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Vororientierungen [Stand 1985]                                   Seite 5
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Vororientierungen zu Themen wie "Strawinsky im Rundfunk der BRD" oder
"Klang- und Interpretationsuntersuchungen an Rundfunkaufnahmen"



Sender Freies Berlin (SFB)


1) Aufnahmeräume (heutige Situation kurzgefaßt)

   Der große Sendesaal (Saal bzw. Studio 1) und der kleine Sendessaal
(Saal bzw. Studio 3) sind im Funkhaus die Räume, in denen der SFB die
weitaus meisten seiner klassischen Aufnahmen produziert. Die prominen-
teste Außenräumlichkeit ist die Philharmonie; hier entstehen zahlreiche
Konzertmitschnitte (Einzelheiten zur Philharmonie und zu weiteren Außen-
räumen siehe RIAS).


2) Rahmendaten zur Entwicklung

   a) Haus des Rundfunks

   Seit 1958 dient dem SFB als Funkhaus das sogenannte Haus des Rund-
funks (HdR) in Charlottenburg, Masurenallee 8-14. Es wurde 1929/30 -
also noch in der Weimarer Republik - erbaut und ist eines der bekannten
Bauwerke des Architekten Hans Poelzig (1869-1936). Die gradlinige Front
wirkt wuchtig, nüchtern, doch ist der ganzen Anlage eine nach innen ge-
richtete Idee zu entnehmen (gotischer Grundriß). Ebenso burgdialektisch,
nur umgekehrt geformt, ist eine andere Kreation des Baumeistes: das ehe-
malige Verwaltungsgebäude der IG Farben in Frankfurt am Main, dessen
riesige, helle Stirnrundung bei aller aufgelockerter Heiterkeit an hoch-
mittelalterliche Bollwerk-Trutzfronten erinnert (Castel del Monte, an-
jousche Ringmauer auf Lucera). Intendiert war die 1931 bezogene Frank-
furter Arbeit wohl als marmorne "Stadtkrone" (Geldpalas, corona pecu-
niae). 1945 beschlagnahmte die US-Army den Bau und richtete dort ihre
European Headquarters ein. [Anmerkung 2002: Das Anwesen ist seit kurzem
Sitz der Geisteswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität.]
   Die Erstbenutzer des HdR waren der Berliner Rundfunksender "Funkstun-
de A.-G." (ab April 1934: Reichssender Berlin), der überregionale Lang-
wellensender "Deutsche Welle G.m.b.H." (ab Januar 1933: Deutschland-
sender) und die Dachorganisation der damaligen deutschen Rundfunkgesell-
schaften "Reichs-Rundfunk-Gesellschaft m.b.H." (ab April 1934 ohne
Änderung der Bezeichnung "gleichgeschaltet"). Gegen 1936 kam dann noch
der von den Nationalsozialisten intensiv betriebene "Deutsche Kurzwel-
lensender" hinzu. Die effektive Inbetriebnahme des Hauses scheint am 22.
Januar 1931, dem Tag der Einweihungsfeier, erfolgt zu sein. Fertigge-
stellt war zu diesem Zeitpunkt Saal 3 (hier fand die Feier statt), nicht
aber der große Sendesaal, er wurde erst später, anscheinend am 30. Okto-
ber 1933 (Tag der baupolizeilichen Freigabe), dem Betrieb übergeben (zu
den Sälen siehe unten).
   Im von den Nationalsozialisten beherrschten Deutschland hatte das HdR
als Kommandozentrale des gleichgeschalteten Rundfunks zu fungieren,
Hitler und Goebbels nutzten es sozusagen als Supermegaphon. Erstaunlich
ist, daß dieses insbesondere im Ausland so überaus verhaßte Haus mit der
"Reichsintendanz des Großdeutschen Rundfunks" die Schlacht um Berlin,
die Bombardements der Allierten und den Granatenhagel der Sowjets intakt
überlebte - und das sogar im Grunde voll sendetüchtig -, während rund-
herum eine Verwüstung sondergleichen herrschte. Gesendet wurde aus dem
Herzstück der Nazipropaganda bis zum Vortag der am 2. Mai unterschrie-

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benen Kapitulation Berlins (Kapitulation des Deutschen Reiches am 8./9.
Mai).
  
   b) Berliner Rundfunk

   Am 1. Mai wurde aus dem HdR die SS-Bewachung abgezogen, die sonst
üblichen Sprengungen oder Zerstörungen irgendwelcher Art unterblieben
eigenartigerweise. Am 2. Mai erfolgte dann die widerstandslose Besetzung
durch russische Soldaten. Sie bewerkstelligten schon am 4. Mai erste
Durchsagen und Meldungen. Regelmäßige Sendungen des "Berliner Rund-
funks", wie die Militärs den von ihnen konstituierten und kontrollierten
Sender nannten, gab es ab dem 13. Mai. Nicht lange danach war die
Anstalt der erste deutsche Rundfunk mit einer, wie man trotz aller Not-
situation sagen kann, ungeschmälerten Programmgestaltung. Wenn frühe
Originalmaterialen nicht trügen, war die Kontrolle während der Anfangs-
zeit keineswegs strikt totalitär. In der Musik jedenfalls befleißigte
man sich durchaus einer "liberaleren" Handhabung. Wie die spätere Ent-
wicklung aber zeigt, war das alles nur eine Spielart geschickter Staats-
heuchelei. Was sich da im Einzelnen abgespielt hat, wie es zu der
erstaunlich schnellen Erholung und Reorganisation des Senders kam, wären
Fragen für eine sicherlich aufschlußreiche Studie. (Datierungen der
Besetzung: 1. und 2. Mai nach Büttner, 1965; Dovifat, 1970: 30. April
und 1. Mai! Die Büttnersche Datierung erscheint durch etliche ge-
schichtliche Darstellungen der damaligen Berliner Situation plausibler,
vgl. hierzu auch Gerhard Boldt, Die letzten Tage der Reichskanzlei,
Reinbek 1964.)
   Genau wie das Gebäude des HdR hatten ganz offensichtlich auch die
Studios den Krieg voll betriebsfähig überstanden. So fand z. B. im
großen Sendesaal bereits am 18. Mai, also nur wenige Tage nach der
regulären Sendeaufnahme, ein öffentliches, direkt gesendetes Konzert
statt. Gesangssolisten und ein von Leopold Ludwig geleitetes sogenanntes
Orchester des Deutschen Opernhauses waren die Ausführenden. "Sogenannt"
steht hier, weil einiges unklar ist: 1. Die Staatsoper Unter den Linden
und das Deutsche Opernhaus waren zerstört, die jeweiligen Nachfolgerin-
nen aber, die Deutsche Staatsoper bzw. die Städtische Oper, noch nicht
wiedereröffnet (beide: August 1945). Sollte in den unmittelbaren Nach-
kriegstagen tatsächlich ein Opernorchester, in welcher Besetzungsstärke
auch immer, existiert haben? 2. In früher Quellenliteratur zum Berliner
Rundfunk-Sinfonie-Orchester (vgl. unten) wird gerade dieses Konzert als
dessen erste Nachkriegsveranstaltung bezeichnet. Doch war es nicht so,
daß man eigentlich noch im Anfangsbehelf der Neuformierung steckte? Wie
auch immer, es ergeben sich deutlich Widersprüche. Vielleicht hat man
sich die ganze Sache so vorzustellen, daß das in der Tat noch existente
(Rumpf-)Funkorchester mit etlichen ehemaligen Opernkräften zu einem
Sinfonieorchester aufgestockt worden war und daß von daher die - exter-
ne - Bezeichnung herrührte. Im übrigen war diese Veranstaltung im Nach-
kriegsdeutschland wohl die erste Übertragung eines öffentlichen Konzer-
tes, das erste klassische Konzert aber war das mit Bestimmtheit nicht.
   Doch zurück zu den Studios: Ein anderes Zeichen für ihre Funktions-
fähigkeit findet man im hausinternen Telefonbuch des Berliner Rundfunks
vom 1. Dezember 1945. Acht "Säle" sind genannt, alle haben Telefonan-
schluß!
   Der intakte Zustand hielt allerdings nicht sehr lange an. Nach der
Aufteilung der ehemaligen Hauptstadt in Sektoren - Einmarsch der Westal-
liierten vom 1. bis 4. Juli - befand sich das HdR im britischen Sektor.
Eigentlich sollte das Haus der Nutzung aller vier Besatzungsmächte
offenstehen. Doch auf Grund der praktizierten kommunistischen Politik
wurde es mehr und mehr eine sich isolierende sowjetische Exklave, deren

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Ruin, wie es scheint, nach der sowjetischen Blockade der westlichen
Sektoren (Juni 1948 - Mai 1949) nicht mehr aufgehalten werden sollte.
Zu mühsam gestaltete sich der regelmäßige Sendebetrieb, bis schließlich
im Sommer 1950 die Demontage einsetzte und am 9. Juli 1952 die Sendungen
eingestellt wurden. Übrig blieb ein von sowjetischen Soldaten bewachter,
dem Verfall ausgelieferter Bau, der sich, wie Fotos zeigen, in einem
ausgeraubten, sehr verwahrlosten Zustand befand, als man ihn am 5. Juli
1956 dem Berliner Senat übergab. Desolat war dabei insbesondere auch
die Verfassung des großen Sendesaals, der studiogeschichtlich doch
immerhin einige Bedeutung besitzt (zur Wiederherstellung des HdR vgl.
weiter unten). 
   [Einschub Oktober 2009/Februar 2010: Es ist sicherlich noch von
Interesse, darauf hinzuweisen, daß die ursprüngliche Absicht, am Ber-
liner Rundfunk politisch vielleicht nicht gerade gutbürgerliche, aber
doch einigermaßen verträgliche Verhältnisse walten zu lassen, sogar an
Tonträger-Dokumenten rein äußerlich dingfest gemacht werden kann.
   Als nach der am 12. und 13. März 1938 erzwungenen Eingliederung
Österreichs (im Nazi-Jargon "Anschluß" genannt) die Bezeichnung "Groß-
deutsches Reich" eingeführt wurde, blieb auch dem "gleichgeschalteten"
Rundfunk eine Umbenennung nicht erspart. Aus "Reichsrundfunk" wurde
"Großdeutscher Rundfunk", eine Verfügung, die der Reichsminister für
Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels seinem Rundfunk zum 1.
Januar 1939 als verbindlich verpaßte. Auf die Schallplattenetikette von
innerhalb der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft produzierten Aufnahmen hatte
das allerdings so schnell keine durchgreifende Auswirkung, es waren
offenbar noch genügend alte vorhanden. So wurden beispielsweise für
Aufnahmen des Reichssenders Wien noch mindestens bis Anfang 1940 her-
kömmliche verwendet, das sind solche, die spätestens im Frühjahr 1934
eingeführt wurden und die Bezeichnung "Schallaufnahme / des / Deutschen
Rundfunks" tragen. Eine noch relativ bescheidene Etikettbetitelung.
Anders die neue, eine unverhohlen großmäulige: Großdeutscher Rundfunk,
darunter, unter dem Schriftzug in Bogenform, noch der Nazi-Adler und
das Hakenkreuz (Abbildungen siehe unten).
   Kann man sich die folgende Szene vorstellen? Kriegsende, Haus des
Rundfunks unter sowjetischer Vereinnahmung, Sendestudio: Auf einem
Plattenteller drehen Furtwängler (oder Abendroth oder Böhm oder ...),
"Großdeutscher Rundfunk", Nazi-Adler und Hakenreuz ihre Kreise. Nein,
kann man nicht. Zunächst wegen Furtwängler usw. wohl nicht {*1}, mit
Sicherheit aber wegen des Etiketts nicht. Und so hatte man denn auch
dementsprechend Aufkleber drucken lassen, die genau oder in etwa auf
den Plattenmarken-Sektor paßten. Aufschrift: "Berliner Rundfunk /
G.m.b.H." (siehe unten die Abbildungen).

   {*1} Man arrangierte sich aber in etlichen Fällen alsbald. So waren
   z.B. Artur Rother und Hermann Abendroth, beide im "Dritten Reich"
   nicht nur "Mitläufer", sondern, wie zu lesen, überzeugt aktiv,
   weiterhin im Blickfeld geblieben. Rother, von 1943 bis 1945 im HdR
   Dirigent des Großen Rundfunkorchesters ("groß", soweit das ange-
   sichts der Kriegsverhältnisse noch ein angemessenes Attribut ist),
   war von 1946 bis 1949 wieder der Hausdirigent des RSO (Weiteres siehe
   unten). Abendroth, seit 1949 Dirigent des Leipziger RSO, dirigierte
   schon am 18. Juni 1950 als "Nationalpreisträger" (der DDR, als
   solcher so angekündigt) das Festkonzert "25 Jahre Berliner Rundfunk-
   Sinfonie-Orchester". Und da dieses Orchester keinen hauptamtlichen
   Chefdirigent hatte, versah Abendroth diesen Posten von 1954 an mit
   (er starb 1956; zu den Werdegängen der genannten Dirigenten im
   "Dritten Reich" siehe u.a. auch Wikipedia).

   Zur nationalsozialistischen Verblendung Hermann Abendroths kann als
   Einführung der folgende kurze Ausschnitt aus einem Leitartikel
   dienen, der von Anfang bis Ende dem NS-Huldigungston "innigst ver-
   pflichtet" ist (zu "innigst verpflichtet" siehe das Zitat):

   Aufgaben des jungen Musikers
   Prof. Hermann Abendroth, Leipzig
   Vortrag gehalten am 23. Juni [1937] auf der Reichsar-
   beitstagung des NS.=Studentenbundes und der Deutschen
   Studentenschaft in Heidelberg

   Meine lieben Kameraden!

      Als der Reichsstudentenführer Dr. Scheel, die Auffor-
   derung an mich richtete, heute zu Ihnen über das Thema
   "Aufgaben des jungen Musikers" zu sprechen, da habe ich
   mich über diesen Auftrag besonders gefreut. [...]
      Wenn heute überhaupt von Aufgaben die Rede ist -
   einerlei auf welchem Gebiet unseres Lebens - so wissen
   wir: ihren tiefsten Sinn empfängt jede Aufgabe von der
   Idee, die unser gesamtes Tun und Sein beherrscht: vom
   N a t i o n a l s o z i a l i s m u s. [...]
      [...] Der Führer hat die Bedeutung der Kunst auf einen
   Nenner gebracht. Er nennt die Kunst eine M i s s i o n,
   und zwar eine, die zum Fanatismus verpflichtet. [...]

   In: Deutsche Tonkünstler=Zeitung, Fachblatt für Musiker und Musiker-
   zieher / Herausgegeben von Hermann Abendroth, Walter Gieseking, Bruno
   Kittel, Carl Wendling
   Mainz, Juli 1937 (33. Jahrgang, Nummer 10, B. Schott's Söhne), S.
   253-259 [für Google: Nationalsozialismus, Mission]


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   Solcherlei überklebten Platten begegnet man immer wieder, wobei
sogar gelegentlich vom zornig oder schamhaft Verdeckten das eine oder
andere hervorlugt. Zudem pflegte man nicht nur die Überklebung, es gab
auch den Usus, nur das Hakenkreuz wegzukratzen, samt Adler eventuell.
Zum Design des "Großdeutscher Rundfunk"-Etiketts sei noch ergänzt, daß
die Ringe, die das Vorgängeretikett einfassen und somit die Informa-
tion einrahmen, nun wie ein mittelalterlicher Heiligenschein Adler und
Hakenkreuz umgeben, betonen.
   Jetzt zu unserem eigentlichen Thema: Man übersehe nicht den Zusatz
"G.m.b.H.", denn damit wird deutlich, daß man (gar nicht so unähnlich
wie auch beim etwas später entstandenen RIAS, siehe dort) zunächst so
etwas wie eine privatwirtschaftliche Körperschaft im Auge hatte. 
   Übrigens: Die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft verlor im Nazi-Reich nie
ihr "[G.]m.b.H." (darauf wurde schon oben hingewiesen), das aber war
da ohnehin nur noch eine Bezeichnungsfarce.
   Im Zusammenhang mit Überklebungen sollte vielleicht auch darauf hin-
gewiesen werden, daß die Dokumentenlage nicht nur Nachkriegsüberklebun-
gen offenbart. Als Beispiel diene ein im April 1939 aufgenommener 4-
Platten-Satz, der noch mit dem Nazi-Etikett der ersten Machart "Schall-
aufnahme / des / Deutschen Rundfunks" gepreßt worden war. Beim Be-
schriften dieses vorliegenden Satzes (handschriftlich, bei RRG-Plat-
ten neben maschinenschriftlich Usus) unterlief nun offensichtlich bei
Platte 2 ein gravierender Fehler, so daß wohl nur eine Überklebung
weiterhelfen konnte. Wie die vierte Abbildung zeigt, waren aber schein-
bar keine herkömmlichen Etikette mehr zur Hand, es mußte auf ein neues
der Art "Großdeutscher Rundfunk" zurückgegriffen werden. Hierbei folgte
der Schreiber aber nicht der ideologischen Großwetterlage, ihm scheint
so etwas wie Einheitlichkeit wichtiger gewesen zu sein: Er überantwor-
tete den "Plattenmarken"-Sektor, den "Großdeutschen Rundfunk", dem
Papierkorb (und mit diesem erwischte es, en passant, auch den "Deutschen
Rundfunk").

RRG-Schallplattenetikett, 'Markenname' Großdeutscher Rundfunk
Großdeutscher Rundfunk - ein "Markenname" So auf 1939 eingeführten Etiketten für "RRG-Schallplatten" Konfektion der "RRG-Platten" in der Regel: 30 cm, einseitig bespielt, Schnittbeginn: innen Quelle: Etikett einer Aufnahme vom 19.8.1942, Reichssender Berlin Diesen Etikett-Typ gab es mindestens in zwei Fassungen. A) Seit 1939: weißer Grund, Aufdruck schwarz(blau), Hinweise der Ausfüllfelder in kursiver Druckschrift (siehe unten); B) ab spätestens 1944: weißer Grund, Aufdruck schwarz, Hinweise der Ausfüllfelder in Antiqua-Druck- lettern. Die B-Fassung hat zudem eine Formularnummer: C/1390; der obige Ausschnitt stammt aus einem solchen - vergilbten, verfärbten - Exemplar (zum Typ B = C/1390 siehe auch die Abbildung unten).
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RRG-Schallplattenetikettt, Großdeutscher Rundfunk, Überklebung mit Berliner Rundfunk
Großdeutscher Rundfunk überklebt (der Aufkleber paßt aber nicht so genau) Blitz: Rückgriff auf den Rundfunk der Weimarer Republik (im "Dritten Reich" nur noch in den ersten Jahren zu sehen) Quelle: Etikett einer Aufnahme vom 13.2.1940, Reichssender Leipzig, Pressung sicherlich schon Frühjahr 1940
RRG-Schallplattenetikett, Großdeutscher Rundfunk, zwei Überklebungen
Ein "Dreier" Aufkleber "Berliner Rundfunk G.m.b.H." auf Etikett "Großdeutscher Rundfunk" Typ B und dieses aufgeklebt auf Etikett "Großdeutscher Rundfunk" Typ A (Vom Typ A-Layout sieht man im Bereich des Mittellochs einen Bruchteil des Aufdrucks hervorlugen.) Quelle: Etikett einer Aufnahme vom 6.7.1944, Reichssender Berlin (präpariert für eine erklärende Aufschrift)
RRG-Schallplattenetikett, Schallaufnahme des Deutschen Rundfunks, Teilüberklebung mit Großdeutscher Rundfunk-Etikett
Unter Goebbels zwar, aber etwas eigensinnig: Überklebung mit dem neuen Nazi-Etikett - ohne Kopfteil (mutmaßliche Erklärung siehe oben, zum Typ des ursprünglichen Etiketts siehe unten) Quelle: Etikett einer Aufnahme vom 3.4.1939, Kurzwellensender Berlin
======================================================================== Vororientierungen Seite 7c ========================================================================
RRG-Schallplattenetikett, 'Markenname' Schallaufnahme des Deutschen Rundfunks
Schallaufnahme des Deutschen Rundfunks Nach der "Gleichschaltung" einheitliches Plattenetikett für alle "Schwarzplatten" der Sender der Reichs-Rundfunk- Gesellschaft m.b.H., Einführung spätestens Frühling 1934 Quelle: Etikett einer Aufnahme vom 19.5.1937, Reichssender München (Igor Strawinsky, Divertimento, Carl Schuricht, Orchester des Reichssenders München, überliefert nur als Fragment). Beachte: Die Etikett-Gestaltung war noch nicht ganz im "Dritten Reich" angekommen. Von "Sendegesellschaften" (siehe "Sendege- sellsch.") konnte im "neuen Deutschland" eigentlich keine Rede mehr sein. Die einzelnen Anstalten waren "Reichssender" - Sender des Reichs - geworden, Trabanten der nationalsozialisierten Reichs- Rundfunk-Gesellschaft m.b.H. (RRG).
Beachte: Wie die Beispiele in etwa deutlich machen, können von ein und derselben Aufnahme Platten mit unterschiedlichen Etiketten vorkom- men, nicht nur verschiedener Art, etwa im Rahmen von Nachpressungen, sondern auch mit abweichenden und teils sehr unvollständigen Aufschrif- ten. Die hier gezeigten Etikettvarianten sind im übrigen nicht die ein- zigen, es gab noch weitere, vor allem aber hatten in der Weimarer Repu- blik die einzelnen Sender je eigene, zudem noch mit sehr unterschied- lichem Layout (ein Wissensgebiet für sich). Fazit: "RRG-Platten" sind in der Regel Unikate.] c) Berliner Rundfunk-Sinfonie-Orchester Da das HdR praktisch unversehrt den Krieg überstanden hatte, verfügte dessen Aufnahmetechnik nach dem Zusammenbruch selbstverständlich auch über die legendären AEG-(Hochfrequenz-)Magnetophone und zudem über die Einrichtungen für die ersten Stereo-Aufzeichnungen (vgl. weiter unten), über jene "Geheimtechnologien" also, die bis zuletzt auf den Abhaklisten der alliierten Spionagedienste gestanden hatten. (Ausländische Produk- tionen mit einigem Anspruch, insbesondere nordamerikanische, verwende- ten, sozusagen als Tonbandersatz, Azetatgroßfolien.) Woran es im HdR allerdings immer wieder empfindlich mangelte, vor allem in den unmit- telbaren Nachkriegsjahren, war Frischband. Da halfen nur die Maßnahmen, mit denen sich auch die anderen deutschen Sender auseinanderzusetzen hatten: Rationierung, Wiederbenutzung oder Aufbereitung von Altband. Trotzalledem, eine Statistik vom 31. März 1950 besagt (vgl. Dokumenten- teil: 1950 Berlin), daß vom Berliner Rundfunk-Sinfonie-Orchester 494 Werke auf Band aufgenommen seien. Ob diese stattliche Menge auch das eine oder andere Stück Strawinskys beinhaltete? Angesichts der von den Sowjets seit über zwanzig Jahren betriebenen Kulturpolitik kann man das kaum vermuten wollen. Doch zumindest eine Aufnahme aus ungefähr dieser Zeit gibt es: die Pulcinella-Suite unter Artur Rother! Das Aufnahmedatum ist nicht bekannt, erschienen ist diese "unbotmäßige" Einspielung aber spätestens 1953 in den USA auf einer Urania-LP (vgl. Hauptteil). (Beachte: Die in dem Zahlenüberblick der Aufstellung getroffene Unterscheidung in "russische" und "sowjetische" Komponisten ist eine gängige Formel; irgendwelche indirekten Rückschlüsse auf Strawinsky läßt sie nicht zu.) ======================================================================== Vororientierungen Seite 7d ========================================================================   [Einschub März 2010: Der Osten im Westen auf Platte Der folgende "Urania-Einschub" ergänzt nicht nur das kurz vorher Ge- sagte, er berichtigt es auch:
Strawinsky, Pulcinella-Suite, Urania URLP 7093, Tasche vorne

Strawinsky, Pulcinella-Suite, Urania URLP 7093, Etikett, Seite A
"Symphony [bzw. Chamber] Orchestra of Radio Berlin" {*1} Urania (USA) URLP 7093, 30-cm-LP, (c) 1953 {*2} Igor Strawinsky, Pulcinella-Suite: 5. November 1949 {*3} Berlin (Britischer Sektor), Haus des Rundfunks, Saal 1 Berliner Rundfunk-Sinfonie-Orchester Artur Rother, Leitung Zur Pulcinella-Suite, Satzbetitelung "Vivo": Originalausgabe 1924: Duetto, "Revised Edition" (c) 1949: Vivo (Eine 1953er Titelanpassung? Oder lag 1949 schon neues Material vor?) Fürs diskographische Poesiealbum: 30~ - 18,000~ [cycles per second]
{*1} "Radio Berlin": Mißverständnis? Wiedergabe des Alleinvertre- tungsanspruchs, den der Bandlieferant sicherlich zum Ausdruck ge- brachte hatte mit "Berliner Rundfunk" oder "Berliner Sender"? Hier sollte ergänzt werden, daß vom HdR der Nachkriegszeit aus auch noch ein "Deutschlandsender" betrieben wurde - eine vom "Dritten Reich" her in Deutschland jedermann bekannte Bezeichnung (siehe oben). Auf den "Berliner Sender" und den "Deutschlandsender" (in dieser Reihenfolge) weist übrigens auch in der hier mehrfach erwähnten, 1950 erschienenen Festschrift "25 Jahre Berliner Rundfunk-Sinfonie- Orchester" eine Annonce hin mit dem Titel "Die feststehenden Sende- zeiten unserer Sinfonie- und Meister-Konzerte" (S. 40). Trotz aller Begriffskapriolen Ost, die beiden anderen "Berliner Sender" der Zeit, die beiden "westlichen", waren in Berlin nicht zu vertuschen: RIAS (siehe dort) und NWDR Berlin (siehe unten). Ob das allerdings auch anderswo galt, zumal in den USA, ist unwahr- scheinlich. Was also stellten sich Fernstehende unter "Radio Berlin" vor? Sicherlicht nicht, was "Radio Berlin" wirklich war und daß in Berlin neben "Radio Berlin" noch zwei weitere Funkhäuser existierten. Nebenbei: "Arthur"? Klingt nach "Sir Arthur", üblich ist Artur. {*2} Für Sammler: Es gibt mindestens zwei unterschiedliche Etikette. Zu erkennen u.a. am Dasein oder Fehlen der Angabe zur Frequenzband- breite und an der Seitenkennzeichnung URLP 7093 A / URLP 7093 B bzw. URLP 7093-1 / URLP 7093-2. Das vermutliche Erstetikett ist oben abgebildet. {*3} Kopplung mit: Ottorino Respighi, Suite Nr. 3 aus den 3 Suiten "Antiche Danze ed Arie per Liuto" (Alte Tänze und Weisen), bearbeitet für Streichorchester (1: 1916, 2: 1923, 3: 1931), Dirigent: Mathieu Lange, auf Hülle und Etikett: Matthieu, üblich: Mathieu. Aufnahme- daten: Berlin, Haus des Rundfunks, Saal 3, 12. und 13. Juni 1951] Bevor nun die Kurzdaten zur Nachgriegsgeschichte des Sinfonieorche- sters am HdR folgen, muß mit allem Nachdruck betont werden, daß hin- sichtlich der Musikproduktion des "Ostsenders" nur sehr wenige Quellen- materialien greifbar waren. So ließen sich z. B. zum "Großen Chor des Berliner Rundfunks", zum "Kammerorchester des Berliner Rundfunks" und zur Kammermusik ganz allgemein überhaupt keine geschichtlichen Rahmenda- ten gewinnen. Doch so sehr auch die damals im HdR geleistete Chor- und Kammermusikarbeit ins geschichtliche Dunkel geraten sein mag, es gab sie - und zwar im Krieg, kurz vor Kriegsende und auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit! Karl Ristenpart, der den Berliner Oratorienchor leitete oder geleitete hatte, war vom Deutschlandsender verpflichtet worden. Er tat dort im HdR seinen musikalischen Dienst offenbar auch noch unter russischer Führung, wohl bis Ende 1945. 1946 gründete er dann u. a. das RIAS-Kammerorchester (vgl. RIAS). Mit anderen Worten: Auch Ristenpart ist eine jener zumindest namentlich faßbaren Personen des HdR zwischen Ende und Neubeginn. Über den Erhaltenheitsgrad der frühen Bänderproduktion im HdR war nichts zu ermitteln, und das gleiche gilt auch für Folienaufzeichnungen (Wachs- und Decelithplatten). ======================================================================== Vororientierungen Seite 8 ======================================================================== [Anmerkung: Seit der "Wende" hat sich die dokumentarische Ausgangs- lage grundlegend verändert. So gibt es z. B. heute das große Archiv des MDR Leipzig und es verwaltet das Deutsche Rundfunkarchiv einen großen Teil des Archivbestands des ehemaligen DDR-Rundfunks.] Die Bezeichnung für das Sinfonieorchester lautete vor dem Krieg "Großes Funkorchester", gegen Kriegsende und unmittelbar danach aber nur noch einfach "Rundfunkorchester", wobei hinzufügt werden muß, daß die Verkürzung des Namens der Realität entsprach, denn schon spätestens Ende 1944 bestand das Orchester nur noch aus einer Rumpfbesetzung. Im Herbst 1945 existierte dann wieder ein großes Orchester, das, um auch äußerlich den Neuanfang zu verdeutlichen, mit Beginn der ersten Saison 1945/46 den anspruchsvollen Namen Berliner Rundfunk-Sinfonie-Orchester erhielt. Interessant ist, daß trotz der wachsenden Einbindung des HdR in die östliche Machtsphäre die Tradition des Orchesters nicht geleugnet wurde. So feierte man z. B. am 18. Juni 1950 mit einem Festkonzert im Großen Sendesaal das 25-jährige Bestehen des Orchesters (vgl. die Festschrift in der Literaturliste unter Berliner Rundfunk). Anfang 1952 verliert sich dann in der Hör Zu! und in ähnlichen Programmaterialien die ohnehin nur schemenhaft wahrnehmbare Spur völlig, so daß derzeit auch nicht das Geringste dazu gesagt werden kann, wie denn eigentlich bei der sende- technischen Auflösung des HdR die "westliche Geschichte" des Orchesters endete. Wahrscheinlich brächten hierzu intensive Zeitungsrecherchen einiges zu Tage. OO Berliner Rundfunk-Sinfonie-Orchester. Neugründung sofort nach Kriegs- ende, erste Probe: 15. Mai 1945, angeblich erstes Konzert: 18. Mai (siehe oben). Aufbau durch Leopold Ludwig und während des ersten Jahres insbesondere durch Sergiu Celibidache (er war darüber hinaus auch lange Zeit ständiger Gastdirigent); Chefdirigent von 1946 bis 1949: Artur (Martin) Rother, danach bis 1952 offenbar ohne einen hauptamtlichen Chefdirigenten, stattdessen u. a. Dirigenten aus den eigenen Musikerreihen; zahlreiche Gastdirigenten, darunter Hans Rosbaud (mit Bestimmtheit Anfang 1946 und Anfang 1948, also noch zur "Münchner-Philharmoniker-Zeit", vgl. SWF). Zu den Anfängen, Tafel 1.   d) Nordwestdeutscher Rundfunk Berlin (NWDR Berlin) Obwohl der NWDR Berlin seit 1954 nicht mehr existiert, ist eine kurze Darstellung der Rahmendaten dennoch von Interesse. Erstens sind Auf- nahmen erhalten geblieben (auch von Werken Strawinskys), die noch unter seiner Produktionsobhut entstanden, und zweitens ist der NWDR Berlin der unmittelbare Vorläufer des SFB (an den im übrigen das Bandmaterial zur Verwaltung übergegangen ist). Gegründet wurde der NWDR Berlin in Anlehnung an den DIAS (vgl. RIAS) als Reaktion auf den immer rigoroser in die sowjetische Propaganda- maschinerie eingespannten "Berliner Rundfunk", den der Volksmund zum "Roten Sender" umgetauft hatte. Das unmittelbare Sendegebiet des Berli- ner NWDR war der britische Sektor der Stadt. Als erstes Sendedatum wird der 8. Juni 1946 angegeben. (Anmerkung: Die Anfänge sind nicht ganz klar, denn wie es scheint, übten die Briten in ihrem Sektor schon seit Ende 1945 irgendeine Sendetätigkeit aus. Sie hätten zu diesem Zweck, so heißt es in einer reichlich unsicheren Quelle, "auf dem Gelände der früheren Kasernen in Berlin-Ruhleben" einen Mittelwellen-Sender errich- tet, dessen Modulation, Frequenz 1366 kHz, "über Ballempfang" erfolgt sei. Was aber umgesetzt worden war, ob NWDR-Programme aus Hamburg oder Militärsendungen des British Forces Network, vermerkt die Quelle nicht.) Zunächst arbeitete der NWDR Berlin über Drahtfunk (Telefonnetz), ab dem 15. August dann auch über Mittelwellen-Rundfunk. Als Sitz war das ehe- ======================================================================== Vororientierungen Seite 9 ======================================================================== malige "Reichszahnärztehaus" (auch "Haus der [Deutschen] Zahnärzte" ge- nannt, Residenz des "Reichszahnärzteführers") im Stadtteil Wilmersdorf, Heidelberger Platz 3, gewählt worden. (Manche Quellen fassen die Orts- angabe nicht bezirksamtlich, sondern geographisch: Berlin-Schmargendorf, weil eher hier als in Wilmersdorf liegend.) In diesem teilweise beschä- digten Backsteinanwesen, das außen unscheinbar wirkte {*1}, innen aber noch an Pfeilern und Wänden die einstigen "standesgemäßen" pompösen Marmorverkleidungen und kostspieligen Holzbetäfelungen aufwies, gestal- teten sich die Anfänge sendetechnisch aufs äußerste provisorisch. Doch nach etlichen schwierigen Aufbau- und Umbauarbeiten war dann im Sommer 1949 mit der Inbetriebnahme eines dreiteiligen Hörspielkomplexes das Haus im großen und ganzen vollständig. {*1} Hauptgebäude: vier Vollgeschosse, Walmdach (seit langem ausge- baut, damals mit zahlreichen winzigen Gauben). Von "innen" bis "auf- wies" nach Hans Neuhaus, Aetherwellen haben Geburtstag, in: Der Ta- gesspiegel, 15.8.1951. Vor dieser letzten Ausbaustufe besaß das Funkhaus als größeren Raum nur den Ende 1946 aus dem Appell- und Vortragsraum gewonnenen Sendesaal (rd. 940 cbm, 1,2 sec/Q 1952; erstes greifbares Datum zu seiner Exi- stenz: 2. November 1946, öffentliche Kabarettveranstaltung). Keine Fra- ge, um der Raumnot einigermaßen Herr zu werden, waren pausenlos Planungsklimmzüge nötig. So mußte z. B. in der ganz frühen Zeit für Musikaufnahmen oft in Atelierräume einer Tempelhofer Filmgesellschaft ausgewichen werden (offenbar handelte es sich hierbei um die Willy Zeyn Film GmbH, Oberlandstraße 26-35, ab ca. 1949: Filmstudio Tempelhof). Umständlich war bei diesen Umzügen vor allem, daß jedesmal die Technik mitzuführen und neu aufzubauen war. Für die Klassik, insbesondere für größere Besetzungen, änderte sich die Lage aber bald - wohl schon 1948 - durch die Nutzung der vom RIAS "entdeckten" Jesus-Christus-Kirche in Dahlem (vgl. RIAS). Im Funkhaus selbst kam schließlich Entlastung durch den oben erwähnten, 1949 erstellten Hörspielkomplex, und zwar vor allem durch dessen größten Raum, das Studio 3 (rd. 680 cbm, 0,9 sec/Q 1952). Auch Musik wurde hier produziert, allerdings meist nur U- und Tanzmusik. Die Klassik (Kammermusik) blieb im wesentlichen im Sendesaal, der übri- gens offensichtlich einen Bezeichnungswechsel erlebt hat, denn unter dem NWDR erscheint er als "Studio 2", unter dem SFB aber als "Studio 1" (zum NWDR vgl. Kösters, 1950, insbesondere aber die Studioaufstellung in den Technischen Hausmitteilungen des NWDR, Januar/Februar 1952; zum SFB vgl. u. a. Hasse, 1955). e) Berliner Philharmonisches Orchester, Strawinsky-Dokumente des NWDR Berlin Der NWDR Berlin besaß zwar ein Unterhaltungsorchester (Großes Unter- haltungsorchester des NWDR Berlin), doch ein klassisches Orchester gleich welcher Besetzungsstärke unterhielt er nicht. Ihn verband aber - wahrscheinlich schon seit Ende 1946 - mit den Berliner Philharmonikern zu deren Unterstützung ein Produktionsabkommen, auf dessen Grundlage zahlreiche Aufnahmen und Mitschnitte entstanden sind, auch von kleineren Ensembles, die sehr oft mit der umständlichen Bezeichnung versehen wur- den: Kammerorchester des NWDR Berlin aus Mitgliedern der Berliner Philharmonie. OO Berliner Philharmonisches Orchester (Berliner Philharmoniker). 1882 gegründet, Neuaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg durch Leo Borchard (1945, im August gestorben) und Sergiu Celibidache (1945-1952), erstes Nachkriegskonzert: 26. Mai 1945 (im Titania-Palast, Dirigent: Borchard); Dirigent von 1947 bis 1954: Wilhelm Furtwängler (ab 1952 Chefdirigent), Chefdirigent seit 1955: Herbert von Karajan. Strawinsky spielte bei der Darstellung neuer Musik eine wichtige Rol- le, doch erhalten geblieben sind von den frühen Konzert- und Aufnahme- aktivitäten nur Jeu de cartes/Celibidache (1950), Pétrouchka/Solti ======================================================================== Vororientierungen Seite 10 ======================================================================== (1953) und Le baiser de la fée/Divertimento: Furtwängler (1953). Alle drei Bänder entstanden in den für die damalige Berliner Rundfunkszene wohl typischsten Außenräumen: Celibidache und Solti in der Jesus- Christus-Kirche, Furtwängler im Titania-Palast (Einzelheiten zu den Räumlichkeiten siehe RIAS). An kammermusikalischen Aufnahmen aus dem Funkhaus am Heidelberger Platz sind nur SFB-Produktionen greifbar; sie alle stammen aus Studio 2 bzw. 1 (vgl. unten). f) SFB 1954 - 1958: Im alten Funkhaus Mit der Übernahme des Funkhauses des NWDR Berlin am 1. Juni 1954 begann der SFB seine Sendetätigkeit. Als Gründungsdatum darf dieser Tag jedoch nicht angesehen werden; hierfür eignet sich eher der 12. November 1953. An diesem Tag nämlich beschloß das Berliner Abgeordnetenhaus das Gesetz über die Errichtung eines "eigenen" Berliner Senders, der den bundesrepublikanischen Vorbildern gemäß ebenfalls die Verfassung einer gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts erhielt (zur ganzen Ent- wicklung vgl. Bausch 1, 1980). An der übernommenen Studiosituation im alten Funkhaus, d. h. an der Anzahl der Studios und deren Nutzungsaufteilung, änderte der SFB bis zu seiner Umsiedlung ins Haus des Rundfunks offenbar nichts Entscheidendes. So fand im Studio 1 (bzw. 2) auch weiterhin der größte Teil der Kammer- musikproduktion statt, vgl. Geschichte vom Soldaten/Valse: Schier- Thiessen (1955), Trois mouvements de Pétrouchka/Pawliczak (1955). Erwähnenswert wäre noch, daß sich im Studio 1 die Konzertreihe "Musik der Gegenwart" entwickelte. Über das Eröffnungskonzert am 27. Oktober 1955 berichtet der Initiator der Reihe, Johann Friedrich Hasse, in den SFB Mitteilungen vom 15. November 1955: "Der Zuspruch seitens des Publi- kums war über Erwarten groß, der Saal war überbesetzt." g) SFB ab 1958: Im neuen Funkhaus (Haus des Rundfunks) Wie oben geschildert, war das HdR Mitte 1956 in demontiertem und demoliertem Zustand der Stadt Westberlin übergeben worden. Da der SFB dringend ein größeres Haus benötigte, ging man sofort nach der Übergabe daran, das Funkhaus für ihn wiederherzurichten. Diese Arbeiten gingen so zügig voran, daß bereits vom 8. Oktober 1957 an erste Teilinbetriebnah- men getestet werden konnten. Der eigentliche Funkhauswechsel, die Verle- gung des laufenden Sendebetriebs vom alten zum neuen Funkhaus, wurde am 30. Mai 1958 vollzogen (Umschaltung in der Nacht vom 29. zum 30. Mai). Allerdings war zu diesem Termin noch nicht alles wiederhergestellt, so fehlten z. B. der Musikproduktion die beiden dafür wichtigen Sendesäle. Als erster wurde der kleinere, das Studio 3, im Herbst 1958 dem Betrieb übergeben. Das früheste greifbare Datum in diesem Zusammenhang ist der 4. Dezember 1958; an diesem Tag wurde im kleinen Saal nach einer fast zweijährigen Pause die Konzertreihe "Musik der Gegenwart" wiedereröff- net. Am 28. September 1959 folgte dann mit einem Festkonzert die Einwei- hung des großen Sendesaals (Mitwirkende: Chor der St. Hedwigs-Kathedrale und Radio-Symphonie-Orchester Berlin unter Ferenc Fricsay). Hier im großen Sendesaal hatte wenig später, am 16. Dezember, das 16. Konzert der "Musik der Gegenwart" auch ein Werk Strawinskys auf dem Programm, die Bearbeitung der Bachschen Choral-Variationen über "Vom Himmel hoch da komm' ich her" (Chor und Orchester wie oben, Dirigent: Hans-Georg Ratjen; Mitschnitt nicht erhalten geblieben). Für den großen Sendesaal brachte die Wiederherstellung eine wichtige Änderung: Poelzigs strenge, gradlinige, quaderähnliche Saalform (Grund- riß: gleichschenkliges Trapez, ebenes Parkett) erhielt eine theaterar- tige Ausgestaltung. Offenbar verringerte sich hierbei das Volumen erheb- ======================================================================== Vororientierungen Seite 11 ======================================================================== lich, dennoch: verglichen mit anderen Sendesälen, etwa mit dem rund 6300 cbm fassenden Baden-Badener Musikstudio, gehört der SFB-Saal nach wie vor zu den "Giganten". In einer Informationsbroschüre des SFB wird ein Vergleich versucht: Er habe ungefähr dreimal so viel Rauminhalt wie das größte SFB-Fernsehstudio (und wie groß derlei Produktionsstudios sein können, wird ja gelegentlich im Fernsehen veranschaulicht). Der kleine Sendesaal erfuhr bei der Wiederherstellung nur sehr wenige Änderungen, und so ist Poelzigs ursprüngliche Raumgestaltung weitgehend erhalten geblieben. Der größte Nachteil der mehr oder minder "auf die Schnelle" durchgeführten Renovierung war die hohe Lärmempfindlichkeit des Raumes, die ihn im Laufe der 60er Jahre für diffizile Aufnahmen fast unbenutzbar werden ließ. Die fällige akustische und auch technische Anpassung an moderne Standards wurde in den Jahren 1975 bis 1977 durch- geführt, wobei man neben der Modernisierung auch den Aspekt der Erhal- tung und sogar den der Restaurierung mitberücksichtigte (vgl. die kassettierte Wandverkleidung, die umklappbaren Wandfelder zur Akustik- veränderung usw.). Während der Zeit des Umbaus wurde die Kammermusik- produktion in den großen Sendesaal oder gelegentlich auch in andere Studios, z. B. ins Probestudio E des Fernsehgebäudes, verlegt. RR Großer Sendesaal: rd. 12500 cbm (Cremer/Müller, 1976; SFB Jahrbuch 1958/59: rd. 14000 cbm; Kürer, 1971: 15000 cbm; theaterartige Anlage), 2,4 sec/Q 1960 (2,15 sec/Q 1971; Bühne: 1,9 sec/Q 1978, Messung von 1977), großes Sinfonieorchester mit Chor, ca. 1100 Sitzplätze (Parkett zunächst eben, dann ansteigend, U-Rang). Innenraumfotos: SFB, [1981] (ursprüngliche Poelzig-Fassung, in Richtung Zuschauerraum); Möbus, 1960 (Ausschnitte; neue Fassung, Reflektoren über dem Podium); SFB, 1964 (in Richtung Podium, ohne Reflektoren); Schmädeke, 1977 (in Richtung Zuschauerraum, ohne Reflektoren). RR Studio 3: rd. 2300 cbm (Rundfunk Jahrbuch 1932; SFB Jahrbuch 1957/58: rd. 3000 cbm; Grundfläche: gleichschenkliges Trapez, eine Längswand mit Fenstern), 1,4 sec/Q 1985 bzw. 1,8 sec/Q 1985 (absorbierende Flächen offen bzw. abgedeckt, Messungen von 1977, nach dem Umbau; Messung vor dem Umbau, absorbierende Flächen offen: 1,55 sec/Q 1985), kleinere Besetzungen, ca. 300 Sitzplätze (Bedarfsbestuhlung, seit- liche Empore). Innenraumfotos: Rundfunk Jahrbuch 1932 (Ausschnitt); Büttner, 1965 (Einweihung 1931, mit Orchester und Publikum); Zehm, 1980 (heutiger Zustand). Man sollte noch erwähnen, daß sich an das Studio 3 das Studio 2 an- schließt. Dieser rd. 1000 cbm umfassende Raum, der ebenfalls 1975/77 renoviert wurde, wird in der Klassik offenbar nur für Proben eingesetzt; akustisch soll er aber sehr wirkungsvoll sein (Büttner, [1965]: "subli- mierter Nachhall"). Seine Abmessungen sind übrigens sehr eigentümlich: Er ist unproportional hoch! Poelzigs Architektur ist akustisch im Grunde sehr weitblickend ange- legt, da die Studiotrakte weitgehend entkoppelt sind. Diesen Vorteil haben nicht viele Saalbauten. Selbst neueste Kreationen nicht. Ich ver- suchte schon in Frankfurt in einem kleinen Saal während eines Lieder- abends herauszufinden, welches Werk wohl gerade das Sinfonieorchester im großen spielte. Abbildungen HdR, Saal 1 usw.: Grundrisse, Fotos vgl. Literaturverzeichnis (fehlt noch) ======================================================================== Vororientierungen Seite 12 ======================================================================== 3) Musik der Gegenwart, Strawinsky in Berlin, frühe Stereophonie, "Pantographie" und anderes Die für größere Rundfunkanstalten so typische Organisationsform, das eigene klassische Orchester (in welcher Besetzungsstärke auch immer), hat der SFB (genau wie der NWDR Berlin) nie unterhalten. Doch verbindet ihn mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin ein enges Produktionsver- hältnis (vgl. RIAS). Auch einen Berufschor besaß der SFB nie, bei Bedarf greift man auf stehende Chöre zurück (Chor der St. Hedwigs-Kathedrale, RIAS-Kammerchor usw.). Weiter oben ist schon die Konzertreihe "Musik der Gegenwart" ange- sprochen worden. 1955 gegründet, hat sie sich zu einem bedeutenden Forum Neuer Musik entwickelt, das seit Dezember 1961 in Koproduktion mit dem WDR organisiert wird. Strawinskys Werke spielten in dieser Reihe keine große Rolle, nicht einmal in der Zeit bis ca. 1971! Das erste Werk erschien im dritten Konzert; es ist zwar nicht der Mitschnitt, wohl aber eine Nachproduktion erhalten geblieben (vgl. Septet 1953/SFB-Aufnahme 1956). (Übersichten über die Programmgestaltung bieten die SFB-Broschü- ren: 50 x Musik der Gegenwart, [1969], mit detaillierten Angaben; 100 Konzerte Musik der Gegenwart, 1981, mit kursorischen Angaben. Beachte: In "50 x" ist in der Zählung ein Fehler unterlaufen. Es sind nur 49! Das 24. Konzert war abgesagt worden.) Ganz anders die Präsenz in den seit 1951 bestehenden Berliner Festwo- chen (vor dem Krieg: Berliner Kunstwochen; jährlich, September/Oktober, am Herbstanfang orientiert). Gar nicht so selten waren hier ganze Abende dem Schaffen Strawinskys gewidmet, wobei drei solcher Konzerte - am 2. Oktober 1956, 29. September 1961 und 22. September 1964 - durch das Mitwirken des Komponisten besonderes Gewicht haben. Das 1956er Konzert im Titania-Palast, Strawinskys erster Berlin-Auftritt nach dem Zweiten Weltkrieg, brachte das folgende Programm: Symphonie in C, Scènes de ballet, Ode und Symphony in three movements (Mitschnitte existieren; Robert Craft begleitete Strawinsky bei dessen Besuch, dirigerte aber nicht). Das zweite Konzert fand in der zu den Festwochen 1961 frisch eröffneten Deutschen Oper, Bismarckstraße Ecke Richard-Wagner-Straße, statt (ca. 1920 Sitzplatze, Foto vom Zuschauerraum: Musica, 11/1961). Auf dem Programm standen Oedipus rex (Dirigent: Robert Craft) und Perséphone (Dirigent: Strawinsky). An Dokumenten scheinen nur kleine Fernsehfilmfetzen erhalten geblieben zu sein, unter ihnen ein kurzer Szenenausschnitt aus Perséphone, sehr wahrscheinlich eine Probenszene. Mit Craft teilte sich Strawinsky auch das Konzert von 1964 (in der Philharmonie), zum Programm vgl. Abraham and Isaac/Fischer-Dieskau (zu allen Aufnahmen vgl. Hauptteil bzw. zu 1956 und 1964 auch Scharlau, 1972). Man sollte auch hinweisen auf "Opus Strawinsky". Das war ein während der 30. Festwochen (1. September bis 6. Oktober 1980) veran- staltetes Strawinsky-Festival, dessen zahlreiche Werkaufführungen von einer umfangreichen Ausstellung begleitet worden waren (zum Katalog vgl. Literaturliste). Selbstverständlich hatte man von diesem Fest auch Übertragungen gesendet und Mitschnitte angefertigt, doch wie es scheint, sind weder vom SFB noch vom RIAS irgendwelche Bänder archiviert worden. So kurz ein Abriß der SFB-Geschichte auch sein mag, ein paar Worte zu den Anfängen der "Stereophonie im Rundfunk" sollten nicht fehlen. Die ersten Versuche, sich um Stereophonie zu bemühen, gehen in der Tonträ- gergeschichte weit zurück; soweit die Bandaufzeichnung betroffen ist, begann man mit ersten Versuchen wohl 1938. Im HdR gab es von 1941 an erste Stereo-Aufzeichnungsexperimente und ein Jahr später war man offenbar schon soweit, daß von einer "Vielzahl von Stereoaufnahmen" ======================================================================== Vororientierungen Seite 13 ======================================================================== gesprochen wird. An diese Tradition knüpfte der SFB "unüberhörbar" an, als er am 2. Weihnachtsfeiertag 1958 mit Hilfe zweier UKW-Sender die erste "stereophonische" Rundfunksendung Deutschlands mit großem Erfolg ausstrahlte. Diesem Versuch folgte an Himmelfahrt 1959 die zweite Sendung. 1961 entstanden die ersten Stereo-Produktionen des SFB. Er war aber nicht allein auf weiter Flur. So ist z. B. eine der ersten Stereo-, vielleicht sogar Quadro-Aufzeichnungen des WDR erhalten geblieben, siehe Mavra/Swarowsky (vgl. außerdem RIAS). 1963 wurde dann auf der Berliner Funkausstellung das UKW-Pilottonverfahren vorgestellt und als offiziel- ler Beginn des Stereo-Rundfunks gilt der 30. August 1963, an diesem Tag fand im Großen Sendesaal des Hauses des Rundfunks das sogenannte Eröff- nungskonzert statt. 1962/63 begann der SFB peu à peu seine Musikeigen- produktionen von Mono auf Stereo umzustellen. Die Karteikarten zeigen: In dieser Praxis war er den Vorreitern der anderen deutschen Rundfunkan- stalten etwas voraus. (Zur Geschichte der frühen Rundfunk-Stereophonie vgl. u. a. SFB Jahrbuch 1958/59; 10 Jahre Sender Freies Berlin, 1964). Die früheste Stereo-Karteikarte des SFB-Archivs für ein Werk Strawinskys bezieht sich auf die Aufnahme der Feuervogel-Suite, die Lorin Maazel mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin 1957 einspielte und die die Deutsche Grammophon Gesellschaft als Stereo-LP (138 006 SLPM) Ende 1958 oder Anfang 1959 veröffentlichte. Die SFB-Archiv-Nr. lautet E 300 002, das Erfassungsdatum ist der 4. März 1960. Mit diesem Dokument ist wohl im SFB-Haus von der archivarischen Seite her in etwa der Beginn der eigentlichen Stereo-Arbeit fixiert. Es könnten nur zwei Erfassungen davor liegen, denn mit 300 000 beginnt einer der neuen Nummernkreise; dieser wird, wie sich zeigen wird, ein reiner Stereo- Kreis. Hier noch die Aufnahmedaten der Einspielung, die während einer fünftägigen Produktion entstand (vgl. weiter unten): 27.-29. November 1957, Jesus-Christus-Kirche (Quelle: u. a. DGG-Datenliste für DP). Zur ersten Stereo-Eigenaufnahme eines Werkes Strawinskys siehe Perséphone/Swarowsky (21. April 1962). Die nächsten Aufnahmen sind die unter Albert: Feuerwerk, Scherzo à la russe und Pas de deux (19./20. Februar 1964). Wie im Verzeichnis bei diesen Produktionen deutlich wird, gab es in der Übergangszeit, der "Stereo-Einführungszeit" sozusagen, die jeweiligen Aufnahmen in zwei Fassungen, mono und stereo. In der Regel funktionierte so auch der LP-Markt: Neben der Mono-LP erschien - in der Regel etwas später - die Stereo-LP. Was die eben angeführten Nachweise - einer industriellen Fremdpro- duktion und der vier Eigenproduktionen - beispielhaft verdeutlichen, ist die Tatsache, daß der deutsche Rundfunk schon sehr früh die Möglichkei- ten für eine stereophone Austrahlung nicht nur sah, sondern auch in die Tat umsetzte. Wie schon gesagt, ging der SFB hierbei etwas zügiger voran. Der Beginn der allgemeinen Akzeptanz und Verbreitung der Rund- funk-Stereophonie in Deutschland folgte bald, und zwar von um 1965/66 an. In der WDR-Kartei ist die erste tatsächliche Stereo-Aufnahme eines Strawinsky-Werkes am 2. März 1964 erfaßt worden: Feuervogel-Suite (1919) mit dem Concertgebouw-Orkest unter Bernard Haitink, archiviert als Indu- strieband (aufgenommen am 19.-23. September 1961 in Amsterdam, als Stereo-LP Philips 835 144 AY im Herbst 1963 veröffentlicht; Quelle: u. a. Phonogramm-Datenliste für DP). Die im eigentlichen Sinn erste Strawinskysche Stereo-Eigenproduktion des WDR kam am 18. Juni 1965 zustande: Symphony in three movements unter Zubin Mehta, gesendet am 5. September des Jahres. (Randbemerkung: Bei Maazels Einspielung handelt es sich um die 1919er Suite mit einigen Elementen der 1945er Suite, die Überleitung zur Berceuse wurde ausgelassen. Haitink strich die Überleitung zur Berceuse nicht.) Zum eben verwendeten Begriff "Industrieproduktion" noch ein paar ======================================================================== Vororientierungen Seite 14 ======================================================================== klärende Worte. Eine rundfunkübliche Praxis ist, auf Archivnachweisen (Karteikarten) Industrieproduktionen als solche auszuweisen. Dies geschieht im allgemeinen durch die Nennung von Etikett und Tonträger- nummer, aber es können auch weitere Angaben und vor allem verwertungs- rechtliche Hinweise hinzutreten. Auf der SFB-Karte für die Maazel- Einspielung ist beispielsweise das Feld "Aufnahme-Ort" mit "Industrie" ausgefüllt worden. Wir verstehen: die "Ortsangabe" ist eine Hilfskrücke, sie ist übertragen gemeint - und verschleiert damit den eigentlichen Sachverhalt! Denn wir haben es hier eher mit einer indirekten Art von Eigenproduktion zu tun, oder, andersherum gesehen, mit einer wie auch immer gearteten Rundfunkbeteiligung an einer Industrieproduktion. Für diese Sichtweisen spricht zunächst die lapidare Tatsache, daß wir es mit einem RUNDFUNK-Orchester zu tun haben und daß der orchesterlose SFB dem RIAS seit 1953 bei der Unterstützung des RSO (ehemals RIAS-SO) partner- schaftlich zur Seite steht (zur Entwicklung vgl. RIAS). Der nächste Punkt: Die 1957er Feuervogel-Session unter Maazel muß eines der ersten Stereo-Projekte des RSO gewesen sein, vielleicht war es sogar das erste. Auf jeden Fall aber war so was damals noch kein alltägliches Ereignis. Da die SFB-Technik der 1957 eingeführten industriellen stereophonen Auf- nahmetechnik auf der Spur war, ist überhaupt nicht ausgeschlossen, nein, es ist sehr wahrscheinlich, daß die Berliner Rundfunktechniker (ob vom SFB oder vom RIAS) in irgendeiner Tuchfühlung zu derlei - damals sicher- lich als sensationell empfundenen - Produktionen "ihres Orchesters" standen, wobei sie in diesem Fall sogar eine Woche Zeit hatten, mal vor- beizuschauen. Dieser nicht aus dem Nichts hervorgeholten Annahme eines Kontakts entzieht auch die Tatsache nicht den Boden, daß der SFB seine RSO-Studioeinspielungen eigentlich im großen Saal des HdR aufzeichnete, und dies noch einige Jahre in mono. Das andere Standbein des RSO aller- dings, der RIAS, verwendete in der Tat die Jesus-Christus-Kirche, übri- gens noch viel länger in mono. Apropos mono: Gerade weil sendetechnisch die Begrenzung noch auf der Mono-Stufe bestand, dürfte dies das Inter- esse für die spannenden Vorgänge der Maazel-Sitzung eher angefacht als gebremst haben. Leider ist mir über die damalige Vernetzung RSO-RIAS- SFB-Industrie und der damit verbundenen Produktions- und Sozialge- schichte so gut wie nichts bekannt. Das wäre zweifellos ein hochkarä- tiger Dissertationsstoff, erheblich interessanter als der e-moll-Akkord im 31. Takt einer Fuge von irgendeinem Bach. (Nebenbei: Einiges über den Arbeits- und Programmaustausch zwischen RIAS und SFB kann man sich, unser Thema betreffend, auch aus den Karteikarten zusammenreimen, aber es ist zu spekulativ, um darüber zu berichten.) Desweiteren muß man sehen, daß die Anstalten in der damaligen Zeit von der Industrie zwecks Werbung in nicht geringem Umfang "bemustert" wurden und daß die Bemusterung weitverbreitet mit Bändern vonstatten ging, denn abgespielt wurden (und werden) in anspruchsvollen Klassik- programmen aus gutem Grund in der Regel Bänder und keine LPs. Die bemusterten Bänder sind im allgemeinen Masterbandkopien, und dieser Fall liegt hier bei der Maazel-Aufnahme offensichtlich vor, aber viel- leicht nicht im Sinn einer Bemusterung, sondern im Sinn eines Belegs. Hierfür spricht die ganz und gar ungewöhnlich frühe Erfassung der Stereo-Einspielung. Sie liegt vier oder mehr Jahre vor dem bei anderen Rundfunkanstalten vorgefundenen Erfassungsbeginn stereophoner Industrie- tonträger. Hierzu paßt auch, daß am 13. Januar 1964, also knapp vier Jahre nach der Stereo-Fassung, überraschenderweise das Monoband im SFB- Archiv auftaucht (Archiv-Nr. 251 154, "Dt. Gram. 18 498 A"). Dies zeigt eine besondere Stellung des Stereo-Bandes an (Anylyseobjekt, Band für Pilotsendungen und dergleichen), denn der routinemäßige, alltägliche Sendebetrieb war ja in der Tat noch nicht so recht auf der Stereo-Stufe. Die erstaunlichste Tatsache an der Mono-Erfassung ist allerdings die ======================================================================== Vororientierungen Seite 15 ======================================================================== Eintragung rund um das uns nun wohlbekannte Feld Aufnahme-Ort: "Indu- strie (Berlin, Jesus Christus-Kirche) (27.-29.11.1957)". DGG-Industrie- bändern wurden in der damaligen Zeit solche genauen Daten in der Regel nicht beigefügt, jedenfalls ist mir auf Karteikarten ein solcher Fall noch nie begegnet. Auf den LP-Hüllen oder -Etiketten standen solche Daten auch nicht, allerdings boten die Hüllen im Regelfall eine Her- stellungsdatierung, ein Druckdatum, z. B. 7.57 oder 7/57 (selbst beim Unteretikett Polydor trifft man auf diese Datierung; nebenbei gesagt, so auch bei Philips, und manch eine andere Firma bot ähnliche Kenn- zeichnungen). Doch solche genauen Daten, wie oben angegeben: Wo kommen sie her? Um es kurz zu machen: Solche Angaben sind meist Indikatoren dafür, daß womöglich eine Koproduktion oder wenn das nicht, eben etwas ähnliches vorliegt. Nachzutragen wäre noch, daß die "Stereo-Karte" natürlich über die Angabe "Industrie" hinaus auch die oben schon genannte Quelle ganz genau angibt: "Gram 138 006 (Dt. Grammophon)". Außerdem ist im Feld "Wiederho- lungsgebühr" eingetragen, daß die Aufnahme "kostenlos (kf)" gesendet werden darf ("kf" = kostenfrei). Kostenfrei meint auch, daß etwaiges Leihmaterial vom SFB nicht bezogen worden war, allenfalls vom Produzen- ten, der DGG. Somit entfällt auch eine "Materialentschädigungsgebühr". Hätte der SFB die Aufnahme selber gemacht, wäre, eine Materialausleihe vorausgesetzt, eine "Wiederholungsgebühr" an den Leihmaterialbesitzer (Schott sagt die Karte) fällig. Zwischen Fremd-, Ko- und Eigenproduktion ist also sehr genau zu unterscheiden, obwohl unter Umständen von der eigentlichen Aufnahme her gesehen, die Grenzen doch nicht so scharf zu ziehen sind. Wir können die "Industrieaufnahme" jetzt ein wenig einordnen, wenn auch nur etwas improvisatorisch. Weiter ist derzeit wohl nicht zu kommen; man müßte, wie gesagt, über den Hergang der Produktion etwas wissen. Fazit: Sicherlich, eine Eigenaufnahme ist Maazels Dirigat des "Hausorchesters" nicht, das steht auch nicht auf der Karteikarte, aber für eine "reine" Industrieaufnahme kann man sie auch kaum halten. Eine indirekte Rundfunkaufnahme, eine Aufnahme, die in mancherlei Beziehung in die Rundfunkwelt und zur deutschen Rundfunkgeschichte gehört, ist sie aber schon. Es gibt weitere Fälle dieser Art, z. B. der ebenfalls wäh- rend der hier zu Debatte stehenden fünftägigen Produktion wohl zuerst aufgenommene Chant du rossignol; diese Einspielung erschien auf der Rückseite der oben genannten Stereo-LP (vgl. Hauptteil). [Anmerkung: Sollte dieses Rundfunk-Verzeichnis einmal auf den neue- sten Stand gebracht werden, müßten wohl etliche Aufnahmen aus dem Industrietonträgerverzeichnis in den Rundfunkteil wandern.] Im unten wiedergegebenen "Bänderprofil" ist - wenn man sich z. B. für den Titania-Palast noch das entsprechende RIAS-Band hinzudenkt - die Entwicklung "pantographisch" ganz brauchbar nachskizziert. Es fehlt allerdings der Sendesaal des NWDR (Studio 2). Ein kleiner "Ausreißer" ist auch Saal 3. Mit mangelnden Ortsangaben auf den Karteikarten hängt das verspätete Auftauchen jedoch nicht zusammen. Hier gibt es im Grunde keine Probleme, da das SFB-Archiv an RRG-Praktiken anknüpft, d. h. es beurkundet in der Kartei nicht nur das Aufnahmedatum sondern auch den Raumklangträger, den Aufnahmeort, wobei es diesen zumindest im eigenen Haus studioorientiert erfaßt. Die entsprechenden Kartenfelder hierfür ("Datum", "Aufnahme-Ort" oder ähnlich) gibt es offenbar seit eh und je. Im Fall "NDWR-Studio 2" alias "SFB-Studio 1" sollte eine auf Rund- funkaufnahmen bezogene ("diskographische") Forschung beachten, daß die SFB-Archivierung bei Umschnitten, Nacharchivierungen usw. von im NDWR- Studio 2 entstandenen Aufnahmen, bei Karteikartenneuausstellungen also, offensichtlich der SFB-Geschichte folgt und statt "Studio 2" die Bezeichnung "Studio 1" wählt. Für die Strawinsky-Dokumentation ist diese ======================================================================== Vororientierungen Seite 16 ======================================================================== "archivarische Umbenennung" jedoch nicht akut, weil bislang kein ent- sprechendes Band aufgetaucht ist. (Eine Bemerkung zum "diskographisch" im Zusammenhang mit Bändern: Im englischen Sprachbereich trifft man gelegentlich auf die Hilfsbegriffe "tapeography", "tapeographer". Auf deutsch wären das dann seltsam anmutende Begriffe wie "Tapeographie", "Tapeografie" oder "Tapeograph", "Tapeograf". Ich denke, niemand hat einen so breiten Tapir-Buckel, diese Pappnasen hierzulande als erster zu verwenden.) [Anmerkung: Durch die Digitalisierung wird das termino- logische Ringen wohl in eine neue Runde gehen. Allerdings verwendet die Homepage www.genuit.de für die Auflistung von Rundfunkaufnahmen den sehr hübschen Begriff Radiographie. In Anlehnung an Diskographie macht sich diese Wegemarkierung, so glaube ich, sehr gut. Man sollte sie pflegen.] Monat/Jahr Aspekt Aufnahme ========== ====== ======== 3/1950* a) Jesus-Christus-Kirche Jeu de cartes/Celibidache b) Berliner Philharmoniker 5/1953* Titania-Palast** Le Baiser de la fée/Di- vertimento: Furtwängler 6/1955 a) Altes Funkhaus/Studio 1 Histoire du soldat/Valse: b) Älteste erhalten gebliebene Schier-Thiessen Strawinsky-Eigenproduktion des SFB 2/1956 Konzertreihe "Musik der Septet 1953/SFB-Aufnahme Gegenwart" 5/1956 a) Hochschule für Musik/Kon- Apollon musagète/Anser- zertsaal*** met b) Radio-Symphonie-Orchester Berlin*** 10/1956 a) Strawinsky in Berlin Sinfonie in C etc. (vgl. b) Berliner Festwochen Hauptteil) 9/1960 Haus des Rundfunks/Saal 1 vgl. Symphonie de psaumes/Fricsay 5/1962 Sicherlich die erste Stereo- Perséphone/Swarowsky Eigenproduktion eines Werkes Strawinskys 10/1963 Haus des Rundfunks/Saal 3 Quatre Études pour piano/ Sonoda 9/1964 a) Strawinsky und Craft in vgl. Abraham and Isaac/ Berlin Fischer-Dieskau b) Berliner Philharmonie ---------- *Aufnahme des NWDR Berlin **Frühere Aufnahme vgl. RIAS 3/1950 ***Frühere Aufnahme vgl. RIAS 3/1956 * - * - * - * - * - * - * - * [sfb]

Fassung 1985, Online: 15.9.2002, Version: 1.42, 8.9.2013 (Erläuterung: Intro 2002 ff.)

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