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Vororientierungen [Stand 1985]                                  Seite 74
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Westdeutscher Rundfunk (WDR)


1) Aufnahmeräume (heutige Situation kurzgefaßt)

   Im Funkhaus des WDR konzentriert sich die Aufnahmearbeit klassischer
Musik auf zwei Räume, den großen Sendesaal (Studio 1) und den kleinen
Sendesaal (Studio 2). Neben dem hierbei gewonnenen Aufnahmenfundus ent-
stehen Mitschnitte und insbesondere in der Kammermusik auch Studiopro-
duktionen in zahlreichen Außenräumlichkeiten des Sendegebietes.


2) Rahmendaten zur Entwicklung

   Die folgende Darstellung befaßt sich nur mit dem Funkhaus in Köln.
Unberücksichtigt bleiben die lokalen Studios, die der WDR an einigen
Orten seines großen Sendegebietes Nordrhein-Westfalen unterhält (z. B.
in Bonn und Münster). Der Grund ist einfach: Keines hat in der
Vergangenheit irgendwelche eigenständigen Strawinsky-Aufnahmen
produziert. Überhaupt scheint wohl alle klassische Musikproduktion von
Köln aus koordiniert zu werden.
   Angefangen hat der WDR als NWDR Köln in dem während des Kriegs stark
beschädigten Funkhaus der ehemaligen Westdeutscher Rundfunk A.-G. (ab
April 1934: Reichssender Köln), Dagobertstraße 38. (Dieses Haus hatte
sich Anfang der 20er Jahre eine Schlosserinnung gebaut, sozusagen als
Zunfthaus. Es wurde dann aber wegen finanzieller Engpässe an die Stadt
Köln verkauft, die es ihrerseits nach einem entsprechenden Umbau an die
damalige "Werag" vermietete; Eröffnungsfeier: 15. Januar 1927.) Nur ein
mehr oder minder provisorisch hergerichteter Teil des Gebäudes war nutz-
bar, als der regelmäßige Sendebetrieb am 26. September 1945 aufgenommen
wurde. Zunächst sendete die Anstalt ihr - einstündiges - Programm auf
eigener Welle, doch bald, vom 1. Januar 1946 an, begann der Gleichwel-
lenbetrieb mit dem NWDR Hamburg und Mitte August 1946 wurde in diesen
Großrundfunk sogar noch der NWDR Berlin eingereiht (zum NWDR siehe NDR,
zum NWDR Berlin siehe SFB). (Beachte: Neubeginn des Kölner Senders ist
nicht gleichbedeutend mit Wiederbeginn von Rundfunk in dieser Region.
Der Neuanfang überhaupt hängt mit dem Armeesender "British Forces
Network" zusammen. Denn als im März 1945 die Westalliierten die
niederrheinischen Gebiete einnahmen - Einzug der Amerikaner in Köln am
6. März -, befand sich unter den nachrückenden Versorgungseinheiten
auch eine Abteilung des britischen Soldatensenders. Und zu dessen
Aufgaben gehörte es, sich auch an die deutsche Bevolkerung zu wenden.)
   Das (alte) Funkhaus in der Dagobertstraße, dessen endgültige
Studioausstattung nach dem Wiederaufbau des Gebäudes (1948) erst im
August 1949 mit der Inbetriebnahme eines Hörspielkomplexes abgeschlossen
wurde, besaß für Musikproduktionen zwei Räume: den großen Sendesaal
(Studio 1) und den Kammermusiksaal (Studio 3). Während Studio 3 (rd. 290
cbm, 0,8 sec/Q 1952) schon seit Ende 1945 in Betrieb war (wie notdürftig
auch immer), kam der große Sendesaal erst am 28. Februar 1947 hinzu (Tag
der Einweihung; "groß" lautete die Bezeichnung tatsächlich).

RR Ehemaliger großer Sendesaal (altes Funkhaus/Studio 1): rd. 1860 cbm
   (Mehrzweckraum, rechteckige Grundfläche, eine Längswand mit Fen-
   stern), 1,1 sec (!)/Q 1952, mittleres Orchester, Bedarfsbestuhlung
   (Rückwandempore). Innenraumfotos: Jahrbuch des Westdeutschen Rund-
   funks 1929; Rundfunk Jahrbuch 1929 (Ausschnitt mit Orchester, ebenso:
   Dibelius, 1981); Kösters, 1950 (Ausschnitt, Nachkriegszustand).


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   Sehr bald war das Raumangebot in der Dagobertstraße der schnell fort-
schreitenden Rundfunkentwicklung nicht mehr gewachsen, und das traf ins-
besondere auf das sich stetig vergrößernde Sinfonieorchester zu. Ihm
konnten, als es Ende 1947 mit der Produktion begann, praktisch keine
angemessenen, in greifbarer Nähe liegenden Ausweichmöglichkeiten ange-
boten werden, denn von den einstigen bedeutenden Räumlichkeiten hatte
keine den Krieg überlebt. Der Gürzenich-Saal nicht (vgl. unten) und auch
die beiden großen Säle auf dem Köln-Deutzer Messegelande am Rheinpark
nicht. Zum einen war das die 1923 erstellte, bis zu 5000 [!] Sitzplätze
aufweisende große Konzerthalle - die "Sperrholzhalle" - im sogenannten
Messepalast gewesen (rd. 29600 cbm, 1,8 sec [nur!]/Q 1933, weitgehend
mit Sperrholz ausgekleidet, legendäre Akustik; Innenraumfotos:
Meyer/Cremer, 1933; Gabler, 1957) und zum andern der in den 30er Jahren
als Großer Sendesaal-Ersatz genutzte Kongreßsaal. Die Nachkriegspro-
visorien, auf die man sich deshalb zu stützen hatte, waren im
wesentlichen: 1) für Studioproduktionen zunächst der Saal eines Kinos
namens Kurbel (in Köln-Bickendorf) und dann von Ende 1948 an der große
Gesellschaftssaal des Feierabendhauses (Erholungshaus) der Farben-
fabriken Bayer AG in Leverkusen; 2) für Konzertveranstaltungen der eben
genannte Saal der Bayer-Werke und Säle in Velbert und Viersen, wobei der
Saal in Viersen - er befindet sich in der 1915 erstellten Festhalle -
vor der "großen Eröffnung" des Sendesaals am Wallrafplatz (siehe unten)
die zentrale Konzertstätte des Sinfonieorchesters bildete (rd. 7500 cbm,
2,5 sec/Q 1955, ca. 1200 Sitzplätze). Akustisch genoß der Konzertsaal
Viersen hohes Ansehen, das zeigt auch eine zwischen 1950 und 1955
durchgeführte Dirigentenumfrage. Danach wurde seine "Hörsamkeit" als
"besonders günstig" beurteilt, und weiter heißt es: er gehöre zu den
drei besten Sälen Deutschlands (soweit verfügbar, ist gemeint). Vom WDR
wird der Saal auch heute noch gebucht, doch ist die Zahl der Einsätze
verschwindend klein geworden. (Beachte: Diesen Außenräumen war der eine
oder andere Wirtshaus- oder Kinosaal vorausgegangen. Einzelheiten
hierzu sind allerdings nicht bekannt. Sicher ist aber, daß das im Juni
1946 - vor dem Kölner Rundfunkorchester (siehe unten) - gegründete
Unterhaltungsorchester schon vor der Einweihung des "alten" Sendesaals
mit größeren Sende- und öffentlichen Konzerten hervorgetreten ist - und
andere als die eben genannten Saalarten gab es ja wohl kaum.)
   Um erneut funktionsgerechte Räume zu bekommen, begann man im April
1948 das Hotel Monopol am Wallrafplatz 5 durch umfangreiche Um- bzw.
Erweiterungsbauten zum neuen Funkhaus auszubauen. Am 17. August 1950
konnte der große Sendesaal eingeweiht werden; die feierliche Eröffnung
des Gesamtkomplexes mit seiner Vielzahl an Studios (darunter auch der
Kammermusiksaal, Studio 2) erfolgte allerdings erst zwei Jahre später,
am 21. Juni 1952. Die eigentliche Umschaltung vom alten zum neuen Funk-
haus fand am 1. Juli statt. Natürlich hatte auch dieses Funkhaus dem
"Gesetz" des Ausdehnungssachzwangs zu folgen, und so brachten die
nächsten Jahrzehnte etliche Erweiterungen. Gegenwärtig entsteht wiederum
ein großer Neubau (vgl. unten). Was sich als Folge der Vergrößerungen
auch änderte, war die Adresse. Sie lautet seit 1971: Appellhofplatz 1.
Zum Funkhauswechsel sollte noch ergänzt werden, daß der eigentümliche,
durch seine Innungsfaçade - zumindest auf alten Fotos - etwas trutzig-
streng wirkende Altbau nach dem Auszug des Rundfunks der Staatlichen
Hochschule für Musik als Bleibe diente, bis er dann schließlich 1975
durch einen Neubau ersetzt wurde (was heute wohl so nicht mehr möglich
wäre). Aus der Aula (792 Sitzplatze) sendet der WDR des öfteren
Konzerte, auch Mitschnitte entstehen dort.

RR Großer Sendesaal (Funkhaus Wallrafplatz/Studio 1): rd. 6800 cbm (im
   Prinzip ein gleichschenkliges Trapez [siehe unten], versenkbares

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   Podium), großes Sinfonieorchester mit Chor, 1,7 sec/Q 1953, ca. 700
   Sitzplätze (ansteigend, Rückwandempore). Innenraumfotos: Berger,
   [1955].

RR Studio 2 (Funkhaus Wallrafplatz): rd. 1800 cbm (Grundfläche:
   nichtgleichschenkliges Trapez [siehe unten], angewinkelte Rückwand,
   zum Podium hin Höhenzunahme), 1,0 - 1,4 sec/Q 1953 (variable
   Akustik), ca. 200 Sitzplätze (Bedarfsbestuhlung). Innenraumfotos: wie
   oben.


                          Abbildungen
  Studios 1, 2, Beethovenhalle: Grundflächen, Längsschnitte, Fotos
              vgl. Literaturverzeichnis (fehlt noch)


   Neben diesen beiden großen Sälen verfügt das Funkhaus am Wallrafplatz
noch über eine ganze Reihe weiterer Studios, die der künstlerischen Pro-
duktion dienen; es sind dies die Studios 3 bis 8. Unter ihnen ist das
Studio 7 für Tanzmusik das größte (850 cbm). Studio 6 ist ein Hörspiel-
komplex. Für klassische Aufnahmen, etwa für A-Cappella-Choraufnahmen,
für Kleinstbesetzungen, Kammermusik und dergleichen, werden gelegentlich
- es kommt in der Tat selten vor - die Studios 3, 4, 5 und 7 eingesetzt.
   Seit 1982 entsteht auf den Grundstücken nord-östlich des
Funkhaustraktes am Wallrafplatz 5, Unter Fettenhennen 9-13, direkt
an den großen Sendesaal und an das Tanzmusikstudio 7 anschließend, ein
umfassender Neubaukomplex. Zu diesem Zweck mußte das historische Gebäude
Café Reichard abgerissen werden (Beginn der Abrucharbeiten: 1. April
1981). Dieses Haus wird aber, soweit das äußere Bild betroffen ist,
restaurierend neuaufgebaut. Der ganze Komplex - während dessen Errich-
tung auch Umbauten und Erweiterungen am Funkhaus vorgenommen werden -
wird neben dem Hauptschaltraum und einer umfangreichen Zahl an
Verwaltungsräumen auch Studios (Hörspiel) enthalten, eines entsteht
dabei als "Studio-Bunker" unter der vor dem Reichard-Haus liegenden,
direkt an den Domplatz angrenzenden Café-Terrasse (die also somit auch
erhalten bleibt). Wenn das alles abgeschlossen ist - man rechnet mit
Herbst 1985 -, soll noch eine vollständige Sanierung des "Altbaus" (also
des Studiohauptgebäudes) folgen, wobei man davon ausgeht, daß dies etwa
1989 beendet sein wird. All das zusammengesehen bedeutet allein schon
wegen der Lärmentwicklung für die laufende Musikproduktion
Einschränkungen, genaue Vorausplanungen, Verlegungen auf Abendstunden,
Ausweichen auf geeignete Außenräume. Die Kammermusik ist ja relativ
beweglich und für die Unterhaltungsorchester (Kölner Rundfunkorchester,
WDR Big Band) richtete man das seit langem nicht mehr genutzte Fernseh-
studio L in der Annostraße 85 ein (ca. 300 qm, Inbetriebnahme: Februar
1981). Das einzige wirkliche Problem war das Sinfonieorchester. Da kein
adaquäter Raum gefunden wurde, baute der WDR auf Mietbasis ein Ausweich-
studio in Köln-Braunsfeld, Stolberger Straße 3. Es wurde am 10.
September 1981 in Betrieb genommen (die eigentliche Produktion begann
Anfang Oktober). Mit der Akustik ist man sehr zufrieden, der Nachhall
sei länger, tragender, als im großen Sendesaal, der im übrigen auch
weiterhin der Produktion dient, wenn auch zunehmend nur der Produktion
des Rundfunkorchesters.

RR Studio Stolberger Straße: rd. 5040 cbm (Grundriß: Rechteck), großes
   Sinfonieorchester mit Chor, 1,6 sec/Q 1985 (Messung von 1984), keine
   Bestuhlung. Innenraumfoto (Ausschnitt): Niehüsener, 1981.


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   Die Zahl der Außenräumlichkeiten, die im Konzert- und Produktions-
betrieb des WDR seit vielen Jahren eine Rolle spielen, ist so umfang-
reich, daß nur einige wenige Beispiele - zwei davon mit einer Kurz-
beschreibung - angeführt werden können (man beachte bei der folgenden
Liste, daß große Hallen meist aus einem Saalkomplex bestehen, siehe
Gürzenich und Beethovenhalle): Tonhalle in Düsseldorf, Mercatorhalle in
Duisburg, Kulturzentrum in Herne, die Städtischen Saalbauten in Essen,
Recklinghausen und Witten, Gewölbekeller am Römerturm in Köln, Wilhelm-
Lehmbruck-Museum in Duisburg und Schulzentrum in Lindlar. Die letzten
drei Räumlichkeiten dienen der Kammermusikpflege. Der große Saal des
Städtischen Saalbaus in Essen nahm nach dem Krieg eine bedeutende
Position im Konzertgeschehen ein. Gustav König, sehr mit zeitge-
nössischen Strömungen verbunden, wirkte hier (Innenraumfoto: Melos,
6/1954).
   Ein historisch bekannter Saalbau ist der Gürzenich in Köln, wobei
"historisch" nicht im Sinne von "alt" mißverstanden werden darf: das
jetzige Gebäude ist nämlich ein Wiederaufbau. Zwar hat man teilweise
restaurierend gearbeitet, doch das im Krieg zerstörte Original war
selbstverständlich nicht wiederherstellbar (Vollendung des Aufbaus:
1954). Der Gürzenich, ständiger Sitz des Gürzenich-Orchesters der Stadt
Köln (Dirigent: Günter Wand, 1947-74), enthält zwei Säle: den großen
Festsaal (vgl. unten) - er wurde in letzter Zeit vom WDR ziemlich oft
als Ausweichkonzertsaal eingesetzt - und den erheblich kleineren
Isabellensaal (rechteckige Grundfläche, ca. 220 Sitzplätze, eine
Längswand mit Fenstern und Vorhängen; Innenraumfoto: Theil, 1959).

RR Gürzenich/Festsaal: rd. 13000 cbm (Mehrzweckraum, rechteckige
   Grundfläche, Fensterfronten), 1,8 sec/Q 1958, großes Sinfonieorche-
   ster (evtl. mit Chor), ca. 1107 Sitzplätze (zunächst ca. 1070
   Sitzplätze; Bedarfsbestuhlung, keine Empore). Innenraumfoto: Theil
   1959.

   Am 8. September 1959 wurde in Bonn die neuerbaute Beethovenhalle
ihrer Bestimmung übergeben. Sie gilt als höchst repräsentative
Konzertstätte, das zeigt sich z. B. darin, daß wohl kaum ein
ausländisches Sinfonieorchester, das auf Deutschlandtournee geht, diese
Darstellungsmöglichkeit in der Bundeshauptstadt ausläßt (vgl. Scènes de
ballet/Bernstein). Die Halle enthält drei Räume: Großer Saal, Kammermu-
siksaal und Studio.

RR Beethovenhalle/Großer Saal: rd. 16000 cbm (Mehrzweckraum, Grundriß
   und Längsschnitt siehe oben), 2,0 sec/Q 1959, großes Sinfonieorche-
   ster mit Chor, ca. 1420 Sitzplätze (Rückwandempore und ein Seiten-
   rang). Innenraumfoto: Meyer/Kuttruff, 1959

   Privatgeschäftliche Tonstudios spielen, soweit jedenfalls klassische
Musik betroffen ist, im Aufnahmebetrieb der Rundfunkanstalten keine
nennenswerte Rolle. Deswegen fallen auch Ausnahmen sofort auf, so z. B.
das sogenannte Soundstudio "N" in Köln-Bickendorf, Unter Kirschen 8
(Besitzer: Georgi Nedeltschev). Hier produziert der WDR seit ca. 1980
mit ziemlicher Regelmäßigkeit experimentelle Musik kleiner Besetzungen,
neue Kammermusik und dergleichen. Der Betrieb besitzt vier
Aufnahmeräume, welcher jedoch im Einzelfall eingesetzt wurde, sagen die
WDR-Karteikarten nicht; für Kammermusik dürfte aber eigentlich nur das
mit Abstand größte, das Studio A, in Frage kommen (rd. 1300 cbm, bis
ca. 1981: rd. 900 cbm; die anderen drei haben Rauminhalte in der
Größenordnung kleinerer Wortstudios). Strawinsky-Aufnahmen gibt es
bislang nicht aus dem Soundstudio "N" bzw. Studio Nedeltschev (wie der

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ausgeschriebene, aber inoffizielle Firmenname lautet).


3) Sinfonieorchester, Chor, Musik der Zeit, Strawinsky in Köln, "Panto-
   graphie" und anderes

   Der Kölner Rundfunkchor erfuhr nie einen Bezeichnungswechsel, wohl
aber das Sinfonieorchester. Es hieß zunachst Kölner Rundfunkorchester
(auch: Großes Kölner Rundfunkorchester) und dann von der Saison 1949/50
an Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester. (Beachte: 1947 war das Rundfunk-
orchester auch in der "gehobenen" U-Musik tätig. Es arbeitete, um diese
Aufgabe erfüllen zu können, eng mit dem schon früher gegründeten und von
Hans Bund geleiteten Unterhaltungsorchester zusammen, vgl. auch oben.)

OO Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester. Anfang 1947 gegründet, Produk-
   tionsbeginn spätestens März 1947, erstes öffentliches Konzert: 21.
   Januar 1948 (als "Kammerorchester des NWDR Köln" bereits am 28.
   Februar 1947, Einweihung des Sendesaals); Aufbauarbeit durch William
   Keiper (Dirigent bis 1948), Chefdirigenten: Jean Meylan (ca. Septem-
   ber 1947 bis 1948), Ljubomir Romansky (1948-1949; Meylan und Romansky
   hatten - sich überschneidend - die Leitung etwa ein Jahr lang gemein-
   sam inne), danach bis 1963 nur Gastdirigenten (bzw. ständige
   Gastdirigenten, darunter von 1949 bis 1968 der lange Zeit als "heim-
   licher Chefdirigent" empfundene Joseph Keilberth), Christoph von
   Dohnányi (1964-1969, nicht -1970), Zdenek Mácal (1970-1974), Hiroshi
   Wakasugi (1977-1983), Gary Bertini (seit 1983).

CC Kölner Rundfunkchor. 1947 gegründet, erster Chorleiter: Bernhard Zim-
   mermann (1947-1962), Herbert Schernus (seit 1962); um 1948 24 Mit-
   glieder, kontinuierliche Erweiterung, ca. 1953 44 und seit den 60er
   Jahren 48 Mitglieder (Verhältnis SA zu TB bei voller Besetzung z. B.
   24 zu 20 bzw. 26 zu 22, infolge unbesetzter Stellen oft Schwankun-
   gen).

   Vom WDR wird eines der bedeutenden Podien für neue Musik unterhalten:
die Reihe "Musik der Zeit". Sie existiert vom Namen her seit der Saison
1953/54, doch im Grunde bestand sie unter der Betitelung "Neue Musik"
schon ein Jahr vorher, ohne Bezeichnung sogar schon seit der Saison
1951/52. Das erste dieser ganz frühen "Pilotkonzerte" war gleichzeitig
Strawinskys erster Auftritt im Nachkriegsdeutschland. Es fand am 8.
Oktober 1951 im großen Sendesaal statt. Die Werke, die Strawinsky
dirigierte, waren: Apollon musagète, Symphonische Stücke für Bläser und
Oedipus rex. Konzertmitschnitte sind offenbar nicht archiviert worden,
wohl aber von allen drei Werken Studioproduktionen vom 7. Oktober (vgl.
Hauptteil bzw. Scharlau, 1972). (Beachte: Die "offizielle" deutsche
Erstaufführung der Symphonies d'instruments à vent fand im Konzert
statt, aber die "eigentliche" Erstaufführung ist die dokumentierte
Vorproduktion.)
   Der Erfolg des Konzertes war immens, und das erleichterte natürlich
die anschließenden Bemühungen des NWDR bzw. WDR um neue Musik
beträchtlich. Eine Avantgardefunktion also! Deshalb ist man auch nicht
verwundert, daß in den nachsten beiden Jahrzehnten Strawinskys Werke im
Programm der Reihe eine tragende Rolle spielten. Überrepräsensentiert
sind sie allerdings nicht, das "tragend" sollte man vielleicht eher als
"wohl dosiert" verstehen. Der damaligen Allgegenwärtigkeit Strawinskys
war das auch durchaus angemessen (eine Übersicht über die Produktion
bis 1968 findet man in: WDR, Zwanzig Jahre Musik im Westdeutschen
Rundfunk, [1970]). (Beachte: Mit Strawinskys Konzert vom 8. Oktober

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wurden weder der große Sendesaal noch das neue Kölner Funkhaus einge-
weiht! Zwar verwendete man damals in der Tat Etikette wie "Einweihung
des großen Sendesaals" oder "Weihe des Funkhauses", doch wie die Fakten
oben zeigen, waren das lediglich Aufmacher, die das als bedeutend
empfundene Konzertereignis noch aufputzen sollten; man begegnet übrigens
diesen einstigen Presseenten noch heute. So ganz frei erfunden waren die
Enten aber nicht: Bislang war der Saal nur "intern" genutzt worden, d.
h. Strawinskys Auftritt war gleichzeitig das erste große öffentliche
Konzert.)
   Ebenfalls sehr bekannt - neuerdings sogar schon für Tourismuspro-
spekte werbeträchtig - sind die (mit Unterbrechungen, versteht sich)
seit 1936 veranstalteten Wittener Kammermusiktage, deren heute geläufige
Bezeichnung "Wittener Tage für neue Kammermusik" erst 1969 eingeführt
wurde. Vorher trug dieses jährlich ausgetragene Fest andere, meist
weniger griffige Betitelungen. Soweit die Programmzielsetzung betroffen
ist, kann nur eingeschränkt etwas zur Zeit von 1966 an gesagt werden,
denn frühere Auflistungen waren nicht greifbar. In dieser überblickbaren
Zeit aber von nahezu zwei Jahrzehnten stand im Mittelpunkt das im fast
wörtlichen Sinn zeitgenössische Schaffen. Doch gelegentlich hat man auch
Zeit für Reminiszenzen, so stand z. B. - wie könnte es anders sein - im
Strawinsky-Jubiläumsjahr 1982 (100. Geburtstag) auch ein Werk dieses
Komponisten auf dem Programm: Cantata/Fromme (vgl. auch Dokumententeil:
1982 Witten). Als Veranstalter fungiert seit 1964 die Stadt Witten, ihr
trat später - wahrscheinlich 1969 - der WDR zur Seite. Der
Veranstaltungstermin liegt im April (dies zumindest seit 1966) und als
Austragungsort dient seit 1975 der in diesem Jahr - aber erst nach den
"Tagen" - fertiggestellte Städtische Saalbau (für die Konzerte der
1975er "Tage" war der Bau mehr oder minder provisorisch hergerichtet
worden). Im neuen "Saalbau" stehen zwei große Säle zu Verfügung, der
Theatersaal und der teilbare Kongreßsaal. Die eigentliche Konzertstätte
ist der Theatersaal (Grundriß: im Prinzip ein gleichschenkliges Trapez,
zunächst ca. 707, ab etwa 1979 ca. 739 Sitzplätze).
   Im Herbst 1976 begann der WDR, seine Bemühungen um Kammermusik zu
intensivieren. Der erste Schritt war, daß man Konzerte nicht nur in Köln
sondern verstärkt auch in anderen nordrhein-westfälischen Städten aus-
richtete. Konzertreihen, die unter eine Leitidee gestellt wurden,
folgten. Als Beispiel hierfür mag die in Verbindung mit der Stadt
Duisburg 1979 ausgerichtete, fünf Konzerte umfassende Veranstaltung
"Igor Strawinsky: Kammermusik und Lieder" dienen (vgl. Dokumente: 1979
Duisburg).
   Die WDR-Karteikarten enthalten, wie im Rundfunk üblich, seit eh und
je das Aufnahmedatum (Feld: "A." o. ä.). Anfang der 70er Jahre taucht
dann, zunächst zaghaft, das dementsprechende Feld für den Aufnahmeort
auf, wobei im eigenen Haus die Angaben studiobezogen sind (Saal 1, 2
usw.). Es ist keine Phantasterei, sich vorzustellen, der bekannte
Redakteur für Alte Musik, Klaus L Neumann, der Anfang der 1970er vom
Deutschen Rundfunkarchiv zum WDR gewechselt war, könnte diese kleine
Informationsverbesserung vorgeschlagen haben. Außenräume waren in
seltenen Fällen schon vorher angegeben worden (bei Mitschnitten etwa).
Spätestens seit 1977 ist die Ortsangabe ein steter Beschreibungsbestand-
teil. Bis zur Zeit der Einführung der Ortsangabe muß man in nahezu allen
Fällen die Informationen aus anderen Quellen erschließen. Hierbei
ergeben sich selbstverständlich sehr schnell Grenzen, deswegen auch die
Fragezeichen in der Aufstellung unten.
   Sehr häufig werden alte Karten durch Neuausstellungen ausgetauscht.
Dies bedeutet, daß in der Regel interessante, zeitbezogene Marginal-
informationen verloren gehen. So weisen alte Karten sehr oft eine
auflagendatierte Druckersignatur auf, wie man sie auch in manch anderem

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Senderarchiv antrifft (frühester mir bekannter WDR-Aufdruck: Hass 3.51
10000). Auch wechselten die Karten von Zeit zu Zeit das Design. Das
alles kann helfen, Aufnahmendatierungen zu überprüfen oder gar zu
vermuten. Die beiden ältesten WDR-Karten für Aufnahmen Strawinskyscher
Werke, die ich kenne, sind "Sonate (1924) in 3 Sätzen"/Picht-Axenfeld
III-5544/I (14.11.1949) und "Messe für gemischten Chor und doppeltes
Bläser-Quintett (1948)"/Rosbaud III-5593-49/I (2.5.1949). Beide Karten
sind echte frühe Kölner NWDR-Karten! Die eigentlich spannende ist die
Rosbaud-Karte. Sie erzählt einiges. Zunächst ist die Aufnahme eine
Übernahme vom SWF, handschriftlich ergänzt wurde das Erstsendedatum:
22.11.1949. Dann lautet die vollständige Archivnummer: Köln III-5593-
49/I. Die "III" steht für das Funkhaus Köln in der Dagobertstraße.
Somit ist das "Köln" vor der "III" sozusagen die örtlich prononcierte
Verdeutlichung. Als der NWDR Köln in sein neues Haus umzog, blieb er
zwar vom Namen her noch bis zum 31. Dezember 1955 eine NWDR-Anstalt,
doch er erhielt ein Stammhaus. Dies drückt sich auch in den Dokumen-
tationsrichtlinien aus: von nun an steht, bis in der zweiten Hälfte der
70er Jahre die digitale Numerierung eingeführt wurde, vor den Archiv-
nummern eine (stolze) "I". Die letzten in unser Gebiet fallenden "IIIer"
betreffen Strawinskys Aufnahmen (siehe oben). Und ein letztes zur
Rosbaud-Karte: die Übernahme, auf der Karte "Umschnitt" genannt, ist die
Dokumentation der deutschen Erstaufführung; diese Verantwortung scheint
dem Schreiber eines weiteren handschriftlichen Zusatzes (von 1952)
bewußt gewesen zu sein (vgl. Dokumente: 1949 Köln).
   Um 1960 verstärkte sich im (west-)deutschen Rundfunk das Bemühen um
die stereophone Ausstrahlung. Das WDR-Archiv besitzt dazu einen
hochkarätigen Zeitzeugen aus dem Strawinsky-Lager, siehe unten
(Randbemerkungen zur Einführung der Rundfunk-Stereophonie vgl. SFB).


Monat/Jahr             Aspekt                        Aufnahme
==========             ======                        ========

11/1949         Altes Funkhaus/Studio 1        Sonate pour piano/Picht-
                oder 3 (?)                     Axenfeld

10/1950         Neues Funkhaus/Studio 1 (?)    Ebony concerto/Desarzens

 7/1951      a) Ruhrfestspiele Recklinghausen  Concerto en ré pour
             b) Kölner Rundfunk-Sinfonie-      violon et orchestre/
                Orchester                      Grumiaux

10/1951      a) Neues Funkhaus/Studio 1        Apollon musagète usw./
             b) Strawinsky in Köln             Strawinsky
             c) Vorläufer der Konzertreihe
                "Musik der Zeit"

 4/1953      a) Studio 2                       Cantata/Zimmermann
             b) Zyklus "Neue Musik"

 3/1956         Konzertreihe "Musik der Zeit"  Concertino for twelve
                                               instruments/Gielen

11/1960         Vierkanal-Aufzeichnung         Mavra/Swarowsky
                (Stereo/Quadro-Experiment,
                schützenswertes ARD-Dokument)

 6/1965         Frühester Strawinsky-Nachweis  Symphony in three

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Vororientierungen                                               Seite 81
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                einer regelrechten             movements/Mehta
                Stereo-Eigenproduktion

10,11/1979      Konzertreihe "Igor Strawin-    vgl. Dokumente: 1979
                sky: Kammermusik und Lieder"   Duisburg

 4/1982         Wittener Tage für neue         Cantata/Fromme (bzw. Do-
                Kammermusik*                   kumente: 1982 Witten)

 4/1982         Studio N                       Cantata/Fromme

 9/1983         Studio Stolberger Straße       Chant du rossignol/Ber-
                                               tini

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*Frühere, allerdings indirekte Dokumente vgl. Pater noster/Fromme 1976


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[wdr]

Fassung 1985, Online: 15.9.2002, Version: 1.03, 28.1.2007 (Erläuterung: Intro 2002 ff.)

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