Le Sacre du Printemps Seite ???
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Because most of 'em all went to
Juilliard, you dig, and whoever
that teacher was, he taught 'em all
the same thing.
- Prez (Lester Young), 1958
Le Sacre du Printemps - Partituren, Entwicklung
Notentexte versus Aufnahmen
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KORREKTUR UND ERWEITERUNG IN ARBEIT ONLINE
GRUNDLEGENDE MATERIALBESCHREIBUNGEN
SIEHE (den vorläufigen) TEIL I
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Vorbemerkung - mit der Bitte um Beachtung
Der nachfolgenden, am 31. Dezember 2013 ins Internet geladenen Doku-
mentation zu Le Sacre du Printemps liegt ein Typoskript zugrunde, das
aus dem Jahr 1982 stammt. Was liegt da näher als der Gedanke an ein
geradezu methusalemisches Ergrautsein, das bei so manch einer altehr-
würdig wirkenden Musikdokumentation auch in der Tat nicht zu übersehen
ist. Doch hier dürfte, o seltsames Wunder, vom Inhalt ein großer Teil
noch aktuell sein, und um das (diskographische) Hauptthema "Varianten"
wird man sich in dieser Hinsicht sicherlich überhaupt keine Gedanken
machen müssen. Damit wäre aber auch angedeutet, daß die Typoskript-
Fassung von einst so nicht bleiben wird, ganz sicher nicht, trotz ihrer
im Kern scheinbar immergrünen Brauchbarkeit wird sie allmählich Überar-
beitungen erleben, ebenso werden stetig Erweiterungen hinzukommen; das
alles natürlich, wie auf www.dpmusik.de üblich, online. Der Arbeitsstand
ist unten am Schluß ersichtlich.
Somit gleich zum ersten Schürfgebiet: Im Mai 2013 erschien im Boosey
& Hawkes-Verlag eine vom Paul Sacher Institut, Basel, herausgegebene
"Sacre-Trilogie". Das sind zum einen die Manuskript-Faksimiles der Or-
chesterpartitur und des vierhändigen Klavierauszugs, beide Handschriften
wurden 1913 erstellt. Der dritte Teil der "Trilogie" ist der Aufsatzband
Avatar of Modernity, The Rite of Spring Reconsidered. Natürlich werden
diese neuerdings verfügbaren Materialien und andere neuere ebenso peu à
in die Recherchearbeiten einbezogen, wobei Details, wenn sie weiterfüh-
ren {*1}, letztlich auch in den Text gelangen sollen. Die Orchesterhand-
schrift war im Übrigen in Teilen schon um 1980 herum untersucht worden,
jedoch nur auf der Stufe des damaligen Kenntnisstands und Problembewußt-
seins, und damit eben auch nur insoweit als es damals erforderlich
schien, das kann jetzt aktiver geschehen.
{*1} So ist z.B. in den Begleittexten zu den beiden genannten Faksi-
miles die Aussage falsch, als Vorlage für die von Boosey & Hawkes
nach dem Zweiten Weltkrieg herausgegebene Partitur (Dirigier- wie
Studienausgabe), Plattennummer "B & H 16333" (richtig: B. & H.
16333), sei die 1921er RMV-Partitur verwendet worden. Als Vorlage
diente vielmehr die 1929er Fassung, die "Neue Fassung 1929" (zu den
betreffenden fehlerhaften Stellen bezüglich der Le Sacre du Prin-
temps-Ausgaben siehe Ulrich Mosch (Hg.), Facsimile of the Autograph
Full Score, S. 22, englische Übersetzung S. 38, und Felix Meyer
(Hg.), Manuscript of the Version for Piano Four Hands, S. 22, engli-
sche Übersetzung S. 37, in beiden Fällen die Posten E3 und E4). Daß
in der Aufstellung unter "Gedruckte Quellen" die 1929er Partitur
nicht genannt ist, das ist kein Druckfehler, das ist schon ein ziem-
lich kapitaler Bock, und da kommt unweigerlich die Frage auf, welche
Vorstellung die beiden Sacher-Autoren von der Editionsentwicklung
nach 1921 bzw. 1945 denn haben? In den (veröffentlichten) Sacre-Ar-
beiten Louis Cyrs aus den 1980er Jahren jedenfalls hätte man zur Ent-
wicklung die angemessenen Informationen gefunden.
Genau genommen verrät die Struktur dieser ins Internet gestellten
Dokumentation den ursprünglichen Zweck. Sie gehört eigentlich als ein
"Werkvorspann" zu einem, man darf wohl sagen, umfassenden, aber unver-
öffentlichten Strawinsky-Diskographietyposkript (Phonographie), das bis
1982 reicht, in Einzelfällen aber auch weit darüber hinaus. Zu allen
Werken entstanden Einführungen, "Werkvorspänne", doch sind die meisten
nicht so ausführlich und umfangreich wie der "Sacre-Vorspann". Sie alle
kamen zustande im Rahmen einer "Strawinsky-Werkstatt", zu der sich Louis
Cyr und der Verfasser um 1980 herum zusammengetan hatten; als Stätten
dienten das Jesuitenkolleg in der Elsheimerstraße (Ignatiushaus) und ein
mit Plattenspielern sowie Bandmaschinen ausgerüstetes Tonstudio des
Deutschen Rundfunkarchivs.
Die Sacre-Dokumentation von 1982 ist, wie in allen anderen Fällen,
aus Protokollen entstanden, die jeweils das Erarbeitete festhielten,
das, wie schon anderswo geschildert wurde, im Grunde genommen auf dem
Wissen Louis Cyrs basierte, und ohne diese Kenntnisse in keiner Form zu
Früchten geführt hätte. Hier im "Sacre-Fall" war das Endergebnis ein
auf rund 45 DIN A5-Karteikarten erhalten gebliebenes, mit Notenbeispie-
len ausgestattetes Typoskript. Auch die Manuskripte für die "Werkvor-
spänne" existieren noch, wobei die Korrekturen zeigen, wie die "Ses-
sions" verliefen (siehe die kleine Dokumentationsseite, in Vorberei-
tung).
Die äußere Form des "Werkvorspanns" wird beibehalten, sie eignet sich
hervorrragend für lose eingebrachte Nachbesserungen und Erweiterungen,
wobei in diesem Zusammenhang auf zwei weitere solcher einführenden Doku-
mentationen konkret hingewiesen werden kann, da Teile davon im Internet
zugänglich sind, auch dort wird im Prinzip stetig verbessert und erwei-
tert: siehe Klavierkonzert (Concerto pour Piano suivi d'Orchestre d'Har-
monie), Werk [063], und Pulcinella, Werk [055]. Wenn alles gut geht,
wird noch Etliches folgen. Immer geht es um detaillierte Ausgabenkunde,
und dabei nicht nur um Ausgaben in Papierform, sondern eben und vor
allem auch um Ausgaben im Tonträgerformat.
Zur Struktur der Dokumentation
Der erste Teil, Teil A, bringt in gekürzter Form Grunddaten zum Werk,
die der privaten Buchveröffentlichung von 1985 entstammen, allerdings in
der aktuellen Internet-Fassung. Diese Grunddaten sind ein aus der unten
wiedergegebenen Hauptdokumentation gewonnener Überblickextrakt, der aus
dem eigentlichen Vorspann und einem Errata-Eintrag dazu besteht. Der
Kern der Errata war schon 1985 dem Buch beigegeben worden (Einklebung
eines Zettels). Beide Teile werden hier zusammengefaßt und auf den neue-
sten Stand gebracht, wobei eine Rückwärtskorrektur vorgenommen wird,
d.h., im Verzeichnis der Rundfunkaufnahmen (dem im Übrigen auch eine
Erweiterung ins Haus steht) werden in beide Teile, Werkvorspann und
Errata, die Nachbesserungen nachgetragen.
Teil B ist der vollständige Werkvorspann, er dokumentiert, wie ge-
sagt, Werkgrunddaten. Danach bringen Fußnoten Erläuterungen, von denen
inbesondere die Variantenauflistungen eine aufschlußreiche Angelegenheit
sein dürfte.
Selbstverständlich sind diese Ausführungen zu Sacre-Partituren und
Aufnahmen im Zusammenhang zu sehen mit anderen hier schon teilweise vor-
liegenden Arbeiten, z.B. mit den relativ detaillierten Beschreibungen
der äußere Editionsdaten der Partituren und Auflagestimmen (siehe Sacre
Teil 1).
Dover-Partitur 1989
Die 1989 im Dover-Verlag, New York, erschienene, weitverbreitet an-
zutreffende Sacre-Partitur (The Rite of Spring in Full Score, XIII, 160
S.) ist eine Ausgabe der 1965 in Moskau im Verlag Musika veröffentlich-
ten Edition. Keine der beiden Ausgaben wird hier in diese Ausführungen
einbezogen, sie sind Sekundärausgaben, und wie Stichproben anhand der
Dover-Ausgabe zeigen, scheint als Vorlage eine "reguläre" B & H-Ausgabe
(B & H = Boosey & Hawkes, Abkürzungen siehe unten) von etwa 1950 bis
1964 (oder sogar 1965) gedient zu haben (also eine B & H-Ausgabe des
1948er Druckstammbaums), jedoch wohl kaum, aber grundsätzlich möglich,
die RMV-Ausgabe (RMV = Russischer Musikverlag) von 1929. Notentext-
schnellüberprüfungsdetails: Im Vergleich zum B & H-Neustich von 1967
sind in Z (= Ziffer) 103 Takt 1 die "dissonante" Transposition der Trom-
pete in D, in Z 138 Takt 5 der "unlogische" Rhyhthmus des Tamburins un-
korrigiert und im Schlußakkord hat der Timpano piccolo "g" statt rich-
tig: gis. Eingearbeitet sind die dem 1929er RMV-Druck gegenüber im B &
H-Reprint von 1948 zwar neuen, aber schon in der von Anfang 1923 stam-
menden RMV-Errata-Liste enthaltenen Umarbeitungen: Flöten Z 53 und Hör-
ner Z 58 Takt 6 ff. Da die Dover-Partitur außerdem die großen Umarbei-
tungen enthält (z.B. in der Danse Sacrale) und zudem das wichtigste
Kleinstindiz für die Identifikation der 1929er Fassung vorliegt, die
Streichung des Guero in Z 201 Takte 3 und 4, dürfte der 1921er RMV-Druck
keine Rolle gespielt haben, wenn doch, dann allenfalls nur eine neben-
sächliche. Aufschlußreich ist in Z 53 Takt 7 und 8 in den Piccolo-Flöten
die Ausbesserung dreier Fehler, nämlich die Einfügung einer Viertelpau-
se, des ♭ vor c (beide in Takt 7) und des Auflösungszeichen vor c (Takt
8). Diese letztgenannten Korrekturen lassen sich so auffassen, daß als
Vorlage offenbar eine Partitur verwendet worden war, die (mindestens)
die Korrekturstufe von um 1950 erreicht hatte. Insofern kann man dann
auch - mit der nötigen Vorsicht jedenfalls - den auf der Musika-Ausgabe
von 1965 beruhenden Dover-Druck von 1989 als auf der Stufe der B & H-
Taschenpartitur von (soweit derzeit dieser Arbeit vorliegend) mindestens
Mai 1963 oder vielleicht sogar auf derjeingen der Dirigierpartitur "Re-
printed with corrections 1965" befindlich vermuten. Neu ist allerdings
die Anordnung der Perkussionsinstrumente auf teils mehrfachen Hilfsli-
nien. Damit nimmt die Partitur eigentlich eine wichtige Neuerung der
1967er B & H-Neustichpartitur voraus (Näheres hierzu siehe frühere
grundlegende editorische Ausführungen).
Beachte auch: Die Dover-Ausgabe ist gegenüber der RMV- und B & H-Aus-
gabenlinie ein komplett neuer Drucksatz, ein Neustich also {*1} (Angabe
zum Umfang der reinen Notentextseiten: RMV 1921 bzw. 1929 = B & H 1948
bis 1965 bzw. 1966: 139 S., B & H 1967: 153 S., Dover 1989: 160 S.).
{*1} Der Notentext enthält russische Satz- und Szenenbetitelungen,
die einstigen französischen Fassungen wurden durch englische ersetzt,
die jedoch von den Fassungen der 1967er B & H-Partiturneuedition zu
einem großen Teil abweichen oder sogar neu sind (dazu heißt es ohne
Quellenangabe oder weitere Begründung: "The English renderings [...]
reflect Stravinsky's own mature preferences"). Die französischen
Fassungen wanderten in eine englisch-französische Titelübersicht
(Seite V), wo außerdem in einem gesonderten Hinweis ("NOTE") wei-
tere eigene, teils wortwörtliche (!) englische Übertragungsversuche
der russischen Betitelungen gesammelt wiedergegeben sind.
Der auf die Paukenausführung bezogene, mitgelieferte englische Hin-
weistext könnte zum einen eine Neuübersetzung des alten französischen
Texts sein, der in der RMV-Beilage von Anfang 1923 abgedruckt und
von B & H 1948 in deren Ausgabe der RMV-Partitur übernommen worden
war, doch sieht es zum andern eher danach aus, daß der Text eine
"Paraphrasierung" der 1948 dem französischen Text beigegebenen
englischen Übersetzung ist (bezüglich Partiturausstattungen siehe
frühere Ausführungen in den Ausgabengrundlagen).
Kurios ist die Langlebigkeit einer offenkundigen Mißinformation: Die
Pauken betreffend heißt es in der erwähnten RMV-Partiturbeilage und
in der alten B & H-Partiturausgabe (1948 ff.), daß ein (!) "timbale
piccolo (Si♮ aigu)" benötigt wird, also eine hohe Pauke in der Stim-
mung B (nicht H!). In der 1948 dem französischen Text beigegebenen
englischen Übersetzung lautet die Angabe in Bezug auf die Piccolo-
Pauke: "one very small instrument (for the high B)", also in der
Stimmung H, was ein Übersetzungsfehler sein kann. Nun werden aber
im Notentext die Tonhöhen c (erst ab 1948), gis (Druckfehler in allen
Druckpartituren vor 1967: g, Manuskript 1913: gis), b und h benötigt,
das heißt, neben b also tatsächlich auch h (siehe Tabelle). Doch
selbst eine Korrektur entweder der französischen Fassung oder der
englischen Übersetzung (z.B. des französischen "si bémol aigu" zu
"for the high Bb [oder: high B flat])" würde nicht befriedigend
weiterhelfen, weil, wie klanglich gefordert, im spieltechnisch ein-
fachsten Fall eigentlich drei oder sogar vier Piccolo-Pauken zur Ver-
fügung stehen sollten. All dessen ungeachtet ist jedoch in der
(sichtlich mit Anspruch versehenen) Dover-Ausgabe ("Foreword by Boris
Mikhailovich Yarustovsky (1911-1978", S. VII-XI) bezüglich des Pic-
colo-Paukenspiels unverändert nur ein "Timpano Piccolo (high B)" an-
gegeben (S. XIII) (weitere Einzelheiten zur - allein schon notentext-
lich sicherlich korrekturbedürftigen - Dover-Partitur sollen hier
unterbleiben).
Tabelle: Die Tonhöhen für die Piccolo-Pauken in diversen Partituren
Ziffer Ms 1913 1921 Errata 1923 1948 Dover 1989 (1965) 1967
38 f. h h h h h
57 f. h h c,h c,h c,h c,h
174 f. b b b b b
201 gis g g g gis
Wie in der Tabelle zu sehen, existierten die 1948er Änderungen der
Stellen Z 57 ff. schon in der umfangreichen Errata-Sammlung von An-
fang 1923. Darin lautete der Korrektureintrag der Pauken (Piccolo-
Pauken, große Pauken) bei Z 57 folgendermaßen:
"De |57| à |60|, modifier comme suit les parties de timbales les 3
mes. [mesures] ap. [après] |57|" (Übersetzung: Von Z 57 bis Z 60,
ändere drei Takte vor Z 57 die Paukenstimmen wie folgt ab):
Abbildung
Beachte in der Abbildung den Hinweis für die Piccolo-Pauken: à 2. Er
steht auch in der Korrekturwiedergabe der zweiten Stelle (vor Z 59),
aber nicht in der Korrekturwiedergabe der dritten Stelle (nach Z 59).
Auch ist er in keiner der ab 1948 mit diesen Paukenänderungen verse-
henen Partituren vorhanden, also weder in einer der Editionslinie
1948 ff. noch in der Neuedition von 1967 (zu den Errata von 1923
siehe Ausführungen in der Abteilung Grundlagen).
Bildschirm-Standardeinstellung mittels "Ansicht" (Windows XP, 7.0):
1) Zoom: 100%, andere Einstellungen sind für die Abbildungen
ungünstig; Unschärfen, Verzerrungen nehmen zu. Allerdings
verbessert die Vergrößerung 125% die Lesbarkeit des Texts.
2) Textgröße: Mittel
Abkürzungen
xyz- selten
xyz-- verschollen, sehr selten, in Privatbesitz
xyz+ weitere Auflagen oder Drucke erschienen
4Hde für vier Hände
AMP American Music Publishers
B & H Boosey & Hawkes
Bem Bemerkung
F/B Fassung/Bearbeitung
DiPa Dirigierpartitur
KlA Klavierauszug
Leih-DiPa Leihdirigierpartitur (Leihmaterial)
Ms Manuskript
Pa Partitur
Rev Revision
RMV Russischer Musikverlag (Édition Russe
de Musique)
StPa Studienpartitur (Taschenpartitur)
Z Ziffer (z.B. Z 10/16 = Ziffer 10 Takt 16)
Exakte Tonhöhenangaben
Es ist noch nicht entschieden, ob in den Texten die genauen Tonhöhen
angegeben werden sollen (z.B. A, a, a', a''), da eine solche Überexakt-
heit die Lesbarkeit der an sich schon komplexen Texte erschwert.
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In ARBEIT
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Grunddaten
A) Unveränderte Wiedergabe des kurzgefaßten Vorspanns zu "Werk 027" samt
der dazugehörigen "Errata"-Ergänzung
1) Sacre-Werkvorspann zu 027 (kurzgefaßter dokumentarischer Überblick)
[027]
Le sacre du printemps
Tableaux de la Russie païenne en deux parties d'Igor Strawinsky et
Nicolas Roerich
[Orchester]
1910/13 (März); RMV (B & H), 1913+ (UrDiPa: Hs--, Kopistenabschrift--,
[Probedruck--, Existenz bislang nur vermutet]; KlA 4Hde-)
Rev : 1) -; RMV (B & H), 1921+ (Leih-DiPa, StPa-)
2) - ("Neue Fassung 1929"); RMV (B & H), [1929]+ (Leih-DiPa,
StPa-)
3) - ([Revised 1947 version]); B & H, [1948]+ (Leih-DiPa, StPa)
4) - ("revised 1947 version" / "Reprinted with corrections 1965",
"Revised 1947"); B & H, [1965]+ (Leih-DiPa)
5) - ("Revised 1947" / "New edition 1967", "Re-engraved edition
1967"); B & H, [1967]+ (Leih-DiPa, StPa; KlA 4Hde)
6) - (Flöten: "Articulation revised by [u.a. auch: Articulation(s)
from / after] Stravinsky 1970", B & H, [1970?]+ (Leihstimmen)
F/B : 1) Danse sacrale for orchestra (Revised version)
1943; AMP, 1945 (StPa)
2) Revised version [Reduzierte Instrumentation] by Robert Rudolf;
Belwin-Mills, 1974 (DiPa)
3) [Transkription für Klavier zu zwei Händen von] Sam Raphling;
Lyra, 1975
Bem : Kontinuierliche Korrektur- und Änderungsentwicklung sowohl in den
Partituren als auch in den Stimmenmaterialien (praktisch von 1913
bis wahrscheinlich 1970), zahlreiche griffige Varianten. Bestim-
mung des bei einer Aufnahme verwendeten Materials meist nur für
die 1967er Revision möglich; wegen Fehlern, Parallelbenutzung al-
ter Materialien, individueller Rekorrekturen etc. ist dies aber
auch hier unsicher (Detailbeschreibung ist im Grunde unumgäng-
lich). KlA-Aufnahmen weisen ebenfalls immer wieder Varianten auf.
Sind die Klavierauszüge für ein Klavier oder zwei Klaviere ge-
dacht? [Eingeklebte Ergänzung, 1985 = "Errata-Zettel"]
[Gesamtdarstellung siehe unten]
2) Errata-Eintrag: Ergänzungen zum "Sacre-Vorspann"
zu 1) Bem: Es gab - vielleicht schon von 1921
an - zu DiPa und StPa (DiPa-Ver-
kleinerung) eine lose Errata-Bei-
lage.
zu 2) Bem: Es sind zwar in der Partitur gra-
vierende Änderungen vorgenommen wor-
den, aber die Korrekturen der "1921er"
Errata-Beilage hat man nicht berück-
sichtigt.
zu 3) Bem: Die Korrekturen der "1921er" Errata-
Beilage sind nun eingearbeitet. (Zur
Datierung dieser Korrekturstufe: Alte
B & H-Stimmenmaterialien sind mit dem
Hinweis "revised 1948" [!?] versehen.)
Neue Korrekturen erschienen in der
Folgezeit (bis 1965) in StPa-Auflagen.
Ca. 1951 erhielt die DiPa eine Beilage
mit den bis dahin angefallenen Kor-
rekturen.
zu 4) Bem: Letzte Korrekturstufe des alten - vom
RMV herrührenden - Partiturdrucks.
zu 5) Bem: DiPa-Neustich (StPa: Verkleinerung).
zu 6) Bem: Authentizität der Änderungen müßte
überprüft werden.
Neufassung "zu 4) Bem:" (10.11.2004):
zu 4) Bem: Letzte Korrekturstufe des alten - vom
RMV herrührenden - Partiturdrucks. Vor
dem "Neustich" 1967 kam es 1966 noch
zu einem StPa-Nachdruck (Leih-StPa);
Kennzeichen u. a.: "Revised 1947" auf
der ersten Notenseite. Die B & H-StPa
"alte" Ausgabe erlebte bis 1966 ca. 16
Auflagen.
Neufassung "zu 5) Bem:" (14.1.2003, 7.11.2004):
DiPa-"Neustich" (StPa: Verkleinerung);
KlA 4Hde: [1968], teilweise "Neustich",
revidierte Fassung (Kennzeichen u. a.:
"Revised 1947"), erhebliche Varianten.
B) Werkgrunddaten, Partituren, Aufnahmen, Varianten
Beachte: Die in runden Klammern wiedergegebenen Drucknachweise stellen
den Stand von um 1980 dar. Alle diese Angaben befinden sich - wie die
gesamte Darstellung auch - im Prozeß der Korrektur und Aktualisierung.
Le sacre du printemps
Tableaux de la Russie païenne en deux parties d'Igor Strawinsky
et Nicolas Roerich {*1}
Besetzung:
Orchester
Szenentitel:
Siehe Fußnote {*2}
Entstehung:
Begonnen Ustilug, August 1910
Abgeschlossen Clarens, 8. März 1913 {*3}
Widmung:
Russisch/französisch:
[Dem Nikolaj Konstantinowitsch Rerich]/À Nicolas Roerich {*4}
Verlag:
1) KlA 4 Hde - RMV, Berlin 1913 (R.M.V. 196; Leipzig [1913],
[1914], ca. 1921; später B & H, New York ca. 1950 (B. & H.
17271, London 12.52) {*5}
2) DiPa - a) Ms, Clarens 1913
b) Leipziger Kopistenabschrift, 1. Mai 1913
c) Probedruck, ca. 1914/15
Uraufführung:
Paris, Théâtre des Champs-Elysées, 29. Mai 1913
Balletts Russes, Sergeij Diaghilew (Direktor), Waslaw Nijinsky
(Choreographie); Pierre Monteux (Leitung)
Revision 1:
Titel/Untertitel wie oben
Verlag:
1) DiPa - RMV, Berlin 1921 (R.M.V. 197, [Leipzig])
2) StPa - RMV, Berlin 1921 (R.M.V 197[hoch]b, [Leipzig]);
Kalmus, [1933]
Revision 2 {*6}:
Titel/Untertitel wie oben
1) DiPa - RMV, Berlin 1921 (R.M.V. 197, [Leipzig 1929])
2) StPa - RMV, Berlin 1921 (R.M.V 197[hoch]b, [Leipzig 1929];
ca. 1935); Hampton, [1941] {*7}
Revision 3:
Le sacre du printemps/The rite of spring
Tableaux de la Russie païenne en deux parties d'Igor
Strawinsky/Pictures
of pagan Russia in two parts by Igor Strawinsky und Nicolas Roerich
Verlag:
1) DiPa - B & H, New York ca. 1948 (B. & H. 16333, London H.P.
B735. 448)
2) StPa - B & H, New York ca. 1948 (B. & H. 16333, London [4.48]
bis 8.66) {*8}
Spieldauer:
33 Minuten
Revision 4:
The rite of spring/Le sacre du printemps
Pictures of pagan Russia in two parts by Igor Strawinsky
und Nicolas Roerich
Revised 1947 - Revised 1947 version - Reprinted with corrections
1965 {*9}
Verlag:
B & H, 1947 (DiPa: B & H. 16333, London B735. 448/8.65 [sic, beide
Druckdaten zusammen])
Revision 5:
Titel/Untertitel wie Revision 4
New editon 1967 (DiPa); Revised 1947 - Re-engraved edition 1967
(StPa)
Verlag:
1) DiPa - B & H, 1947 (B. & H. 19441, London 5.67, daneben auch ohne
Druckdatum)
2) StPa - B & H, 1947 (B. & H. 19441, London 4.72, 2.77)
3) KlA - B & H, 1947 (B. & H. 17271, London [1968] ff.) {*10}
Revision 6:
Verlag:
B & H, [1970] Flötenstimmen {*11}
Fassungen/Bearbeitungen:
1) Le sacre du printemps - Danse sacrale for orchestra
Revised version - 1943 {*12}
Entstehung:
Abgeschlossen Hollywood, 1. Dezember 1943
Auftrag:
Associated Music Publishers, Inc.
Verlag:
AMP, New York 1945 (StPa: ohne Plattennummer, New York)
2) Titel/Untertitel wie Revision 4
Revised version by Robert Rudolf
Besetzung:
Orchester (reduzierte Instrumentation) {*13}
Verlag:
Belwin-Mills, Melville/N.Y. 1974 (DiPa: EL 2458, New York)
3) Transkription für Klavier zu zwei Händen von Sam Raphling
Vermutliche Erstaufführung:
New York City, Carnegie Hall, 1979
Dickran Atamian
{*1} Titel und Untertitel enstammmen den RMV-Materialien (KlA, DiPa
1921 und 1929). Nur die Erstausgabe des KlA von 1913 hat neben dem
französischen auch einen russischen Titel. Der Boosey & Hawkes-Nachdruck
des KlA trägt den englischen/französischen Titel wie "Revision 4" und
den Untertitel: Ballet for orchestra by Igor Strawinsky and Nicolas
Roerich.
{*2} Die russischen/französischen Szenenüberschriften des KlA von
1913 sind in allen Ausgaben (KlA, DiPa und StPa) bis 1966 beibehalten
worden. Die französischen lauten:
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Bitte um Beachtung
Diese Fußnote ist gerade in Überarbeitung.
Informationen zur Situation siehe Sacre Teil 1:
"Vorschaltseiten [III] und [IV]"
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1 Première partie: L'adoration de la terre (I)
2 Introduction
Lento, Viertel = 50 tempo rubato - Più mosso, Viertel = 66 -
Tempo I, Viertel = 50 (1)
3 Les augures printaniers - Danses des adolescentes
Tempo giusto, Halbe = 50 (2)
4 Jeu du rapt
Presto, Dreiachtel = 132 (3)
5 Rondes printanières
Tranquillo, Viertel = 108 - Sostenuto e pesante, Viertel = 80
u.a. (4)
6 Jeux des cités rivales
Molto allegro, Viertel = 168 (5)
7 Cortège du sage
O.B. (6)
8 Le sage
Lento, Viertel = 42 (7)
9 /ODER: Adoration de la terre [Le sage]
Lento, Viertel = 42 (7)
10 Danse de la terre
Prestissimo, Viertel = 168 (8)
11 Seconde partie: Le sacrifice (II)
12 Introduction
Largo, Viertel = 48 (9)
13 Cercles mystérieux des adolescentes
Andante con moto, Viertel = 60 - Più mosso, Viertel = 80 -
Tempo I, Viertel = 60 (10)
14 Glorification de l'élue
Vivo, Zweiachtel = 144 (11)
15 Evocation des ancêtres
O.B. (12)
16 Action rituelle des ancêtres
Viertel = 52 (13)
17 Danse sacrale (L'élue)
Achtel = 126 (14)
In der 1967er Neuausgabe wurde Adoration de la terre [Le Sage] auf
Le sage gekürzt. Außerdem entfielen alle russischen Szenenüberschriften.
Dafür kamen englische hinzu:
1 First part: Adoration of the earth (I)
2 Introduction. Lento, Viertel = 50 tempo rubato - Più mosso,
Viertel = 66 - Tempo I, Viertel = 50 (1)
3 The augurs of spring - Dances of the young girls. Tempo giusto,
Halbe = 50 (2)
4 Ritual of abduction. Presto, Dreiachtel = 132 (3)
5 Spring rounds. Tranquillo, Viertel = 108 - Sostenuto e pesante,
Viertel = 80 u.a. (4)
6 Ritual of the rival tribes. Molto allegro, Viertel = 168 (5)
7 Procession of the sage. O.B. (6)
8 The sage. Lento, Viertel = 42 (7)
9 Dance of the earth. Prestissimo, Viertel = 168 (8)
10 Second part: The sacrifice (II)
11 Introduction. Largo, Viertel = 48 (9)
12 Mystic circles of the young girls. Andante con moto,
Viertel = 60 - Più mosso, Viertel = 80 - Tempo I, Viertel =
60 (10)
13 Glorification of the chosen one. Vivo, Zweiachtel = 144 (11)
14 Evocation of the ancestors. O.B. (12)
15 Ritual action of the ancestors. Viertel = 52 (13)
16 Sacrificial dance (The chosen one). Achtel = 126 (14)
Die Variationen der Szenenüberschriften (auf Schallplattenetiketten,
-hüllen usw.) haben ein äußerst breites Spektrum. Es reicht bis zur
grotesken Erfindung. Manche Abweichungen von der Originalbetitelung
lassen sich sicherlich mit Marketing erklären. Andere aber scheinen
(auch) von choreographischnen Praktiken beeinflußt zu sein. In den
späten zwanziger Jahren schimmert z.B. Dschungel, Exotik, auch nachge-
holter Jugendstil durch, heute dagegen gelegentlich mechanistischer
Surrealismus oder sogar Science Fiction.
Einige der ganz frühen Betitelungen auf 78er Platten findet im Zu-
sammenhang mit dem Problem der Satzaufteilung an anderem Ort wörtlich
wiedergegeben, sie sind wegen ihrer größeren Nähe zum Ursprung und zur
frühen Rezeption des Sacre von Bedeutung (vgl. Pierre Monteux 1928?/
1929, Igor Strawinsky 1929, Leopold Stokowski u.a.). In der Darstellung
zur Ausgabe der Einspielung Skrowaczewskis findet man eine überblickar-
tige Aufstellung, die besonders markante Varianten aus dem englischen
Sprachbereich enthält.
Aber auch von deutschen Pressungen gibt es merkwürdige Eigentümlich-
keiten zu berichten. Auf den Etiketten zu Stokowskis Einspielung,
Electrola E.J. 626/629, erschienen 1930 oder 1931 stehen als deutsche
Übersetzungen der französischen Titel dumpfe Anklänge an Assoziationen,
die einem heute unheimlich erscheinen: Verherrlichung der Auserwählten,
Frauenraubspiel, Spiel und Kämpfe. Was für eine merkwürdige Färbung
erhält dabei u.a. der Untertitel: Bilder aus dem heidnischen Rußland.
Ein kalkuliertes "Spiel" mit mystischem Nebel? Nationalistische An-
klänge? Die Ausgabe war im Übrigen auch im "Dritten Reich" (bis min-
destens 1938) in den Katalogen (siehe die Abbildung der ersten Seite an
anderem Ort; Darstellung zu den Titelgebungen in Vorbereitung).
{*3} Laut des RMV-KlA (RMV = Russischer Musikverlag) und seines Nach-
drucks, ded Boosey & Hawkes-KlA vor 1968 (jeweils Seite 9) sowie des
revidierten KlA von 1968 (Seite 3): "1912 - 1913", am Schluß (S. 89):
"Clarens 1913." (revidierter KlA, S. 83: "Clarens 1913"). Laut der von
Boosey & Hawkes veröffentlichten Skizzensammlung ergibt sich: 1911-1913.
Vor der revidierten Partitur von 1967 enthält keine RMV- oder B & H-
Partitur Angaben zur Entstehungsdatierung (zur revidierten Partitur ab
1967 und zu Angaben im sogenannten Copyright-Block siehe an anderem
Ort).
{*4} Außer dem RMV-KlA weist kein Notenmaterial eine Widmung auf,
auch die jeweiligen Manuskripte (Partitur, KlA) haben keine. Die Wid-
mung steht allein, auf russisch und französisch, auf Seite [7]; es
wurde also eine ausschließliche Widmungsseite eingerichtet, sie ist die
letzte der Vorausseiten, direkter geht der Kontakt zum Notentext kaum.
Die russische Version, von Strawinsky geschrieben, demnach mit Sicher-
heit authentisch, befindet sich etwa in der Mitte der Seite:
Николаю Константиновичу Рериху
(= Dem Nikolaj Konstantinowitsch Rerich, siehe die Abbildung; Nominativ:
Николай Константинович Рерих), die französische Version wurde in Druck-
lettern links unten an den Rand der Seite plaziert: "À NICOLAS ROERICH".
[Abbildung: Widmungsoriginal, Scan in Arbeit]
{*5} Die Besetzungshinweise "Réduction pour piano à quatre mains"
(RMV, B & H) bzw. "Reduction for piano duet" (B & H) sind ungenau, weil
beide Versionen von vornherein eine vollgültige Darbietung zu vier
Händen an nur einem Klavier als Möglichkeit nicht ausschließen {*a}.
Es sind jedoch, wie viele Stellen und auch Aufnahmen beweisen, zum
(konzertanten) Vortrag unbedingt zwei Klaviere nötig. Auch kommen häufig
fünf Liniensysteme vor, in Z 184/185 sogar sechs, was bedeutet: Selbst
vier Hände reichen nicht oder eben nur unzulänglich; eigentlich können
eine einwandfreien Wiedergabe nur sechs Hände bewerkstelligen. Mehr
noch: Man wird den Gedanken nicht los, ob nicht bei der Abfassung die
Idee des automatischen Klaviers (im doppelten Sinn des Wortes:) eine
"Rolle" gespielt haben könnte; etliches läßt sich aber auch mit diesem
Medium nicht uneingeschränkt wiedergeben.
{*a} Wikipedia zum Begriff "piano duet" (eingesehen 14.8.2014, Fuß-
notenanzeigen im Zitat ausgelassen, zu Quellenangaben siehe dort):
"According to the Grove Dictionary of Music and Musicians, there
are two kinds of piano duet: 'those for two players at one instru-
ment, and those in which each of the two pianists has an instrument
to him- or herself.' In American usage the former is often referred
to as 'piano four hands'. Grove notes that the one-piano duet has the
larger repertory, but has come to be regarded as a modest, domestic
form of music-making by comparison with 'the more glamorous two-piano
duet'. The latter is more often referred to as a piano duo."
Interessant ist auch, daß, wie im KlA der Geschichte vom Soldaten
(vgl. dort), Schlaginstrumente eingezeichnet sind, z.B. im Cortège du
sage: große Trommel, Tam-tam und Guero. Welche Bedeutung haben sie in
einem KlA? Bis heute gibt es dafür keine auf authentische Quellen ge-
stützte Erklärung. Sie würde sicherlich zur musikalischen Denkweise
Strawinskys in der damaligen Zeit eine Tür öffnen. Denn es sieht so aus,
als stecke hinter der Abfassung des KlA auch das Motiv der Aufführungs-
möglichkeit. Der KlA eine Fassung für sich, ein Werk?
Daß der KlA nicht nur eine einfache "Réduction" ist, sondern in der
Kompositionsgeschichte des Sacre zumindest eine Stufe darstellt, wird
aus den zahlreichen Details deutlich, die keinen Eingang in die endgül-
tige Partitur fanden. Beispiele: Das absteigende Binnenmotiv der rech-
ten/linken Hand des Primo {*a} auf Seite 12 letzter Takt, schließend auf
Seite 13 erster Takt mit einem Achtel "fis" auf der Eins (Drucke: RMV,
B & H vor 1968), fehlt im Partiturmanuskript und in allen DiPa-Ausgaben
(Ziffer 8/1 und 2 eins; im revidierten KlA, S. 6 und 7 {*b}, ist es
übrigens gestrichen worden, siehe die Tabelle weiter unten). Der Takt 6
auf Seite 28 (RMV, B & H vor 1968; B & H 1968 ff.: S. 22) ist im KlA ein
Zweiviertel-, in der Partitur (Z 43/8) ein Dreivierteltakt. Bereits im
allerersten Takt der Rondes printanières (RMV und B & H vor 1968: S. 30;
B & H 1968 ff.: S. 24) steht in beiden (!) Systemen des Secondo vor dem
3. Viertel der motivische Vorschlag, in den Partituren (Z 48/1) dagegen
"fehlt" er (siehe hierzu auch weiter unten). Die Änderung der Baß-Tre-
moli, RMV und B & H vor 1968: S. 38, Takt 13 ff. (B & H 1968 ff.: S. 32,
Takt 13 ff.), von "fis/e" zu "gis/fis" findet in den Achtelbewegungen
der Fagotte und Baßklarinetten keine Entsprechung; sie bleiben bei
"fis/e" (Partitur Z 63/11 ff.).
{*a} Hier werden die Begriffe "Primo" und "Secondo" verwendet; in den
Sacre-Klavierauszügen samt Manuskript lauten dagegen die Bezeichnun-
gen "Prima" und "Seconda" (Kurzform für "parte prima", "parte
seconda")
{*b} Beachte die folgende, vereinfachende Lesehilfe bei KlA-Seiten-
zahlen: Der Notentext der revidierten Fassung von 1968 ff. ist immer
6 Seiten zurück (z.B. "alt" = RMV, B & H vor 1968: S. 9, revidiert =
1968 ff.: S. 3).
Ein besonders markantes Beispiel für eine im KlA verbliebene Vorstufe
dürfte in Z 48 die Trillerlinie sein, die die rechte Hand des Primo aus-
zuführen hat. Zunächst zur Partitur: Hier sieht alles ganz logisch und
unproblematisch aus. Zwei der großen Querflöten und die Altquerflöte be-
ginnen in Z 47/15, zueinander jeweils im Oktavabstand, eine zweitaktige
Trillerfläche ohne Begleitung auf "es'". In Z 48 wird die Fläche wei-
tergeführt, sie besteht aus sechs Takten, wobei sich noch die dritte
Querflöte, ebenfalls trillernd, hinzugesellt. Unisono vorgetragen wird
dazu von zwei Klarinetten (Piccolo und Baß) eine Melodielinie in Vier-
teln (mit Vorschlägen). Eigentlich sollte es kein Problem sein, das in
einem Klavierauszug annehmbar nachzubilden. Es fängt auch gut an, in Z
47/15 (RMV, B & H vor 1968: S. 30, B & H 1968 ff.: S. 24) sind der Primo
und Secondo jeweils mit der rechten Hand beteiligt, sie trillern im
doppelten Oktavabstand das "es", doch in Z 48 trillert nur noch der
Primo mit der rechten Hand ein "es", die linke hat Pause, zudem ist das
"es" nun erstaunlicherweise in die Mittellage "gerutscht" ("es''"), von
dem Zweioktavenabstand also, "es'/es'''", ist im KlA nichts übrig ge-
blieben, von der Trillerfläche der Partitur somit nur noch die Mittel-
lage, die mittlere Trillerlinie. Mit anderen Worten, ein der Druckpar-
titur sich so gut wie möglich annähernder Auszug kann das kaum genannt
werden, wobei ein Blick in das KlA-Manuskript zeigt, daß da Gleiches
existiert - aber auch Unterschiedliches: Gleich ist die Gestaltung der
Z 48, doch die Takte Z 47/15 und 16 weichen überraschenderweise nicht
nur von der gedruckten Partitur, sondern auch vom gedruckten KlA ab,
denn der Primo pausiert hier und nur der Secondo trillert für sich
allein auf dem unteren "es" ("es'"). Demnach bleibt in beiden Fällen
eigentlich nur anzunehmen, daß es sich hier um Vorläuferideen handelt,
die in der Druckausgabe nicht auf den neuesten (Partitur-)Stand gebracht
worden waren - und das auch nicht in der revidierten Fassung von 1968.
Parallelstelle Z 56, zunächst wieder zur Partitur: Sie ist vom ge-
stalterischen Material her mit der Stelle Z 48 (inklusive der zwei
Takte, Z 47/15 und 16, voraus) aufs engste verwandt, mehr noch, sie ist
eigentlich eine - melodisch/harmonisch variierte und instrumental anders
gefärbte - Wiederholung, allerdings besteht die auf "es'" gebildete
Trillerfläche nur als Doppeloktave, die mittlere Ebene ist entfallen.
Soweit ein grob skizziertes Bild der in der Partitur vorliegenden Kom-
position. Im Klavierauszug (alte Fassung: S. 34, revidierte Fassung: S.
28) besteht nun - wenig überraschend - dieselbe Situation wie oben für
Z 48 beschrieben: Die rechte Hand des Primo spielt den "es"-Triller auf
der mittleren Ebene, die linke Hand hat Pausen. Von irgendeiner Oktavie-
rung keine Spur.
Als Schlußfolgerung gilt hier also im Grunde die gleiche wie oben,
die Stelle im Auszug ist entweder nachträglich nicht adäquat übertra-
gen worden, was seltsam genug wäre, oder, und das ist die wohl richtige
Annahme, es liegt wie bei Z 48 eine kompositorische Vorform vor, die
(aus welchen seltsamen Gründen auch immer) so stehen blieb - und das
auch später in der Revision {*a}.
{*a} Den Trillerflächen Z 48 und Z 56 sollte besondere Aufmerksamkeit
gegönnt sein. Sie rahmem in den Rondes printanières den Teil "Soste-
nuto e pesante ♩ = 80" ein (sostenuto e pesante = verhalten/getragen
und schwer[-fällig]/gewichtig). Das ist ein Teil, der alles andere
als reigenartig klingt, eher ist es das, was ein Nutzer in ein Bibli-
otheksexemplar eines Klavierauszugs als Charakterisierung feinsinnig
notierte: "Trauermarsch". "Trauer" und "Marsch"? So daneben ist das,
klanglich, nicht, trotz des Szenentitels "Rondes printanières". Und
dann ist da noch der Rahmen, bestehend aus den beiden Trillerflächen,
die Tempoangabe dafür lautet: "Tranquillo ♩ = 108". Auch hier sei
wieder ein Kommentar eines Nutzers (vermutlich ein Dirigent) wieder-
gegeben, diesmal eingetragen in eine Taschenpartitur: "Entspannung,
Erstarrung", wobei noch die Takte vor der zweiten Trillerfläche zu-
treffend mit "grelle Dissonanzen" beschrieben wurden. Wie zu sehen
und zu hören, dürfte es also in der Tat lohnend sein, von den Tril-
lerflächen als ein Zittern oder Erschauern ausgehend - und da das
ganze "Rondes-Bild" zwischen "Jeu du rapt" und "Jeux de cités riva-
les" eingebunden ist -, sich mit diesen und weiteren Einzelheiten
der offenbar denkwürdigen "Rondes printanières" zu beschäftigen.
Zum Pausieren der linken Hand des Primo in Z 48 und Z 56: Da die
einfache, mit "es''" gebildete Trillerlinie mager klingt, sollte bei
Aufführungen des KlA der Gedanke geprüft werden, in den beiden Ziffern
die "es''-Linie" gegen die Trillerfläche "es'/es'''" auszutauschen.
Ein einheitliches Trillern über eine solche lange Strecke zu erreichen,
dürfte zwar ein schwieriges Unterfangen sein, aber möglich ist es. Und
eines sollte immer klar sein, eine angemessene Darbietung auch an ZWEI
Klavieren setzt trotzdem immer eine gewisse technische, auswählende,
eventuell hinzufügende, also interpretierende Bearbeitung voraus. Übri-
gens gehört auch Z 48 zu den Beispielen, die verdeutlichen, daß der KlA
eigentlich nicht für eine Darbietung an EINEM Klavier gedacht sein kann,
denn die rechte Hand des Primo und die linke des Secondo kämen sich un-
spielbar in die Quere, wobei zusätzlich noch unbequem überkreuz zu spie-
len wäre.
Man könnte vielleicht auch auf den Gedanken kommen, in Z 48 wie in Z
56 singalisiere die magere Austattung des Primo von vornherein eine Auf-
forderung zur stillschweigenden Ergänzung, das aber ist zu spekulativ,
denn in der linken Hand steht nicht nichts, sondern es sind da durch-
gehend Pausen notiert. Genausogut könnte man auch annehmen, der Primo
könne die rechte Hand des Secondo zu übernehmen, so daß eine Ausführung
nach Art der Takte Z 47/15 und 16 möglich wäre. Doch um die doppelokta-
vierende Trillerfläche zu erreichen, müssen nicht solche umständlichen
Umwege erfunden werden, die zudem die Ausführung technisch nur noch kom-
plizierter gestalten.
Drei abweichende Details gehören vielleicht nicht in die Rubrik Vor-
stufen, sondern sind schlicht und einfach nur Fehler: So muß der lange
cis-Triller auf Seite 11 (RMV, B & H vor 1968; B & H 1968 ff.: S. 5)
laut Orchesterfassung (Z 5) entweder eine Oktave höher stehen oder ein
"a" sein. Die letzte Note der 32tel der Baß-Klarinette II in Z 6/3
(klingend "g") fehlt im KlA (S. 11 bzw. revidierte Fassung: S. 5); dort
steht statt der acht Noten eine Septole, und im darauffolgenden Takt
heißt die achte Note des Arpeggio merkwürdigerweise "fis", während
in der Partitur "e" (für die Baßklarinette transponiert: "fis") steht.
Z 48/1 und Z 56/2 (Ergänzung zu oben Angesprochenem): Sowohl im ur-
sprünglichen wie auch im revidierten KlA ist im ersten Takt der Vier-
teldurchgänge des Secondo in beiden Händen der motivische Vorschlag vor-
handen, in den Partituren enthält ihn dagegen nur die Parallelstelle
(Z 56/2), in Z 48/1 ist er, wie oben schon gesagt, nicht eingezeichnet.
Ob das wirklich Absicht ist, oder gehört die Stelle nicht doch - also
entgegen der obigen Zuordnung zu den Vorformen - hier in die Abteilung
"mögliche Fehler". Denn die Überraschung brachte 2013 die Herausgabe des
KlA-Manuskripts: Dort steht in Z 48/1 der Vorschlag - in beiden Händen.
Und somit wieder ein Argument für Henne (Klavier"auszug") vor Ei (Par-
titur)?
{*6} Im Verlauf seiner ungewöhnlichen Geschichte hat der Notentext
des Sacre, von der Orchesterpartitur ist hier zuvorderst die Rede,
Änderungen in Hülle und Fülle erfahren, darunter zahllose berechtigte
Korrekturen, aber auch fragliche, ungewisse, authentizitätsproblemati-
sche, wobei zu dieser Art wohl auch einige Zurücknahmen und zurecht-
rückende Retuschen ("Nachbesserungen"), zum Teil keineswegs unerhebli-
che, zu zählen sind. Und genau in diesem Zuzsammenhang darf der Hinweis
nicht fehlen, daß Berichtigungen oder Zurechtdeutungen mit Sicherheit
auch in Dirigierpartituren früher und wichtiger "Sacre-Dirigenten" vor-
handen sein müssen (etwa in denen von Ernest Ansermet, Pierre Monteux,
Igor Markevitch und Leopold Stokowski). Aufnahmen weisen jedenfalls in
diese Richtung, was bedeutet, daß es von daher geboten wäre, solche
Partituren eingehend mit der "Variantenlupe" zu untersuchen.
Keine bis heute (2013) erschienene Druckausgabe des Sacre ist verläß-
lich, und auch (und gerade) die letzte Partiturstufe von 1967 (die in
der Sekundärliteratur gelegentlich "von letzter Hand" genannte) ist es
nicht in dem Maß, wie man das eigentlich erwarten sollte. Zu allem Über-
fluß kann auch wegen der vielen Textänderungen (gemeint sind nicht nur
die gravierenden, die in den eigentlichen Notentext eingreifenden Ab-
änderungen) das Urmanuskript von 1913 (seit Mai 2013 als Faksimile
greifbar) nicht als alleiniger Maßstab dienen, jedenfalls nie und nimmer
in jedem Einzelfall und schon gar nicht bedingungslos, nicht also so,
wie zum Beispiel in fast naiver oder auch anmaßender Weise in der
neuen Mozartausgabe Drucken gegenüber der Urhandschrift in der Regel
ein nahezu altarhafter Dokumentenrang eingeräumt worden war.
Als Orientierungshilfe sollte das Sacre-Manuskript natürlich heran-
gezogen werden, aber empfehlenswerter Weise nur mit folgenden Leitvor-
stellungen: Daß erstens nicht der Diskussion aus dem Weg gegangen wird,
ob es Sinn machen könne, das Manuskript als eine selbständige Fassung,
sozusagen als eine Urfassung, anzusehen, und daß zweitens bei derartigen
Überlegungen umsichtig die Frage berücksichtigt wird, ob nicht doch -
trotz aller (mehr oder minder berechtigten) Einwände - kaum ein Weg
daran vorbeiführen werde, den 1967er Druck zumindest de facto als eine
"Ausgabe letzter Hand" einzustufen (siehe hierzu, auch zur Bedeutung von
"Fassung" und "Revision" usw., Anmerkungen an früherem Ort).
Mit anderen Worten, irgendwann wird nicht mehr zu umgehen sein, eine
grundlegende, wie das fachlich so heißt: eine "kritische Edition" des
Sacre anzustreben, eine Ausgabe also, die auf den Gebieten der Quellen-
suche, Quellenberücksichtigung, Erfassung, Beschreibung und Erläuterung
weit über das übliche Maß hinausgehend tiefgehend und kompromißlos sein
sollte.
Wer dennoch schon zur Zeit etwas Ordnung in das reichlich verwirrend
erscheinende Bild bringen will, insbesondere wie es sich durch Abhör-
untersuchungen von Aufnahmen ergibt, tut sicherlich gut daran, den bis-
lang vorliegenden Notentext der Dirigierpartitur als eine Entwicklung
zu sehen, die in sechs Stufen erfolgte.
Zur ersten Stufe zählen die Partituren, die in unmittelbarer Nähe zur
Uraufführung stehen: das erheblich korrigierte Manuskript und die soge-
nannte Leipziger Kopistenabschrift, wobei möglich ist, daß diese Ab-
schrift in der Uraufführung als Dirigierpartitur diente. Ziemlich sicher
aber ist, daß sie die Vorlage für den heute noch nicht wieder aufgefun-
denen Probedruck bildete. Sie enthält übrigens eine ganze Reihe von
handschriftlichen Korrekturen Strawinskys, einige davon sind bis heute
noch nicht in der Dirigierpartitur berücksichtigt, oder besser gesagt:
tauchten bis heute nicht im Druck auf.
Dieser "Urgruppe", zu der man die frühen Dokumente zusammenfassen
kann, folgen fünf deutliche Korrekturstufen, die hier in der Auflistung
und Kurzbeschreibung der Einfachheit halber "Revisionen" (1 bis 5)
genannt werden, besser wäre aber künftig vielleicht, weil neutraler und
weniger anspruchsvoll, sie schlicht und einfach, Änderungsstufen zu
nennen.
Zuvor muß aber noch eine überraschende Neuerung eingeschoben werden,
die das Jubiläumsjahr 2013 brachte: nämlich die Partitur der von Fran-
çois-Xavier Roth auf der Basis der Forschung Louis Cyrs erarbeiteten
Rekonstruktion der Uraufführung. Das bedeutet u.a., daß wohl davon aus-
zugehen ist, daß diese "neue" Partitur in den Kreis der "Urdokumente"
der Orchesterpartitur mit einzubezogen werden muß, als eine Sonderpar-
titur sozusagen. Genaueres dazu wird man allerdings wahrscheinlich erst
sagen können, wenn irgendetwas gedruckt zur Verfügung steht (erste
Details zur Rekonstruktion 2013 und zu einem Konzertmitschnitt siehe
die Ausführungen an einem früherem Ort, in Vorbereitung).
Der sogenannte Erstdruck (nach dem verschollenen Probedruck) ent-
stand 1921 ("Copyright 1921"). Ein auffälliges Merkmal ist, daß bei
Ziffer 19 ff. das im Manuskript vorgeschriebene gleichmäßig leise
Dahintuckern der Streicher, aus dem kurze laute Akzente "hervorblitzen",
einer Stufenfolge p[iano] - f[orte] gewichen ist. So zumindest ist die
Zeichenanordnung zu verstehen oder mißzuverstehen und sie wird so ver-
standen oder mißverstanden (siehe unten). Ein weiteres leicht erkenn-
bares Detail ist der den Schluß entscheidend mitgestaltende Guero, denn
sein Einsatz hier wurde im nächsten Partititurdruck (1929) für immer ge-
strichen (nicht nur das, auch ein Teil des Perkussionsparts der letzten
acht Takte wurde neugefaßt, die Piatti z.B. entfielen ebenso; siehe
hierzu eine frühere Ausführung samt Abbildung).
Vielleicht schon 1921, auf jeden Fall nicht lange danach, wurde so-
wohl der Dirigierpartitur als auch der verkleinerten Studienpartitur
(Taschenpartitur) eine fünfseitige Beilage in Kopistenabschrift beige-
fügt. Ebenso verfuhr man überraschenderweise auch bei der 1929er Par-
titurneuausgabe. In beiden Fällen handelte es sich offenbar um die
gleiche Beilage. Die Einschränkung "offenbar" wurde gewählt, weil nur
die Beilage einer 1929er Partitur vorliegt. Von deren Inhalt aber un-
zweifelhaft abzuleiten ist, daß er schon für die 1921er Partiturstufe
gedacht gewesen sein muß (siehe unten). Die Beilage ist sehr selten,
wahrscheinlich ging sie auch oft verloren, jedenfalls war ihre Existenz
lange so gut wie unbekannt war. Louis Cyr entdeckte sie, und um 1980 lag
sie uns bei unseren "Sacre-Sessions" schon vor.
Die Seiten 1 und 2 enthalten
a) neben der Besetzungsliste u.a. Erläuterungen zur Aufführungspraxis
der für dieses Werk eminent wichtigen Pauken. Diese Erläuterungen sind
noch in den Boosey & Hawkes-Ausgaben der Dirigierpartitur bis 1965 und
der Taschenpartitur bis 1966 im Vorspann abgedruckt. In den Neustich von
1967 ist daraus (vielleicht wegen der vermeintlich verbesserten Pauken-
technik) nur ein knapper Hinweis übernommen worden.
b) Dirigieranweisungen, die auf Anregung Ansermets mit aufgenommen
wurden. Sie stellen praktische Vorschläge dar, wie man die schwierigen
Großtakte (in den Teilen Ziffern 104 bis 128, 142 bis Schluß: Glorifica-
tion de l'élue, Evocation des ancêtres, und Danse sacrale) mit Hilfe
kleinerer, unterteilter Einheiten in den Griff bekommen kann.
Es ist möglich, daß dieser zweiseitige Teil der Beilage irgendetwas
mit der Seitenzählung der 1921er und 1929er Partiturdrucke zu zun hat;
sie beginnt mit Seite 3, das ist die erste Notenseite (Gesamtumfang: 3
bis 139). Vor dieser ersten Notenseite weisen die Partituren nur noch
ein Blatt auf: die Titelseite und deren unbedruckte Rückseite. Sie beide
haben zwar keine Paginierung, aber es ist wohl davon auszugehen, daß sie
als Seite [1] und [2] zu zählen sind. Nun wäre offenkundig unmöglich ge-
wesen, auf der Seite [2] den gesamten Text der zweiseitigen Beilage un-
terzubringen, daher vielleicht die Lösung Beilage, zumal noch weiteres
beizulegen war, nämlich die lange Errata-Auflistung der zweiten Beilage
(siehe unten). In den vom 1929er RMV-Druck abgeleiteten Boosey & Hawkes-
Ausgaben bis 1966 sieht die Sache wie folgt aus: Diese Ausgaben weisen
neben einer Titelseite = Seite [1] tatsächlich eine bedruckte Seite [2]
auf, allerdings enthält ihr mit "Orchestre" betitelter Text nicht mehr
die ausgedehnt aufgelisteten Dirigentenanweisungen, da diese durch die
in den Sätzen Evocation des ancêtres und Danse sacrale vorgenommenen
Ummetrisierungen nun überflüssig zu sein schienen, das galt übrigens
schon 1929, insofern wären diese Anweisungen schon 1929 entbehrlich ge-
wesen, beigelegt wurden damals sie aber offenbar immer noch, vielleicht
spielte neben Informationsbedarf vor allem auch Bequemlichkeit eine
Rolle, denn so wurde einer Neuschrift der anderen Teile aus dem Weg
gegangen.
Die Seiten [3] bis [5] der RMV-Beilage (mit eigener Seitenzählung: 1
bis 3) enthalten eine überaus lange Liste mit Korrekturen aller Art (be-
titelt: "Errata", bestehend aus rund 80 Haupteinträgen, von Ziffer 12
bis Ziffer 186 reichend; zu dieser fünfseitigen Beilage siehe auch frü-
here Ausführungen samt zweier Abbildungen aus dem ersten Beilagenteil:
Titelgebung und Besetzungsliste).
1929 ("Copyright 1921") erschien eine zweite Ausgabe der Partitur,
die äußerlich kaum von der 1921er Ausgabe zu unterscheiden ist. Zur
Kennzeichnung war auf der Titelseite zweier eingesehener Leihpartituren
(in Kopie) handschriftlich "Neue Fassung 1929" nachgetragen worden
(siehe die Abbildung an anderem Ort).
Das auffälligste Korrekturmerkmal sind die Neustiche in den beiden
Sätzen Evocation und Danse sacrale, das heißt, in den Notentext umge-
setzt sind nun die oben erwähnten Dirigieranweisungen zur Aufteilung der
Großtakte. Doch ganz offensichtlich hat man darüber vergessen, die drei
Seiten Errata einzuarbeiten! Dies ist wohl eines der kuriosesten Ver-
sehen in der Editionsgeschichte der Partitur. Erst 1947/1948 erfolgten
bei der Boosey & Hawkes-Neuherausgabe diese fälligen Korrekturen des
Notentextes, so wie aussieht, offenbar vollständig. Auch wurde die
Verkleinerung der Großtakte in Evocation und Danse sacrale beibehalten.
Nun ist auch die Entwicklung der Danse sacrale im Wesentlichen abge-
schlossen, was bedeutet, daß ihre "Skelett-Version" von 1943 nicht in
die Gesamtpartitur aufgenommen worden ist, auch nicht in Teilen, sie
blieb eine separate Veröffentlichung. Aber so ganz über Bord geworfen
war sie ganz und gar nicht; Strawinskys stereophone, bedeutungsträch-
tige Sacre-Einspielung von 1960 (für Columbia) enthält sie. Ja, sie
wurde sogar 1968, wenn auch nur "ausgekoppelt", aber doch nach Art
eines selbständigen Werks veröffentlicht (Columbia, USA, LP MS 7094).
Gleichzeitig mit der Boosey & Hawkes-Herausgabe der Dirigierpartitur
gewinnt die Taschenpartitur große Bedeutung. In ihre laufenden Auflagen
werden nun bis 1965 die anfallenden Korrekturen nachgetragen. Um 1951
waren das ca. 200, die zusammengefaßt auf einer siebenseitigen Errata-
Liste der Dirigierpartitur beigefügt wurden. Doch bis 1965/1966 hatten
sich wiederum ca. 250 Fehler angesammelt. Eine zweite Errata-Liste oder
Zusammenfassung etwa in Form einer Broschüre mit an die 500 Fehlern war
nun nicht mehr praktikabel. Zunächst versuchte man sich 1965 mit einer
korrigierten Partitur ("Revised 1947 version [/] Reprinted with correc-
tions 1965"). Aber kurz darauf hieß der einzige Ausweg aus dem Druck-
chaos: Neuanfertigung, Neustich. Die erste vollständige Neuanfertigung
überhaupt, denn bisher hatten immer die alten RMV-Seiten (Druckplatten?)
als Vorlage gedient. Und es ist sogar mehr als sehr wahrscheinlich, daß
es (mit Ausnahme der neuen Teile in der Evocation und der Danse sacrale)
die Seitenvorlagen (Platten?) des alten (verschollenen) Probedrucks wa-
ren (vgl. oben).
Der Neustich von 1967 ("Re-engraved edition 1967") ist nun, wie schon
angedeutet, keineswegs über alle Zweifel erhaben. Im Gegenteil: Er ent-
hält Änderungen, die, da (natürlich) ohne Erklärung vorgenommen, genau-
sogut Fehler oder Eigenmächtigkeiten vom wem auch immer sein können.
Ohnehin wären sehr viele Änderungen in den einzelnen Korrekturstufen zu-
nächst noch zu diskutieren; die Fragen, warum sie vorgenommen wurden und
ob es sinnvoll war, sie beizubehalten, wurden noch keineswegs gestellt,
geschweige denn beantwortet. Ein solcher kritischer Vergleich, beginnend
mit den Skizzen, dem 1913er Manuskript, sowohl die Drucke wie auch Ein-
spielungen einbeziehend (zumindest die wichtigen), steht, wie oben schon
gesagt, noch aus und wird wohl noch lange ausstehen ("steht noch aus"
stand schon im zu Anfang der 1980er Jahre angefertigten Typoskript die-
ser Darstellung).
Vielleicht wird trotz oder (merkwürdigerweise) sogar auch aufgrund
dieser Ausführungen erwartet, daß die Eingruppierung von Aufnahmen in
fünf oder sechs Fassungen ziemlich leicht möglich sein müßte. Das aber
ist, abgesehen von dem 2013er Londoner Mitschnitt der bewußt gewollten
Rekonstruktion der Uraufführung (unter François-Xavier Roth), in der
Regel nicht der Fall. Dafür gibt es vielerlei Gründe:
1) Die großen Dirigienten, vor allem diejenigen, die zu Strawinsky in
einem mehr oder weniger engen musikalischen Kontakt standen (wie Pierre
Monteux und Ernest Ansermet), verfügten über eigene Partituren, über
deren Detail- und Korrekturgeschichte bislang keine weitergehenden oder
gar umfassenden Kenntnisse veröffentlicht wurden.
2) Nahezu alle Dirigenten bringen jeweils Korrekturen ein. Man weiß
nie, welche Details tatsächlich hinzugefügt und welche gestrichen wur-
den, auf welchem Korrekturstand sich also das verwendete Notenmaterial,
Dirigierpartitur und Stimmen, befand.
3) Strawinsky selbst hat wahrscheinlich ebenfalls vor jeder Einspie-
lung den Text durchgesehen. Zumindest vor der 1929er Aufnahme hat er das
Werk offenbar gründlich "revidiert" (vgl. hierzu auch Craft, Tempo,
1977).
4) Sehr viele Änderungen im Notentext sind als solche kaum auf Anhieb
identifizierbar (z.B. Ummetrisierungen, Phrasierungen, dynamische Vor-
schriften, Intervallfehler in Akkorden oder Akkordbündeln). Als analy-
tisch Hörender bewegt man sich daher eigentlich permanent in einem
Variantenspektrum, fast wie in einem Variantenniemandsland, wobei die
Ausdehnung von (mehr oder minder) frei erfundener oder falsch gespielter
Ausführung bis hin zur tatsächlichen Textänderung reicht. Ganz abgesehen
davon, daß schon rein akustisch dem Nachvollzug sehr häufig unüberwind-
bare Hürden entgegenstehen, nicht selten sind es Mauern.
5) Der wichtigste Grund, vor allem ältere Einspielungen, nicht einmal
annähernd, einruppieren zu können, liegt aber ganz woanders. Er wird
wahrscheinlich in Zukunft, auch nach intensivsten Materialforschungen,
verhindern, mehr als Variantenlisten zustande zu bringen. Die Orchester-
stimmen haben nämlich eine andere Entwicklung als die Dirigierpartitur
durchlaufen. Geurteilt nach dem, was wahrgenommen werden konnte, war ihr
Zustand, vor 1965 bzw. 1967, das heißt, vor der im Zusammenhang mit der
Neuerarbeitung der Partitur notwendigen und erfolgten Aufbereitung,
teilweise schon früh sehr schlecht und wurde zunehmend schlechter und
schlechter. Wohl kaum ein Stimmensatz war davon ausgenommen. Die Stimmen
waren im Großen und Ganzen schließlich "abgespielt", mitgenommen und
zerfleddert. Es gab Vielfachüberklebungen, zahllose Korrekturen unnach-
prüfbarer und unterschiedlichster Herkunft, zudem allerlei Überschrei-
bungen, darunter litt natürlich auch die Leserlichkeit. Die schließlich
gegegebene Situation kann kaum anders als chaotisch bezeichnet werden.
Wie bei der Dirigierpartitur lassen sich auch beim Stimmenmaterial
sechs Stufen unterscheiden, aber zur Partitur parallel ist die Abfolge
nicht, sie ist auch beim anders geartet:
1) 1913 entstand für die Streicher ein Kopistenabschriftdruck, die
Bläser erhielten einfache Abschriften.
2) 1921 wurde der ganze Satz neu kopiert. Er stand dann komplett als
neuer Kopistenabschriftdruck zur Verfügung.
3) Gegen 1926 bis 1929 entstand im Zusammenhang mit der Neuausgabe
der Partitur von 1929 ein regelrechter, ein gesetzter Druck, der
4) ca. 1947 von Boosey & Hawkes nachgedruckt wurde. Er war so in
dieser Form bis 1965 in Gebrauch. Die obige Beschreibung des
schließlichen Zustands als "chaotisch" ist wirklich nicht über-
trieben: Dirigenten und Musiker trafen auf Streichungen,
Radierungen, Überklebungen, Randnotizen, die, wenn sie nicht
überhaupt frei erfunden waren, aus allen möglichen Korrekturstufen
und -quellen herstammten. Ganz abgesehen davon war bereits das
alte RMV-Material in einem ähnlichen Zustand gewesen.
Einer grundsätzlichen Untersuchung bedarf auch die Frage, was denn
eigentlich an Notentext zu Boosey & Hawkes hinüberwechselte! Im
übrigen waren neben den Boosey & Hawkes-Stimmen vereinzelt auch
RMV-Stimmen weiterhin im Umlauf (Datierungen
von Orchestermitgliedern bezeugen es, zur Beschreibung einer
in einem 1983 ausgelieferten Leihmaterial vorgefundenen Piccolo
I-Stimme siehe hier an anderem Ort; beachte zudem: selbst die
1929er RMV-Leihpartitur wurde in den Anfangsjahren der Boosey &
Hawkes-Partiturausgabe noch ausgeliefert, sozusagen parallel
dazu, nur im Notfall oder vielleicht auf Anforderung?).
5) 1965 entstand wieder ein Nachdruck des alten Materials, wobei die
angesammelten Korrekturen nachgestochen wurden.
6) So verfuhr man auch wiederum 1967, und wieder wurden die neuen
Korrekturen nachgetragen. Beachte: Die Basis für das Material von
heute ist also immer noch das einstige gesetzte RMV-Material.
Sicherlich ist die Aufzählung der Ursachen für Variantenbildungen
nicht vollständig. Ein seltsamer Grund sollte noch einmal gesondert
angesprochen werden: Es können sich auf solistisch besetzten Positionen
Fehler einschleichen, mit anderen Worten: auch der Faktor Zufall darf
nicht außer acht gelassen werden (weitere Einzelheiten zur Entwicklung
der Stimmensätze samt Abbildungen siehe an anderem Ort).
Wie man unschwer aus diesen Ausführungen entnehmen kann, hat es kaum
einen Sinn, für diskographische Zwecke in die komplexe Änderungsentwick-
lung vorschnell Normierungen hineinlesen zu wollen. Zwar gibt es zwei-
fellos gewisse Traditionen der Orchester oder Dirigate, aber auf diesem
Feld müßte noch sehr viel getan werden, wenn Aussagen nicht bloß zu
einem Hinweis auf Einzelfälle führen und somit mehr oder weniger zufäl-
ligen Charakter haben sollen.
Wer sich mit der Interpretation von Aufnahmen auseinandersetzen
möchte, benötigt sicherlich zumindest die folgenden sechs wichtigen
Studienpartituren:
1921 und 1929 (RMV): in einer europäischen Musikbibliothek ca. 1980
vorhanden
1929 mit Beilage (RMV): in einer europäischen Musikbibliothek ca.
1980 vorhanden
1948 (ab jetzt B & H): in mindestens einer deutschen Universitäts-
bibliothek 2013 vorhanden (Eingang und/oder Erfassung 1950),
selten, Folgedrucke (ca. 15, mehr oder minder korrigiert) dürf-
ten in diversen deutschen Fachbibliotheken (Universitäten,
Hochschulen usw.) auffindbar sein (wenn vielleicht auch nicht
alle)
1951 (= Druck November 1951): offenbar der erste "Nachdruck", in
mancher deutschen Universitätsbibliothek ca. 1980 vorhanden,
weiteres siehe unter Druck 1948
1965 (= Druck Oktober 1965): offenbar der letzte in den Handel
gelangte Druck, Verfügbarkeit siehe unter Druck 1948, sicher-
lich auffindbar
1966 (= Druck August 1966, Nachdruck des Drucks August 1965, offen-
bar nur Leihmaterial): selten, man greife im Notfall auf den
Vorgängerdruck Oktober 1965 zurück (Notentext war nach bisheri-
ger Kenntnis unverändert übernommen worden)
1967 (Neusatz): weit verbreitet in Musikbibliotheken verfügbar, im
Handel nach wie vor erhältlich (bisher offenbar keine Notentext-
änderungen)
(Zu dieser Aufstellung: Konkrete Standortdetails unterblieben,
da der Verlust in öffentlichen Bibliotheken mittlerweise hor-
rende Ausmaße angenommen hat. Zur Datierung, insbesondere von
Boosey & Hawkes-Drucken, siehe die Ausführungen weiter oben und
detaillierter an anderem Ort.)
Zu den Positionen 1948 bis 1966: Von der Boosey & Hawkes-Taschen-
partitur zwischen 1948 und 1966 gab es ca. 16 Auflagen. Nahezu jede
differiert mehr oder minder (zu Datierungen vgl. frühere Ausführungen).
Wichtiges Informationsmaterial bietet auch die bei Boosey & Hawkes
erschienene Skizzensammlung. Strawinsky zog z.B. die langgezogenen
Phrasierungsbögen (Atembögen, "Brückenbögen") über Großtakte hinweg
klein "zerhackten" Einheiten vor. Was bei ihm selbst und anderen
Dirigenten im Anschluß an Ansermets "Anregungen" davon blieb bzw.
wieder eingeführt wurde, kann man mit Hilfe dieser Skizzen zu
analysieren versuchen.
Quellen, Literatur zur Sacre-Entstehungsgeschichte, Arbeiten von Louis
Cyr:
1) Robert Craft, 'Le Sacre du Printemps': The Revisions, in: Tempo,
September 1977 (No 122), S. [2]-8 (erster fundamentaler Überblick
zum Thema, enthält wichtige Details, Korrektur durch Louis Cyr)
2) Louis Cyr, Strawinsky-Werkstatt um 1980, Einführung DPs in das
Thema Le Sacre du Printemps, Ausgaben, Aufnahmen, einer der
Schwerpunkte: Das Schlagwerk in Strawinskys Le Sacre du Printemps
3) Louis Cyr, Pour un Printemps Nouveau du Sacre. in: Canadian
University Music Review, Nr. 2, 1981, 39–55
4) Louis Cyrs Boosey & Hawkes-Sacre-Arbeitstaschenpartitur, übersäht
mit Eintragungen in verschiedenen Farben, Stand ca. 1981
5) Louis Cyr, Durchsicht der Manuskriptvorlage des zu Anfang der
1980er Jahre entstandenen Sacre-Typoskripts (das wiederum dieser
vorliegenden Internet-Arbeit zu Grunde liegt), ca. 1981
6) Louis Cyr, Le Sacre du Printemps, Petite histoire d'une grande
partition, in: François Lesure (Hg.), Stravinsky, Études et
témoignage, Paris 1982 (im Anfang der 1980er Jahre entstandenen
Karteikarten-Typoskript dieses Aufsatzes stand noch "im Druck")
7) Louis Cyr, Writing The Rite right, in: Jann Pasler (Hg.),
Confronting Stravinsky: Man, Musician, and Modernist (Berkeley
1986 (University of California Press), S. 157-173
8) Louis, Schott-Artikel (Melos?, Artikel raussuchen)
9) Louis Cyr, Stravinsky's 'Le sacre du printemps', in: Tim Ayers
(Hg.), Art at auction, The year at Sotheby's 1982-83, London 1984
10) Louis Cyr, Le Manuscrit autographe de l' Oiseau de feu (1910) -
Un envol printanier de bon augure, Igor Stravinsky, L'Oiseau de
feu, Facsimilé du manuscrit, Saint-Pétersbourg, 1909-1910,
Genf 1985 (Beispiel für eine Dokumentation)
Varianten
Einige der charakteristischen Abweichungen sind in der unten vorge-
stellten Auflistung angeführt. Im Blickwinkel waren vor allem die frühen
Aufnahmen, und die frühesten sind denn auch dabei: Monteux 1928?/1929,
Strawinsky 1929, Stokowski 1929/1930, Strawinsky 1940, Monteux 1945 und
van Beinum 1946.
Diese Aufstellung ist beileibe kein vollständiger Katalog, sondern
nur eine erste (!) Orientierungshilfe. Im Grunde wurden nur die Varian-
ten berücksichtigt, die für eine diskographische Beurteilung von wirk-
lich "greifbarem" Nutzen sein können, d.h., die sich meist deutlich
anhand von Aufnahmen nachvollziehen lassen. Im übrigen hat nahezu jede
Aufnahme je nach Geschmack und Notenmaterial Eigenarten und Änderungen,
eben "Abweichungen", z.B. allein schon im Schlagwerk und in der Pizzi-
cato/Arco-Behandlung der Streicher.
Empfehlung: Diskographisches Arbeiten auf dem Sacre-Acker sollte sich
vor dem Versuch hüten, abgesehen von der 1943er Danse Sacrale, eigene
präzis wirkende Fassungsdefinitionen anzustreben, denn aller Erfahrung
nach ist die Zahl der Varianten und der daraus resultierenden Widersprü-
che zu groß. Andrerseits sollten natürlich Ausgaben eventuell beigegebe-
ne Angaben zitiert werden (z.B. "Originalfassung", "Fassung 1921", "re-
vised 1947", "revdierte Fassung 1967"), doch ist wichtig, diese (vorgeb-
lichen) Fassungsetikette als Übernahmen eindeutig zu kennzeichnen. Tut
man dies gewissenhaft, stehen danach selbstverständlich der Hinzufügung
eigener detaillierter Abhörarbeiten Tür und Tor offen. Und schließlich:
Fehlen bei Aufnahmen Fassungsangaben, sollte in Diskographien auch das
nicht unvermerkt bleiben.
Liste der erwähnten Sacre-Einspielungen:
Es sind nur die Originalausgaben genannt, sie dienten aber nicht un-
bedingt auch als Abhörvorlage. Auf detaillierte diskographische
Angaben (spezifische Veröffentlichungsdaten, Ausgabenentwicklungen,
Titelgebungen, Beimaterial u.a.) wird hier verzichtet. Bei Mehrplat-
tenausgaben steht "Album", wenn bekannt ist, daß sie in speziellen
Alben geliefert wurden, sonst steht "Set". Als Orchesterbezeichnung
wurde die auf den damaligen Tonträgern angegebene gewählt, ist diese
nicht richtig, wird auf diejenige zur Zeit der Aufnahme aktuelle zu-
rückgegriffen.
Veröffentlichungsformate:
78/30 = 78 UpM, 30 cm (Schellackplatte, in den USA nach 1945 manchmal
auch in Vinyl-Ausführung)
45/17 = 45 UpM, 17 cm (Single Extended Play, Vinyl)
33/40 = 33 UpM, 40 cm (Rundfunkplatte, Transcription, Vinyl)
LP/25 = 33 UpM, 25 cm (Langspielplatte, Vinyl)
LP/30 = 33 UpM, 30 cm (Langspielplatte, Vinyl)
Abkürzungen:
CH, D, DDR, F, GB, USA = Herkunftsland der Erstpressung
mo = monophon
quad = quadrophon
st = stereophon
Vj = Veröffentlichungsjahr, bislang frühester Veröffentlichungs-
nachweis (ermittelt aus unterschiedlichsten Quellen), er-
schien eine Aufnahme als Mono- und Stereo-LP gilt die Angabe
zumindest für die Mono-LP (bei großer Differenz steht ein
Hinweis)
Einspielungen:
Ernest Ansermet (1883-1969) 1957
Orchestre de la Suisse Romande
Genf, April 1957 (Vj 1958)
Decca (GB, LP/30) (mo) LXT 5388, (st) SXL 2042
Eduard van Beinum (1900-1959) 1946
Concertgebouw-Orkest
Amsterdam, 11. September 1946 (Vj 1948)
Decca (GB, 78/30, Sets) K 1727/1730, AK 1727/1730
(K = einfache Kopplung, AK = automatische Kopplung)
Leonard Bernstein (1918-1990) 1951
New York Philharmonic Symphony Orchestra
New York City (Concert Hall), 18. Februar 1951 (Vj 1951?)
Konzertmitschnitt
Voice of America (USA, 33/40, Set) (mo) Symphonic S-10/12
Pierre Boulez (*1925) 1963
Orchestre National de la R.T.F., Paris
Paris (Théâtre des Champs-Élysées), 18. Juni 1963 (Vj 1964)
Concert Hall (CH, LP/30) (mo) M 2324, (st) SM 2324 {*1}
{*1} Präfix "SM": Hülle; Präfix "SMS": Etikett und Matrize
Pierre Boulez, 1969
Cleveland Orchestra
Cleveland, 28. Juli 1969 (Vj 1970)
Columbia (USA, LP/30) (st) MS 7293
Antal Doráti (1906-1988), 1953
Minneapolis Symphony Orchestra
Minneapolis, Dezember 1953 (Vj 1954)
Mercury (USA, LP/30) (mo) MG 50030
Jascha Horenstein (1898-1973) 1957
SWF-Orchester, Baden-Baden
Loffenau (Südwest-Tonstudio Loffenau), Mai 1957 (Vj 1958) {*1}
Vox (USA, LP/30) (mo) PL 10430 {*2}
{*1} Gehört neben den Electrola-Einspielungen des Jahres 1957
zu den ersten stereophonen Klassikaufnahmen Deutschlands.
{*2} Stereo-Erstausgabe (rund 10 Jahre nach der Mono-Veröffent-
lichung!): Vox (D, LP/30) SBBH 1900, Musidisc (F, LP/30) 30RC 867
Herbert von Karajan (1908-1989), 1975/1977
Berliner Philharmoniker
Berlin (Philharmonie), 3./4. Dezember 1975, 10. Dezember 1976,
30. Januar 1977 (Vj 1978)
Deutsche Grammophon (D, LP/30) (st) 2530884
Eduardo Mata (1944-1995), 1978
London Symphony Orchestra
London, 2. Mai 1978 (Vj 1979)
RCA (USA, LP/30) (st) ARL 1-3060
Zubin Mehta (*1936) 1969
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Los Angeles (UCLA, Royce Hall), 11. und 13. August 1969 (Vj 1970)
Decca (GB, LP/30) (st) SXL 6444
Zubin Mehta 1977
New York Philharmonic
New York City (Manhattan Center), 26. September 1977 (Vj 1978)
Columbia (USA, LP/30) (st, quad) XM 34557
Pierre Monteux (1875-1964) 1928?/1929
Grand Orchestre Symphonique
Paris, mutmaßlich Ende 1928, Januar 1929 (Vj 1929) {*1}
Disque Gramophone (F, 78/30, Set) W 1016/1019
{*1} "Ende 1928" beruht auf eigenen Überlegungen (Verf.); weit-
verbreitete, übliche Datierung: 1929; "Januar 1929" stammt aus
einer relevanten Victor-Diskographie, doch handelt es sich hier-
bei vermutlich um eine Abschlußdatierung.
Pierre Monteux 1945
San Francisco Symphony Orchestra
San Francisco, 10. März 1945 (Vj 1946)
RCA-Victor (USA, 78/30, Alben) M 1052, DM 1052
(M = einfache Kopplung, DM = automatische Kopplung)
Pierre Monteux 1951
Boston Symphony Orchestra
Boston (Symphony Hall), 28. Januar 1951 (Vj 1951)
RCA-Victor (USA, 45/17, Album) (mo) WDM 1548
RCA-Victor (USA, LP/30) (mo) LM 1149
Seiji Ozawa (*1935) 1968
Chicago Symphony Orchestra
Chicago (Orchestra Hall), 1.-8. Juli 1968 (Vj 1968)
RCA (USA, LP/30) (st) LSC 3026
Simon Rattle (*1955) 1977
National Youth Orchestra of Great Britain
London (Goldsmiths College Great Hall), 14./15. April 1977
(Vj 1978)
Enigma Variation Two (GB, LP/30) (st) MID 5001
Leopold Stokowski (1882-1977) 1929/1930
Philadelphia Orchestra
Philadelphia (Academy of Music), September 1929, März 1930
(Vj 1930)
Victor (USA, 78/30, Alben) M-74, AM-74, später auch DM-74
(M = einfache Kopplung, AM = automatische Kopplung, DM =
Rundfunkkopplung)
Igor Strawinsky (1882-1971) 1921
Halbautomatische Künstlerrolleneinspielung
Paris (Pleyela-Studios), Anfang 1921 (Vj 1921)
Pleyela (F), 8429*/8437* {*1}
{*1} Rechercheexemplar: "2e édition", 1922
Igor Strawinsky 1929
Orchestre Symphonique (mit Mitgliedern aus: Orchestre des
Concerts Straram)
Paris (Théâtre des Champs-Elysées), 7.-10. Mai 1929 (Vj 1929)
Columbia (F/GB, 78/30, Set) D 15213/15217
Igor Strawinsky 1940
Philharmonic-Symphony Orchestra of New York
New York City, 29. April 1940 (Vj 1940)
Columbia (USA, 78/30, Alben) M-417, MM-417
(M = einfache Kopplung, MM = automatische Kopplung)
Igor Strawinsky 1960
Columbia Symphony Orchestra
New York City (Brooklyn, Hotel St. George, Grand Ballroom),
5./6. Januar 1960 (Columbia Job 48481)
Columbia (USA, LP/30) (mo) DL 5503, (st) S 6183
in: Columbia 3-LP-Album (mo) D3L 300 bzw. (st) D3S 614 (Vj 1960)
Mit der Danse Sacrale von 1943!
Otmar Suitner (1922-2010) 1962
Staatskapelle Dresden
Dresden (Lukaskirche), 17. September 1962 (Vj 1963)
Eterna (DDR, LP/25) (mo) 720174
Die Quellen der Datierungen sollen hier in dieser kurzgefaßten Sacre-
Liste bis auf eine nicht genannt werden, die Angelegenheit würde
sonst nur aufgebläht, die Ausnahme ist: Michael H. Gray (DISMARCH,
einst Voice of America, Autor u.a. von Beecham, A Centenary Disco-
graphy, London 1979: Duckworth, XIV, 129 S.)
Variantenaufstellung
1) Ziffer 12 Takte 3 und 4
Manchmal wird das "as" des Fagotts zum "f" geführt, wie es seit 1921
in den gedruckten Partituren notiert ist (Beispiele: Suitner 1962, von
Karajan 1975/1977); "f" steht also auch in der revidierten Partitur von
1967, doch im Manuskript der Orchesterpartitur einerseits, des Klavier-
auszugs andrerseits sowie auch im RMV-KlA bleibt das "as" liegen {*1},
und so - gebunden - wird das "as" auch in den drei Platteneinspielungen
Strawinskys (1929, 1940 und 1960) ausgeführt. Ebenfalls nur "as" haben:
Monteux 1928?/1929, 1945, 1951, Stokowski 1929/1930, van Beinum 1946,
Ansermet 1957.
Ziffer 12 Takte 3 und 4: Fagott I
Pa-Ms, KlA-Ms, RMV-KlA {*1} DiPa 1921 ff., KlA 1968
{*1} Im Orchesterpartiturmanuskript steht allerdings nicht "as", son-
dern "fes" (siehe unten die Abbildung), doch dürfte hier ein Schreib-
fehler vorliegen, denn es ist ja wohl so, daß "as" gemeint ist, wie
die Note im (um etwa einen Monat später datierten) Manuskript des
Klavierauszugs lautet. Dazu kurzgefaßt Folgendes: Wie unten zu sehen,
endet der Takt 3 mit "ges" und der übergehaltenen Halben "fes", doch
ist sicherlich davon auszugehen, daß unter diesen beiden Noten je-
weils eine Hilfslinie stehen müßte, die einzuzeichnen Strawinsky ver-
gessen hat. Mit der Hilfslinie entstünden die zu erwartenden Töne "b"
und "as".
Eine vielleicht unlösbare Unsicherheit besteht aber dennoch: Ob denn
unter das übergebundene Achtel in Takt 4 ebenfalls eine Hilfslinie
gehört? Auf den ersten Blick ist es nämlich zwar auch ein "fes", doch
streng genommen, lautet die Tonhöhe "f", denn es steht hier im neuen
Takt vor der Note kein "♭". Fehlt es? Im KlA-Ms steht vor dem über-
gebundenen Achtel ebenfalls kein "♭", das somit eigentlich ein "a"
ist. Das aber wäre nun mit Sicherheit falsch. Oben im Notenbeispiel
ist die Auslassung quasi "nachgestellt". Auf derlei Auslassungen
trifft man ständig. Wer Noten schreibt, weiß das.
Die Frage lautet nun: Stimmt im Orchester-Ms das "f" oder wurde so-
wohl das "♭" vor dem "f" als auch die Hilfslinie vergessen. Wenn der
zweite Fall zuträfe, wäre das "f" zu einem "as" abzuändern, was sehr
nahe liegt (siehe Strawinskys Plattenaufnahmen).
Oder ist eben doch "f" gemeint, wie in den Druckpartituren 1921 ff.
und auch im revidierten KlA von 1968 wiedergegeben? Die folgende
Tabelle gibt die letzten vier Noten des Motivs in sieben Quellen, ge-
schrieben oder gedruckt, im Überblick wieder (wie man sieht: ein
minimales, aber nicht ganz bedeutungsloses Detail):
Z 12 Takt 3 4
Pa-Ms 1913: es, ges, fes, f Wohl richtig: "es", "b" und "as",
aber wie weiter: "f" oder "as"?
KlA-Ms 1913: es, b, as, a Seitenwechsel "trennt" die Über-
bindung: "♭" vor "a" vergessen.
RMV-KlA 1913: es, b, as, a Ebenfalls vor "a" das "♭"
vergessen. Nebenei: wie im KlA-Ms
das Achtel-"a" kurioserweise mit
Staccato-Punkt; soll wohl abge-
kürzte Überbindung bedeuten. Sinn?
DiPa 1921 ff.: es, b, as, f Müßte statt des "f" ein "as"
stehen? {*a}
B & H 1948: es, b, as, f Wie 1921
Rev. B & H 1967: es, b, as, f Wie 1921
Rev. KlA 1968: es, b, as, f Wie 1921
{*a} Die RMV-Errata-Beilage von Anfang 1923, die auch für die Parti-
tur von 1929 gilt, enthält dazu keinen Hinweis.
Pa-Ms 1913, Ziffer 12 Takte 2 bis 4 eins: Fagott I
Zum Notenbeispiel:
Seltsamer Motivabschuß: Geschrieben "es", "ges", "fes", "f"
2) Ziffer 19 ff.
Eine äußerst unterschiedliche Interpretation erfährt die Streicher-
Passage Z 19 bis 21/10. Strawinsky gestaltet 1929, 1940 und 1960 getreu
seiner originalen Handschrift und dem ersten Stimmensatz von 1913 bei Z
19 "p sub." und läßt von da an die Achtel in gleicher Lautstärke weiter-
tuckern, nur die eingestreuten Akzente werden als Forte-Schläge hervor-
gehoben. Demgegenüber sind in der DiPa seit 1921 nach dem ersten "p
sub." - offensichtlich oder scheinbar (siehe unten) - drei Forte-Passa-
gen "f" mit einem nachfolgenden "p sub." vorgeschrieben, wie der unten-
stehende Ausschnitt bei Z 19/8 ff. veranschaulicht. Zur Dynamik ab Z
19/4 beachte: Die zeitlichen Abstände zwischen den Anweisungen "f" und
"p sub." sind nicht gleich, sie vergrößern sich, und zwar auf eine
Weise, als ob mit den länger werdenden forte-Passagen eine Spannung auf-
gebaut werden solle, die dann mit der letzten (relativ langen) "p sub."-
Passage eine weitere, eine umgekehrt gewonnene, mystisch leise Intensi-
tät erfährt. Den Abschluß bilden laute Überraschungsschläge (Z 21/11 und
12). So jedenfalls ließe sich das gedruckte Notenbild von Z 19 bis 21/10
bezüglich "f" und "p sub." auffassen, das heißt, es macht nicht von
vornherein einen fehlerhaften oder gar unsinnigen Eindruck, wenngleich
das Wie der Ausführung der Marcato-Akzente, die ja nur in den vorgebli-
chen "f"-Passagen vorkommen, alles andere als klar ist.
Beachte außerdem: In allen Druckpartituren ist bei Z 19 und 19/5 das
"p sub." auf der Eins auszuführen, bei Z 20 und 21 aber fällt die Anwei-
sung mit dem zweiten Achtel (eins und) zusammen, so auch in den beiden
KlA-Fassungen (RMV = B & H 1952, Revision: B & H 1968). Im Orchester-Ms
von 1913 sind die Streicher von Z 18 bis 21/10 abgekürzt eingetragen,
ein "f" steht nirgends, "p sub." nur bei Z 19 - und zwar, wie von den
Orchesterdrucken her gewohnt, auf der Eins. Das KlA-Ms weist überhaupt
keine "p sub."-Anweisung auf, dafür aber ein vereinzeltes, somit eigent-
lich nicht nachvollziehbares "f" (in der Partitur ist das das "f" bei
Z 19/4 auf der Zählzeit eins und).
Ziffer 19 Takt 8 ff.: Violinen I
DiPa 1921 ff.
Viele Dirigenten folgen den Anweisungen ab Z 19 "partiturgetreu" und in-
terpretieren stufig wie folgt:
Manchmal wird auch auf- und abschwellend "modelliert". In allen die-
sen Fällen verliert aber doch wohl das Klangbild seine gleichmäßig po-
chende, perkussionistisch geheimnisvoll gestaltete Mechanik. Es entsteht
eigentlich das, was Strawinsky wahrscheinlich nicht wollte: barocke
Interpretation auf der einen Seite, romantische auf der anderen. Ein
Beispiel für eine beachtenswerte Interpretationsentwicklung ist Monteux:
1928?/1929 läßt er alles piano mit Akzenten spielen, 1945 hingegen die
jeweiligen Stellen abschwellend
und 1951 entschied er sich für eine Mischform zwischen abschwellend und
stufig, wobei das "f" eher ein "mf" ist. Typische Beispiele für die
Stufenform sind van Beinum 1946 und Ansermet 1957. Stokowski gestaltet
in seiner Einspielung von 1929/1930 die Dynamik wie Strawinsky.
3) Ziffer 40 Takte 6 und 7
Die chromatischen Achtel der vier C-Trompeten in Z 40/6 enden in
allen Partituren seit 1921 VOR dem folgenden Takt. Sie fehlten zunächst
so gut wie überhaupt. Jedenfalls ist im Orchester-Ms nur die erste Note
als Sechzehntel eingezeichnet (danach stehen Pausen). Strawinsky fügte
die Wendung dann selbst in die Leipziger Kopistenabschrift ein und führ-
te sie sogar, parallel zu den zweigeteilten Violinen II und den eben-
falls zweigeteilten Violen, auf die Eins des Takts Z 40/7. Der Akkord
heißt dort der chromatischen Fortführung gemäß von unten nach oben dis/
fis/a/h (siehe Violen und Violinen II). Manche Dirigenten ergänzen in
den Trompeten den Akkord, die meisten nicht.
4) Ziffer 42 Takte 1 und 2
Ein nicht weniger strittiger Fall sind in der DiPa bis inklusive 1965
(StPa bis 1966) für die Hörner 7 und 8 in F die Takte 1 und 2 der Ziffer
42, die bei einem Seitenwechsel beginnt. 1 1/2 Takte zuvor war ein Wech-
sel zum Baßschlüssel erfolgt und dieser Schlüssel wird auch auf der neu-
en Seite beibehalten, während für die Hörner 1 bis 6 ein Violinschlüssel
vorgeschrieben ist. Horn 7 und 8 bekommen erst im dritten Takt dieser
Ziffer durch einen vor dem Taktstrich gesetzten Violinschlüssel diese
Verhältnisse, allerdings ist da zunächst nichts zu spielen, d.h., es
folgen vier Pausentakte (zu früh gesetzter Schlüssel).
Was geschieht nun klanglich: Takt Z 42/1 besteht für Horn 7 und 8 aus
einer punktierten Halben "f", die in Takt 2 mit einem Achtel auf der
Eins endet, wobei Horn 8 das "f" überbindet, Horn 7 dagegen zum "a" auf-
steigt. Es erklingt also nach den alten Partituren "b" - "b/d".
Das ändert sich 1967: Der Seitenwechsel tritt nicht mehr an dieser
Stelle ein, vielleicht schärfte das die Aufmerksamkeit, jedenfalls ist
nun ein Violinschlüssel vorgeschrieben: Es ist "d" - "d/f" zu spielen
und es erklingt somit "g" - "g/b" (beachte: auch im Orchester-Ms und in
der Leipziger Kopistenabschrift ist vor oder in Z 42/1 kein Wechsel zum
Violinschlüssel eingetragen).
Man kann gute Gründe für die Violinschlüsselversion finden: Sie passe
logischer in die Stufendynamik der Hörner und ausgesprochen gut in die
harmonisch-motivische Entwicklung. Ob nun aber, um die Angelegenheit von
einer anderen Seite aus anzugehen, im KlA - das Ms entspricht den Druck-
ausgaben - Argumente für eine abschließende Entscheidung abzuleiten
sind, ist mehr als fraglich. Für das in Takt 1 stetig wiederholte "b"
auf jeden Fall, doch hat das "b/d" der alten Partituren auch im KlA in-
sofern keine Entsprechung als "d" dort wie eben auch im Partiturklang
außerhalb der fraglichen Hornnotierung nicht vorhanden ist. Anders das
"g/b" der Partiturneuedition, beide Töne enthält die Partitur auch
außerhalb der Hörner und im KlA kommen sie ebenfalls vor (b = ais). Zu-
dem kommt im KlA dem ommipräsenten "g" der linken Hand des Primo in dem
rhythmusbestimmten Dissonanzgepoche der Z 42 offensichtlich die Funktion
einer orientierenden Klangkonstante zu. Allein von daher spricht doch
viel für die Korrektur zu "g" - "g/b".
Andrerseits darf aber nicht übersehen werden, daß im Orchester-Ms der
"ursprünglische" Hornakkord "b/d" nicht ("plötzlich") nach einem Seiten-
wechsel auftaucht, sondern inmitten einer übersichtlichen Partiturstruk-
tur steht. Auf die Idee eines Schlüsselfehlers würde man hier nicht kom-
men. Nichts wirkt - klanglich oder strukturell - fehlerhaft, allerdings
hat in Z 41 und zu Anfang der Z 42 ein Teil der Blechpartie spätestens
ab der 1921er Partitur ein etwas anderes Bild, sie ist leicht uminstru-
mentiert worden, doch auf eine Art, die den Beginn der Hornpartie in Z
42 tonlich nicht beeinflußt: so wurden u.a. in Z 41/2 die Hörneraufgänge
samt der folgenden Achtel auf der Eins der Z 42/1 durch Trompeten er-
setzt (nebenbei: im Orchester-Ms fehlt in Z 42/1 nach der Halben "f" der
Hörner 7 und 8 der Verlängerungspunkt).
Bei der Diskussion der fraglichen Stelle sollte außerdem bedacht wer-
den, daß in Z 42 der Hornzweiklang "b/d", die "alte" Fassung also, im
zweiten Takt (mit dem klangfremden "d") zwar etwas deutlicher Dissonan-
zen bildet (beachte: "a/cis/es") als dies eine Mollstufe tiefer "g/b"
in der Partiturneuedition tut (beachte: "fis/a"), doch kompositorisch
gravierend bzw. negativ ist das nicht. Ganz im Gegenteil: Auch die Ori-
ginalfassung "b - b/d" hat insgesamt eine reizvolle Spannungsfärbung -
deren Existenz das Orchster-Ms zudem zu bestätigen scheint. Strawinsky
scheint sich im Übrigen mit der Hörnerstelle intensiver befaßt zu haben,
das zeigen im Ms Korrekturen und Radierungen. Und da sei ihm ein angeb-
lich fehlender Violinschlüssel nicht aufgefallen? Wie soll man man so
etwas nun auf der Baßschlüsselseite der Entscheidungswaage werten, nur
als ein Mehr eines Federgewichts?
5) Ziffer 53: Korrektur der hohen Flötenstimmen
Wer genau hinsieht (oder besser gesagt: wer beim Partiturstudium
genau hinhört), dem könnte gewahr werden, daß in Z 53 womöglich ein
Problem steckt. Mehr noch: Eine Korrekturgeschichte hat nämlich auch
diese Ziffer, wobei zunächst tatsächlich alles so aussieht, als sei
nur ein Schreib- und ein Druckfehler verbessert worden. Aber so ein-
fach sind manchmal augenscheinlich einfache Sachen nicht. Zu den De-
tails:
Im Partitur-Ms ist in den Flötenstimmen der Z 53 die Stimmverteilung
nicht ganz einsichtig gestaltet. So hat der Komponist im obersten, dem
den großen Flöten I und II zugewiesenen System den heute für diese
beiden Instrumente bekannten Satz eingetragen. Das ist eine in Terzen
geführte Passage, wobei allerdings im Ms der untere Ton sehr oft nicht
als ein solcher zu erkennen ist. Eigentlich bedeutet dies für einen
Setzer trotz der Auskunft, die das orchestrale Bild der Seite bietet:
Nachfrage.
Das zweite System, im Ms das System zwischen der Flöte in G und den
beiden großen Flöten, ist der großen Flöte III zugeordnet; darüber steht
"= Fl. picc. 2ọ". Das kann doch wohl nur heißen - im Einklang mit dem
betreffenden Eintrag "3 Flûtes (3° = Flûte piccolo 2°)" in der losen
RMV-Besetzungsliste von 1923 (siehe hierzu an anderen Orten), daß Flö-
tist III den Part der Piccolo-Flöte II spielen soll. Nun enthält das
System der Flöte III ("Fl.gr [/] 3ọ") weder Noten noch Pausen, aber
immerhin diverse Taktangaben, ein Leersystem jedoch ist es, praktisch
gesehen, dennoch. Daher stellt sich mit Blick auf die Eintragungen,
Notierungen bzw. Nichtnotierungen die Frage: Was soll die große Flöte
III als Piccolo-Flöte II denn spielen? Und vor allem auch: Was ist denn
eigentlich mit der Piccolo-Flöte I? Ein System nämlich existiert für sie
nicht, und irgendein Hinweis auf sie hier auch nicht.
Wie das alles zusammenzureimen sei, scheint die heutige, die bekannte
Version klar zu vermitteln. Danach wäre die geheimnisvolle Niederschrift
im Ms - gemeint sind die beiden hohen Flötensysteme - nur eine Art Be-
quemlichkeitsabkürzung (ein "head arrangement") gewesen dafür, daß die
zwei Piccolo-Flöten die Stimme der großen Flöte I zu spielen hätten
(eine Oktave höher klingend selbstverständlich). Läßt sich diese Version
allein aus dem Ms herauslesen? Trotz der Tatsache, daß auf den beiden
Seiten vor der auf einer neuen Seite beginnenden Z 53 (noch) eine Pic-
colo-Flöte vorgeschrieben und eingezeichnet ist, wohl kaum.
Beachte: Schon im Vorgriff auf spätere Überlegungen sollte hier be-
züglich der Ms-Stelle nicht vorschnell von Schreibfehler gesprochen wer-
den, denn aus dem Partitur-Manuskript ist dirigiert worden. Das zeigen
u.a. zahllose Eintragungen, wohl auf jeder Seite. Und wenn nicht alles
täuscht, diente es darüber hinaus sogar bei der Uraufführung (1913) als
Dirigiervorlage.
Die heutige Version der Z 53 taucht in einer Partitur zum ersten Mal
bei Boosey & Hawkes auf und zwar als Korrektur gleich in den Anfängen
der Verlagsübernahme, also im ersten Sacre-Partiturdruck (1948). Aller-
dings in einer derart behelfsmäßigen Form, die schon sehr erstaunt. Spä-
ter wird kurz darauf eingegangen, hierfür muß aber zunächst der Blick
auf die Situation im ersten veröffentlichten Partiturdruck gelenkt wer-
den, auf die Mutterpartitur sozusagen, von der der B & H-Druck zu einem
großen Teil abhängt (RMV, Copyright Berlin 1921, Ausgaben 1921 und 1929,
Vorlage: jeweils Taschenpartiturverkleinerung) - und hierbei kommt dann
auch Überraschendes zu Tage.
Die Z 53 ist auf zwei Seiten verteilt, die Takte 1 bis 5 befinden
sich auf Seite 41, die Takte 6 bis 11 auf Seite 42. Diese wohl zufällige
Aufteilung entspricht interessanterweise in etwa einer durchaus begründ-
baren musikalischen Zweiteilung (später mehr dazu). So verstehbar das
ist, so seltsam wirkt die Rolle der hohen Flöten in diesen Teilen, also
zum einen der Piccolo-Flöten und zum andern der großen Querflöten. So
sind in den ersten fünf Takten keine Piccolo-Flöten eingezeichnet, d.h.
für die Darstellung des zweistimmigen Satzes sind nur die großen Flöten
zuständig. Dafür kommt im Gegensatz dazu in den verbleibenden sechs Tak-
ten keine einzige grande flûte vor, der Satz wird nur von zwei Piccolo-
Flöten vorgetragen. Diese ersetzen also schlicht und einfach die großen
Flöten und spielen deren aus dem Ms und der heutigen Partitur bekannten
zweistimmigen Satz (ein Oktave höher natürlich). Demgegenüber, und auch
gegenüber dem Ms (vgl. oben), sieht die heutige Stimmverteilung der
hohen Flöten aber wie folgt aus: Alle elf Takte werden von zwei großen
Flöten (zweistimmig) und zwei Piccolo-Flöten ("a 2" = einstimmig, Oktav-
verdopplung der großen Flöte I) bestritten.
Zur Darstellung dieser heutigen Stimmverteilung wurden zwei Systeme
bereitgestellt. Oberstes System: Piccolo-Flöten I und II ("a 2"), zweit-
oberstes System: große Flöten I und II. 1921 gibt es dagegen nur ein
einziges hohes Flötensystem, und hier sind die ersten fünf Takte mit
"Fl.gr. 1. [/] 2. [/] 3." deklariert. Beachte: "3."! Von einer Piccolo-
löte ist, wie gesagt, nichts sehen, und man fragt sich, welche Stimme
des zweistimmigen Satzes für die Flöte III denn gedacht war, wenn über-
haupt eine dritte Flöte vorgesehen war. Der Vollständigkeit halber sei
erwähnt, daß in den RMV-Partituren auf Seite 42, der Takte 6 bis 11,
unter dem obersten System der beiden Piccolo-Flöten noch ein scheinbar
leeres System eingebaut wurde, es geht ihm zwar die Bezeichnung "Fl.gr."
voraus, hat aber eigentlich nichts mit Z 53 zu tun, denn es wird zwecks
Raumausfüllung für den Einsatz der beiden großen Flöten in Z 54 benö-
tigt, der schon auf dieser Seite beginnt (vergessen wurde aber nach
"Fl.gr." die Spezifizierung Flöte 1. und 2.).
Was soll nun in der Partitur von 1921 (bzw. 1929) in Z 53 die Auf-
teilung der hohen Flöten bedeuten? Ist das fehlerhaft? Ist das das ver-
zweifelte Ergebnis eines Setzers, der mit der Unverständlichkeit der
Stelle im Ms konfrontiert war? Oder könnte kompositorischer Wille da-
hinterstecken?
Hier gilt nun festzuhalten, daß Z 53 ein Steigerungsteil ist, der in
einer Fermate endet. Danach folgt ein Vivo-Teil, beginnend mit einem
eintaktigen "Solo" (ohne jede Begleitung, quasi "a cappella") von je
zwei Piccolo-Flöten und großen Flöten. Die Steigerung ist deutlich
zweigeteilt, wobei der erste Teil zwar laut, aber holzbläserorientiert
vorsichtig instrumentiert ist, der zweite Teil dagegen eine erhebliche
Intensitätszunahme aufweist, die durch Trompeten mächtig angetrieben
wird und zudem im zweiten Takt (= Takt 6 des ganzen Teils) mit "sfff"-
Schlägen Furore macht. Von den großen Flöten dürfte, obwohl oder gerade
weil sie in der Regel vor den Trompetern sitzen, bei den Zuhörern kaum
noch etwas ankommen. Allenfalls in (guten) Stereoaufnahmen ist bei die-
sen Massiv-Tutti noch etwas von deren Klangfärbung zu vernehmen. Inso-
fern fragt man sich, wie das im Manuskript gedacht ist. Jedenfalls so,
wie die fragwürdige Instrumentierung nun einmal vorliegt, werden zwei
große Flöten bei den "sfff"-Schlägen kaum etwas zum "großen Klang" bei-
tragen können. Ihre dynamischen Grenzen sind allemal, und dem Meister-
instrumentierer und -arrangeur Strawinsky selbstverständlich auch, be-
kannt. Deshalb, damit die Ohren der Flötisten nicht über Gebühr trak-
tiert werden, schrieb er wohl den Trompetern hier zunächst auch nur ein
(sich steigerndes) Forte vor (merke: in Strawinskys Partituren kann ge-
legentlich wie in einem Sozialroman gelesen werden, und sehr oft donnert
Strawinsky auch, was das Zeug hält).
Im Ms also ist die Lösung mit lediglich zwei großen Flöten wenig
überzeugend. Anders 1921, hier steckt bezüglich der Zweiteilung in der
Abfolge der hohen Flöten einiges an Erfahrung, an Instrumentationskön-
nen, wie man sie wirkungsvoll einzusetzen kann. Ab 1948 sind dann die
Piccolo-Flöten durchgängig mit dabei. Doch auf diese Weise verliert der
Steigerungsteil viel von seinem mutmaßlich intendierten Effekt.
Also wäre zu diskutieren, ob nicht die 1921er Partitur der komposi-
torischen Absicht am nächsten kommt. Geeigneter wäre wahrscheinlich
noch: Zwei große Flöten für den ersten Teil allein, im zweiten Teil (ab
Z 53/6) beide ergänzt durch zwei Piccolo-Flöten. Dies dürfte klanglich,
weil kammermusikalisch orientiert, eine durchaus angemessene Lösung
sein, allerdings vergesse man nicht: das sind vorläufig nur imaginäre
Gedankenspiele, doch dokumentarisch (und musikalisch) begründbar sind
sie, wie zu sehen, durchaus. Aufschlußreich dürfte sein, was in der
Konzert- und Aufnahmenwelt dazu angeboten wird, wenn von "Urfassung"
und dergleichen die Rede ist. Und hierzu liegt ja auch das 2013 auf-
genommene BBC-Video mit der Aufnahme der sogenannten Rekonstruktion der
Uraufführung unter François-Xavier Roth vor (im Internet auf YouTube,
Details dazu siehe an anderem Ort, in Vorbereitung).
Zu ergänzen ist noch, daß die Partiturkorrektur von 1948 schon in
der zwischen 1921 und 1929 entstandenen RMV-Errata-Auflistung (siehe
dazu an anderem Ort) aufgeführt ist, allerdings sind die Ausführungen
dort nicht fehlerfrei und auch nicht ohne weiteres verständlich, denn
sie sind teilweise mit Blick auf das Ms und nicht auf die Druckpartitur
von 1921 abgefaßt. Die erste verläßliche Korrektur ist eben die von
1948, doch auch sie ist, das wurde schon angedeutet, etwas gewöhnungs-
bedürftig, jedenfalls auf den ersten Blick und ohne Kenntnis der Sach-
lage (Weiteres siehe die Ausführungen in den Grundlagen zu Partitur-
editionen und auch die nachfolgenden Abbildungen).
Ziffer 53 Takt 1 ff.: B & H-Pa-Ausgabe 1948
(Kopie aus: StPa-Druck 1948)
Zum Notenbeispiel:
Ausschnitt aus der Seite 41. Dem Druck von 1921 (bzw. 1929) wurde
das oberste System für die Piccolo-Flöten aufgesetzt. Beachte die
schablonen-handschriftlichen Besetzungsangaben, die andere Gestalt
des Schlüssels, der Tonartenvorzeichnung, der Taktangaben, Marcato-
Zeichen usw. Beachte auch das für Strawinsky typische französische
"à" (so auch in der RMV-Errata-Liste von 1923).
Ziffer 53 Takt 6 ff.: B & H-Pa-Ausgabe 1948
(Kopie aus: StPa-Druck 1948)
Zum Notenbeispiel:
Ausschnitt aus der Seite 42. Das Leersystem der 1921er Partitur (=
zweites System) wurde für die Ergänzung der Piccolo-Flöten verwendet,
so daß kurioserweise das System der großen Flöten über ihnen steht.
Beachte auch hier die schablonen-handschriftlichen Änderungen, insbe-
sondere vor dem ersten System die Abänderung der 1921er Bezeichnung
"Fl.picc." (= Piccolo-Flöten) zu "Fl.gr." (große Flöten). Außerdem
beachte man: Im übernommenen Leersystem ist manches nicht neu, so der
Schlüssel samt Vorzeichen und die Taktzahlen, neu ist der Notentext,
siehe die Andersartigkeit der graphischen Prägung der Zeichen "sff",
"fff", Marcato und Tenuto.
Notierungsfehler in der Piccolo-Flöte: Beim nachträglichen Einfügen
der Stimme ist im zweiten Takt (Z 53/7) vor dem "c" das ♭ vergessen
worden. Demtsprechend im nächsten Takt das ♮ vor "c" (vgl. das Sy-
stem der großen Flöten darüber). Außerdem fehlt die Viertelpause auf
der Eins. Die Korrekturen liegen (spätestens) in der Taschenpartitur
vom Mai 1963 (Druckdatierungskürzel auf S. 139: "5·63") vor, erfolg-
ten aber wahrscheinlich schon etwa 1950. Zu monieren ist allerdings
immer noch: Das ♮ müßte in Klammern stehen. Eine Nachlässigkeit,
die auch in die bezüglich der Flötenstelle an sich fehlerfreie revi-
dierte Partitur von 1967 hinübergeschleppt wurde. Interessanterweise
enthalten die Partituren bei solchen Sicherheitsvorzeichen an den
verschiedensten Stellen die "vollständig richtige" Schreibweise (mit
Klammer) wie auch die "unvollständig richtige" (ohne Klammer) (zur
verworrenen Korrektursituation in den frühen Boosey & Hawkes-Diri-
gierpartituren siehe auch die Kapitel zur Editionsgeschichte).
5a) Ziffer 53: Beibehaltung des Arco-Pizzicato-Wechsels
Die Celli und Kontrabässe bestreiten in dieser Ziffer durchgehend
einen Arco-Pizzicato-Wechsel, wobei im Allgemeinen einem solchen Wech-
sel ein Empfinden wie Schwere - Luftigkeit kaum abzusprechen ist, auch
Anklänge an einen irdisch-sphärischen Unterschied oder vielleicht sogar
Gegensatz lassen sich da denken.
Der Wechsel ist schon im Manuskript von 1913 vorhanden und blieb bis
inklusive 1967 von einer Streichung verschont. Angesichts der Löschent-
wicklung der Pizzicati in der Danse sacrale bis hin zu deren radikaler
Eliminierung erstaunt das. Doch darf ein solches Staunen nicht verges-
sen, daß für Z 53 ein ruhiges, verhaltenes Grundtempo gilt (vorgeschrie-
ben ist zuvor: Sostenuto e pesante), und daß somit zumindest der Schwie-
rigkeitsgrad ganz erheblich gemindert wird - und spieltechnisches Murren
kaum aufkommen läßt. Bezüglich der Streichung der perkussionistischen
Arco-Pizzicato-Abfolge in der Danse sacrale muß aber natürlich angemerkt
werden, daß dort für die Entscheidung einer Abänderung sicherlich auch
andere, nämlich kompositorische Überlegungen eine Rolle spielten (siehe
hierzu weiter unten).
Einer Erörterung aber sollte, so schwierig sie sein wird, auch hier
nicht aus dem Weg gegangen werden - und wird auch nicht, wie Aufnahmen
zeigen. Denn trotz des ruhigen Tempos nötigt in Z 53 der eine oder an-
dere Wechsel doch Einiges an Spielfertigkeit ab, vor allem in den Celli,
so daß allein schon von daher die Frage nach der Richtigkeit der Ein-
zeichnungen keineswegs so abwegig ist, wie das zunächst scheinen mag.
Unterschiede allerdings kommen in den Drucken nicht vor und auch das Ms
zeigt keine Abweichungen. (Zu einem kleinen Mißverständnis könnte jedoch
in den Kontrabässen auf der Eins des Taktes 1 das Tenuto-Zeichen führen,
besser wäre, "arco" hinzuzufügen.) Ein Problem wird trotzallem kaum zu
lösen sein, weil es grundlegenden Charakter hat: Die Pizzicati passen
von der Dynamik her eigentlich nicht zu der insgesamt doch sehr lauten
Mächtigkeit der Z 53. Und damit liegt wieder die Flötenthematik auf dem
Tisch, was zu Überlegungen der Art führt, hier in Z 53 liege vom Konzept
her eine kompositorische Schwäche vor (nicht die einzige im Sacre, der
Komponist selbst: "[...] it is played out of all proportions to my other
works", zum kompletten Zitat siehe weiter unten). Im Übrigen: Luftigkeit
und Durchhörbarkeit sind als Kompositionsziele sehr hohe Werte.
6) Ziffer 58 Takte 6 bis 9: Hörner 1 bis 8
Seit der ersten Boosey & Hawkes-Ausgabe der DiPa und auch der StPa,
beide 1948, sind die beiden lang angehaltenen Hörnerklänge reine B-dur
Quart-Sext-Akkorde (klingend Es-dur), allerdings mit dem Fehler, daß
zunächst im System für Horn 6 und 8 ein Violinschlüssel und nicht ein
Baßschlüssel vorgezeichnet war. Dieser Fehler wurde, zumindest in der
StPa, alsbald korrigiert, wahrscheinlich schon 1950, doch die 7-seitige
Errata-Aufstellung von um 1950 verzeichnet den Fehler (noch) nicht. Wer
Zugang zu (nicht ganz so seltenen Exemplaren) der Taschenausgabe des
alten Partiturdrucks hat, beispielweise zu den Drucken Mai 1963, März
1964 oder Oktober 1965, sieht, daß sie den falschen Schlüssel nicht mehr
aufweisen. Doch an der andersartigen Gestalt des nun einmontierten Baß-
schlüssels erkennt man dennoch sofort, daß das eine nachträgliche Aus-
besserung ist (siehe unten die Abbildung).
Das Versehen entstand wahrscheinlich durch den Seitenwechsel, denn
auf der Seite zuvor ist ein vorbereitender Baßschlüssel am Ende des
letzten Takts des vierten Hornsystems, Z 58/5, in der Tat vorhanden,
wie übrigens in den Drucken bis mindestens 1948 im System darüber auch,
denn es ging ja damals in den RMV-Partituren von 1921 und 1929 nach dem
Seitenwechsel nicht nur in den Hörnern 7/8 (System 4), sondern auch im
Hornpaar 5/6 (Hornsystem 3) tatsächlich im Baßschlüssel weiter. Doch
durch die 1948 erfolgte (eigentlich: nachgetragende, siehe unten) Um-
instrumentierung der Hörnerstelle Z 58/6 f. und durch die dabei gewähl-
te Neuordnung der Hornpaarungen - z.B. 5/6 und 7/8 zu 5/7 und 6/8 -
steht für das dritte Hornsystem ab 1948 ein Violinschlüssel, so daß eben
der vorbereitende Baßschlüssel vor Z 58/1 eine Fehlplazierung geworden
ist, er entfiel schließlich auch, wahrscheinlich schon ab 1950. Der
zweite vorbereitende Baßschlüssel - im vierten Hornsystem - blieb ste-
hen, er ist auch richtig, doch wurde hier nach dem Seitenwechsel, ana-
log zu den drei anderen Hornsystemen bzw. analog zur Abänderung im drit-
ten System, ein Violinschlüssel gesetzt, der aber ist falsch.
In den beiden RMV-Korrekturstufen der DiPa von 1921 und 1929 (StPa
jeweils miteingeschlossen), also in den Druckpartituren VOR der Boosey
& Hawkes-Übernahme, war die Stelle anders gefaßt (so auch im Partitur-
manuskript, siehe unten das Notenbeispiel): So war, ganz besonders gra-
vierend, für die beiden langen Töne des 4. Horns statt des jetzigen "d"
eine Mollterz darunter die scharfe Dissonanz "h" (klingend "e") notiert.
Sie wurde vom damaligen 6. Horn (dessen Triolenanfang heute das 8. Horn
ausführt) zwei Oktaven tiefer verdoppelt. Diese tiefe, matte Dissonanz
"e" ist ab 1948 den beiden Fagotten zugewiesen; die höhere, grelle Dis-
sonanz entfiel. Entfallen ist in den beiden lang angehaltenen Hornakkor-
den durch das Streichen des "h" (klingend "e") auch der einstige Trito-
nus der Hörner 5 und 6 (heutige Hornpaarung 6 und 8) "h/f" (klingend
"e/b"), übrig geblieben ist das "f" (siehe die Hornpaarung 6/8).
In der von etwa Anfang 1923 stammenden Errata-Beilage zur 1921er
DiPa (geltend auch für die 1929er DiPa) ist diese ganze Korrektur be-
reits vorgeschrieben {*1} und es ist anzunehmen, daß sie so auch im neu
gedruckten Stimmenmaterial von ca. 1926/1929 notiert ist, denn ein ein-
gesehenes Exemplar der 1929er DiPa hatte die Korrekturen als Bleistift-
nachträge (inklusive Tuba 2 mit der ehemaligen Stimme des 8. Horns). In
Einspielungen scheint die hohe Dissonanz eine sehr rare Variante zu
sein. Offenbar ist sie bislang nur bei Monteux 1928?/1929 ausgeführt
worden. Zweifellos ist sehr interessant zu prüfen, was in Aufnahmen zu
hören ist, die ihre Einspielung "Originalfassung", "nach der Urauffüh-
rung" oder ähnlich titulieren (vgl. François-Xavier Roth von 2013 zum
Beispiel).
Da die Korrektur komplex ist und klanglich Folgen hat, sei sie noch
einmal mit Hilfe einer anderen Sichtweise beschrieben: Für die Darbie-
tung der Stelle Z 58/6 bis 9 wechseln die Hornpaarungen 1/2, 3/4, 5/6
und 7/8 (so noch in der Partitur von 1929) zu 1/3, 2/4, 5/7 und 6/8 (so
in der Errata-Auflistung von Anfang 1923 und in der Partitur ab 1948).
Die Hörner 5/7 verdoppeln ab 1923/1948 1/3 (Horn 7 hatte einst Pause).
Im Horn 4 (alte wie neue Partitur) entfällt 1923/1948 das lange "h"
(klingend "e"), die Stimme wird zum Einklang "d" (klingend "g") geführt
(das "e" der Hörner entfällt überhaupt). Die Triole der Stimme des Horns
6 wandert zum Horn 8, gestrichen ist das tiefe lange "h" (klingend
"e"), die Stimme wird nun zum "f" des 6. Horns geführt. Die Stimme des
Horns 5 ist ab 1923/1948 komplette die Stimme des Horns 6, wobei das
Ende der Abwärtsbewegung einst wie auch ab 1923/1948 "f" (klingend "b")
ist, wohin eben ab 1923/1948 das einstige "h" des Horns 6 geführt wurde
(siehe oben). Der Tritonusklang "h/f" (klingend "e/b"), einst von Horn
5 und 6 ausgeführt, ist somit gestrichen worden. Das tiefe "e" ist aber
nicht verloren gegangen, es erhielten in der neuen Instrumentierung die
beiden Fagotte. Die alte Hornstimme 8 hat nun die Tuba 2 zu spielen, die
in den betreffenden Takten einst Pause hatte.
Es ist offensichtlich, daß Strawinsky die Klänge mildern wollte, da-
her wohl auch die räumliche "Auflockerung". Doch heutigen zeitgenösssi-
schen Hörgewohnheiten dürfte die alte Fassung, die zweifellos mehr
Schärfe aufweist, eher entgegenkommen, jedenfalls als besonders "schräg"
oder gar als falsch wird das wohl niemand (mehr) empfinden. Daß andrer-
seits die neue Fassung farbiger, leuchtender, strahlender klingt, ist
aber auch keine Frage, sie wirkt in dem Kontext fast "romantisch" - oder
kirchlich, sakral eben.
{*1} Allerdings hätte "5 mes. [mesures] avant |59|, les cors [1 bis
5 und 7] sont modifiés comme suit:" richtigerweise "4 mes. [...]"
lauten müssen, wie es im Fall der Hörner 6 und 8 sowie der zweiten
Tuba auch richtig angegeben ist. Dem sei noch angefügt: Die Errata-
Liste, eine Kopistenarbeit, enthält etliche (Schreib-)Fehler.
Pa-Ms 1913, Ziffer 58 Takte 6 bis 9: Hörner 1 bis 8
Zum Notenbeispiel:
Kurios sind die Staccato-Punkte. Was mögen sie bedeuten? (Immerhin
erhielten weder 1948 noch 1967 die Tuba-Achtel welche, denn das wäre
instumentenspezifisch noch geheimnisvoller, erklärungsbdürftiger;
siehe dazu nachfolgend das Notenbeispiel). Ergänzt sei noch: Die
Korrekturwiedergaben in der Errata-Auflistung von 1923 weisen KEINE
Punkte auf.
B & H-Pa-Ausgabe 1948
(Kopie aus: StPa-Druck Oktober 1965)
Zum Notenbeispiel:
Die 1948er Korrektur nach der RMV-Errata-Beilage von Anfang 1923. Das
Hornsystem 6/8 in der Boosey & Hawkes-Korrektur allerdings zunächst
mit falschem Violinschlüssel, in späteren Auflagen - wie hier - kor-
rigiert: Die andersartige neue Type des Baßschlüssels wie auch die
neue des eingeschobenenen Violinschlüssels sind gut zu erkennen.
Zur äußeren Besonderheit der Korrektur: Die Angaben wie Instrumen-
tenvorausbezeichnung und Stimmenaufteilung sind nicht in üblichen
Drucklettern, sondern in kursiver (Schablonen?-)Schrift gedruckt,
zum Vergleich siehe das noch vom RMV herstammende Klarinettensystem.
Hinweis: Die StPa vom Oktober 1965 war die zweitletzte Ausgabe der
Studienpartituren, die noch auf der alten RMV-Partitur basierten. Das
überhaupt letzte Exemplar der Boosey & Hawkes-StPa-Edition dieser Art
erschien 1966. Es kam tatsächlich sogar in den Handel und war nicht
nur, wie lange angenommen, ein Bestandteil von Leihmaterialien. Diese
letzte, sehr seltene bis kaum auffindbare Ausgabe hatte eine extrem
kurze Existenzdauer, denn schon 1967 entstand der Partiturneusatz,
die "New edition 1967" (später auch "Re-engraved edition 1967" ge-
nannt, Weiteres siehe andernorts).
6a) Ziffer 58 Takte 7 und 9: große Pauke, Takte 6 bis 9: neue Dynamik
In der schon oft genannten RMV-Beilage von Anfang 1923 sind in Zif-
fer 58 Takte 7 und 9 für die Paukenstimmen Korrekturen angegeben, die,
perkussionistisch aufgefaßt, bewirken, daß Schläge zur Markierung der
Zählzeiten 2, 3 und 4 eingeführt werden sollen (große Trommel: g-c-g).
Diese Grundakzentuierung existiert nicht im Pa-Ms und auch noch nicht
in der RMV-Partitur von 1929. In der Druckpartitur von 1948 sieht das
dann so aus, daß das, was einst in den Systemen "Timp. picc." und "Timp.
gr." stand, nun im System "Timp. picc" zusammengefaßt ist. Dafür erhielt
die große Pauke die neuen Akzente (siehe oben die Abbildung). Derartige
Paukenänderungen wurden im Übrigen nicht nur hier, sondern auch an ande-
ren Stellen vorgenommen, doch darauf näher einzugehen, ginge hier zu
weit.
Darüber hinaus gäbe es, die Stelle Ziffer 58 Takt 6 ff. betreffend,
noch weitere Details, auf die hingewiesen werden könnte, doch auch das
soll bis auf die Bemerkung unterbleiben, daß die beiden Hornstellen 1967
noch einmal deutlich variiert wurden, diesmal im Vortrag. Statt der ein-
fachen Forte-Vorschrift steht jetzt die folgende Crescendo-Gestaltung
(eine konsequente Ausführung nach diesem Muster sollte in der Regel so-
fort erkennbar sein):
Zum Notenbeispiel:
1967 neu ist auch die Staccato-Vorschrift, die die Triole der Hörner
betrifft (siehe oben die Abbildungen zum Hornarrangement). Hierbei
ist in Aufführungen die Bandbreite der Inerpretationen sehr groß. Am
problematischsten klingen in der Regel zu kurz ausgeführte Staccati,
wie ja bei Orchester-Staccati, ob leise oder laut, ohnehin immer mit
Einbußen, besonders in Richtung Bizarrerie, zu rechnen ist (Eindrücke
je nach Akustik: grob, stumpf, dumpf, dosenartig, undeutlich, ver-
schwommen, massig, wabernd, gestelzt, gemeckert, gekichert usw.).
6b) Ziffer 58 Takte 6 bis 9, Gestaltungsvorschrift: mit - falsch? - ohne
Es gehört mit zum Variantenkatalog, zu beobachten, wie in Aufführun-
gen für die vier Takte Z 58/6 bis 9 die Tempo-Gestaltung ausfällt. Denn
allein schon die Partituren geben ein unterschiedliches Bild ab.
Im Pa-Ms ist für Takt 6 "Ritenuto-pesante." vorgeschrieben, für Takt
7 "A tempo." Für Takt 9 fehlt die Vorschrift, sie müßte wegen der Vier-
telmarkierungen und der Nachschläge "A Tempo." lauten. Takt 8 benötigt
wegen der Fermate auf der langen Note, und da keinerlei Unterteilungsbe-
wegung vorhanden ist, keine Vorschrift. Beachte: Der Stelle Z 58/6 bis 9
geht als Bezeichnung "Molto allegro" voraus (Z 57).
{*1} Ritenuto = zurücknehmen des Tempos, verlangsamen, pesante =
schwer, wuchtig, gewichtig, a tempo = im Tempo (wie zuvor angegeben)
Die ursprüngliche Vorschrift in den RMV-Partituren lautet bei Z 58/6
"Ritenuto pesante a tempo", das wurde 1948 in der B & H-Ausgabe nicht
verändert (so auch nicht in den Taschenpartituren Typen A und B). Spä-
testens in der StPa 1963 taucht aber statt der bisherigen Vorschrift
"a tempo ritenuto pesante" auf, deren Sinn sich nur umständlich er-
schließt, wenn überhaupt, man darf aber nicht vergessen, daß 1948 die
Fermaten wegfielen. Vielleicht sollte mit dieser Version der Vorschrift
- aufgrund von inakzeptablen Erfahrungen - betont verdeutlicht werden,
das Tempo beizubehalten. Auch die 1966er StPa-Ausgabe, der letzte Druck
also der alten, vom RMV herhommenden Editionslinie, hat noch diese kryp-
tische Version. Im 1967er Neustich steht keine Vorschrift mehr. Und so
war das auch schon in der 1965er DiPa (der DiPa "Reprinted with correc-
tions 1965"). Ein aufmerksamer Dirigent schrieb in ein, vielleicht sein
Exemplar dieser 1965er Ausgabe (die Partitur wurde eingesehen) die Kür-
zel für die Takte 6 "riten.", 7 "at." (= a tempo), 8 "riten." und 9 "a
temp". Das ist, da die Fermaten gestrichen sind und bezogen auf den
älteren Partiturstand, zumindest in sich logisch, wenn auch nicht der
neueren (= 1967er) Partitur entsprechend, doch woher soll ein Dirigent,
der mit der Edition von 1965 arbeitet, das ahnen, denn Korrekturen wer-
den ja immer ohne beigefügte Begründungen vorgenommen (nebenbei: zumin-
dest für Takt 8 führt Praxiskorrekut "riten." praktisch die Fermate
wieder ein).
In den relevanten Klavierauszügen ist keine Vorschrift abgedruckt.
Zu diesen Klavierauszügen zählen, der RMV-KlA, dessen B & H-Nachdruck
von 1952 und der revidierte KlA von 1968. Der letztgenannte hat keine
Fermaten mehr, die beiden früheren haben sie aber sehr wohl (weitere
Ausführungen zu den Klavierauszügen siehe andernorts).
7) Ziffer 84 Takt 4: C-Trompete II "g" oder "f"
Soll der dritte Ton der C-Trompete II ein "g" oder ein "f" sein? Die
gesamte diesem Takt nachfolgende Motiventwicklung läßt beide Interpreta-
tionen zu. Das Autograph hat "g", ebenso die DiPa-Drucke von 1921, 1929,
1948 und die Taschenpartituren 1921 bis 1964; die Partituren ab 1965
hingegen haben "f" (zum KlA siehe weiter unten). In einem eingesehenen
Exemplar der 1929er Leih-DiPa (RMV) war handschriftlich "f" ergänzt wor-
den, anders in einer Leih-DiPa der 1967er Fassung (B & H): hier wurde
"f" gegen "g" ausgetauscht, und zwar von einer Person (wohl ein Diri-
gent), die sich die betreffende Partitur ungewöhnlich notenkritisch an-
gesehen hatte.
Einen Korrektureintrag enthält weder die 3-seitige RMV-Liste vom An-
fang 1923 noch die 7-seitige B & H-Liste von um 1950. In den drei vom
New York Philharmonic Archive ins Internet gestellten Bernstein-Parti-
turen besteht die folgende Sachlage, wobei anzumerken ist, daß in die
Partitur 2341 die Errata-Liste von um 1950 GEDRUCKT eingearbeitet ist,
in der Partitur 3623 diese Errata von einem Kopisten mit Blaustift nach-
getragen wurden (zu den Bernstein-Partituren und Errata-Listen siehe die
Ausführungen in der Abteilung Editionsgrundlagen):
2341 "g" korrigiert mit Rotstift zu "f" (Bernstein-Korrektur)
2342 "g" unkorrigiert
3623 "g" unkorrigiert
Strawinskys Aufnahme von 1940 hat "g", aber 1929 und 1960 wird "f"
gespielt. Ebenfalls "f" haben u.a. die Aufnahmen Monteux 1928?/1929,
1945, 1951, Stokowski 1929/1930, Ansermet 1957, von Karajan 1975/1977;
"g" hingegen weisen auf: van Beinum 1946, Bernstein 1951, Doráti 1953,
Horenstein 1957 und Ozawa 1968. Irgendeine deutliche zeitliche Abfolge
oder sonst ein Hinweis, der greifbare Rückschlüsse zuließe (z.B. auf
abgrenzbare Stimmenmaterialbeschaffenheiten), läßt sich von dem Befund
bis jetzt nicht herleiten. Aber es fällt trotzallem auf, daß in den drei
frühen Aufnahmen "f" gespielt wird: Monteux, Strawinsky und Stokowski.
Die erste Abweichung kommt mit der vierten Einspielung: Strawinskys
Columbia-Aufnahme von 1940. Auch könnte vorsichtig auf den merkwürdigen
Umstand hingewiesen werden, daß zumindest die Aufnahmen der Dirigenten,
die in einem engeren Kontakt zum Komponisten standen - und das schon
früh -, zur "Kategorie" "f" gehören: Ansermet, Monteux und Stokowski.
Ziffer 84 Takt 4: Trompete II in C
Pa-Ms, DiPa 1921 ff. DiPa 1965 ff.
8) Ziffer 90 Takt 4: Cello-Romantik
Die Cellopassage ist eine der Stellen, die Dirigenten gelegentlich
nutzen, mit weitausholender Geste "Romantik zu interpretieren" (z B.
Bernstein 1951). Strawinsky gestaltet die Figur in seinen Schallplatten-
aufnahmen immer strikt im Tempo, ebenso z.B. van Beinum in seiner sel-
tenen Decca-Aufnahme von 1946.
Ziffer 90 Takt 4: Violoncello I solo
Nebenbei: Seit 1948 steht in Z 90/1 und 2 für das zweite Solocello
die Vorschrift: "le 2° accordez la corde ut en si" (ab 1967 nicht kur-
siv; 1921 und 1929: accordez la corde Ut en Si"). Nach der Flageolett-
Passage Z 91 und 92 muß in Z 93 die Rückstimmung erfolgen. Der ent-
sprechende Hinweis dafür fehlt aber nicht nur im Partiturmanuskript, er
fehlt auch in allen alten Druckpartituren, in der neuen Partitur von
1967 ist er jedoch vorhanden: "corde si en ut".
9) Ziffer 103 Takt 1: Piccolo-Trompete in D, Dissonanzen
Folgt man sowohl dem Druck-KlA (RMV- und B & H-Ausgaben) wie auch dem
KlA-Autograph, dann ist die Piccolo-Trompete in D im Pa-Autograph und in
den DiPa-Drucken bis 1965 (StPa bis 1966) falsch transponiert. Stünde
eine B-Trompete, wäre die Stelle richtig.
1967 wurde in der neugesetzten ("re-engraved") B & H-Partitur die
Stelle "korrigiert". Alle Platteneinspielungen vor 1967 (also auch die
Strawinskys) haben, ausgenommen van Beinums Decca-Aufnahme von 1946,
die schrillen Dissonanzen, die sich vor allem zur Trompete 4 in C und zu
den Violinen II bilden. Rattle 1977 befolgt die 1967er Korrektur, aber
von Karajan 1975/1977 und Mata 1978 folgen ihr merkwürdigerweise nicht!
(Die Piccolo-Trompete ist übrigens auf diese Weise in der Partitur mehr-
mals mutmaßlich "falsch" transponiert.)
Im Autograph besteht, diese Stelle betreffend, optisch eine rätsel-
hafte Situation; man fragt sich, wie der Transpositionsfehler, wenn er
einer ist, überhaupt geschehen konnte: "Tr. picc. [/] in Re" steht di-
rekt vor der fraglichen Wendung, dies ist nötig, denn der Beginn der
Ziffer 103 fällt mit dem Seitenwechsel zusammen und die Piccolo-Trompete
in D kommt in diesem ersten Takt hinzu. Man bedenke auch: Der Wendung
folgen nach einer kurzen Spielpause, aber noch in diesem Takt, vier
weitere Noten, die jedoch offenbar (überraschenderweise?) richtig trans-
poniert sind, jedenfalls blieben die Tonhöhen in allen Druckpartituren
bestehen. Zudem verdoppelt ja die Trompete 3 in C diese zweite Wendung.
Bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß im Autograph in der zweifel-
haften Wendung das "es" (klingend "f") eine (offensichtlich erhebliche)
Korrektur erfuhr (mit Auskratzung und Nachzeichnung der betreffenden
Notenlinien) - und dennoch scheint die ganze Wendung falsch geraten,
mißtransponiert zu sein!? Angesichts des KlA eine zumindest sehr strit-
tige Situation.
Hinweis: Soweit Fassungsbestimmungen, oder besser gesagt: Abhörarbei-
ten, betroffen sind, erweist sich Matas Einspielung als einer der typi-
schen zwiespältigen Fälle. Denn obwohl etliche Änderungen der 1967er
Revision zu hören sind, folgt sie der Tendenz nach früheren Korrektur-
stufen. Bei einigen Details überrascht sie allerdings sehr. Man kommt
ins Rätseln, warum diese nicht dem neuesten gedruckten Partiturstand
entsprechen bzw. - wenn tatsächlich ältere Materialien (Partitur, Stim-
men) benutzt wurden - warum man diese nicht auf den letzten Stand
brachte. Zwei der giffigsten Stellen sind erstens die eher als falsch,
zumindest aber als sehr problematisch einzuschätzende alte Transposition
der Piccolo-Trompete. Natürlich entgeht einer Trompetengruppe diese
schrille Stelle nicht, auch keiner im Orchester einigermaßen bewußt
teilnehmende Mitmusiker wird das überhören. Eine Anweisung oder eine
wie auch immer herbeigeführte Entscheidung ist eigentlich voraussetzen.
Wurde gar rekorrigiert? Hat möglicherweise der dirigentische Nachlaß
Strawinskys als Vorbild gedient?
Noch seltsamer aber ist zweitens, daß in Z 117/4 die gegen den Takt
geschlagene Baßtrommel zu hören ist, wenn man so will, beibehalten wur-
de, wofür allerdings ebenfalls Gründe vorbringen zu können, nachvoll-
ziehbar ist (hierzu siehe nachfolgend).
Ziffer 103 Takt 1: Piccolo-Trompete in D
Pa-Ms, DiPa 1921 ff. RMV-KlA, DiPa 1967
10) Ziffer 117 Takt 4: Große Trommel
Im Autograph markieren in Z 104/3 die Schläge der großen Trommel die
Zählzeit, doch im Paralleltakt, Z 117/4, werden stattdessen auf der
Und-Zeit Gegenschläge ausgeführt. Diese Rhythmusänderung steht so in
allen Partituren bis vor 1967. 1967 aber, in der revidierten und neuge-
stochenen Druckfassung, werden in Z 117/4 keine Gegenschläge ausgeführt,
die Schläge fallen auf die Zählzeiten; es fand also eine Angleichung an
den Takt Z 104/3 statt, wobei jetzt wie in Z 104/3 und Z 105/1 auch in Z
117/4 und 118/1 parallel zu den tiefen Streichern sechs Schläge auszu-
führen sind. Das scheint eine konsequente Korrektur zu sein. Ist sie
aber richtig? Denn wenn man in Betracht zu ziehen bereit ist, daß gegen-
über Z 104/3 im Orchester-Ms und in den Partituren von 1921 bis vor 1967
in der zweiten Stelle, Z 117/4, durch die in diesem Takt oktaviert ge-
faßten Celli (*1) auf der Eins eine stärkere Schwerpunktbetonung und
Baßlastigkeit auf der Zählzeit zu spüren sei (kein Wunder bei der Per-
kussionsqualität des ganzen Takts), dann kann man Ansichten nachempfin-
den, um der Abwechslung willen die Gegenschläge der Baßtrommel in Z
117/4 für angebracht und wirkungsvoll anzusehen, auch, daß es der großen
Trommel auf den Zahlzeiten eigentlich nicht bedarf. (Beachte: Im Auto-
graph ist in den Celli in Z 104/3 das Achtel auf der Eins nicht vorhan-
den, stattdessen steht eine Achtelpause. Ähnliches ist in der Stimme der
großen Trommel der Fall, hier ist der Schlag auf der Eins der Z 105/1
nicht vorhanden, wobei es scheint, daß an dieser Stelle Auskratzungen
vorgenommen wurden. Anders als das Autograph haben alle Druckpartituren
seit 1921 die beiden Achtel.)
{*1} Seit 1967 nur noch Einklang.
Die Einspielung unter Mata von 1978 hat erstaunlicherweise die 1967
eingeführte Revision nicht; zu hören ist die "alte Fassung" (zu Matas
Plattenaufnahme siehe auch oben unter Z 103/1).
11) Ziffer 121 Takt 2 und nachfolgende Parallelstellen
Die 1967 erfolgte Änderung des Rhythmus von
zu
dürfte für eine Bestimmungsanalyse oft kaum differenzierbar sein, aber
die Melodisierung der Pauken von ursprünglich fis-fis-fis (alles auf
einem Ton) zu
ist in der Regel deutlich herauszuhören.
12) Ziffern 129/130: Staccato
Die Horn-Akkorde sind in keiner Partitur mit Staccato-Punkten verse-
hen. Sie werden aber in Analogie zur Klarinetten-Passage Z 139 sehr oft
staccato oder zumindest stakkiert ausgeführt. Weder im Autograph noch in
einer gedruckten Orchesterpartitur liegt hierfür irgendein Ausführungs-
hinweis vor, allerdings haben die Streicher ab Z 129 als Vorschrift
"pizz.", die in Z 139 jedoch nur den (erst in Takt 2 beginnenden) Violi-
nen I zugewiesen ist, wobei hier nicht klar ist, ob nicht doch andere
Streicher mitgemeint sind, denn in der 1967er Partitur steht statt
"pizz." ein geheimnisvolles "unis. [/] pizz.". Und dies führt denn auch
sofort insofern zu dem folgenden Tadel, als in den Partituren die Strei-
cherausführung der Stellen Z 129/130 und Z 139/140 - manchmal insgesamt,
manchmal nur einzelne Stimmen betreffend - nicht immer ausreichend be-
zeichnet ist, ob denn nun pizzicato gespielt werden soll oder nicht, ob
also "pizz.", "sim." oder ein erneutes "pizz." nur fehlt oder tatsäch-
lich "arco" gefordert ist.
Zurück zu den Hornakkorden: Bezüglich des in den Ziffern 129/130
nicht vorgeschriebenen Staccato sind auch aus den Klavierauszügen (ein-
schließlich des KlA-Autographs von 1913) keine klar weiterführenden
Informationen zu entnehmen. Hier weisen nicht nur die "langsam schrei-
tenden" Viertel der ersten Stelle keine Staccato-Punkte auf, auch die
Viertelnoten der zweiten Stelle haben überraschenderweise keine, doch
steht bei Z 129 immerhin "molto ritmico e sempre p", dann aber bei
der Stelle Z 139 nur "p subito", was wohl an eine "getupfte, gezupfte"
Ausführung denken läßt (vgl. RMV-KlA und dessen Boosey & Hawkes-Nach-
druck, Erstausgabe erst 1952, Plattennummer B. & H. 17271 sowie die re-
vidierte Boosey & Hawkes-Ausgabe von 1968, gleiche Plattennummer; das
KlA-Autograph hat die Vorschriften im Wortlaut genauso).
Diese unterschiedliche Handhabung eines Details dürfte ein typisches
Beispiel für eine "interpretatorische Variante" sein, das heißt, derar-
tige Ausführungen sind nicht direkt Teil der Werktexte (Pa, KlA) oder
einer ihrer eventuell vorhandenen Ableitungen, sie entstehen vielmehr
durch künstlerisches, interpretatorisches Übertragen, Hineinlesen und
Auslegen.
Übersehen sollte man bei solchen Varianten nicht den "gesellschaft-
lichen Impetus", der ihnen immanent sein kann, aber nicht immer einer
Logik entsprechen muß. Das kann sogar so weit gehen, daß sich daraus
Traditionen bilden, die an der Partitur vorbei - inbesondere gefördert
durch die Aufnahmenwelt - als Beeinflussungen ein teils hartnäckiges
Eigenleben entwickeln. Im Verdichtungsfall können sich auf diese Weise
Lehrmeinungen bilden, und wenn Ausdrucks- und Interpretationselemente,
wie Tempo, Dynamik und Agogik in die Beurteilung mit einbezogen werden,
können damit sogar Schulen oder Strömungen symbolträchtig in Verbindung
gebracht werden, so entstehen z.B. Qualifikationen wie "ein Meister
feinziselierter Rhythmisierung" (abgeleitet von Staccato-Ausführungen),
"reife Interpretation mit Gespür für erhabene Klanglichkeit" (abgeleitet
etwa von breiten Viertelnotenausführungen). Die Anzahl solcher Beschrei-
bungsmöglichkeiten (Etikette) scheint sich fast im Unendlichen zu ver-
lieren - aber mit dem Werktext haben sie oft zunächst nichts zutun.
Hier sollte auch auf Problematiken im Sacre-Werk hingewiesen werden
(ausführlicher in einem gesonderten Kapitel, in Vorbereitung). Vor einer
solchen Diskussion darf man sich nicht scheuen, schon gar nicht ange-
sichts der allseits geäußerten Überhöhung des "heiligen Opfers" zu einem
"Jahrhundertwerk". Beispielsweise kann nämlich durchaus an der Instru-
mentierungsvorstellung Strawinskys, Holzbläser wie Klarinetten und Oboen
über weite Strecken Staccato spielen zu lassen, im ästhetischen Sinn
Kritik geübt werden, da im Grunde diese Ausführung der Klanglichkeit,
ganz besonders der Klarinetten, entgegensteht (Rohrblattblasinstrumen-
te: langsame, "verquere" Einschwingvorgänge!). Denn auf diese Weise kom-
men unversehens Züge karnevalesker Art zum Vorschein, die auch als bil-
lige, primitive Geschmacklosigkeit empfunden werden können, einfach des-
wegen, weil derlei Spielweisen leicht Klangbildervorstellungen wie Ge-
lächter auslösen, in den Höhen Gemecker, im tiefen Register in etwa
Knurren, Rumpeln, Geblubber usw. (ein verbreiteter, abschreckender Pra-
xisbereich war die sogenannte Hot Dance-Music, entstanden und besonders
gepflegt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, mit häufigen
und durchlaufenden Staccati der Bläser, inbesondere der Klarinetten und
Saxophone, Stichwort: Groteskeffekte).
Eine der Möglichkeiten in Z 139 die stakkierte Klarinettengruppe zu
mäßigen, ist, das vorgeschriebene "piano" sehr wörtlich, doch das Stac-
cato nicht zu wörtlich zu nehmen und die Viertelnoten nicht sehr, son-
dern nur leicht gekürzt ausführen zu lassen, eine luftige Darstellung
wäre somit in etwa das Ergebnis. Solcherlei hängt allerdings auch sehr
davon ab, wie "schnell" man das vorgeschriebene Tempo "Lento ♩ = 52"
nimmt (für Z 129 gelten diese Überlegungen analog).
In der Praxis gehören die genannten Unsicherheiten in Z 129/130 und
Z 139/140 zu den Details der Sacre-Partitur, für die eindeutige Nieder-
schriftlösungen in Zukunft eher nicht zu erwarten sind. Eine geschmack-
sichere Interpretation wird hier also wohl auf immer gefordert sein.
13) Ziffer 136 Takt 1: Streicher-Pizzicato auf "Eins und"
Das Streicher-Pizzicato auf der Eins der Z 136/1 wurde in den Aufnah-
men Boulez 1969 und Mehta 1977 auf "1 und" verlegt, also "abtaktig" aus-
geführt. Somit folgen beide Dirigenten dem Muster von Z 135/1, 135/2,
135/4, 136/3 und 137/1. In ihrer ersten (!) Schallplattenaufnahme hin-
gegen (Boulez 1963, Mehta 1969) wird die Stelle wie geschrieben ge-
spielt. Auch Strawinsky änderte in seinen drei Schallplatteneinspielun-
gen (1929, 1940 und 1960) die Stelle nicht ab.
Bislang (Anfang 2016) ist diese Variante noch in keiner Partitur an-
getroffen worden, weder gedruckt noch - beispielsweise in einer Leih-
DiPa - als Handkorrektur. Klar ist zudem, die Einführung des Nachschlags
ist nur ein unscheinbares Detail, eine Notentextänderung ist das aber
dennoch. Und so liegt im Fall des Mehta-Befunds von 1977 der Gedanke an
den Verdacht nahe, angesichts des weithin bekannten persönlichen Bezugs
Boulez' zu Strawinsky sei der Boulezschen Änderung eine Autoritätsge-
wichtigkeit beigemessen worden. Wenn das so ist, dann wäre Mehtas Ent-
scheidung vielleicht als eine typische "interpretatorische Nachahmungs-
variante" anzusehen (siehe oben).
Beachte: In allen Druckpartituren (Editionen 1921 bis 1967) ist in
den Ziffern 135 bis 137 die pizz.-Kennzeichnung der Streicherausführung
gleich, allerdings scheint sie an einigen Stellen auch zu fehlen, bei-
spielsweise in den Kontrabässen in Z 135 bis Z 136/1, nicht aber in Z
136/3 und Z 137/1, doch auch in den Celli und Violinen II in Z 135/1,
wobei in diesen beiden Stimmen in Z 137 die pizz.-Bezeichnung zur Si-
cherheit besser wiederholt worden wäre. Auch steht in den Partituren bis
vor 1967 in Z 137/1 über dem "a" des Kontrabaß ein "sim.", das 1967
nicht (mehr) vorhanden ist, doch dieses (wie üblich kommentarlose)
Streichen ist der schnellen Erfaßbarkeit nicht besonders dienlich: Man
muß sich zu lange merken, was zuvor gefordert wurde.
Im Partiturautograph stimmt die pizz.-Kennzeichnung grundsätzlich mit
derjenigen in den Drucken von vor 1967 überein, die sim.-Stelle Z 137/1
scheint sogar definierter zu sein, aber es scheint nur so. Zunächst ist
zu sagen: Das "Sim" dort bezieht sich nicht nur auf den Nachschlag der
Kontrabässe, sondern durch eine Klammer eindeutig - und nicht wie in den
alten Druckpartituren bloß VIELLEICHT - auch auf den Nachschlagakkord
der Celli. Nun haben aber die Kontrabässe zuvor (= Z 136/3) "pizz [/]
sf" und die Celli die Vorschrift "sf". Somit sieht das "Sim" nicht di-
rekt nach Klarheit aus. Noch einen Takt zurück haben die Kontrabässe
ihr Dreiachtel-"f" laut Vorschrift "arco" zu spielen, die Celli hinge-
gen ihre akkordische Achtelmarkierung auf der Zählzeit Zwei (wie den
Nachschlag im nachfolgenden Takt Z 136/3) "sf", und noch einen Takt
davor (= Z 136/1) lautet die Vorschrift für den Achtelakkord der Celli
auf der Eins des Takts "sf [/] unis pizz", während das Achtel-"a" der
Bässe überhaupt keine Ausführungsvorschrift hat (wie in allen vier Tak-
ten davor, Z 135, auch nicht). Somit stellt sich die notierte Sachlage
in den Celli so dar, es wird "sf [/] unis pizz" auch für die folgenden
"sf"-Achtel zu gelten haben, also für die Achtelakkorde in den betref-
fenden Takten Z 136/2 bis Z 137/4. Dann aber ist das in Z 137/1 den bei-
den Stimmen Bässe und Celli gleichermaßen zugedachte "Sim" nicht ganz
logisch, da "Sim" in jeder Stimme etwas nicht ganz Identisches bedeutet.
Fazit: Dieses einigermaßen detailliert formulierte Beispiel sollte
deutlich machen, daß oft genug nicht ganz klar ist und womöglich auch
nie klar wird, wann denn nun in jedem Einzelfall welche Ausführung ge-
meint ist, und das gilt ganz besonders bei der oft schwierig sich ge-
staltenden Unterscheidung von arco und pizzicato. Das bedeutet, daß bei
derlei Stellen die Ausführung, wie oben bei der vorherigen Variante
schon vermerkt, wohl auf immer auf Auslegung angewiesen sein wird, und
daß eine wirkliche Hilfe in Richtung Eindeutigkeit die neue Partitur von
1967, die vielfach (und vorschnell) als "Partitur letzter Hand" apostro-
phierte, in solchen Dingen oft auch nicht ist.
Arco-Druckfehler: In den Taschenpartituren vor 1967, vermutlich seit
1951, mit Sicherheit in denjenigen der Drucke Mai 1963 bis August 1966,
und auch in der DiPa von 1965 ("Reprinted with corrections 1965") steht
vor Z 136/2 über dem Violensystem "arco" in einer verzierten Letternart,
die in den ganz alten Drucken nicht vorhanden ist. Diese Anweisung ist
zweifellos überflüssig und wurde auch nicht in den 1967er Neustich über-
nommen.
Im Grunde streifen die vorangegangenen Ausführungen das arco-pizzica-
to-Problem, das im Sacre an vielen Stellen auftaucht und dort jeweils
diskutiert werden könnte, schon allein deswegen, weil in der Auffüh-
rungspraxis unterschiedliche Behandlungen vorkommen (zu etwas eingehen-
derer Beschreibung und Diskussion siehe spätere Kapitel über entspre-
chende Phänomene in der Danse sacrale).
14) Ziffer 138 Takt 5: Tamburinvariante
In den Druckpartituren 1921 bis vor 1967 ist in Takt Z 138/5 das Tam-
burin genau auf die von der großen Trommel markierte Zählzeit notiert.
1967 wurden seine Akzente in diesem Takt, passend zur Umgebung, in Nach-
schläge abgewandelt, ganz so wie es auch im Partiturmanuskript von 1913
notiert ist.
Strawinsky läßt (schon oder noch) 1929 und 1940 den Nachschlag aus-
führen, 1960 hingegen nicht: Der Tamburinspieler spielt genau auf den
Taktschlag! Das klingt in diesem ganzen Rhythmusablauf derart sprung-
haft, unlogisch und auffällig, daß nicht zu verstehen ist, wie solch ein
Take, wenn es nicht so gewollt war, durchgehen konnte. Liegt am Ende
doch eine authentische Absicht vor? (In der Aufnahme von 1940 setzt
übrigens der Tamburinspieler, das sei in diesem Zusammenhang nicht über-
gangen zu erwähnen, in Takt Z 128/1 erst bei "drei und" ein.) Weitere
Beispiele für durchgehende Nachschläge: Monteux 1945, Ansermet 1957
und Bernstein 1951 (allerdings scheint hier in Z 128 ff. das Tamburin zu
fehlen, zu hören ist es jedenfalls nicht). In der Aufnahme van Beinums
von 1946 ist der Tamburin-Spieler völlig aus dem Rhythmus gekommen.
Ziffer 138 Takt 4 ff.
RMV-DiPa/StPa 1921 bis B & H-DiPa 1965/StPa 1966
Tambourin (oberes System) - Grand Caisse (unteres System)
15) Danse sacrale (Beginn): Ziffern 142-148, 167-173, 180
Einführung in die Materie der orchestrierten Akzente und Trommel-
schläge:
Gegen Schluß leise werdend, ersterbend, Pause, nichts - und dann
überraschend doch weiter, und zwar im Fortissimo. Das bringt der berühm-
te Vielemillionenhit Glenn Millers "In the Mood", am 1. August 1939
aufgenommen, genau auf den Punkt. Und auch der Haydensche Rumms des ge-
schichtsträchtigen Paukenschlags gehört hierher.
Ebenso der Beginn der Danse Sacrale, er hat damit sehr Vieles gemein.
Das Problem ist nur: Wie soll die Ausführung erfolgen, das heißt, wo
soll in Z 142 Takt 1 die Fermate stehen und wie lang soll die durch sie
verlängerte Pause sein? Das sind die Fakten:
In den Druckpartituren seit 1929 und ebenso im revidierten Klavier-
auszug von 1968 steht die Fermate NACH dem ersten Nachschlag. Doch im
Orchestermanuskript von 1913, in der Partitur von 1921 und im RMV-Kla-
vierauszug (= B & H von 1952) steht sie DAVOR. Daher die Fragezeichen.
Doch es scheint so, als wäre nach dem leisen Baßklarinettenabgang, am
besten verklingend, die neue Fassung die effektivere, allerdings soll-
ten dann auch ALLE Nachschläge (nicht nur die ersten zwei) als Sechzehn-
telakzente ausgeführt werden und man sollte außerdem "arco" und "pizz"
beachten, also bei diesen Gestaltungsdetails doch lieber die alte Fas-
sung beherzigen (Weiteres zu solchen Notations-, Druck- und Versions-
problemen siehe nachfolgend).
a) In den im Folgenden diskutierten Ziffern haben besonders die auf-
fallenden "Orientierungsschläge" (Metrum- bzw. Rhythmusakzentuierun-
gen) der Kontrabässe, Pauken und Tuba {*1} - hier unterschiedslos als
Ganzes im Blick - auf "d" bzw. "d, f" (Z 142-148), "cis" bzw. "cis, e"
(Z 167-173) und "a, d, f" (Z 180) eine verwickelte Geschichte hinter
sich, die in Details wahrscheinlich schon mit dem frühen RMV-Probedruck
der DiPa begann {*2}, 1921 einen ersten "Grundstand" aufweist, 1929 eine
wichtige Stufe erreichte und mit der 1948er Boosey & Hawkes-Ausgabe
ihren Abschluß fand.
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, sollte zum "Grundstand
von 1921" ergänzt werden, daß danach trotzallem weder die Anzahl noch
die Lokalisation der Akzente gleich blieb; es kamen welche hinzu, andere
fielen weg. Auch darf nicht übersehen werden, daß zur Perkussionsgruppe
in der Tiefe noch die beiden folgenden Instrumente unbestimmter Tonhöhe
gehören: das Tam-tam und die große Trommel, wobei die Trommel 1929 eine
wichtige Änderung erfuhr. Denn im Ms und in der DiPa von 1921 beginnt
ihre Stimme schon in Z 171/2; ihre Schläge erfolgen hier bis inklusive
Z 173 im Einklang mit der Pauke {*3}. Anders ab 1929: Die gesamte Ver-
dopplung durch die große Trommel ist gestrichen, ihr Einsatz beginnt
erst einen Takt vor Z 173 (die Pauken haben hier im Gegensatz zu früher
Pause). Dem folgt dann, "wie gewohnt", wenn man es "perkussionistisch"
formulieren will, der Tam-tam-Teil mit den Nachschlägen der großen
Trommel (Z 174 bis inklusive Z 185).
Interpretationen, die die 1921er Fassung als Vorlage haben, sich an
ihr orientieren oder sogar an ihr entlang eine sogenannte "Urfassung"
zu restaurieren versuchen {*4}, fallen bei Abhörarbeiten mit irgendeiner
Boosey & Hawkes-Partitur (DiPa, StPa, alte wie neue Druckausgabe) im
allgemeinen sofort und gerade wegen fehlender bzw. zusätzlicher Akzente
auf. Zweifellos, das ist eine komplexe, möglicherweise verwirrende
Detaillage. Doch das Wissen darum und die Ausführungen weiter unten
werden sicherlich helfen, einige Planken unter die Füße zu kriegen, um
sich (wenigstens versuchsweise) in Richtung einer Material-, Fassungs-
bzw. Interpretationsbestimmung weitervortasten zu können {*5}.
Auch kann hier und da die überblickartige Aufstellung für den frühen
RMV-KlA, die weiter unten wiedergegeben ist, als informatives Hilfs-
mittel, als vorläufiger Quasi-Ersatz für die nur Wenigen erreichbare
1921er Partitur wahrscheinlich recht nützlich sein (dabei lasse man aber
nie außer Acht, daß in der Partitur von 1929 die Metrisierung einen
Wandel erfuhr, den die nachfolgenden Boosey & Hawkes-Ausgaben übernah-
men; das gilt sowohl für die auf dem RMV-Druck basierenden alten Aus-
gaben wie auch für die Neuedition von 1967).
{*1} In der RMV-Partitur von 1929 und der nachfolgenden alten B & H-
Partiturversion ist von Z 167/5 bis 169/5 (= S. 123) in der Tuba 1
(das ist hier die einzige Tubastimme) fälschlicherweise ein C-Schlüs-
sel vorgeschrieben, richtig wäre ein Baßschlüssel. In der revidierten
Ausgabe der Partitur von 1967 ist der Fehler korrigiert, doch steht
ein C-Schlüssel jetzt von Z 168/5 bis 170/3 (= S. 135), richtig wäre
aber auch hier ein Baßschlüssel.
{*2} Jedenfalls bringt ein Vergleich der frühen Drucke mit dem Par-
titurmanuskript in diese Richtung deutende Indizien zum Vorschein.
{*3} Allerdings ist in der 1921er DiPa in Takt Z 171/5 für die große
Trommel kein Schlag eingraviert worden, wurde er vergessen? Das sieht
nicht so aus, denn es steht da eine ganze Pause! (Hinweis: In nach-
1921er Partituren hat die Ziffer 171 nur vier Takte. Ummetrisierung!
Siehe dazu auch Bemerkungen an anderen Orten.)
{*4} "Urfassung" des Sacre: Dieser Begriff geistert tatsächlich seit
langem durch die Aufnahmenwelt. Und er hat 2013 sicherlich noch einen
komplexen und möglicherweise nicht minder kontroversen Kompanion be-
kommen, hervorgerufen durch die sogenannte Rekonstruktion der Urauf-
führungsfassung, die Louis Cyr erarbeitete und von François-Xavier
Roth in die Tat umgesetzt wurde (Weiteres an anderem Ort, in Arbeit).
{*5} Es unterbleiben bei der Darstellung greifbarer Unterschiede in
der Danse sacrale und eben auch hinsichtlich der drei Passagen Z
142-148, 167-173, 180 weitgehend Hinweise auf diffizile Sachverhalte
wie Tonsatzänderungen, Stimmenumlegungen und metrische Neueinteilun-
gen. Im Vordergrund stehen nur einige ausgewählte, diskographisch
verhältnismäßig rasch nachvollziehbare, erfolgversprechende Varian-
ten.
b) Um nun bei der Danse sacrale im Rahmen von Abhörarbeiten eine
erste "greifbare" Orientierung zu erhalten, ist vielleicht hilfreich,
sich zunächst der Interpretation der Takte Z 144/3 und Z 169/3 anzuneh-
men.
So werden in ihnen im Partiturmanuskript und in der DiPa von 1921 die
Eins und Drei nicht markiert, es sind nur Nachschläge zu spielen: "Eins
und", "Drei und". Das ändert sich ab der "Neuen Edition 1929", nun wer-
den jeweils die Eins und Drei (musikalisch treffender gesagt: die Haupt-
zählzeiten eins und zwei {*1}) mit einem Akzent markiert. In Z 144/3 mit
"d", und zwar auf der Eins von den Kontrabässen (diese oktavverdoppelt)
und der Tuba, auf der Drei (bzw. gezählt Zwei) von einer Pauke {*2}, in
Z 169/3 mit "cis" auf der Eins von Kontrabässen (diese nicht verdop-
pelt), Tuba, Kontrafagott und Fagott, auf der Drei (gezählt Zwei) von
einer Pauke {*2}.
{*1} Das kommt auch schon äußerlich durch die Abänderung der Metrum-
angabe zum Ausdruck, bis 1921: 4/16, ab 1929: 2/8 (Stichwort: Um-
metrisierung, siehe auch an anderen Orten).
{*2} Ob eine Pauke oder zwei oder gar vier Pauken einzusetzen sind,
ist nicht ganz klar (Details in Vorbereitung).
Es entsteht also während der fünf Takte der beiden Ziffern Z 144/3
und Z 169/3, bezogen auf die genannten tiefen, markierungstypischen
Orchesterstimmen, der folgende rhythmische Ablauf, wobei sicherlich
kein Zweifel besteht, daß die pre-1929er Version überraschender, span-
nungsgeladener, raffinierter, kammermusikalischer, luftiger, somit
lebendiger wirkt (Thema: die große Kunst der Gestaltung mit Pausen):
Ziffer/Takt: 144/1 144/3 144/4
Ziffer/Takt: 169/1 169/3 169/4
Pa bis 1921: eins | weg | weg | eins | weg
Pa ab 1929: eins | weg | eins drei (*1) | eins | weg {*2}
Beteiligung am Grundakztentgeschehen
Pa bis 1921: 144/1
Kontrabässe, Pauke(n)
144/4
Kontrabässe
169/1
Kontrabässe, Pauke(n)
169/4
Kontrabässe, Pauke(n)
Pa ab 1929: 144/1
Kontrabässe {*3}, Pauke(n)
144/3
Eins: Kontrabässe {*3}, Tuba
Zwei: Pauke(n)
144/4
Kontrabässe {*3}, Tuba
169/1
Kontrabässe, Pauke(n), Kontrafagott, Fagott
169/3
Eins: Kontrabässe, Tuba, Kontrafagott, Fagott
Zwei: Pauke
169/4
Kontrabässe, Tuba, Kontrafagott, Fagott
{*1} Oder gemäß der Zweiermetrik besser: eins zwei (siehe Text)
{*2} Allerdings mit Posaunen (a 3) auf der Eins (beachte: bis ein-
schließlich der DiPa 1921 sind die Posaunen hier Teil eines ande-
ren Satzaufbaus, einer anderen Instrumentierung, d.h., der dama-
lige Posaunensatz wurde später den Trompeten übergeben. Auf derlei
Varianten wird hier allerdings nicht eingegangen, weil für den
auditiven Nachvollzug erhebliche erfahrunggeschulte Kenntnisse
nötig sind, siehe auch den Hinweis dazu weiter oben).
{*3} Zur Vergrößerung der Klangintensität: Seit 1929 sind in Z 144
die Akzente der Kontrabässe auf "d" nach unten oktavverdoppelnd
eingezeichnet; obwohl so nicht vermerkt, ist sinnvoll nur eine
divisi-Ausführung denkbar, wie es ja auch vor Beginn der Danse
sacrale schon ausgewiesene Divisi-Passagen gab (z.B. Z 138 ff.).
Im Pa-Ms werden demgegenüber zu Beginn der Danse sacrale die Kon-
trabässe auf die gleiche Tonhöhe ("d") zusammengeführt, angezeigt
ist das durch nebeneinanderliegende Doppelnoten; eine Oktavver-
dopplung wie zuvor besteht also eindeutig nicht. In der DiPa von
1921 ist man dem gefolgt, allerdings wurde statt der Doppelnoten
nur eine einzelne Note gestochen.
Die genannten Oktavverdopplungen betreffen die tiefen Baßtöne "c"
und "d". Damit setzte der Komponist 5-saitige Instrumente voraus,
also Instrumente mit der tiefen C-Saite, was nicht folgenlos ist,
denn in Anbetracht der erheblich geringen Verbreitung der "5-
Saiter" bedeutet es zum einen, daß nicht jedes x-beliebige Sin-
fonieorchester den Besetzungsanforderungen Rechnung tragen kann,
und zum andern, daß Strawinsky diesem Ausschluß offenbar keine
allzu große Wichtigkeit beimaß (siehe auch weiter unten die Aus-
führungen zu den letzten Takten des Werks).
Hinweis zur Tabelle: "weg" bedeutet in der Musikersprache "Pause",
aber hier: Aussetzer, ein Nichts als Existenz vor der Existenz.
Von hier aus lassen sich mit einiger Übung die in Aufnahmen festge-
haltenen vielfältigen Konsequenzen je nach Klangqualität brauchbar bis
plastisch nachvollziehen. Zu diesen Konsequenzen nachfolgend eine dem
Verfasser mitgeteilte Zusammenfassung Louis Cyrs (Mail-Korrepondenz vom
12.-14.2.2008, Zitate leicht redigiert):
"Das ganze Ringen um die ab 1929 vorgenommene Baßführung
(Tuba, Pauken, Kontrabässe usw.) der Takte Z 144/3 und Z
169/3 hat auf Einspielungen sowohl der Orchester- als auch
der Klavierfassung deutliche Spuren hinterlassen (auch
'rückwirkend' auf die Baßausführung der Takte Z 143/2 und
168/2). 'Too many cooks spoil the broth...'".
"Letztlich eine Fußnote zu alledem: Bei seiner 1943er
Revision der 'Danse sacrale' hat Strawinsky die beiden
'Baß-Schläge' der Takte Z 144/3 bzw. 169/3 zurückgenommen
- ein Indiz unter vielen dafür, daß er die 1929er Revision
der Orchesterpartitur never fully endorsed or never
really agreed with it basically, reverting to the 1913
original in so many instances in Danse Sacrale [...]."
Zu den von Louis Cyr angedeuteten Merkwürdigkeiten, zählen ganz be-
sonders die beiden ebenfalls von ihm angesprochenen Takte Z 143/2 und
168/2. Weder in einer Partitur noch in einem Klavierauszug (auch nicht
in ihren Handschriften!) steht auf der Eins eine (Baß-)Note, es schlägt
nur ein Akkord nach. Doch in Strawinskys Pleyela-Rolleneinspielung von
1921 (Vorlageexemplar: "2e édition" von 1922) wird im Baß auf der Eins
in Z 143/2 ein "d" und in Z 168/2 ein "cis" gespielt. Eine in der Tat
sehr verwunderliche Angelegenheit, und Louis bemerkt dazu mit trockenem
Humor: "How about that!"
Beachte: Um Mißverständnissen zu entgehen, sollte man berücksich-
tigen, daß durch die Taktneugruppierung im Jahr 1929 in den früher ent-
standenen Drucken (das sind die Partitur von 1921, der Klavierauszug von
1913 ff.) und auch in den dementsprechenden Handschriften die Takte Z
143/2 und Z 168/2 jeweils noch zum ersten Takt gehören; mit anderen
Worten: aus der Teilung des einstigen ersten Takts entstanden in der
Partitur von 1929 zwei Takte, so daß auch die Ziffern 143 und 168 von da
an nicht mehr aus vier, sondern aus fünf Takten bestehen, und genau das
gilt auch für den revidierten Klavierauszug von 1968.
c) Ziffer 142 ff., 167 ff.: Die Abänderung der feinperkussionistisch,
gegentaktisch auszuführenden Streicherakkorde in Sechzehntel einerseits
und (eher plumpe) Achtel andererseits kam in die DiPa erst 1929 (wahr-
scheinlich auf Anraten Ansermets). Vom optischen Bild her sieht das nun
so aus, als wären die Achtelnoten gewichtiger, als wären sie synkopie-
rend zu betonen. Strawinskys eigentlicher Absicht scheinen aber desun-
geachtet gleichmäßig kurze Sechzehntelakkorde gemäß der Partitur-Ms von
1913 und der 1921er Druckpartitur besser zu entsprechen.
Im KlA-Manuskript und im RMV-KlA läßt sich die ursprünglich gedachte
Sechzehntelgestaltung nur zum Teil nachvollziehen, denn es kommen dort
auch die Achtelakzentuierungen vor, wie sie z.B. in den Bläserpartien
vertreten sind. Immerhin: An der vorhandenen Sechzehntelgestaltung wurde
auch später 1968 bei der Revision des KlA nichts geändert (vgl. dazu
auch die 1943er Wiederherstellung der alten Auffassung; man sollte sich
hierbei auch daran erinnern, erstens, daß Strawinsky sehr starke Impulse
von Rhythmusinstrumenten empfing - die Anfänge seiner Sammlung von Per-
kussionsinstrumenten, Trommeln, Pauken usw., reichen in diese Zeit zu-
rück - und zweitens, daß die Komposition des Sacre am Klavier erfolgte).
Vor allem aber ist zu diskutieren, ob nicht auch und gerade dem Piz-
zicato-arco-Wechsel, wie in der Handschrift (nicht aber ab 1921 in den
RMV-Partituren) angegeben, eine rhythmisch und dynamisch (arco ist
klanglich stärker als pizzicato) belebende Wirkung innewohnt, demgegen-
über die nachträglich eingeführte durchgehende Arco-Ausführung doch als
ein Nachteil erscheint (wenn auch von der Praxis her gesehen, deren
technische Bewältigung natürlich einfacher vonstatten geht; vielleicht
sollte hier eine je nach Lage angepaßte Aufführungspraxis als einver-
nehmlich gutgeheißene Lösung in Betracht gezogen bzw. angeboten werden).
d) Ziffer 180: In diesem Abschnitt blieb im Gegensatz zu den vorher-
genannten Partien die ursprüngliche Sechzehntelgestaltung immer unange-
tastet. Doch wurde auch hier der in der Handschrift vorhandene Pizzica-
to-arco-Wechsel im veröffentlichten Druck zugunsten der durchgehenden
acro-Ausführung aufgegeben (vgl. dazu auch oben die Ausführungen zu Z
53).
Abgesehen davon, daß, soweit zu sehen, der Pizzicato-arco-Wechsel der
drei Stellen vor dem 2013er Versuch der Rekonstruktion der Urauffüh-
rungsfassung unter François-Xavier Roth noch nie aufgenommen worden
ist (siehe hierzu an anderem Ort, in Vorbereitung), unterscheiden sich
bei der Realisation der Danse sacrale dennoch sehr oft und deutlich die
Auffassungen über den anzuwendenden Ausführungsstil. Das liegt zum einen
an weiteren Pizzicato- oder Arco-Problemstellen (siehe unten), zum
andern aber auch an diesem scheinbar so nebensächlichen "Detail", Sech-
zehntelgestaltung oder nicht. Es trägt ohne Zweifel zum Charakter des
Schlußteils bei. Ja, hier geht es in der Tat nicht nur um eine Praxis,
sondern vor allem auch um Stil. Manche Dirigenten interpretieren strikt
kurz, andere halten sich genau an die Kurz-lang-Version, wieder andere
dirigieren - offenbar teilnahmslos - das, was ihnen vom Orchester ge-
boten wird. Strawinsky und Thomas spielen z.B. die präzis kurze Version,
es ist eine Art Staccato-Version, Ansermet vertritt die Kurz-lang-Phra-
sierung, andere dagegen scheinen vom Jazz (genauer: von gutem Jazz bzw.
gutem Swing) beeinflußt zu sein, sie neigen zu einer pulsierenden,
federnden Interpretation (Bernstein etwa).
15a) Ziffer 171 Takt 2 bzw. 172 Takt 5 bis Schluß: große Trommel
Im vorangegangenen Abschnitt war hier und da auf Einsätze der großen
Trommel hingewiesen worden. Damit sollte es aber nicht genug sein, es
lohnt sich vielmehr, auf dieses Stiefkind des Instrumentariums nochmals
gesondert einzugehen, denn so ergibt sich auch die Gelegenheit, darauf
hinzuweisen, nicht zu vergessen, wie sehr dieses tiefe und intensive
Perkussionsinstrument gerade in der Danse sacrale am Klanggeschehen be-
deutsam Anteil hat - und daß es darüber hinaus auch bei Abhörarbeiten
gute Dienste zu leisten imstande ist.
In der Danse sacrale ist die große Trommel nicht sofort mit dabei,
aber wenn sie dann einsetzt, ist sie in der (wie die Jazzer sagen:)
Rhythmusgruppe bis zum Schlußakkord unablässig beteiligt. Die Stelle
ihres Einsatzes jedoch ist nicht immer gleich. Im Manuskript und in der
1921er Partitur des RMV setzt das Instrument im Takt 2 der Z 171 ein
(zu dem merkwürdigen "Aussetzer" in Takt Z 171/5 der DiPa von 1921 siehe
oben), in den Partituren ab 1929 hingegen beginnt der Einsatz erst
in Z 172/5. Das ist immerhin eine in der Regel deutlich wahrnehmbare
Variante, wobei das Vorhandensein des Einsatzes in Z 171/2 ein sicher-
lich markantes Indiz für an Urmaterialien orientierte Aufführungen
liefert.
Eine Randbemerkung, die die trotz der revidierten Ausgabe noch kei-
neswegs abgeschlossene Perkussionsforschung betrifft: Für die in die-
sen Ausführungen des öfteren angesprochene "optische" Einzeichnung der
Schlaginstrumente unbestimmter Tonhöhe gibt die Stimme der großen Trom-
mel in der Danse sacrale möglicherweise ein weiteres interessantes Bei-
spiel ab. So verwendete der Komponist im Ms das Fünferliniensystem, als
Schlüssel entschied er sich für einen indifferenten Anfangsschlüssel.
Geht man nun gedanklich von einem Baßschlüssel als Beschreibungshilfe
aus, beginnt die Einzeichnung in Z 171/2 auf der d-Linie, wechselt ab Z
181/2 zur "Tonhöhe" tief-a, steht ab Z 184/2 auf der g-Linie und steigt
schließlich wieder auf zur d-Linie. Die beiden Schläge in Z 201 (Schluß-
takte) stehen dann allerdings auf der (hohen) a-Linie. In den RMV-Parti-
turen (1921 und 1929) und in den B & H-Partituren bis vor 1967 wurde
ebenfalls ein Fünfersystem verwendet, vorgeschrieben ist hier aber er-
staunlicherweise ein Baßschlüssel. Als "Tonhöhe" fungiert durchgängig
der (mittlere) c-Zwischenraum, doch stehen 1921 in Ziffer 201 die beiden
Schläge im (hohen) g-Zwischenraum, wohingegen sie ab 1929 bis vor 1967
auf der Tonhöhe "c" bleiben. In der revidierten Partitur von 1967 - der
Einsatz beginnt, wie gesagt, erst Z 172/5 - wurde das Fünfersystem durch
eine einzelne, d.h. separate, "tonhöhenfreie" Schlagzeuglinie ersetzt.
Nebenbei: Daß in den alten Druckpartituren der Baßschlüssel gewählt
wurde, hängt sicherlich damit zusammen, daß die große Trommel weitver-
breitet als Baßinstrument aufgefaßt wird und in der Praxis oft, vor
allem in kleinen Tanzmusikensembles, auch als Baßersatz dient(e). Sehr
geläufig ist ja auch die Bezeichnung Baßtrommel, englisch: bass drum.
Im Ms von 1913 und im Notentext der Druckpartituren bis vor 1967 findet
man die für Partituren sehr gängige italienische Version "gran cassa"
vor, dagegen steht in der RMV-Beilage zum 1921er und 1929er DiPa-Druck
innerhalb der überwiegend französisch gehaltenen Instrumentenauflistung
die französische Bezeichnung "Grosse caisse" (Weiteres zu Bezeichnungen
an anderem Ort, siehe dort auch die Abbildung der in der RMV-Beilage
wiedergebenen Besetzungsauflistung).
Wie hier immer wieder deutlich wird, können Ausführungen auch und
gerade im Perkussionsbereich, unterschiedlich ausfallen. Dabei ist na-
türlich nützlich, wenn etwas über die Gründe herausgefunden werden kann,
doch leider ist in vielen Fällen nicht eine so klare Auskunft zu erhal-
ten, wie man das vielleicht erwartet. Denn manchmal ist, wie gezeigt
wurde, die Notation unpräzize, zum anderen finden im Lauf der Zeit auch
Wechsel Eingang, so daß sich ein Fassungsspektrum eingestellt hat. Über-
dies dürften auch klangliche Interpretionsvorstellungen eine große Rolle
spielen und ein möglicher Grund kann zudem in einer eventuell vorliegen-
den instrumentalen Nichtverfügbarkeit zu suchen sein. Wie auch immer, da
Le Sacre du Printemps dem Schlagwerkspiel viel an Wesen und Lebendigkeit
verdankt, ist nach bisherigen Erfahrungen anzuempfehlen, gerade der Per-
kussion besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und dabei wird man ins Stau-
nen kommen, immer wieder tauchen neue unerwartete Varianten auf. Hierzu
ein sicherlich überraschendes Beispiel: In einer 2015 eingesehenen Tam-
am-Ausleihstimme war die Notation eingeklebt worden, in den Ziffern 186
bis inklusive 188 die sechs Schläge der großen Trommel vom Tam-Tam aus-
zuführen, gemeint war offenbar gemeinsam mit der großen Trommel, eine
Variante also, die womöglich zum vorangegangenen "Nachschlag-Duo" Tam-
am/Große Trommel einen interpretatorischen Bezug bilden sollte (Weiteres
dazu siehe eine frühere Erwähnung der vorgefundenen Abänderung).
16) Ziffern 186-188
Auch die Ziffern 186 bis 188 erfahren die unterschiedlichsten Aus-
legungen, was wahrscheinlich (wiederum) mit der Partiturentwicklung
zusammenhängt. Am Beispiel der Z 186 sei das kurz skizziert: Im Pa-Ms
ist bei Z 186/2 für die Streicher "pizz" vorgeschrieben, wobei dies für
die Celli schon für das (später gestrichene) Sechzehntel auf der Drei
des Takts zuvor gilt und genauso auch für das Auftaktsechzehntel ("a")
der Kontrabaß-Stimmen (das Achtel "c" vor dem "a" gibt es noch nicht).
Danach steht in allen fünf Systemen "sempre sim" (Z 186/4). Die 1921er
Druckpartitur folgt dem Ms, außer daß die Pizzicato-Vorschrift fehlt,
"sempre sim." hingegen ist da! 1929 erfuhr die Streichergruppe Änderun-
gen, so ist u.a. die Zweistimmigkeit der Kontrabässe auf eine Stimme
reduziert und diese aus dem Streicherverband herausgelöst und verselb-
ständigt worden (Weiteres siehe unten). Bei den anderen Streichern steht
bei Z 186/2 nun wieder ausdrücklich "pizz.", auch das "sempre sim." ist
- wie bisher - angegeben. Doch in den Partituren der ersten Boosey &
Hawkes-Edition (1948 ff.) ist dann "pizz." erneut NICHT eingezeichnet,
"sempre sim." allerdings wohl. Das ähnelt der 1921er Situation. In der
Neuedition von 1967 schließlich steht weder "pizz." noch "sempre sim.".
Hierbei ist auch zu beachten, daß, wie angedeutet, die Passage Z 186
bis einschließlich Z 188 1929 teilweise umkomponiert wurde. So ist den
Kontrabässen nach dem "sfff"-Schlag (Z 186/1 eins) die ab Z 186/2 immer
wiederkehrende zweistimmige Viersechzehntelfigur genommen worden, ge-
blieben sind ihnen lediglich Grundmarkierungen, für die nun "sempre
marc." (sempre marcato = immer markiert, betont, nachdrücklich) vorge-
schrieben ist. Außerdem haben im Ms und in der 1921er Partitur die
Posaunen und Tuben nach ihrem Akzent auf der Eins des Takts Z 186/1 in
diesen drei Ziffern Pause, anders ab 1929: Hier sind sie nun in das
rhythmische Markierungsgeschehen sehr stark eingebunden.
Desweiteren ist für die Celli, Violen und Violinen bis 1921 nach dem
"sfff" (Z 186/1) für die drei Ziffern - offensichtlich durchgängig - ein
stets wiederkehrendes, diminuendo zu gestaltendes "p" vorgeschrieben, ab
1929 steht aber - offensichtlich ebenso durchgängig gemeint - "f". Die
Kontrabässe sind davon ausgenommen, für sie steht nach der "sfff"-Eins
nie eine Angabe zur Lautstärke, ab 1929 jedoch die Anweisung "sempre
marc." (siehe oben).
Ohne Einbeziehung betreffender Errata-Listen und ohne Berücksich-
tigung der Kontrabässe ab 1929 ergibt sich somit aus den DiPa-Ausgaben
nach dem "sfff"-Schlag auf der Eins des Takts Z 186/1 die folgende Vari-
antenaufstellung, eigentlich müßte man angesichts der Aufnahmenrealität
von einer Aufstellung von so etwas wie "Austauschelementen" sprechen:
1921: leise, Streicher pizz. oder arco? ohne Posaunen + Tuben
1929: laut, Streicher pizz. mit Posaunen + Tuben
1948 ff.: laut, Streicher pizz. oder arco? mit Posaunen + Tuben
1967: laut, Streicher arco (?) mit Posaunen + Tuben
Die fünfte Notentextversion liefert, wie oben angedeutet, das Pa-Ms
(wobei, das sei nicht vergessen, dem Kontrabaß-System zwar "pizz" beige-
geben ist, aber - genau wie 1921 - keine "p"-Vorschrift):
1913: leise, Streicher pizz. ohne Posaunen + Tuben
16a) Ziffern 189-191
In diesen Ziffern haben die Posaunen und Tuben seit eh und je Pause,
doch das Arco- oder Pizzicato-Problem hinsichtlich der Streicher bleibt
bestehen, insofern nämlich, als nicht klar ist, ob die vorangegangene
letzte Vorschrift weiter gilt, ob also pizzicato oder arco gespielt
werden soll. Ja, das Problem verschärft sich sogar noch. Denn im Par-
titur-Ms beginnt schon hier vorgeschrieben die eng aufeinander folgende
alternative Ausführung "pizz" und "arco", die nachfolgend im Zusammen-
hang mit der neuen Motivik beispielhaft beschrieben ist, oder besser
gesagt: angesprochen wird.
17) Ziffern 192-201
Wie schon angedeutet: Über die Ausführung der Streicher gehen auch
hier die Meinungen auseinander. In der 1921er DiPa ist genau wie im Ma-
nuskript ein nahezu ständiger Wechsel zwischen arco und pizzicato vorge-
schrieben. So folgen z.B. auf Arco-Anstiege Pizzicato-Gegenakzente. Aber
schon in der Errata-Liste zur 1921er Ausgabe der RMV-Partitur {*1} sind
diese Vorstellungen revidiert durch die folgende schon ab Z 186 geltende
Anweisung (RMV-Beilage, 2. Abteilung, Errata, S. 3):
"Dès (186) à la fin, supprimer toutes les indications
pizz. et arco aux cordes, qui jouent arco tout le temps."
{*1} Und allem Anschein nach auch der Partitur "Neue Fassung 1929"
beigelegt worden war (siehe die Ausführungen an anderem Ort).
Im DiPa-Text selbst erschien die erste Änderung 1929: Die Vorschrif-
ten für die Kontrabässe (Kontrabaß-Grundmarkierung), die 1921 noch bis Z
198/2 (Boosey & Hawkes: Z 198/1 und 2 {*1}) fast durchgehend {*2} eben-
falls einen Arco-Pizzicato-Wechsel forderten, wurden gestrichen. Offen-
bar soll nun die Arco-Ausführung durchweg angewendet werden. 1948 ent-
fielen dann in der DiPa gemäß der RMV-Errata-Liste auch für die anderen
Streicher alle Arco-Pizzicato-Angaben, so daß heute bei den Gegenschlä-
gen bis Z 200/4 (B & H: Z 200/5) und sogar bei den dazwischenliegenden
"ruhigen" Stellen ohne Akkordschläge Z 192/2, 193, 194 und 195/2 und 3
(B & H: Z 192/3 und 4, 193, 194, 195/3 und 4) bezüglich pizzicato und
arco in der Interpretation einiges an kunterbunter Vielfalt herrscht.
Beachte: Die Ausführung der Arco-Pizzicato/Pizzicato-Arco-Wechsel
(Handschrift: Z 189 ff., DiPa 1921: Z 192 ff.) mögen einen gewissen
Schwierigkeitsgrad mit sich bringen (deswegen stoßen sie auch auf hef-
tige Ablehnung), sie reduzieren aber Massivität und sorgen für eine
kammermusikalische Klangdifferenzierung, zudem ermöglichen sie in den
gegebenen Grenzen dynamische Steigerungen und tragen somit zum Span-
nungsaufbau bei. Das alles gilt ganz besonders für die Kontrabaß-Grund-
linie ab Z 192 ff., die gerade durch eine "spielerische Abwechselaus-
führung" (wie im Ms und in der DiPa 1921 eingezeichnet) entscheidend zur
Auflockerung des Klangs beitragen kann. Allerdings sei nicht verkannt,
daß diese Ausführung von Bassisten einiges an Fertigkeit abverlangt
(und außerdem Arbeit bedeutet, das auch noch kurz vor Schluß).
{*1} Da im Allgemeinen die 1921er RMV-Partitur nicht greifbar ist,
wohl aber in Fachbibliotheken die eine oder andere Ausgabe aus dem
Haus Boosey & Hawkes (1948 ff. bzw. 1967), dürfte es, um Mißverständ-
nissen vorzubeugen, hilfreich sein, auf die neuen Taktverhältnisse
hinzuweisen, die seit der 1929er RMV-Partiturausgabe ("Neue Fassung
1929") und den darin vorgenommenen metrischen Neuaufteilungen beste-
hen.
{*2} Gelegentlich scheinen Angaben zu fehlen, z.B. von Z 197/3 bis
Z 198/1 eins: "arco" (diese Aussage gilt so auch für das Pa-Ms).
Ziffer 192 ff.: "arco", "pizz." und Fragen
RMV-Partitur 1921 (Taschenpartitur) - Beispiel: Auszug um Ziffer 195
Zum Notenbeispiel:
(1) Mißplaziertes "arco"?
(2) Akkordischer Gegenschlag: "pizz.", aber
(3) wie danach weiter: "pizz." oder "arco"?
(4) "pizz.", doch wie das "a" davor? Steter Wechsel "arco" - "pizz."?
Beachte: Seit 1948 sind ab Z 192 alle "pizz."- und "arco"-Vorschrif-
ten gestrichen. Als Ausführung gälte demnach durchweg arco.
18) Ziffer 201
Zunächst zu den beiden Schlußakkorden: Sie werden in Strawinskys Auf-
nahme von 1929 durch Beckenschläge unterstützt, die aber in keiner Par-
titur eingezeichnet sind und die auch seine nachfolgende Aufnahme von
1940 nicht aufweist. In Ansermets Einspielung von 1957 erklingt auf dem
ersten Schlußakkord ein Beckenschlag, auf dem zweiten nicht, aber vor
diesem letzten Akkordschlag ist das Ratschen des lateinamerikanischen
Guero zu hören, dessen Einsatz an dieser Stelle sowohl in der Hand-
schrift von 1913 als auch in der RMV-DiPa von 1921 vorgeschrieben ist.
Alle dieser Ausgabe von 1921 nachfolgenden Partituren der Drucklinie RMV
und Boosey & Hawkes haben am Schluß den Guero nicht mehr {*1}. In Auf-
führungen ist das Guero-Ratschen eine absolute Seltenheit. Auch in den
drei Schallplatteneinspielungen Strawinskys ist davon nichts zu hören,
doch schimmert 1940 ein Metallklang durch. Weitere Beispiele für die
Schlußgestaltung: zwei Beckenschläge bei Monteux 1945 und 1951, keine
Beckenschläge bei van Beinum 1946 und Bernstein 1951.
{*1} In der Tat ist die Streichung eine erst in der Partitur von 1929
erfolgte Änderung, denn in der RMV-Errata-Beilage von vor 1929 ist
von der Streichung noch keine Rede (siehe auch weiter unten bzw. frü-
here Ausführungen dazu).
Auf das breite Variantenspektrum im Bereich der Perkussionsinstrumen-
te kann im Rahmen dieser kurzen Auflistung von Stellen nicht mehr als
aufmerksam gemacht werden. Man sei darauf gefaßt, daß immer wieder uner-
wartete Abweichungen vorkommen (Thema: Nachlässigkeit, bewußte Änderun-
gen oder nicht?). So scheinen z.B. in der Bernsteinschen Aufnahme von
1951 in Z 139 die Beckennachschläge nicht gespielt zu werden, während in
Ansermets Aufnahme von 1957 in Z 152 Takt 2 und 3 vom Tam-tam-Klang
nichts zu hören ist.
Zum Guero-Einsatz vor dem Schlußschlag noch ein paar Gedanken: Vom
Manuskript und der 1921er Druckpartitur her geurteilt, scheint Strawin-
sky bei der Einzeichnung einiger Perkussionsinstrumente sehr oft "op-
tisch" vorgegangen zu sein. "Optisch" soll umschreiben, daß der Kompo-
nist beispielsweise für die Gran Cassa im Fünfer-Notenliniensystem gele-
gentlich unterschiedliche Notenlinien verwendet. Das verschafft den be-
gründeten Eindruck, er hätte hierbei in Klangvorstellungen wie höher und
tiefer gedacht, was ja bei Trommeln durchaus möglich ist.
Ähnlich beim Guero-Einsatz in Takt Z 201/3 auf die Eins des Takts 4
(= Schlußschlag) hin: In der DiPa von 1921 sollen seine vier Sechzehntel
vor dem Schlußschlag geraspelt werden, aber schon mit dem Sechzehntel
davor, dem quasi auftaktigen Schlußsechzehntel des vorletzten Takts (Z
201/3), einsetzen. Das geht rein rechnerisch nicht. Doch es scheint, daß
mit diesem Satzbild Folgendes deutlich gemacht werden sollte: Nach dem
Quasi-Auftaktschlag zum Schlußschlag soll eine Schrecksekunde lang
Stille herrschen, während der, wie aus Donnerschall und heiterem Himmel
kommend, nur das Guero-Ratschen erklingt, das dann im Schlußschlag
endet. Es soll also anscheinend der "feurige" Schluß lateinamerikani-
scher Tänze (Habanera, Tango usw.) nachgeahmt werden. Wenn man sich das
vorstellt und diese Ausführung akzeptiert, ist auch die metrisch unlogi-
sche, eben "optische" Einzeichnung des Guero-Einsatzes problemlos nach-
vollziehbar (Abbildung der Perkussionsgruppe mit dem Guero-Einsatz aus
der 1921er Druckpartitur siehe an anderem Ort, zur "optischen" Darstel-
lung im Partiturautograph siehe die Abbildung unten).
Olé
In den frühen Bühnenstücken Feuervogel und Petrouchka kommen allerlei
lärmende, nahezu "schreihalsige" Elemente vor, manches erinnert an Zir-
kusatmosphäre, wie etwa schrille Peitschenhiebe bei Dressurakten oder
wie per Pfiff und Getolle in die Manege hereinplatzende Clown- oder
Affengruppen. Strawinsky war ein vom Zirkus sehr angetaner Komponist;
der Petrouchka-Jahrmarkt zeigt es, die Zirkuspolka für einen jungen Ele-
fanten ist daher kein Wunder und der Schluß des Sacre auch nicht, schon
gar nicht der vor 1929 existierende, also derjenige mit dem Guero-Ein-
satz. Dieser Schluß scheint im übrigen, nach dem notengraphischen Bild
in Manuskript und 1921er Partitur zu urteilen, vielleicht gar nicht nur
einem lateinamerikanischen oder mexikanischen Tanzschluß nachgezeichnet
zu sein (siehe dazu oben und an anderem Ort), es könnte nämlich für die
Klangbildvorstellung genau so gut das Olé eines Stierkampfs eine Rolle
gespielt haben.
Der lange jung gebliebene Strawinsky, damals vielfach selbstverliebt
in Dandy-Klamotten posierend (Gentleman-Hut, neumodische Weste, Hosen
bis zum Nabel, Spazierstock, Gamaschen usw.), hatte an so etwas ganz
offensichtlich seinen juvenil revoltierenden Spaß. Mit zunehmendem Alter
aber kam für den Komponisten eben auch Distanz auf, nach und nach den
Lebensdingen etwas anders zu entsprechen, und von dieser Entwicklung
könnte auch sein Werk Le Sacre du Printemps beeinflußt worden sein.
Eine Frage stellt sich deshalb: Erhielt die Komposition für ihn peu à
peu die eine oder andere sinfonische Beibedeutung? Denn ursprünglich ist
da doch eine Nähe zur Comedy Show, zum Vaudeville kaum zu leugnen (siehe
dazu z.B. die Abbildungen in der Pariser Theaterzeitung "COMŒDIA" von
der 1921er Pariser Aufführung). Eine Art vermeintlicher Läuterung oder
Erhebung? Insofern könnte das im großorchestralen Verband sicherlich als
besonders clou-artig empfundene Sechzehntel-Ratschen des Guero ein ein-
schlägig charakteristisches Detail sein und dessen Retusche in der spä-
teren Partiturentwicklung ein, wenn auch kaum wahrnehmbares, Zeichen für
eine künstlerische Entwicklung. Unmöglich wäre somit nicht, daß hier ein
erster Aufhänger vorliegt für eine Diskussion über das Thema "die 1967er
Partitur eine Fassung letzter Hand". Eines steht jedenfalls fest: Stra-
winsky fand (ganz nach Art eines engagierten Komponisten) im fortge-
schrittenen Alter eine überbetonte Wahrnehmung eines seiner Werke, in
diesem Fall: des Sacre, als wenig hilfreich an, wahrscheinlich erschien
ihm das sogar als in höchstem Maß einengend, als bedrohlich fast. Wie
auch immer, aus dem weiter unten wiedergegebenen Zitat spricht eindeutig
Verdruß, zu übersehen ist das wirklich nicht. Und diese seine Verärge-
rung ist angesichts der kompositorischen Qualität etlicher nachfolgender
Werke auch ohne weiteres nachzuvollziehen.
Nebenbei: Was hätte der Strawinsky mit der Sacre-Erfahrung zu dem
größenwahnsinnigen, 2013 landauf landab gefeierten Ausdruck "Jahrhun-
dertwerk" gesagt, der sich womöglich irgendwann zu "Jahrtausendwerk"
steigert? Zweifellos, das sind die Podeste, die grandiose Beurteilungs-
fähigkeit und Gleichrangigkeit andeuten, wenn nicht sogar dokumentieren
sollen. "Avatar of Modernity" (siehe oben) ist eine ähnlich seltsame
Titulierung: mystisch, geheimnisumwittert, schillernd, grotesk, nichts-
sagend. So etwas kann wohl nur Nichtkomponierenden einfallen. Das ist es
nämlich: Mit einer Tag ein Tag aus betriebenen Beschäftigung mit Theorie
kommt leicht die Gefahr auf, zu sehr von der im Grund passiven Seite aus
eingeengt nur noch Material zu sehen und verantwortungsbewußtes komposi-
torisches Dasein mit seiner Realität, mit seinen Schwierigkeiten und
Tragiken aus den Augen zu verlieren.
Ziffer 201 Takte 3 und 4: Guero, Kontrabässe, Celli und Fragen
Pa-Ms
Zum Notenbeispiel:
a) Systeme von unten nach oben: Kontrabässe, Violoncelli (Tenor-
schlüssel), Violen (Altschlüssel), Violinen II, Violinen I, leer,
Piatti (gemeint ist sicherlich Piatto, Becken, indifferenter
Schlagzeugschlüssel), Gran cassa (große Trommel, indifferenter
Schlagzeugschlüssel), Hilfslinie: Guero
b) Guero: Wie zu sehen, ist auch in der Handschrift die oben ange-
sprochene "optische" Notierung des Guero-Einsatzes belegbar, d.h.,
so wie da eingezeichnet, sollen die vier "Sechzehntel" als ein zum
Schlußachtel gehöriges Vorwegratschen aufgefaßt werden, aber (et-
was anders als im 1921er Druck) kurz NACH dem Sechzehntelakkord
der Streicher und Flöten (diese hier nicht sichtbar) - beim kurz-
zeitigen "Atemholen" sozusagen - beginnen. Trotz des kleinen
Unterschieds ist das im Grunde dennoch genauso eine "imaginäre"
Notendarstellung, wie sie auch in der 1921er DiPa angewendet
wurde, nur daß eben dort die vier "Pseudosechzehntel" mit dem
Sechzehntelakkord auf "drei und" einsetzen (sollen), was alles -
und dessen sollte man immer gewahr sein - schon rein rechnerisch
so nicht aufgeht (siehe dazu oben, außerdem die Abbildung der
Perkussionsgruppe der 1921er Druck-DiPa an anderem Ort, dort
findet man auch weitere Ausführungen zur mutmaßlich "optischen"
Klangnotierung Strawinskys vor).
c) Kontrabässe: In allen Partituren der RMV/B & H-Linie bis heute ist
im Schlußakkord der tiefste Ton der Kontrabässe ein "d", der aber
nur auf "Fünfsaitern" produzierbar ist. Und hierauf bezieht sich
die Anweisung Strawinskys in der Handschrift, die im übrigen in
keiner RMV- oder B & H-Partitur auftaucht: "Le re [richtig: ré]
grave [/] sur la corde 'Ut'". Es muß also mindestens ein fünf-
saitiger Baß dabei sein oder es muß, wenn nur viersaitige Bässe
präsent sind, mindestens einer der Bässe schnellstens herunter-
gestimmt werden. von "e" nach "d": ein Ganzton, ob das geht? Die
Stimmung des üblichen Kontrabasses ist: E A d g, eines fünfsaiti-
gen üblicherweise: C E A d g (in beiden Fällen eine Oktave tiefer
klingend). Die Baß-Problematik entsteht aber nicht erst hier, vgl.
Z 49 ff. (es), Z 68 f. (dis), Z 71/5 (c), Z 86/5 (es), Z 98 (d,
es), Z 121 ff. (dis), Z 129 f. (d), Z 138 ff. (c, d) (siehe auch
oben unter Danse sacrale) {*1}. Zu diesem Thema liegen derzeit
(noch) keine weiteren Recherchen und Überlegungen des Verfassers
vor.
{*1} Betrifft Ziffer 97: Eine Baßverstärkung durch Kontrabässe
kommt in keiner Partitur vor, das tiefe "cis" der Celli ist nur
von ihnen zu spielen. Beachte hierbei: In der neugesetzten Parti-
tur von 1967 ("Re-engraved edition 1967") fehlt in Z 97/1 in der
Celli-Stimme für die Takte 1 bis 4 die Umbenennung des zuvor gül-
tigen C-Schlüssels, richtig wäre ein Baßschlüssel (zu spielen sind
Pizzicato-Akkorde cis/dis); bei den beiden restlichen Takten, Z
97/5 und 6, die auf der nächsten Partiturseite stehen, ist dieser
Druckfehler nicht vorhanden, es ist richtigerweise ein Baßschlüs-
sel gesetzt worden. Die RMV-Partitur von 1921 und alle ihre spä-
teren direkten Editionsableitungen haben diesen Satzfehler nicht,
allerdings sind da in Z 97 den Celli - eigentlich unnötigerweise -
zwei Systeme zugeteilt worden, und die somit gleichen (!) Noten-
texte sind auch noch mit "Celli / div." gekennzeichnet, obwohl (in
allen Partituren) als Ausführung arpeggierendes pizzicato (Schlan-
genlinie, pizz.) vorgeschrieben ist, was hier niemals divisi - die
eine Hälfte der Celli zupft "cis", die andere "fis" - gemeint sein
kann. Im Ms von 1913 gibt es denn auch für die Celli nur ein ein-
ziges System, "div." ist nicht angegeben, dafür aber "unis" (uni-
sono), das wiederum in allen Druckpartituren fehlt bzw. in der
1967er Ausgabe erst beim Seitenwechsel in Z 97/5 hinzukommt, wobei
da jetzt auch die Verdopplung gestrichen ist, die die vier Takte
zuvor wiederum aufweisen (zum fehlenden Baßschlüssel siehe oben,
das zuvor gültige "Vc. [/] div." hätte durch "unis." aufgehoben
werden müssen).
d) Celli: Die übliche Cellostimmung ist C G d a. Strawinsky fordert
nun aber für den Schlußschlag (Z 201/4) auf der a-Saite ein "gis".
Da auch die d-Saite gespielt werden soll, behilft er sich mit der
- im Ms und in allen Druckpartituren ab 1929 vorhandenen - Anwei-
sung "Descendez le 'la' un [/] demi-ton plus bas". In der Partitur
von 1921 lautet die Anweisung etwas abgewandelt: "Descordez le
'la' un [/] demi-ton plus bas". Da in der teilrevidierten Partitur
von 1929 die letzte Seite zu den neu gestochenen Seiten gehört,
kam es offensichtlich auch zu dieser Rekorrektur.
Beachte: Im Ms und in der 1921er Partitur steht im Takt zwei der
Ziffer 201 u.a. in der Stimme der Violini I eine Generalfermate
"lunga ad lib." (siehe unten). Ob aber dieses Verweilen für ein
"stimmiges" Herabstimmen der Celli ausreichen kann, oder auch im
Fall der Fälle zudem noch für (wenigstens) einen Kontrabaß, ist
eine naheliegende einfache Frage, die aber sehr schwer zu beant-
worten ist, ja sogar seit der Partitur von 1929 wohl den Schein
der Unbeantwortbarkeit angenommen hat, denn eine Fermate gibt es
von da an nicht mehr, d.h., ein Anhalten ist nicht mehr vorgese-
hen, laut Notentext jedenfalls. Liegt hier somit eine Unausführ-
barkeit vor?
Wie auch immer, in der Regel dürften irgendwelche "stimmigen" Un-
gereimtheiten im "sfff", im Blitz und Donner des Schlußschlags
untergehen. Doch es bieten sich auch Auslassungen an: "gis" haben
Hörner und Posaunen, "d" kommt von Hörnern und sogar von Pauken,
potentielle Krachmacher, Übertöner. Außerdem: Das Kontra-"d" der
Bässe haben diese eine Oktave höher sowieso im Klangspektrum.
Man übersehe bei alldem übrigens nicht, daß der Komponist bei den
Kontrabässen und Celli ein irgendwie geartetes, ausweichendes
Nacheinander der Töne nicht möchte: "non arpeg[g]iato." steht im
Ms, und auch in allen RMV- und B & H-Editionen ist diese Anweisung
(richtig geschrieben) vorhanden. In der "1967er Fassung" der Leih-
stimme (Materialsatz dieser Fassung April 2015 eingesehen) lautet
die (gedruckte) Anweisung "muta A in G#". Über den Pausen in Takt
201/2 hatte der Stimmführer eine Fermate eingezeichet, die auch
die Konzertmeisterstimme aufwies. Andere der betroffenen Stimmen
hatten diese Einzeichnung nicht. Somit war hier offenbar eine
mündliche Absprache gewünscht und nötig. Eine andere Lösung des
Gis-Problems ist in der Stimmführerstimme des von der New York
Philharmonic ins Internet gestellten Materials (neuerer Satz)
eingezeichnet: Der Schlußakkord wird auf zwei Pulte verteilt
(Näheres in Vorbereitung).
Zweifellos ein interessanter Fall für eine Abhörarbeit. Doch endet
diese im Allgemeinen in unsicheren, unbefriedigenden Resultaten,
allein schon weil der Schlußschlag sehr, sehr kurz und meist über-
aus laut "gestaltet" wird. So können "mulmige" Klänge auch genau
so gut mit der jeweiligen (schlechten) Akustik und/oder mit Män-
geln der Aufnahmequalität zusammenhängen. Der Schlußschlag eben
mehr oder minder doch nur ein Geräusch? Vielleicht ist das sogar
so gewollt, zumindest seit 1929?
Dem wundersamen Schluß geht im Ms ein noch wundersameres Detail
voran:
Ziffer 201 Takt 2: Piatto, Violinen I, lunga ad lib.
Pa-Ms
Zum Notenbeispiel:
a) Systeme von unten nach oben: Kontrabässe, Violoncelli (Tenor-
schlüssel), Violen (Altschlüssel), Violinen II, Violinen I, leer,
Piatti (sicherlich: Piatto), Gran cassa (jeweils indifferenter
Schlagzeugschlüssel)
b) Der oben angesprochenen "optischen" Einzeichnung des Guero-Rat-
schens ähnelt, wenn auch mit ganz unterschiedlichem Klangeffekt,
im Takt davor (Z 201/2) - vom Ms ist hier die Rede - die Notation
der 64tel-Strecke der ersten Violinen (siehe oben das Notenbei-
spiel).
Diese produzieren mit ihrer großen Septime g/fis ein sphärisch
leises Zittern von "ungewisser" Dauer ("lunga ad lib."), wobei
diesem Zittern noch ein Triller des Englisch-Horns auf (klingend)
f/ges, ebenfalls "lunga ad lib.", beigemischt ist. Eine Klang-
fläche also, die zusammen mit dem abtaktig auf der Zwei notierten
fff/sfff-Orchesterakkordschlag einsetzt, dies allerdings leise
("p"), und leise soll die Fläche offenbar auch bleiben, wie die
"p non cresc."-Anweisungen zu den nachfolgenden Flötenaufgängen
(hier nicht abgebildet) nahelegen. Keine Lautstärkesteigerung
also, die Fläche ist als ein klassisches Überraschungs-Piano ge-
dacht, dazu noch "sul ponticello" auszuführen (siehe unten).
Eine weitere Farbe zu dieser wirkungsvoll kontrastierenden Stelle
steuert das Anschlagen eines Beckens bei (vorgezeichnet ist in der
Instrumentenbenennung "Piatti", gemeint ist aber sicherlich "Piat-
to", ein einzelnes Becken also). Dieses soll mit einem harten
(Filz-)Schlegel, vielleicht einem solchen nach Marimba- oder
Glockenspielart, angeschlagen, dann aber scheinbar sofort abge-
dämpft werden: "colla bacch. [bacchetta] dura [/] ettoufez [rich-
tig: étouffez; étouffer = (ab-)dämpfen, drosseln, "abwürgen"].
Der Piatto-Einsatz kommt in keiner der RMV/B & H-Orchesterpartitu-
ren vor, ganz abgesehen davon, daß auch sonst der Gesamtklang der
Stelle allmählich eingeschränkt wurde, so ist schon in der DiPa
von 1921, abgesehen vom Piatto, auch in der Stimme des Englisch-
Horns die Angabe "♭" für die Trillerwechselnote (einst also
"ges") nicht mehr vorhanden, aus dem 64tel-Schwirren wurde eine
zumindest theoretisch langsamere 32tel-Ausführung und schließlich
entfiel später sogar die "lunga ad lib."-Anweisung, wobei zugleich
aus dem zunächst metrisch freien Takt ein regulärer, ein "mechani-
scher" Takt wurde. Die Entwicklung sieht in etwa wie folgt aus:
Ms 1913: Skizzenhafter, "rechnerisch inkorrekter" 4/16-
oder 5/16-Takt
Violinen I: 64tel-Fläche, lunga ad lib. mit Fermate
Englisch-Horn: Triller f/ges, lunga ad lib. mit
Fermate
DiPa 1921: Etwas nachgebesserter 5/16-Takt, in etlichen
Systemen aber immer noch "skizzenhaft" {*1}
Violinen I: 32tel-Fläche, lunga ad lib. mit Fermate
Englisch-Horn: Triller f/g ("g" Fehler?), lunga ad
lib., keine Fermate
DiPa 1929 ff.: 3/4-Takt, wobei der Wert der Crescendo-Aufgänge der
Flöten rein rechnerisch nicht stimmt, es fehlt ein
Balken: Die 9/16 müßten 9/32 sein (Weiteres siehe
unten).
Violinen I: 32tel-Fläche, ohne lunga ad lib., keine
Fermate
Englisch-Horn: Triller f/g ("g" Fehler?), ohne
lunga ad lib., keine Fermate
Beachte: Dies ist wiederum ein Beispiel dafür, welche interpreta-
torischen Möglichkeiten im Partiturmanuskript stecken, aber auch
dafür, daß "jenseitig" wirkende Klänge, wie man sie beispielsweise
im fortgeschrittenen Werk Mozarts vernehmen kann, auch mit unge-
wöhnlichen oder ungewohnten Mitteln gestaltet werden können, wie
eben hier im Takt Z 201/2 des frühen Sacre.
{*1} So ist z.B. sowohl im Ms von 1913 als auch in der DiPa von
1921 dem Englisch-Horn ("Cor.ingl.") nach einer Pause (!) eine
ganze (!) Note zugewiesen, die, versehen mit der Anweisung "lunga
ad lib.", zu trillern ist. Auch hier fällt wieder auf, daß die
ganze Note eigentlich zur schon öfters angesprochenen Art der
"optischen" oder "imaginären" Notation gehört. Und so ähnlich
anzusehen sind wohl auch in der Handschrift die in diesem Takt Z
201/2 in nahezu allen Systemen eingezeichneten Fermaten über
NICHTS (!), die aber natürlich, drei Takte vor Ende der Schreib-
arbeiten, auch als eine Art abgekürzte Schnellschrift verstanden
werden können; kurios ist dabei aber, daß etliche von diesen
"leeren" Fermaten auch 1921 im Druck auftauchen.
Im KlA ist diese fantasievolle, fantasieartige Stelle etwas anders
gestaltet; was insbesondere für die noch metrisch freie Lunga ad
lib.-Version in den Originalmaterialien, Manuskript bzw. RMV-
Druck, gilt {*a}. Und zwar ist sie da auf eine Art anders, daß sie
vielleicht mit zu den vielen Indizien zu zählen ist, die die Auf-
fassung bestärken können, daß der KlA in welcher Form auch immer
dem Orchestermanuskript vorangegangen sein muß, mögen die (angeb-
lichen) Abschlußdatierungen der Handschriften auch einen anderen
Eindruck nahelegen (Pa: 23. Februar jul./8. März.greg. 1913, KlA:
2.jul./15.greg. April 1913).
{*a} Unterschiedliche Schreibweise der Lunga ad lib.-Anweisung
in den Originalquellen: Im KlA-Manuskript lautet sie " lunga ad
libit.", im KlA-RMV-Druck dagegen "lunga ad lib".
Besonders aufschlußreich ist auch, wie sich der Klang der großen
Septime g/fis wandelte. Im KlA ist sie als Tremolo, in den Orche-
sterpartituren dagegen als eine "sul ponticello" auszuführende
"szintillierende" Fläche dargestellt.
Dem Vernehmen nach heißt es, einen Triller "sul ponticello" (= am
Steg) auszuführen, ergäbe in der Regel keine befriedigenden Klang-
ergebnisse. "Zu dünn, zu substanzlos" lauten Auskünfte.
Wikipedia gibt für "sul ponticello" folgenden Erläuterung (einge-
sehen am 7.6.2914): Es sei eine Spielanweisung, bei welcher der
Bogen möglichst nahe am Steg geführt werden soll, wodurch hohe
Obertöne angeregt, ein obertonreicher Klang, eine insgesamt
scharfe Klangfarbe erzeugt würde; im Gegensatz dazu stünde der
weiche Klang des flautando, oft mit "sul tasto" angezeigt. Andere
Quellen (z.B. Willi Apel, Harvard Dictionary, 1944) geben Klang-
beschreibungen wie "glassy" (gläsern), wieder andere deuten auf
"metallisch" hin.
Im Pa-Ms und in der DiPa 1921 kommt die Fläche leise aus dem auf
der Zwei notierten fff/sfff-Schlag hervor, sie setzt also nicht
erst wie das Tremolo im KlA-Ms und RMV-KlA auf dem dritten Sech-
zehntel, also NACH dem Akzentschlag, ein. Mit anderen Worten: im
Partitur-Ms wurde entweder auf der Zwei ein Sechzehntel vergessen
(wohl kaum) oder was da zu sehen und zu hören ist, ist eine an-
dere, eine neue Idee, deren Klangvorstellung in der Entscheidung
für die "sul ponticello"-Fläche endete.
Man beachte hierbei, daß der Takt im KlA ein vollständiger 5/16-
Takt ist, im Pa-Ms aber ein freies, unvollständiges "4/16"- oder
"5/16"-Etwas.
Wie auch immer, dieser Detailunterschied, ob Malheur (wohl kaum),
ob orchestrale Idee (sicherlich), ist in der DiPa von 1921 fest-
geschrieben: Die Fläche setzt auf der Zwei ein, wenn auch der
Takt, zumal für einen Notendruck, immer noch in einem merkwürdi-
gen skizzenhaften, unvollständigen Zustand zu sein scheint. Aber
vielleicht ist das überhaupt nicht so zufällig, und es steckt eben
einiges an Bedachtsamkeit drin.
Nachvollziehen läßt sich übrigens dieser Detailunterschied trotz
des neuen 3/4-Takts auch in den revidierten Materialien (DiPa von
1967, KlA von 1968). Und sollte die ursprüngliche Pa-Version wirk-
lich zunächst ein Schreibfehler gewesen sein, so zeigt allein ihr
Weiterbestehen in der revidierten, neugestochenen Orchesterparti-
tur von 1967, daß sie spätestens dann ein gewolltes Produkt gewor-
den war.
Demgegenüber blieb jedoch im revidierten KlA von 1968, dessen
letzte Seite zu den neugestochenen gehört, trotz aller äußerlichen
Anpassung die ursprüngliche Struktur des Takts erhalten, wie das
auf dem dritten Sechzehntel einsetzende g/fis-Tremolo eben auch.
Erhalten geblieben ist ebenso der schnelle Wechsel (Triller) f/
ges, der in der Partitur, dem English-Horn zugewiesen, so nicht
mehr existiert bzw., wie es scheint, zu f/g abgeändert wurde
(eigentlich eine unerklärliche "Korrektur").
Es kann also nicht genug betont werden, auf Indizien zu achten für
die These, Le Sacre du Printemps sei handwerklich am Klavier kom-
poniert worden, und offenbar auch mit der Absicht, so etwas wie
eine verhältnismäßig eigenständige Klavierfassung anzufertigen.
Somit wäre dann aber auch über die Begriffe Auszug und Réduction
nachzudenken (Weiteres siehe die Ausführungen in Fußnote 5).
Vielleicht aber war die orchestrale Idee von Anfang an da, dann
wäre auch die Frage interessant, ob überhaupt der Klaviersatz
hätte so eingerichtet werden können, daß sich das g/fis-Tremolo
nahtlos aus dem sfff-Akzent entwickeln kann, eine Frage, deren
Beantwortung sich sowohl satz- als auch spieltechnisch kniffelig
gestaltet, zumal in den Klavierauzügen nicht nur "p", sondern
"pp" vorgeschrieben ist, für einen solchen Triller - nach einem
sfff-Akzent! - eine extrem hohe Schwierigkeitsstufe.
c) Das Wort im System der Kontrabässe, geschrieben von Strawinsky,
soll wohl Занавес bedeuten (= Vorhang), einige Systeme darüber
steht dazu passend "Rideau", ebenfalls in Strawinskys Handschrift.
Somit erhält das Anhalten "lunga ad lib." noch eine weitere
Aufgabe.
19) Interpretatorische Besonderheit
Le Sacre du Printemps, ein Arbeitsfeld der Auslegungskünste ver-
schiedenster Art. Somit trifft man auch immer wieder auf Überraschungen.
Die unverhoffteste und wohl geistreichste fand sich in einer Taschenpar-
titur der Pre-1967er-Druckfassung (genauer gesagt, es war ein Exemplar
der mutmaßlich zweiten, um 1950 erschienenen Auflage der im April 1948
gedruckten Boosey & Hawkes-Nachkriegsedition der Taschenpartitur). Auf
der letzten Seite (S. 139) steht in diesem Exemplar über und unter den
Systemen mit Kuli und in routinierter Handschrift notiert:
"Poco - a - poco - dim. ----------- Grave"
Man beachte hierbei: "Grave" ist den beiden Schlußakkorden zugordnet.
Es raubt einem dieser Gegensatz fast den Atem. Nach dem gegebenen "Poco
a poco cre - scen - do" auf der Seite zuvor und angesichts der gewohnten
Theaterknaller ("sfff") des Sacre-Schlusses dieses Ausklingen, eine
solche Nachdenklichkeit. Das wirkt schon abenteuerlich, steht jeder
Werktreuestarre und -panik entgegen, ist aber höchst intelligent. Davon
hätte der Komponist wohl etwas lernen können - oder doch nicht? (Vgl.
hierzu an anderem Ort die Anmerkungen zu dem 2013 aufgefundenen Extra-
Schluß). Im Übrigen ist eine mit der "Kuli-Gegendynamik" ausgestattete
Aufnahme bis jetzt noch nicht entdeckt worden. Doch die Aufmerksamkeit
lohnt sich.
{*7} Die 1929er StPa unterscheidet sich rein äußerlich von der 1921er
StPa durch den (gedruckten) Pseudo-Copyright-Hinweis auf der ersten No-
tenseite: Edited by F. H. Schneider. Er wurde in der (alten) Boosey &
Hawkes-DiPa bzw. -StPa bis 1966 beibehalten (letzte Ausgabe des alten
Notendrucks, DiPa: 1965, StPa: 1966). In den beiden RMV-Ausgaben der
DiPa, 1921 und 1929, ist er, so jedenfalls bei den eingesehenen Exempla-
ren, nur nachträglich eingestempelt.
{*8} Die Titelgebung (Titel und Untertitel) der StPa ist auf englisch
und französisch abgefaßt. Der englische Untertitel beginnt wie "Revision
4" mit: Pictures from... Druck 8.66 hat im Copyright-Block wie "Revision
4" und "Revison 5" 1947, d. h. "Copyright assigned 1947 to..."
{*9} Die Angaben zur Entstehungszeit für "Revision 4" und "Revision
5" (erste Notenseite) lauten - schon wegen der langen komplizierten
Geschichte wenig plausibel - wie folgt: DiPa "Revision 4" und KlA
"Revision 5": Revised 1947; DiPa und StPa "Revision 5": Revised 1947/New
edition 1967". StPa Druck 8.66 (siehe unter "Revision 3") hat ebenfalls
"Revised 1947".
Der KlA enthält keinen Hinweis auf 1967, New edition usw.; Titelge-
bung wie Druck 12.52, allerdings Stravinsky (mit "v").
In DiPa, StPa und KlA sind die russischen Szenenüberschriften wegge-
fallen und druch englische ersetzt worden. Die französischen und
englischen Versionen findet man, um gelegentlich grotesk entstellte
Begleitinformationen zu Schallplatten korrigieren zu können, weiter oben
angegeben.
{*10} Der revidierte KlA (Erstdruck Juli 1968), ist schon äußerlich
sofort daran zu erkennen, daß die russische Binnenbetitelung (Teile-
und Szenentitel) durch englische ersetzt worden sind. Durchgängig (auf
Einband, Titelseite usw.) ist Strawinsky mit "v" geschrieben. Auf der
ersten Notenseite wurde "Revised 1947" ergänzt, außerdem ist der Copy-
right-Block neugesetzt und redigiert: Im Herkunftshinweis auf den RMV
"Copyright 1926 by Edition Russe de Musique (Russicher [sic] Musikver-
lag for all countries" wurde das fragwürdige Copyright-Jahr 1926 bei-
behalten, aber "for all countries" gestrichen; "Printed by arrangement
Boosey & Hawkes, Inc., New York" lautet nun "Copyright assigned 1947 to
Boosey & Hawkes Inc. for all countries." Man achte auch auf die unter-
schiedliche Seitenzählung. Die alte RMV- oder Boosey & Hawkes-Ausgabe
umfaßt 89 Seiten, die revidierte nur 83, der Umfang des reinen Noten-
texts ist jedoch in beiden Fällen gleich: 81 Seiten. Dabei beachte man,
daß die Seitenzählung des Notextes der alten Ausgabe immer um sechs
Seiten weiter ist: 9 bis 89 gegenüber 3 bis 83 (Weiteres zur Entwick-
lung der äußeren Anlage siehe frühere Kapitel).
Vom tatsächlichen Notentext her unterscheiden sich die beiden Aus-
gaben erheblich, ob man aber im strengen Sinn der Bedeutung von zwei
Fassungen sprechen kann. dürfte eine Diskussion wert sein (siehe dazu
diverse Äußerungen in anderen Kapiteln). Wie auch immer, sehr viele
Seiten und Doppelsysteme sind neu gestochen worden; die folgende Auf-
stellung darüber dürfte bei einem Materialvergleich, vor einer Einspie-
lung etwa, ganz nützlich ein (neu gestochene Doppelsysteme sind von
oben nach unten durch a, b, c kenntlich gemacht (mehr als drei auf einer
Seite gibt es nicht; es sei daran erinnert: die Seitenzählung im alten
KlA, ob RMV oder B & H, ist jeweils um sechs Seiten weiter, also 3 = 9,
9 = 15 usw.): 3, 9c, 19c, 21a, 24c, 28c, 29c, 35c, 36a, 43a, 58, 59, 63,
67, 68, 74, 75, 77c, 78a, 81, 82, 83. Man beachte zudem, daß hier und da
auch neu gestochene Kleinpartien vorkommen (ein einzelner Takt etwa).
Einige griffige (d.h. gut hörbare) Stellen können unter Umständen
sofort deutlich machen, ob bei einer neueren Einspielung (d.h. seit
1968) der neue KlA als Vorlage diente, siehe unten die Auflistung. Die
Benennung dieser Stellen erfolgt hier nach den im neuen KlA angegebenen
Ziffernzählung, die mit der in der neuen Partitur übereinstimmt. Da nun
die alten Auszüge keine Ziffernzählung haben, mag das Auflisten nach
Ziffern zunächst als verwirrend erscheinen. Es ist aber zu bedenken,
daß, wie gesagt, nicht nur die Seitenzählung differiert (die alten Aus-
züge sind immer sechs Seiten weiter), sondern daß auch im Lauf der Par-
titurentwicklung hier und da die Takteinteilung geändert wurde, so daß
bei einem derartigen Vergleich Ziffernreferenzen noch immer die am
wenigsten umständliche Methode zu sein scheint, zumal auf diese Weise
auch die Partitur miteinbezogen ist, nicht nur die des neuen Drucks,
sondern eben durch gelegentlich notwendiges, sehr geringfügiges Zurecht-
rücken der Takte auch die des alten Drucks. Konkret muß bei Z 148 und Z
173 etwas ab und zu gegeben werden. Kurz: Sich für alles auf eine Kon-
stante, die Ziffernzählung, beziehen zu können, dürfte sicherlich sehr
hilfreich sein (wie jedenfalls zumindest oben die Variantenauflistung
anschaulich macht; übrigens ergänzte auch die 2013 veröffentlichte Fak-
simile-Ausgabe des vierhändigen Klavierauszugs am Rand die Ziffernzäh-
lung, wobei die beiden genannten minimalen Ziffernverschiebungen nicht
übergangen wurden; beachte hierbei: die Taktänderungen sind ein Thema
für sich).
Abhörarbeiten zeigen, daß wohl jede Aufnahme Abweichungen offenbart,
welcher Art sie auch sein mögen. Besonders aufschlußreich sind Aus-
lassungen, Streichungen und natürlich auch aus den Orchesterpartituren
entnommene Hinzufügungen, Ergänzungen ("Ausfüllungen"). Sehr unter-
schiedlich ist auch der Umgang mit den Stimmen, die die Vierhändigkeit
überschreiten.
Die folgende Liste, die die gehörmäßige Arbeit an Aufnahmen erleich-
tern und Unterschiede greifbar machen soll, bis hin zur eventuellen
Unterscheidung von Einspielungen, bezieht sich auf die beiden Arten der
traditionellen, autorisierten, im Druck erschienenen Klavierauszüge. Es
gibt natürlich noch Bearbeitungen für zwei Hände, vollständige aber nur
von fremder Hand. Eine dritte Quelle könnte für vierhändige Einspielun-
gen das 2013 herausgebene Faksimile der KlA-Handschrift bilden (diese
Ausgabe ist aber vom Verf. noch nicht eingehend mit den vierhändigen
Drucken verglichen worden).
Zum Verständnis der Liste: Nach Ziffer und Takt steht in Klammern
jeweils die Angabe, welches der vier Liniensystme der Akkolade von
oben (1) nach unten (4) gemeint ist.
1968 1913
==== ====
Ziffer/Takt
-----------
8/1 (1,2): ohne Akkordbrechungen mit
12/4 (1): as (Fermate) - f as (Fermate)
54/3 (4): im Baß es, es - f - g usw. es, es - e - g usw.
64/1-4 (1,2): b statt h h
83/1-4 (3,4): Baß-Akkorde, Anschlag Baß-Akkorde, Anschlag
Z 83/2 auf eins und vier Z 83/2 nur auf vier
83/5 (4): im Baß g im Baß h
84/4 (2): as - f - as - e as - g - as -e
106/1 (4): h - g - ais ais - g - h
108/2 (4): h - g - ais ais - g - h
144/3 (4): mit d-Bässen ohne
145/4 (4): mit d-Oktave ohne
145/6 (4): ohne d-Baß mit
169/3 (4): mit cis-Bässen ohne
170/4 (4): mit cis-Oktave ohne
170/6 (4): ohne cis-Baß mit
Anmerkungen:
Zu Z 8/1 (1,2): Siehe Fußnote 5 (RMV-Klavierauszug)
64/1-4 (1,2): In den Partituren steht immer "b" (Klarinette II in
B, Oboe III), doch Strawinskys Pleyela-Rollenein-
spielung von 1921 (vorliegend "2e édition" von 1922)
hat "h"! In der nachfolgenden Parallelpassage Z 65
ist (Partitur gemäß) in den Auszügen immer (richtig)
ein "♭" vor "h" eingezeichnet (zur Pleyela-Einspie-
lung siehe das spezielle Kapitel, in Vorbereitung).
Zu 83/1-4 (3,4): Der Seconda-Part des RMV-Drucks und derjenige der
revidierten B & H-Ausgabe unterscheiden sich inge-
samt mehr voneinander als nur in diesem einen hier
angegebenen Detail.
Zu weiteren Besonderheiten des KlA siehe die Anmerkung zur RMV-Aus-
gabe (Fußnote 5).
Den seit langem außerhalb des Boosey & Hawkes-Sortiments angebotenen
Sacre-Klavierauszügen, Kalmus, Dover (Herkunftsland für beide: USA) so-
wie Musika (Herkunftsland einst UdSSR, heute: Rußland), liegt die Ori-
ginaledition zugrunde, entweder in Form der RMV-Ausgabe (Auflagen 1913,
1914, 1921/1922) bzw. in Form der Boosey & Hawkes-Nachdrucke von 1952
und 1963. Sie stammen also nicht vom mit Teilneustichen durchsetzten,
revidierten Boosey & Hawkes-Druck von 1968 ab. Deshalb haben diese Aus-
gaben auch schon rein äußerlich eine Gemeinsamkeit: Sie weisen keine
Ziffernzählung auf.
Angebracht ist es durchaus, diesen drei Drucken gegenüber einige
Vorsicht zu hegen. Jedenfalls wird hier keinem detailliert nachgegangen.
Lediglich bezüglich des "russischen" KlA, der in der sowjetischen Erst-
ausgabe von 1972 eingesehen werden konnte (allerdings nur kursorisch),
soll unten mit einer Anmerkung eine Ausnahme gemacht werden. Davon ab-
gesehen, gilt sehr zu beachten: Dieser KlA ist ein kompletter Neusatz (=
Neustich), die bibliographischen Details lauten:
Весна Священная [Vesna Swjaschtschennaja = Frühling heiliger]
Leningrad 1972 (Verlag "Musika", Plattennummer: 1380 {*1}), 111 S.
(Notentext: [3] bis 111), Impressum: S. [112], zum Druck freigegeben:
22.11.1971 {*2} (Deckblatt)
{*1} Seiten 17 und 39 ohne Plattennummer
{*2} Die Herausgabe scheint mit Strawinskys Ableben zusammenzuhängen,
eine Gedenkausgabe vermutlich. Ein früherer Druck ist jedenfalls
nicht bekannt. Die Jahresangabe 1972 auf der Titelseite wird gestüzt
durch die Angabe der Lebensdaten auf der ersten Notenseite: 1882-
1971. Doch begann möglicherweise die herausgeberische Arbeit schon
1970, denn auf der Rückseite des Titelseite steht ein "70-72", was
darauf hinweisen könnte.
In der besonders seltsamen Sache, wieso in der von Strawinsky 1921
eingespielten bzw. hergestellten Pleyela-Rollenausgabe des Sacre (so zu-
mindest in der 2. Ausgabe von 1922) in den Takten Z 143/2 und Z 168/2
(Taktangabe nach KlA von 1968) im Seconda-Part linke Hand auf der Eins
die Bässe "d" bzw. "cis" erscheinen, gibt auch dieser KlA keine Aus-
kunft. Er hat in diesen Takten (im System linke Hand) wie alle bislang
eingesehenen Auszüge Pausen (Weiteres zu Z 142 ff., und ganz besonders
zur unterschiedlichen Baßbehandlung in Takt Z 144/3 und parallel in Takt
Z 169/3, siehe Varianten, Nummer 14: Danse sacrale. In den revidierten
Partiturdrucken ab 1929 und dem revidierten KlA-Druck ab 1968 stehen
nämlich in den beiden genannten Takten Z 144/3 und Z 169/3 zweimal d-
bzw. cis-Baßakzente, die neu sind, d.h., vorher in keiner Quelle auf-
tauchen).
{*11} In Arbeit
{*12} Die beiden Fassungen der Danse sacrale sind sofort beim ersten
Akkordschlag verschieden: Die 1943er Fassung hat neben den Streichern
noch Hörner, die "reguläre" Fassung ganz gleich welcher Korrekturstufe
hat nur Streicher. 1943 haben die vier Anfangsschläge immer denselben
Horn-Akkord, in der "regulären" Fassung kommen beim zweiten schon
Holzläser hinzu.
{*13} Eingerichtet für kleinere Orchester. Strawinsky-Zitate aus dem
Vorwort: "Frankly, I am no longer interested in furthering the career of
the Rite as it is played out of all proportions to my other works. Your
reduction of The Adoration of the Earth, which I enclose, seems to me
quite sensible. It remains for me only to wish you the best of luck
[...]". "During the period of composition and preparation of the Rite,
the orchestras in Paris and elsewhere were not paid for rehearsals and
it took 54 rehearsals before the Rite was ready. But in those days,
rehearsals didn't cost anything so it didn't matter. The 115 men were
paid only for the performance."
[sacre_04]
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