburtstags des Komponisten, zu Strobels Anlaßmanie
vgl. SWF; seinen allerersten Vortrag nach dem Krieg hatte Strobel anläß-
lich der Bad Nauheimer "Zeitgenössischen Musikwoche 1946" gehalten,
Thema: Zwei Pole der Neuen Musik, gemeint waren Hindemith und Strawin-
sky). Adorno, 1949 aus den USA zurückgekehrt, besuchte zum ersten Mal
die "Ferienkurse" 1950 und nicht lange danach geriet nahezu alles in
seinen Bann. Die Folgen blieben nicht aus: Strobel konzentrierte sich
ganz auf Donaueschingen, Strawinskys Musik geriet ins Abseits (wie sehr
das macht ja das Zahlenverhältnis 45 zu 0 deutlich; Schönberg und Webern
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wurden übrigens 1963 nicht abgesetzt). Kurios ist nun aber, wie sich das
Rad der Geschichte gedreht hat. Zunächst schienen ja Adornos Ansichten
in allen Punkten die Oberhand zu behalten, dann aber holten die Ereig-
nisse manches dieser Ästhetik ein. Denn seit 1983 wendet sich Darmstadt
verstärkt dem Jazz zu (der "zeitlosen Mode" also, wie Adorno meinte).
Man kaufte Joachim E. Berendts Plattensammlung und weitere Aktivitäten
sind in Planung. (Randbemerkung: Berendt war in der frühen SWF-Zeit
Strobels Protegé par excellence. Er nahm seine Tätigkeit dort am 8. Ok-
tober 1945 auf, genau an dem Tag also, an dem die französischen Rund-
funkmilititärs begannen, deutsche Mitarbeiter für den im Aufbau begrif-
fenen Sender einzustellen. Strobel wurde erst am 15. November 1945
eingestellt!) Wie man hört, will das "Musikinstitut" auch Jazzveran-
staltungen ausrichten; eine Neuerung also, die Donaueschingen schon 1954
einführte. Auch von Strawinsky hätte man sich in diesem Punkt ruhig
intensiver beeinflussen lassen können: Er hatte sich ja bekanntermaßen
schon 1917 mit Jazz bzw. Jazzähnlichem beschäftigt, zu einer Zeit also,
als das Wort "Jazz" für Musik noch gar nicht richtig eingebürgert war.
Ja, so gehen Traditionen, so kommen Traditionen.
[Anmerkung: 1986 erwarb das Musikinstitut eine umfangreiche und wert-
volle Bücher- und Zeitschriftensammlung und legte somit - mit diesen
beiden Sammlungen - für das heutige Darmstädter Jazzinstitut das Funda-
ment. In meiner im Entstehen begriffenen Arbeit "Prez [Lester Young] in
Paris" werden wir, wenn alles gut geht, über den ehemaligen Besitzer der
Bücher- und Zeitschriftensammlung, Andreas Masel, mehr erfahren.]
Obwohl der Frankfurter Rundfunk die "Ferienkurse" mit all ihren Ver-
anstaltungen von 1946 an begleitete und auch von diesem Jahr an Mit-
schnitte produzierte, ist - soweit die "Ferienkurse" in engeren Sinn
gemeint sind - im HR-Archiv keine Strawinsky-Aufführung erhalten geblie-
ben. Was da ist (bzw. vor einiger Zeit noch da war), wurde bereits oben
vor allem im Zusammenhang mit den "Tagen für Neue Musik" angedeutet.
Damit steht man nun also vor der Tatsache, daß die "Ferienkurse" als
solche in diesem Verzeichnis praktisch nicht vorkommen. Eine merkwürdige
Situation! Das Bänderprofil unten listet deshalb, sozusagen als Aus-
gleich, für die Kopplung "Ferienkurse"/"Woche (Tage) für Neue Musik"
drei Einträge (1955, 1957 und 1961).
(Wie schon oben angesprochen, gibt es zur Programmgestaltung der
"Ferienkurse" zusammengefaßtes Material; es sind dies vier einfache,
nach Komponisten geordnete Werk- bzw. Aufführungslisten: Neue Musik in
Darmstadt 1946-1958, in: Steinecke, 1959; Neue Musik in Darmstadt 1959-
1961, in: Thomas, 1962; Ferienkurse 1962-1972, in: Thomas, 1973; Ferien-
kurse 1974-1980, in: Thomas, 1980).
[Anmerkung: Das Internationale Musikinstitut Darmstadt besitzt selbst
einen Bänderbestand, in dem sich zahlreiche Aufnahmen aus der frühen
Zeit befinden. Etliche davon gehören dokumentarisch zweifellos zu dem
hier dargestellten Themenkreis. Der Fundus insgesamt umfaßt Mitschitte
von Veranstaltungen der Ferienkurse, daneben aber auch Mitschnitte von
Ereignissen außerhalb der Kurse, soweit das IMD damit in irgendeiner
Weise verbunden war (z. B. Komponistenbesuche). Ob auch Rundfunkauf-
nahmen dabei sind, ist derzeit noch nicht klar. Der bis 1978 reichende
Teil des Musik- und Wortbestands lagert unter klimatisierten Bedingungen
im Deutschen Rundfunkarchiv Frankfurt am Main; er wurde in den Jahren
1999 bis 2002 dokumentarisch erfaßt und ist digitalisiert gesichert. Die
Datenbank zeigt auf die Abfrage des Schlüssels "IMD" hin 1371 Einheiten
an (Stand: 30.6.2002). Aus den Jahren 1946, 1947 und 1949 sind keine
Aufnahmen überliefert, für das Jahr 1948 hingegen 17. Der Bestand ent-
hält 14 Strawinsky-Mitschnitte aus den Jahren 1954 bis 1962 (Kammer-
musik, -orchester, Messe). Keine dieser Aufnahmen ist hier verzeichnet.]
Noch einige Hinweise zu HR-Aktivitäten in Stichworten: Von der Saison
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1963/64 bis zur Saison 1968/69 unterhielt der HR die Konzertreihe
"Musica Viva", deren erste Veranstaltungen auch einige Strawinsky-
Kompositionen enthielten (Mitschnitte oder Studioproduktionen existieren
jeweils). Parallel hierzu, spätestens 1963 gegründet, lief noch eine
zweite "Musica Viva"-Reihe. Veranstalter war der Frankfurter Bund für
Volksbildung, wobei von etwa 1966, spätestens 1967 an der HR als Mitver-
anstalter fungierte (bei einigen Konzerten war dies schon seit 1964 der
Fall gewesen). 1975 wurde diese Reihe, deren eigentliche Bezeichnung
"Musica Viva im Theater am Turm" lautete, aufgelöst. Ein völliges Vakuum
entstand hierdurch allerdings nicht, denn es hatte bereits seit 1973 ein
anderer Konzertzyklus auf sich aufmerksam gemacht (auch hier war der HR
wieder als Mitveranstalter tätig): Neue Musik in der Hochschule (das ist
das alte Funkhaus). Ein anderes bemerkenswertes Unternehmen sind die zum
ersten Mal vom 24. bis 26. November 1967 veranstalteten "Gießener Musik-
tage für junge Solisten". Unterhalten wird dieses jährliche Debütanten-
podium gemeinsam von der Stadt Gießen und dem HR; irgendein Strawinsky-
Dokument fehlt bislang. Zum absoluten "Strawinsky-Gipfel" des HR, dem
"Strawinsky-Weekend", beachte man den Überblick im Dokumententeil:
Frankfurt 1972. Die traditionsreichen Kasseler Musiktage sind, obwohl
regelmäßig Mitschnitte gesendet werden, im HR-Archiv durch kein einziges
Strawinsky-Band vertreten. Doch kommen natürlich in den Sendungen Werke
Strawinskys vor, so z. B. 1983 die aus dem Pulcinella-Ballett gewonnene
Suite italienne/Violoncello-Klavierfassung: Baumann (vgl. dort). Ob
dieses Band aber archiviert wird, ist fraglich. 1965 gründete der Orga-
nist und Chorleiter Klaus Martin Ziegler die von der Kasseler Kantorei
an St. Martin in Verbindung mit der Hofgeismarer Evangelischen Akademie
ausgerichtete "Woche für geistliche Musik der Gegenwart" (Veranstal-
tungsturnus: zweijährig, jeweils im April; seit 1971 Neben- und auch
Obertitel: neue musik in der kirche). Von der zweiten "Woche" existiert
ein Strawinsky-Mitschnitt (vgl. Abraham and Isaac/Reich). Die 1983 laut
Programm zum letzten Mal selbständig durchgeführte "Woche" hatte drei
Werke Strawinskys im Programm; sie wurden vom HR zeitversetzt gesendet
(vgl. Élégie for viola/Schloifer). Man kann nur empfehlen, die Bänder zu
bewahren. Bestechend war insbesondere auch die Klangqualität, zu der
sicherlich die Akustik der Sankt Martinskirche mit beigetragen hat. Sie
scheint für Aufnahmen günstige Resonanzverhältnisse zu besitzen (aller-
dings dürfen wohl, wie bei vielen Kirchen, die Besetzungen nicht zu
gewaltig werden).
Das nachfolgende Profil mit Strawinsky-Aufnahmen ist trotz der ausge-
führten Einschränkungen noch ganz passabel ausgefallen.
[Anmerkung: Bezüglich des Bänderprofils siehe weiter oben die Anmer-
kung zum Internationalen Musikinstitut Darmstadt. Es könnte hier sicher-
lich die eine oder andere Aufnahme eingereiht werden.]
Monat/Jahr Aspekt Aufnahme
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2/1949 a) Altes Funkhaus/Großer Sende- Oedipus rex/Schröder
saal
b) Symphonie-Orchester von Radio
Frankfurt
3/1952 Altes Funkhaus/Studio 2 Piano-rag-music/Scarpini
10/1954 Neues Funkhaus/Studio 3 Pastorale/Gesang-Klavier-
fassung: Wolff
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Vororientierungen Seite 53
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3/1955 Neues Funkhaus/Großer Sende- Symphony in three move-
saal ments/Rosbaud
5/1955 a) Woche für Neue Musik Mass/Stokowski
b) Internationale Ferienkurse
für Neue Musik
7/1957 a) Darmstadt/Stadthalle Canticum sacrum/Matzerath
b) Tage für Neue Musik
c) Internationale Ferienkurse
für Neue Musik
12/1958 Neues Funkhaus/Studio 2 Concerto en ré pour
orchestre à cordes/Cristo-
fari
9/1961 a) Tage für Neue Musik Berceuces du chat/Sing-
b) Internationale Ferienkurse stimme-Ensemblefassung:
für Neue Musik Henius
11/1963 Konzertreihe "Musica Viva" Les noces/Ehrling
6/1966 Früheste Stereo-Eigenproduk- Scherzo fantastique/
tion eines Werks Strawinskys Michael
4/1967 a) Woche für geistliche Musik Abraham and Isaac/Reich
der Gegenwart
b) Kassel/St. Martinskirche
12/1972 Strawinsky-Weekend vgl. Dokumente: 1972
Frankfurt/M.
6/1982 Alte Oper/Großer Saal Le baiser de la fée/
Divertimento [pour
orchestre]: Neumann
4/1984 Studio 2 (neueste Fassung) Trois pièces pour quatuor
à cordes/Mannheimer
Streichquartett
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[hr]
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